"Deutsche Einheit, das ist ihr Schrei"
Die Zeit der Befreiungskriege umfasst nicht einmal zehn Jahre, die so viel veränderten: Das Volk tritt auf als neue politische Größe. Der Germanist Arnulf Krause interessiert sich für das, was Künste und Philosophie zu dieser Epoche beitrugen.
Die Franzosen sprechen von der Schlacht der Giganten, die Briten von der der Nationen, die Deutschen von der Völkerschlacht. Nie zuvor hatte es größere Heere und größere Verluste gegeben. Das schon rechtfertigt es, von einer "Völkerschlacht" zu sprechen.
Aber da ist noch etwas anderes, Neues: Hier treffen nicht stehende Heere aufeinander, dem Feldherrn ergeben und loyal dem Landesherrn gegenüber, bestenfalls. Hier treffen Völker aufeinander. Die Deutschen, die Preußen sehen es jedenfalls so.
Das ist der Gesichtspunkt, den der Bonner Germanist Arnulf Krause gewählt hat. Kern seines Buches sind die Jahre von der preußischen Niederlage 1806 bei Jena und Auerstedt bis Waterloo 1815. Spricht er über Militärisches, so stellt er nicht technische Fragen, solche nach Bewaffnung, Taktik und Strategie. Er fragt nach der politischen Seite, nach der Wehrverfassung, nach den Einstellungen der Menschen.
Aber da ist noch etwas anderes, Neues: Hier treffen nicht stehende Heere aufeinander, dem Feldherrn ergeben und loyal dem Landesherrn gegenüber, bestenfalls. Hier treffen Völker aufeinander. Die Deutschen, die Preußen sehen es jedenfalls so.
Das ist der Gesichtspunkt, den der Bonner Germanist Arnulf Krause gewählt hat. Kern seines Buches sind die Jahre von der preußischen Niederlage 1806 bei Jena und Auerstedt bis Waterloo 1815. Spricht er über Militärisches, so stellt er nicht technische Fragen, solche nach Bewaffnung, Taktik und Strategie. Er fragt nach der politischen Seite, nach der Wehrverfassung, nach den Einstellungen der Menschen.
Die Reformkräfte sahen, was dem eigenen Land fehlte
Die alten Armeen bestanden aus zum Dienst gepressten Männern. Hermann von Boyen, später einer der führenden Reformer und 1814 Kriegsminister, über seine Erfahrungen als junger Hauptmann bei den preußischen Truppen:
"Mit solchem Gesindel bei den Fahnen und den unaufhörlichen Exzessen und Diebereien, die sie verüben, verlor nicht allein der gesamte Soldatenstand die Achtung seiner Mitbürger, sondern es wurde auch eine gewaltsame Behandlung notwendig oder wenigstens üblich, die selbst die Besseren unter ihnen herabwürdigte und mutlos machte."
Völlig anders die siegreichen Truppen Frankreichs, von Ruhmbegier und Vaterlandsliebe erfüllt. Krause kalkuliert die Begeisterung für die Person Napoleons zu knapp, darin liegt doch, bei aller Modernität dieser Gestalt, schon wieder ein feudales Moment: das der persönlichen Treue.
Aber das unterlegene Preußen, richtiger: die Reformkräfte, sahen, was dem eigenen Land fehlte, was zu ändern sei, um sich gegen Frankreich zu behaupten. Immer noch erstaunt, wie viel in den wenigen Jahren gelang, in denen Stein und später Hardenberg die preußische Politik leiteten:
Die Bauern werden aus der Erbuntertänigkeit befreit. Die Städteordnung stärkt die kommunale Selbstverwaltung, die Gewerbeordnung belebt das Wirtschaftsleben, die Lage der Juden wird verbessert, das Unterrichtswesen mit neuem Geist erfüllt. Und natürlich die Militärreform, das heißt die Umstellung auf die Wehrpflicht.
1813 wird der preußische König die Landwehr sorgenvoll betrachten:
"Da unten marschiert die Revolution."
Was aber Arnulf Krause mehr noch als diese politischen Reformen interessiert, das ist die ideengeschichtliche Lage. Das Volk tritt auf als die neue politische Größe. Darin liegt etwas Egalitäres, Demokratisches, verbunden mit einem neuen nationalen Empfinden.
Die Nation ist Ursprungsgemeinschaft, deshalb ist die Vergangenheit so wichtig. Joseph von Eichendorff, der in Heidelberg studiert, besucht Speyer und ist tief bewegt, Caspar David Friedrich und Karl Friedrich Schinkel verehren die gotische Architektur. Die Dichtung des Mittelalters wird entdeckt, 1815 erscheint für die Soldaten eine "Feld- und Zeltausgabe" des Nibelungenlieds.
Und selbst die französische Schriftstellerin Germaine de Staël, Verfasserin eines berühmten Deutschland-Buches, kann sich von solchem Geschichtsempfinden nicht freimachen. Den Rhein erklärt sie zum Schutzgeist Deutschlands und fährt fort:
"Der Schatten des Arminius scheint noch immer über den steilen Ufern zu schweben."
Die Romantiker suchen den unverfälschten Sinn des Volkes in alten Lieder, Märchen und Sagen. Jacob Grimm schreibt 1811:
"Auf hohen Bergen, in geschlossenen Thälern lebt noch am reinsten ein unveralteter Sinn, in den engen Dörfern, dahin wenige Wege führen und keine Straßen, wo keine falsche Aufklärung eingegangen oder ihr Werk ausgerichtet hat, da ruht noch an vaterländischer Gewohnheit, Sage und Gläubigkeit ein Schatz im Verborgenen."
Die Grimms haben sich allerdings keineswegs aufgemacht in die geschlossenen Täler und engen Dörfer. Ob es daran liegt, dass ihre Märchen, aller Vaterländerei zum Trotz, um die Welt gingen und in den USA gelesen werden wie in Polen?
Alle Völker haben ihre Geschichte, die Deutschen aber glauben, ihnen komme eine besondere Ursprünglichkeit zu. Johann Gottlieb Fichte in den "Reden an die deutsche Nation" bezeichnet die Deutschen als "Urvolk".
"Mit solchem Gesindel bei den Fahnen und den unaufhörlichen Exzessen und Diebereien, die sie verüben, verlor nicht allein der gesamte Soldatenstand die Achtung seiner Mitbürger, sondern es wurde auch eine gewaltsame Behandlung notwendig oder wenigstens üblich, die selbst die Besseren unter ihnen herabwürdigte und mutlos machte."
Völlig anders die siegreichen Truppen Frankreichs, von Ruhmbegier und Vaterlandsliebe erfüllt. Krause kalkuliert die Begeisterung für die Person Napoleons zu knapp, darin liegt doch, bei aller Modernität dieser Gestalt, schon wieder ein feudales Moment: das der persönlichen Treue.
Aber das unterlegene Preußen, richtiger: die Reformkräfte, sahen, was dem eigenen Land fehlte, was zu ändern sei, um sich gegen Frankreich zu behaupten. Immer noch erstaunt, wie viel in den wenigen Jahren gelang, in denen Stein und später Hardenberg die preußische Politik leiteten:
Die Bauern werden aus der Erbuntertänigkeit befreit. Die Städteordnung stärkt die kommunale Selbstverwaltung, die Gewerbeordnung belebt das Wirtschaftsleben, die Lage der Juden wird verbessert, das Unterrichtswesen mit neuem Geist erfüllt. Und natürlich die Militärreform, das heißt die Umstellung auf die Wehrpflicht.
1813 wird der preußische König die Landwehr sorgenvoll betrachten:
"Da unten marschiert die Revolution."
Was aber Arnulf Krause mehr noch als diese politischen Reformen interessiert, das ist die ideengeschichtliche Lage. Das Volk tritt auf als die neue politische Größe. Darin liegt etwas Egalitäres, Demokratisches, verbunden mit einem neuen nationalen Empfinden.
Die Nation ist Ursprungsgemeinschaft, deshalb ist die Vergangenheit so wichtig. Joseph von Eichendorff, der in Heidelberg studiert, besucht Speyer und ist tief bewegt, Caspar David Friedrich und Karl Friedrich Schinkel verehren die gotische Architektur. Die Dichtung des Mittelalters wird entdeckt, 1815 erscheint für die Soldaten eine "Feld- und Zeltausgabe" des Nibelungenlieds.
Und selbst die französische Schriftstellerin Germaine de Staël, Verfasserin eines berühmten Deutschland-Buches, kann sich von solchem Geschichtsempfinden nicht freimachen. Den Rhein erklärt sie zum Schutzgeist Deutschlands und fährt fort:
"Der Schatten des Arminius scheint noch immer über den steilen Ufern zu schweben."
Die Romantiker suchen den unverfälschten Sinn des Volkes in alten Lieder, Märchen und Sagen. Jacob Grimm schreibt 1811:
"Auf hohen Bergen, in geschlossenen Thälern lebt noch am reinsten ein unveralteter Sinn, in den engen Dörfern, dahin wenige Wege führen und keine Straßen, wo keine falsche Aufklärung eingegangen oder ihr Werk ausgerichtet hat, da ruht noch an vaterländischer Gewohnheit, Sage und Gläubigkeit ein Schatz im Verborgenen."
Die Grimms haben sich allerdings keineswegs aufgemacht in die geschlossenen Täler und engen Dörfer. Ob es daran liegt, dass ihre Märchen, aller Vaterländerei zum Trotz, um die Welt gingen und in den USA gelesen werden wie in Polen?
Alle Völker haben ihre Geschichte, die Deutschen aber glauben, ihnen komme eine besondere Ursprünglichkeit zu. Johann Gottlieb Fichte in den "Reden an die deutsche Nation" bezeichnet die Deutschen als "Urvolk".
Nicht leicht findet man zehn Jahre, die so viel verändern
Die Eigentümlichkeit der Nation ist das politische Argument gegen die französische Oberherrschaft. Nach den eigenen Sitten zu leben, ist Freiheit. Dass diese Freiheit im aufklärerischen Sinne genutzt werde, ist damit nicht gesagt. Tirol etwa, 1806 dem Königreich Bayern zugeschlagen, wehrte sich heftig gegen das modern-zentralistische Regime aus München, es ist ein schönes Beispiel, wie die Selbstbestimmung, das emanzipatorische Prinzip, einhergeht mit ganz traditionellen Leidenschaften.
Die Zeit der Befreiungskriege umfasst im engen Sinn nicht einmal zehn Jahre. Doch nicht leicht findet man zehn Jahre, die so viel verändern. Was wir modern nennen, Volkssouveränität und Demokratie oder richtiger: Beteiligung des Volkes an den politischen Angelegenheiten, das hat hier seinen Anfang, aufs engste verknüpft mit dem Nationalstaatsprinzip.
Darauf richtet Arnulf Krause seinen Blick; der Germanist interessiert sich für das, was Künste und Philosophie beitragen zur Deutung und Formung der Epoche. Es ist kein völlig neues Bild, das er zeigt, eher ein knapper Überblick. Für zehn Jahre 350 Seiten, das ist nicht mal so wenig.
Dass man doch immer wieder das Gefühl hat, der Autor hätte noch ausführlicher werden können, das zeigt, welchen Reichtum die Epoche bietet, vor allem welchen Reichtum an Problemen. Nicht das geringste dieser Probleme hat die schon einmal zitierte Madame de Staël bezeichnet:
"Deutsche Einheit, das ist ihr Schrei, ihre Doktrin, ihre Religion, die sie mit wahrem Fanatismo bekennen. Wer kann die Folgen berechnen, wenn eine Masse wie die deutsche, zu einem einzigen Ganzen gemischt, aggressiv würde? Wer kann sagen, wo eine solche Bewegung haltmachen würde?"
Die Zeit der Befreiungskriege umfasst im engen Sinn nicht einmal zehn Jahre. Doch nicht leicht findet man zehn Jahre, die so viel verändern. Was wir modern nennen, Volkssouveränität und Demokratie oder richtiger: Beteiligung des Volkes an den politischen Angelegenheiten, das hat hier seinen Anfang, aufs engste verknüpft mit dem Nationalstaatsprinzip.
Darauf richtet Arnulf Krause seinen Blick; der Germanist interessiert sich für das, was Künste und Philosophie beitragen zur Deutung und Formung der Epoche. Es ist kein völlig neues Bild, das er zeigt, eher ein knapper Überblick. Für zehn Jahre 350 Seiten, das ist nicht mal so wenig.
Dass man doch immer wieder das Gefühl hat, der Autor hätte noch ausführlicher werden können, das zeigt, welchen Reichtum die Epoche bietet, vor allem welchen Reichtum an Problemen. Nicht das geringste dieser Probleme hat die schon einmal zitierte Madame de Staël bezeichnet:
"Deutsche Einheit, das ist ihr Schrei, ihre Doktrin, ihre Religion, die sie mit wahrem Fanatismo bekennen. Wer kann die Folgen berechnen, wenn eine Masse wie die deutsche, zu einem einzigen Ganzen gemischt, aggressiv würde? Wer kann sagen, wo eine solche Bewegung haltmachen würde?"
Arnulf Krause: Der Kampf um Freiheit. Die Napoleonischen Befreiungskriege in Deutschland
Konrad Theiss Verlag, Stuttgart, April 2013
350 Seiten, 26,95 Euro
Konrad Theiss Verlag, Stuttgart, April 2013
350 Seiten, 26,95 Euro