Frust mit der Deutschen Bahn
Entspannt reisen? Vor einem Regionalzug am Berliner Hauptbahnhof drängen sich um Pfingsten zahlreiche Reisende. © picture alliance/dpa | Monika Skolimowska
"Kontrollverlust in allen Funktionsbereichen"
07:00 Minuten
Verspätungen, Probleme mit dem 9-Euro-Ticket, jetzt auch noch ein schweres Zugunglück – alles Seiten derselben Medaille, sagt der Philosoph und Schriftsteller Wolfram Eilenberger: Die Bahn sei nicht nur nicht zuverlässig, sondern auch nicht sicher.
Seit Anfang Juni 2022 gibt es das 9-Euro-Ticket zum Ausgleich der gestiegenen Mobilitätskosten. Wie erwartet sind viele Regionalbahnen brechend voll, vor allem auf den touristischen Strecken. Pendler befürchten, dass in den folgenden Wochen noch mehr Verspätungen drohen. Für zusätzliche Schlagzeilen sorgt ein schweres Zugunglück bei Garmisch-Partenkirchen, bei dem mindestens fünf Menschen ums Leben gekommen sind, weitere Todesopfer werden nicht ausgeschlossen.
Kein Zug ist pünktlich und vollständig funktionstüchtig
Für den Philosophen und Schriftsteller Wolfram Eilenberger sind all das Symptome ein und desselben Problems. Er selbst sei in den letzten vier Wochen rund 30 Mal mit der Bahn gefahren, berichtet Eilenberger – es sei jedoch kein Anschluss erreicht worden, kein Zug pünktlich und funktionsmäßig einwandfrei gewesen.
"Gerade in den letzten Wochen hatte ich – und das beunruhigt mich selber – während des Bahnfahrens den Gedanken, da wird irgendetwas Schlimmes passieren. Der Kontrollverlust in allen Funktionsbereichen der Bahn ist für die Nutzer so spürbar, dass der Gedanke nahe liegen muss, da wird irgendetwas eskalieren, weil diese Inkompetenzschleifen irgendwann nicht mehr zu kompensieren sein werden."
Die Bahn hat die Kontrolle über ihren Auftrag verloren
Derzeit vertraue man sich einem Unternehmen an, "das die Kontrolle über seinen Auftrag vollkommen verloren hat", mit einem Personal "zwischen Apathie und Scham" und "Kunden, die nicht einmal mehr die Energie finden, sich über die Absurditäten, denen sie jeden Tag ausgesetzt sind, zu beschweren". Es gebe dramatische Entwicklungen, über die einfach gesprochen werden müsse, weil dieses Verkehrsmittel nicht nur nicht mehr zuverlässig sei, sondern auch nicht mehr sicher.
Hohe Investitionen werden daran kaum etwas ändern, glaubt Eilenberger. Es gebe Institutionen, die sich durch jahrzehntelange Vernachlässigung in einem Zustand der Zerknirschung befänden. Es werde selbst mit höchsten Geldmengen schwer, in absehbarer Zeit Verbesserungen hervorzubringen, auch weil die Anreizsysteme innerhalb fehlten.
"Welcher junge Mensch, der talentiert oder klaren Geistes wäre, würde sich freiwillig für eine Karriere bei der Bahn (...) entscheiden?"
Jede Kritik wird weggedrückt
Die Dysfunktionalitäten bei der Bahn seien kein Schicksal und es gebe in Europa Bahnsysteme, die durchaus besser funktionierten, so Eilenberger. Leider genieße das Unternehmen jedoch eine Art Immunität:
"Wir wissen, dass wir sie brauchen und jede Kritik wird irgendwie weggedrückt". Auch Wettbewerber dränge die Bahn aus dem Markt. "Es ist ein Monopolist, der völlig rückmeldungsresistent ist und dem man beim Verfallen derzeit einfach nur zuschauen kann."
(ckü)