Verkehrswende

"Die Bahn steht vor dem Kollaps"

08:09 Minuten
Verzweigte Eisenbahnschienen vor einem Bahnhof, links fährt ein ICE.
Das deutsche Schienennetz ist ein Sanierungsfall. Autor Arno Luik gibt der Politik und der Bahnspitze der vergangenen Jahrzehnte die Schuld. © imago / Future Image / C. Hardt
Arno Luik im Gespräch mit Ute Welty |
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Der Bund will ab 2024 das marode Bahnnetz sanieren. Verkehrsminister Wissing erklärt das zur "Chefsache". Der Handlungsdruck ist groß: Die Bahn sei in den vergangenen drei Jahrzehnten "systematisch zerstört" worden, sagt der Autor Arno Luik.
Die Deutsche Bahn spielt eine entscheidende Rolle bei der angestrebten Verkehrswende: Will die Ampel-Regierung ihre Klimaschutzziele bis 2030 erreichen, müssen doppelt so viele Menschen wie gegenwärtig Zug fahren. Auch deutlich mehr Güterverkehr muss von der Bahn übernommen werden.
Momentan schwer vorstellbar angesichts von übervollen Zügen, notorischen Verspätungen und Ausfällen. Gerade besonders augenfällig durch das Neun-Euro-Ticket.
"So wie es ist, kann es nicht bleiben", sagt Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) über die Zustände auf deutschen Bahnstrecken. Und verspricht: "Ich will die Probleme angehen und lösen, indem ich sie zur Chefsache mache."
Gemeinsam mit Bahnchef Richard Lutz stellte Wissing jetzt Pläne für das marode Schienennetz vor. Dieses soll ab 2024 auf besonders belasteten Strecken generalsaniert werden. Lutz räumte ein, dass der aktuelle Zustand des Schienensystems für niemanden akzeptabel sei; ein radikales Umsteuern sei notwendig.

Zukunft der Bahn steht infrage

Der Autor Arno Luik zeigt sich "sehr skeptisch, dass diese Bahn eine große Zukunft" habe. Er findet, dass sie "in einem fast irreparablen Zustand" sei. "Ich fürchte auch, dass mit diesem Personal an der Spitze der Bahn diese Bahn nicht wirklich zeitgemäß operieren kann."
In den vergangenen drei Jahrzehnten sei das einstmals gut funktionierende Bahnsystem in Deutschland "systematisch demontiert", ja "zerstört" worden, sagt Luik. Und dies durch eine Politik "bewusst von oben herab", sprich von Bundeskanzleramt und Verkehrsministerium.

Millionen Menschen vom Fernverkehr abgeschnitten

So seien seit der Bahnreform 1994 mehr als 100 Groß- und Mittelstädte wie Chemnitz oder Heilbronn vom Fernverkehr abgeschnitten worden. "Es wurde so das Bahnfahren für 17 Millionen Menschen erschwert", so Luik.
Der Buchautor ("Schaden in der Oberleitung") verweist auch auf folgenschwere Fehlentscheidungen beim Schienennetz: Von 130.000 Weichen und Kreuzungen gebe es heute noch 70.000. Mit jeder herausgerissenen Weiche aber würden Überholmöglichkeiten abgeschafft.
Die Schweiz dagegen habe ein "nahezu perfektes Bahnsystem" installiert. "Wie verheerend und wie desaströs die Lage ist, zeigt sich allein daran., dass man, um auf den Zustand der Schweiz zu kommen, das Bahnnetz um 25.000 Kilometer verlängern müsste. Das geht aber nicht." Das zeige, wie tragisch die Situation sei.

Missmanagement und Fehlinvestitionen

Der Autor kritisiert zudem, dass in unserem "autoverrückten Land" bis auf den aktuellen Bahnchef Lutz stets Manager aus der Auto- und Luftfahrtindustrie an die Spitze der Bahn kamen, "also Leute, die von dem hochkomplexen System Bahn keine Ahnung" gehabt hätten. "Das Endergebnis dieses Missmanagements sehen wir heute: Die Bahn steht vor dem Kollaps."
Dringenden Handlungsbedarf der Politik sieht Luik bei zweifelhaften Investitionen: "Sie müsste sofort dafür sorgen, dass die Auslandseinsätze der Bahn beendet werden." Der Konzern beteilige sich in 140 Ländern an diversen Projekten. Zum Beispiel an Flugtaxis in Dubai. "Da ist ein bürokratisches Monster entstanden, ein Staat im Staate, der macht, was er will."

Der fragwürdige grüne Anstrich der Bahn

Als besonders "unheilvoll" bezeichnet Luik die Beteiligung der Bahn an dem Großprojekt Tren Maya in Mexiko. Die Trasse soll über 1500 Kilometer durch fünf Bundesstaaten führen. "Da befürchten die Nachfahren der Maya, dass das sensible Ökosystem zerstört wird, dass ihre Lebensgrundlagen zerstört werden ", so Luik.
Das sei ein "fragwürdiges Engagement" für einen Staatskonzern, der sich hierzulande "als Zeichen seiner Umweltliebe grüne Streifen auf die ICEs" male.
(bth, mit rtr, dpa)

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