Hohe Rendite, großer Betrug
Der Ökonom Rudolf Hickel stellt VW und der Deutschen Bank ein schlechtes Zeugnis aus: Beide Konzerne schauten nur auf schnelle Gewinne und würden zentralistisch-autoritär geführt. Das befördere illegales Handeln.
Der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel sieht den Hauptgrund für Betrugsskandale bei Großkonzernen wie der Deutschen Bank und VW in einer verfehlten Unternehmenskultur. Das alleinige Streben nach Gewinnen führe zu illegalem Handeln, sagte Hickel am Freitag im Deutschlandradio Kultur: "Am Ende sind es Unternehmen, die eigentlich nur von einer Kraft getrieben werden - nämlich relativ hohe Renditen schnell zu erzielen." Die Kontrollmechanismen und die Unternehmensstruktur reichten nicht mehr aus, "solche Dinge früh zu erkennen und sie abzustellen".
"Absichtsvolle Betrugsmanöver"
Volkswagen sei mit illegalen Mitteln angetreten, um "am US-amerikanischen Markt zu reüssieren", so Hickel. Bei der Deutschen Bank habe es "absichtsvolle Betrugsmanöver" gegeben - etwa beim CO2-Emmissionshandel. "Für beide Unternehmen ist typisch, dass sie relativ zentralistisch-autoritär geführt sind", sagte der Ökonom. Notwendig seien aber Dezentralität, Risikomanagement, mehr Mitbestimmung von unten und Whistleblowersysteme, die "solche Skandale" aufdeckten.
Ethische Erwartungen an das Führungspersonal habe er gar keine, sagte Hickel: "Mir ist es wichtig, dass man den Rahmen so schafft, dass selbst wenn einer mit krimineller Energie in so einem Unternehmen aktiv werden will, dass er's einfach künftig nicht mehr machen kann." Nach Einschätzung Hickels ist der deutsche Standort "extrem angeschlagen". Es sei noch nicht die Frage beantwortet, ob Deutschland es schaffe, den Imageverlust und auch den ökonomisch schweren Verlust "einigermaßen zu überwinden".
Das vollständige Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Volkswagen hat im vergangenen Quartal 3,5 Milliarden Euro Verluste gemacht, die Deutsche Bank 7 Milliarden – das haben wir gestern erst aktuell erfahren, 9000 Mitarbeiter will sie deshalb entlassen –, aber diese beide Unternehmen sind nicht die einzigen deutschen Großkonzerne, die lange als unfehlbar galten und die jetzt große Probleme haben. Gibt andere Beispiele: ThyssenKrupp, E.on, der Energiekonzern, oder auch die Lufthansa. Hängt das trotz scheinbar unterschiedlicher Ursachen am Ende alles zusammen? Das wollen wir jetzt mit Rudolf Hickel klären, Wirtschaftswissenschaftler und früherer Direktor des Instituts für Arbeit und Wirtschaft an der Uni Bremen. Schönen guten Morgen, Professor Hickel!
Rudolf Hickel: Guten Morgen nach Berlin!
Kassel: Nun sind das ja im Detail immer unterschiedliche Ursachen – Abgasskandal bei VW, Ablassskandale bei der Deutschen Bank, bei der Lufthansa ist es die Konkurrenz durch Billigflieger –, aber entdecken Sie trotzdem gemeinsame Ursachen?
Hickel: Na klar gibt es gemeinsame Ursachen, vergleichen wir etwa VW und Deutsche Bank: Es geht jedes Mal darum, sozusagen am Wettbewerb stark zu sein, vor allem geht es darum, hohe Gewinne zu machen. Die Gewinnerzielungsabsicht treibt diese Unternehmen an, und dann ist natürlich die Möglichkeit oder die Chance, dass dann teilweise auch illegal gehandelt wird, um Kosten zu senken, um auf der anderen Seite Gewinne zu erhöhen, sehr groß. Nehmen wir die beiden Beispiele: Bei VW ist es der Diesel-Fake, ist es der Dieselskandal: Da geht es eigentlich schlichtweg darum, um am Markt zu reüssieren, vor allem am amerikanischen, am US-amerikanischen Markt zu reüssieren ... weiß man, dass wenn man die Abgaswerte einhält, dass dann die Kosten zu stark sind, das Auto zu teuer wird, also ist es angetrieben in der Tat von dem Motiv, wir wollen den Markt erobern, aber eben auch mit illegalen Mitteln.
Und das andere Beispiel ist Deutsche Bank: Da geht es jetzt nicht um die Manipulation von Dieselmotoren, sondern da geht es vor allem – und das ist eigentlich sehr bitter für die Deutsche Bank – geht es richtig um absichtsvolle Betrugsmanöver. Wenn man etwa denkt dran, dass der CO2-Emissionshandel, dass da betrogen worden ist, wenn man daran denkt, dass auch Wertpapiere verpackt worden sind, die nichts wert sind, aber verkauft worden sind. Am Ende sind das alles Unternehmen, die eigentlich nur von einer Kraft getrieben werden, nämlich relativ hohe Renditen schnell zu erzielen. Und das Gemeinsame ist, und das ist das Erschütternde auch für insgesamt in der Verallgemeinerung für den deutschen Standort, das Gemeinsame ist, dass die Kontrollmechanismen, dass die Unternehmensstruktur nicht mehr ausreicht, solche Dinge früh zu erkennen und sie abzustellen.
Es fehlt ein Risikomanagement
Kassel: Unternehmensstruktur ist vielleicht das Stichwort. Der Dokumentarfilmer Andreas Veiel hat gestern in unserem Programm gesagt, das sei ein hausinterner Bankraub eigentlich gewesen bei der Deutschen Bank, und auch andere sagen, es ging eigentlich immer nur um ungefähr hundert Leute in der Bank selber, die reich werden sollten. Ob es nun hundert sind oder nicht, es ist ja nicht nur die Frage, wie hoch der Profit sein soll, sondern auch, für wen er eigentlich erwirtschaftet wird.
Hickel: Ja, das ist ganz entscheidend. In der Tat sind ... Wir sehen es ja jetzt bei VW, wo die ersten Prozesse in Braunschweig veranlasst worden sind gegen einzelne Personen, also werden einzelne Personen habhaft gemacht. Bei der Deutschen Bank kann man auch die Personen benennen: Das sind vor allem die, die sehr stark, bei denen im Grunde genommen das Interesse, hohe Profite voranzutreiben, damit gekoppelt ist, dass sie über Bonuszahlungen beteiligt werden an dem Geschäft, und es sind vergleichsweise wenige. Und insgesamt muss man sagen, was fehlt, ist ein Risikomanagement. Aber bei der Deutschen Bank ist es eben so, da galt – wir erinnern uns ja an diese unmögliche Formulierung, an die Zielformulierung von Ackermann, der gesagt hat, ich will 25 Prozent Rendite - am besten noch nach Steuern - als Ziel. Und wenn man so ein Ziel vorgibt, dann wird ein Unternehmen im Grunde genommen unglaublich korruptionsanfällig, weil es eigentlich anders gar nicht geht.
Und die Lehre, die man eigentlich draus ziehen muss ... Wir haben ja einen Begriff, der heißt Corporate Governance, wir diskutieren ganz viel in der Wissenschaft oder Praxis über eine angemessene, gute, risikostarke, Risiko vermeidende Unternehmenskultur und Unternehmensstruktur, und davon kann überhaupt keine Rede sein. Übrigens für beide Unternehmen ist typisch, dass sie relativ zentralistisch-autoritär geführt sind, und es stellt sich die Grundsatzfrage, ob solche großen Konzerne, weltweit agierenden Konzerne mit Riesenumsätzen, ob die überhaupt noch in dem derzeitigen Modell, das so gefahren wird, ob die überhaupt noch steuerbar sind.
Whistleblower-Systeme sind wichtig
Kassel: Da stellt sich auch die Frage, sind sie schlicht zu groß?
Hickel: Ich glaube, die Größe ist nicht so entscheidend, sondern die Frage ist, wie man mit der Größe umgeht. Und da gibt es jetzt eine Debatte, an der ich selber beteiligt war – ich war selber bei einem sehr großen Unternehmen, bei der Allianz, im Aufsichtsrat, habe mich immer gewundert oder mir die Frage gestellt, wie kommen die eigentlich klar mit dieser Größe. Ich glaube, man braucht erstens erheblich mehr Dezentralität, also erheblich mehr Kompetenz in einzelnen Produktionseinheiten, gewisserweise darf die Holding, die das Ganze managt, nicht unmittelbar ins operative Geschäft eingreifen. Das ist so eine Möglichkeit, Dezentralisierung. Und dann sage ich noch mal, das hören zwar viele nicht so gerne, aber wir müssen von unten her auch die Mitbestimmung ausbauen.
Wir müssen beispielsweise, das ist auch wichtig, so Whistleblower-Systeme, das heißt also, dass solche Skandale erstens unternehmensintern artikuliert werden und dann aber auch insgesamt reagiert wird. Da gibt es ja einen riesengroßen Bedarf, und am Ende, ich weiß, man stellt sich natürlich auch die ethische Frage, welche ethischen Erwartungen habe ich an Führungspersonal. Und da sage ich, ich hab im Prinzip eigentlich gar keine. Mir ist es wichtig, dass man den Rahmen so schafft, dass selbst wenn einer mit krimineller Energie in so einem Unternehmen aktiv werden will, dass er es einfach künftig nicht mehr machen kann. Das ist, glaube ich, die ganz große ordnungspolitische und unternehmenspolitische Herausforderung.
"Wir haben ein ganz großes Kreativitätsproblem"
Kassel: Aber haben wir nicht auch ein Kreativitätsproblem? Ich meine jetzt nicht die Kreativität darin, Gesetze zu hintergehen, sondern wenn man sieht, VW hat nur noch Dieselfahrzeuge gehabt, die Elektronummer verschlafen, die Lufthansa rennt Ryanair und easyJet hinterher, die Deutsche Bank hatte auch keine Modelle, die anders sind als die anderen Banken. Haben wir nicht auch ein Kreativitätsproblem?
Hickel: Wir haben ein ganz großes Kreativitätsproblem, und das Kreativitätsproblem besteht darin, dass eigentlich nur die Produkte – um es negativ abzugrenzen, zu formulieren –, dass nur die Produkte Entwicklungschancen haben, die eben auch schnell die Kapitalrendite nach oben treiben. Und wenn man das zum Prinzip macht, dann hat man eigentlich systematisch bereits schon Kreativität ausgeschlossen. Kreativität heißt, etwa Elektroautomobil, dass ich Modelle probiere, bei denen ich lange Zeit nicht viel verdiene, aber die übrigens dann nachhaltig auch am Ende fürs Unternehmen sind. Und bei der Deutschen Bank, da gab es eine Kreativität, aber eine fast kriminelle Kreativität.
Wenn ich mir überlege – ich hab das ja selber in meinem Buch auch beschrieben, wie das gemacht worden ist –, wenn ich mir überlege, dass einer Stadt wie Pforzheim oder Hagen eine Wette angeboten wird, die sie am Ende verlieren, dann zeigt sich, dass es eher eine sozusagen negative Kreativität gab. Ich sag's jetzt mal ganz bewusst zugespitzt: Kriminelle Kreativität war im Spiel, und jetzt kommt es drauf an, die sozusagen durch eine gute Unternehmensstruktur, durch Kontrolle, durch Risk Management zurückzudrängen und dafür zu sorgen, dass die eigentliche Kreativität, nämlich die Entwicklung zukunftsfähiger beispielsweise Automobile oder auch wichtiger Bankfunktionen, Bankdienstleistungen, dass das wieder in den Mittelpunkt sozusagen der Unternehmensführung gestellt wird.
Aber eins ist klar: Der deutsche Standort ist extrem angeschlagen, auf der einen Seite, und auf der anderen Seite ist die Frage noch nicht beantwortet, ob wir es schaffen, sozusagen aus diesem Imageverlust und aus diesem auch ökonomisch schweren Verlust – es werden ja Tausende von Arbeitsplätzen abgebaut, bei denjenigen, die eigentlich überhaupt schuldhaft nichts mehr mit zu tun haben –, ob wir das einigermaßen überwinden.
Kassel: Der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel über die strukturellen Probleme, die es nicht nur, aber im Moment ja besonders bei der Deutschen Bank und bei Volkswagen gibt. Professor Hickel, vielen Dank für das Gespräch!
Hickel: Schönen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.