Deutsche Einwanderer in San Francisco

Aufbruch in ein neues Leben

Kalifornien: San Francisco Golden Gate Brücke, 2006
Deutsche Ausreisewillige zog es immer wieder ans Golden Gate © picture alliance / dpa / Udo Bernhart
Von Arndt Peltner |
In fast allen Teilen der USA findet gibt es Spuren deutscher Immigranten. Sie kamen über New York in den Mittleren Westen und nach Texas und bis nach Kalifornien. Gerade San Francisco verhieß für viele der Deutschen eine glänzende Zukunft.
Hier war schon immer möglich, was in anderen Landesteilen undenkbar war. Vom Gold Rush Mitte des 19. Jahrhunderts bis zu den Start-ups im Silicon Valley am Ende des 20. Jahrhunderts: Deutsche Abenteurer und Ausreisewillige zog es immer wieder ans Golden Gate, um hier reich zu werden, um eine neue Heimat zu finden, um Teil des ethnischen Schmelztiegels San Francisco zu werden.
Viele kamen, wie der Autor selbst, um nur ein paar Jahre zu bleiben und dann zu erkennen, dass daraus doch ein neues Leben an einem ganz anderen Ort geworden ist. Diese Lange Nacht geht auf Spurensuche nach den deutschen Einwanderern in und um San Francisco. Was sie an die Pazifikküste brachte, was sie hier fanden, was sie hier aufbauten, wie sie Teil dieser einzigartigen Weltstadt wurden.

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Goldrausch in den USA - und die deutsche Einwanderung
Während in Deutschland die Märzrevolution von 1848 tobte, verbreitete sich 9.000 Kilometer entfernt in Nordkalifornien die Nachricht vom Goldfund wie ein Lauffeuer. Die San Francisco Bay war mit dem Ausbruch des Gold Rush überfüllt mit verlassenen Schiffen aus aller Welt, die schließlich gesprengt werden mussten, um überhaupt wieder Platz zu schaffen. Die Tageszeitung "California Star" berichtete am 10. Juni 1848:
"Jeder Hafen, so weit südlich wie San Diego, und jede Stadt, und jeder Unterschlupf am Fuße der Berge, wo Gold gefunden wurde, bis zur Mission südlich in San Luis, ist auf einmal ohne Menschen. Amerikaner, Kalifornier, Indianer und Inselbewohner, Männer, Frauen und Kinder gleichermaßen. Spaten, Schaufeln, Hacken, Holztöpfe, indianische Körbe zum Waschen, werden verkauft und oft zu unglaublichen Preisen. Ein Gebiet wird erforscht, wo 50.000 Männer auf abenteuerliche Weise arbeiten."
Nur vier Tage nach der Veröffentlichung dieses Artikels wurde der "California Star" eingestellt. Alle Mitarbeiter hatten sich entschlossen, sich zu den Goldgräberstellen aufzumachen. Die Nachricht vom Gold Rush nördlich von San Francisco ging um die Welt und stieß in den turbulenten Wochen und Monaten von 1848/1849 auf offene Ohren auch in Deutschland. Professor und Autor William Issel, der an der San Francisco State University Geschichte lehrt, hat viel über die Einwanderer, die in die Bay Area kamen, geforscht:
"San Francisco hatte nach 1848 den Ruf, ein Ort zu sein, an dem man reich werden kann. Und in San Francisco gab es keine Diskriminierung und Vorteile gegen Katholiken und Juden, wie es sie in New York, Boston, Philadelphia und überall östlich des Mississippi gab. Dazu kam, dass der Westen für viele Europäer und Menschen aus den deutschsprachigen Ländern dieses romantische Bild verkörperte."
Auch angelockt durch den Goldrausch, aber vor allem auch aufgrund der eigenen Verfolgung gab es eine große Einwanderungswelle. Was sie im wilden Westen der USA fanden, war nicht immer das, was sie erwarteten und erhofften, aber es war für viele ein Neuanfang in einem unbekannten gelobten Land. Das galt natürlich auch für religiös Verfolgte:
"Der Ausgangspunkt war die "big tidal wave", diese große Wanderbewegung, die Massenauswanderung, Ende des 19. Jahrhunderts, die ja schon früh einsetzte. Die in den 50er-Jahren den ersten Höhepunkt hatte und dann vor allem in den 1880ern noch einmal Millionen Deutsche nach Amerika trieb, unter anderem auch Hunderttausende aus Schleswig Holstein. Und da galt es dann, diese deutschsprachigen Lutheraner, darum ging es ja von der Konfession her, zu sammeln und zusammen zu kriegen. Und diese Pastoren, die nach Amerika sind, das waren Evangelisten, die haben Evangelisation betrieben, nicht nach deutschem Verständnis Mission."

Über Helmut Edelmann:
Helmut Edelmann hat gleich mehrere Bücher über das Evangelisch-Lutherische Amerikaseminar im schleswig-holsteinischen Breklum geschrieben. Er hat in München Theologie- und Philosophie studiert, wechselte später an die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche. Ab 2008 forschte er an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel insbesondere die transatlantischen Beziehungen nach Nordamerika.

1870 lag der Anteil der deutschen Einwanderer an der Bevölkerung von San Francisco bei 18,5 Prozent. Um die Jahrhundertwende stieg der Anteil auf fast einViertel der Gesamtbevölkerung. Die Deutschen waren ein fester Bestandteil am Golden Gate und halfen mit, die "City by the Bay" aufzubauen und zu dem zu machen, was sie heute ist. Und dafür war die Jagd nach Gold vielleicht ein Anstoß, aber häufig nicht der Grundstein für ein neues Leben. Ein Beispiel:
"Jacob Gundlach kam aus der württemburger (!) Gegend und seine Familie, das ist was ganz Interessantes, es ist nie ganz klar geworden, warum er nach Amerika wollte. Aber es hat sich herausgestellt, dass er und noch ein anderer Deutscher, sie waren sehr politisch engagiert und mussten aus Deutschland weg, weil sie nämlich Angst hatten, sie würden inhaftiert, 1848/49. Doch das wurde ihnen recht bald klar, dass das Gold nicht mehr in den Minen war, sondern mit Geschäften in San Francisco. Er wusste auch, wie man Wein machte und hat dann erst ganz einfach angefangen, bis er dann genug Geld verdient hat, um ein Gut zu kaufen."

Über Monica Clyde:
Monica Clyde, kam in den 1950er-Jahren nach Kalifornien, war Deutschprofessorin am Mills College in Oakland und ist die bislang wohl erste und einzige, die ausführlich über die Geschichte der Deutschen in der San Francisco Bay Area recherchierte.

Sorge umeinander
Wohlhabende deutsche Immigranten, wie Adolph Sutro, Jacob Gundlach und auch der aus dem fränkischen Buttenheim eingewanderte Levi Strauss, vergaßen nie ihre deutschen Wurzeln in der fremden Heimat. Sutro und Gundlach wurden schon früh Mitglieder der Allgemeinen Deutschen Unterstützungs-Gesellschaft, einer kulturellen und sozialen Vereinigung aller Deutschsprechender in San Francisco. Gegründet wurde die Gesellschaft Anfang 1854, um neuen Einwanderern aus den deutschsprachigen Ländern Schutz zu bieten und gleichzeitig für die Immigration zu werben. Die Mitglieder wurden aufgefordert, politische und religiöse Überzeugungen beiseite zu legen, um gemeinsam eine wohltätige und vielgeachtete Gesellschaft zu gründen.
"Bis zum heutigen Tag habe ich kein Englisch gelernt, denn jeder ist Deutsch und es gibt genügend französische und deutsche Geschäfte, ich habe also gar keinen Grund eifrig Englisch zu lernen."
Die Rückseite einer Levi's Jeans mit Gesäßtasche
Levi's Jeans: Strauss war ein deutscher Einwanderer.© Norbert Schmidt / imago
Das schrieb Eva Gundlach, die frischvermählte Frau von Jacob Gundlach, nachdem sie schon fast ein Jahr in San Francisco lebte. Eine treibende Kraft in der deutschen Community waren die Logen der Hermann’s Söhne. Bereits am 21. Juni 1840 wurde die erste Loge in New York gegründet, von dort breiteten sich die Logen im ganzen Land aus. Als Grundsatz dieser Vereinigung von deutschen Emigranten in Übersee stand zualler vorderst: Freundschaft, Liebe, Treue. Es waren Verbünde aus Männern und Frauen, die sich gegenseitig unterstützten und Feste feierten. Und die Mitgliedsbeiträge halfen den Mitgliedern im Krankheits- und Todesfall, eine Art Krankenversicherung.
Vereinswesen und Kulturarbeit der Deutschen
Schon kurz, nachdem die ersten deutschen Immigranten nach San Francisco kamen, gründeten sie auch Gesangs- und Turnvereine. Jeder deutsche Verein und jede deutsche Gesellschaft hatten ihren eigenen Chor. In einem Rückblick Mitte der 1930er-Jahre auf die Chorgeschichte in San Francisco heißt es:
"Der erste deutsche Gesangverein in San Francisco nannte sich "Die Sänger am stillen Meere", gegründet Oktober 1851. Das ist das Samenkorn, das sich heute zu einer starken Sängereiche entwickelt hat, welche für die Zukunft die reichsten Hoffnungen verspricht. Diese kleine Gruppe erweiterte sich 1852 zum "Sängerbund", der es bald zu der Zahl von 55 Mitgliedern brachte und sich schließlich mit der S.F. Harmonie vereinigte."
Auf den großen Festen der Deutschen wurde so auch immer und viel gesungen. Von der Klassik bis hin zu alten Heimatliedern. Und es gab auch ein deutsches Theater in San Francisco, in dem größtenteils Laiendarsteller Theaterstücke und sogar Opern aufführten. Es wurde so in Amerika sehr viel in deutsch verfasst:
"Es gibt sehr, sehr viele Sprachen, in der die amerikanische Literatur geschrieben wurde. Genau wie in Europa, europäische Literatur wurde nicht in einer Sprache geschrieben."

Über Cora Lee Kluge:
Cora Lee Kluge ist Deutsch-Professorin an der University of Wisconsin in Madison und sie ist die Direktorin des Max Kade Instituts, das sich mit Fragen der Einwanderung aus den deutschsprachigen Ländern in die USA beschäftigt. Kluge hat das Buch "Other Witnesses – An Anthology of literature of the German Americans 1850 – 1914" verfasst.

Cora Lee Kluge hat sich in ihrer Anthologie zwar auf Wisconsin konzentriert. Texte, die sie im "deutschesten aller amerikanischen Bundesstaaten", wie sie Wisconsin bezeichnet, finden konnte. Doch in allen Teilen des Landes, wo Deutsche und Deutsch sprechende Immigranten sich niederließen, gab es immer auch jene, die mit dem Wort arbeiteten und schrieben. Und es gab mit der Professionalisierung der Theater auch einen aktiven Austausch zwischen den Bühnen in den verschiedenen Zentren der deutschen Gemeinden.
Kluge hatte sich vor rund zehn Jahren in Milwaukee auf die Suche nach dem Text für das Schauspiel "Die Brücke" von Fernande Richter gemacht. Richter wurde in Hannover geboren und ist mit ihrer Familie 1881 in die USA gekommen. Unter dem Pseudonym Edna Fern hat sie einige Erzählungen und Theaterstücke veröffentlicht.
"Ich bin nach Milwaukee gegangen und sagte, dieses Bühnenstück wurde aufgeführt in Milwaukee, warum kann man den Text nicht finden. Und ein Bibliothekar kam auf mich zu und wollte wissen, was ich suche. Und er sagte "Haben sie vielleicht in der "Trostal Kollektion" gesucht?" Er führte mich hinunter in den Keller und da sind jetzt, wo wir das sortiert haben, 172 Archivkasten voller Texte. Wir haben eine Bibliografie gemacht, 3.000 Texte, zum Teil unbekannt in Deutschland und unbekannt in Amerika. Wir wissen nicht, welche von ihnen aufgeführt worden sind, aber das sind Schätze, die diesem Theater gehört haben."
Politisches Engagement der Deutschen
Die Deutschen mischten sich ein. Sie organisierten vor allem hinter den Kulissen. Und das von Anfang an. Das Leben am Golden Gate sahen viele als einen Neustart, als eine Möglichkeit politische Ziele, die in der alten Heimat nicht realisierbar waren, hier erneut aufzugreifen und dafür zu kämpfen. Professor William Issel von der San Francisco State University:
"Es gab Sozialisten, es gab Kommunisten, San Francisco war mit etlichen Deutschen an der ersten kommunistischen Internationale vertreten. Und auch bei den verschiedenen, utopischen Plänen, die sich zwischen den 1860ern mit der Internationale und der zweiten und dritten entwickelten."
Die Kaweah Kolonie war eine utopisch-sozialistische Kommune in den Foothills der Sierra Nevada, die von 1886 bis 1892 existierte und mit der Ernennung des Yosemite Nationalparks aufgelöst wurde. Unter den Mitgliedern waren auch zahlreiche deutsche Immigranten.
Der Erdschatten und der Gürtel der Venus über San Francisco
Silhouette von San Francisco© Inaglory
1911 – Dienstag der 14. November: "Genosse Schlender lud zu einer Gründungsveranstaltung des Allgemeinen Arbeiterbildungvereins in die Tiv Halle ein."
Das ist der erste Eintrag in die Protokollbücher des Arbeiterbildungsvereins San Francisco, dem einzigen überhaupt in den Vereinigten Staaten. Gegründet wurde er von Sozialdemokraten und Gewerkschaftern, die Deutschland aus politischen Gründen verlassen, doch ihre politische Überzeugung nicht vergessen hatten.
Am Ende des 19. Jahrhunderts verschlimmerte sich die Situation für Mitglieder der sozialdemokratischen und sozialistischen Bewegung in Deutschland. Reichskanzler Bismarck nutzte 1878 zwei Attentate auf Kaiser Wilhelm für das sogenannte Sozialistengesetz. Damit wollte er einen "Vernichtungskrieg führen durch Gesetzesvorlagen, welche die sozialdemokratischen Vereine, Versammlungen, die Presse, die Freizügigkeit (durch die Möglichkeit der Ausweisung und Internierung) träfen", so der Autor Volker Ullrich in seinem Buch über den Reichskanzler.
Karl Hartmann kam 1953 nach San Francisco. Als Sozialdemokrat trat er umgehend in den Arbeiterbildungsverein ein und engagierte sich. Lange Jahre war er auch selbst Präsident der Vereinigung:
"Die Alten haben mir gesagt: Haut doch bloß nicht so auf die Pauke. Wisst ihr, was wir waren, als wir hierhergekommen sind. Wir waren Deserteure, die beim Kaiser kein Soldat werden wollten. Wir waren verfolgte Sozialisten, die eingesperrt worden wären. Und zu Anfang, sagt er, haben wir uns immer noch angeredet mit Genosse oder Genossin. Aber im ersten Gründungsverein waren das ausgesprochene Sozialisten und viele unserer alten Mitglieder waren auch die Bahnbrecher für die Union hier in San Francisco, für die Gewerkschaften."
Nach dem Ersten Weltkrieg
Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges veränderte sich der Alltag der deutschen Immigranten. Bei Kriegsbeginn lernten 25 Prozent der Schüler in den amerikanischen High Schools Deutsch. Am Ende des Krieges, 1918, waren es nur noch ein Prozent. Mit dem Eintritt der USA in das Kriegsgeschehen wurden die Millionen von Deutschen in Amerika auf ihre Treue und ihren Patriotismus geprüft. In den Büchereien wurden deutschsprachige Bücher aus den Regalen genommen, die deutschsprachige Presse wurde zensiert und mit Auflagen belegt. Zahlreiche deutsche Vereine lösten sich auf, Einrichtungen wurden umbenannt. Das deutsche Krankenhaus wurde zum "Franklin Hospital". Eltern verboten ihren Kindern, Deutsch zu reden, viele erklärten sie seien "Dutch" und nicht "Deutsch". Den Deutschen in den USA wurde unterstellt, die fünfte Kolonne des Kaiserreichs zu sein.
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges war die deutsche Gemeinde in und um San Francisco im Schockzustand. Die anti-deutsche Haltung im ganzen Land hatte dazu geführt, das deutsche Vereine viele ihrer Mitglieder verloren hatten, einige lösten sich ganz auf, etliche deutsche Immigranten wollten nichts mehr mit dem deutschen Vereinswesen am Golden Gate zu tun haben. Es dauerte Jahre, bis man sich wieder zusammenfand, sich neu organisierte, zumindest der alten Stärke der Vorkriegstage nahe kam.
In den 20er-Jahren erreichte der Arbeiterbildungsverein San Francisco mit über 1.000 Mitgliedern seinen Höhepunkt. Auch weiterhin half man sich gegenseitig und Neuankömmlingen mit Weiterbildungsmöglichkeiten. Politisch war der Arbeiterbildungsverein offen für Sozialisten, Sozialdemokraten und Kommunisten. Als 1924 Lenin verstarb, wurde im Protokollbuch festgehalten, dass es eine Abstimmung darüber gab, ob man in der Tiv Halle ein Porträtt des sowjetischen Führers aufhängen sollte.
NS-Zeit und die US-Deutschen
Die deutschen Vereine waren kaum wieder erstarkt, hatten wieder zueinander gefunden, waren erneut im öffentlichen Leben von San Francisco mit Festen, Umzügen und Veranstaltungen präsent, als mit der Machtübernahme Hitlers 1933 eine deutliche Zeitenwende eingeläutet wurde. Gerade die politischen Vereine waren davon betroffen. In der vereinseigenen Tiv Halle kam es immer wieder zu heftigen, kontroversen Diskussionen. Einige wenige Mitglieder applaudierten dem starken Führer und betonten, Deutschland brauche genau so einen Mann in dieser schwierigen Zeit. Doch der Großteil der Vereinsmitglieder stand zu seinen roten Wurzeln und verwies in den Diskussionen auch darauf, was in Deutschland mit Sozialdemokraten, Sozialisten, Kommunisten und organisierten Arbeitervertretern passierte.
Ein ideologischer Bruch ging durch die eigenen Reihen. Befeuert wurde der auch von organisierten Auslandsdeutschen, die ihre Befehle direkt aus Berlin erhielten. Knute Berger ist Journalist in Seattle, für das Newsmagazin "Crosscut", er hat intensiv über die Aktivitäten der Nationalsozialisten in den 1930er-Jahren an der Westküste recherchiert:
"Mir wurde gesagt, dass es einen Generationenschnitt gab. Jene Deutsche, die vor dem Ersten Weltkrieg gekommen waren, waren nicht unbedingt für Hitler. Einige der Jüngeren glaubten an diese Idee des neuen Deutschlands an die wirtschaftlichen Fortschritte, die gemacht werden. Da gab es sicherlich einen Bruch."
Fritz Kuhn, Führer des Deutsch- Amerikanischen Volksbundes, einer NSDAP-Auslandsorganisation, spricht auf einer Kundgebung in Milwaukee (Wiscon- sin). - Foto, 27. Mai 1938.
Kundgebung des Deutsch-Amerikanischen Volksbund, einer NSDAP-Auslandsorganisation, mit Fritz Kuhn© dpa/akg
Die Nationalsozialisten wurden jedenfalls sehr schnell aktiv in den USA: Bereits im Mai 1933 gab Rudolf Hess Heinz Spanknöbel den Auftrag, in den USA eine entsprechende Organisation aufzubauen. Er gründete die "Freunde des Neuen Deutschland", die dann im März 1936 in den "Amerikadeutschen BUND" übergingen. Deren Bundesführer wurde Fritz Julius Kuhn. Kuhn versuchte, die deutschen Vereine in den USA auf den Kurs für Hitler-Deutschland zu bringen. Mit Paraden und Massenveranstaltungen wollte er die Deutschen begeistern. Und nicht nur in New York marschierte der BUND ganz im Sinne der Nationalsozialisten auf. Auch in San Francisco war der Verein aktiv.
Lange Zeit schauten die Amerikaner dem offenen Treiben der Nationalsozialisten einfach zu. Zu sehr glaubte man an die größere Gefahr durch die Unterwanderung der Kommunisten. Die Deutschen in der San Francisco Bay Area versuchten gegenzusteuern, zu zeigen, dass sie zwar deutsche Wurzeln haben, ihre Sitten und Gebräuche pflegen, aber dennoch Amerikaner sind.
Mit dem Angriff der Japaner auf den Militärstützpunkt Pearl Harbor und der anschließenden deutschen Kriegserklärung gegen die USA vier Tage später, am 11. Dezember 1941, änderte sich das Leben für die Deutschen im ganzen Land, vor allem jedoch in den Küstenregionen.
Mithilfe eines Gesetzes, das bis ins Jahr 1798 zurückreicht, können bei der Gefahr einer Invasion Amerikas, die Staatsbürger von verfeindeten Nationen verhaftet und für die Dauer des Krieges interniert werden. Im Federal Register ließ Präsident Roosevelt die verstärkte Kontrolle von Japanern, Italienern und Deutschen verkünden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg
Nach dem Ende des Krieges und mit dem Elend und der Not in Deutschland kam es zu einer neuen Einwanderungswelle in die USA. So wanderte zum Beispiel Chris Strachwitz ein, geboren und aufgewachsen in Niederschlesien. Er zog zu einer Tante nach Reno, Nevada, und kam von dort in die pulsierende San Francisco Bay Area:
"Hier gefiel es mir dann ganz gut. Ich habe dann Gott sei Dank entdeckt, was mich wirklich interessierte, das ist die Musik dieses Landes. Denn so etwas hatte ich ja noch nie gehört in Europa oder in Deutschland, wo es ja nur Naz-Marschmusik und blöde Schlager gab."
Er fing an, Bluesmusiker aufzunehmen. Chris Strachwitz gründete 1960 sein eigenes Plattenlabel "Arhoolie Records", was sich im Laufe von 50 Jahren zu einem kulturellen Schatz entwickelte, der beeindruckend die Entwicklungen vom Blues bis Zydeco, vom Hillbilly bis Cajun belegt
Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war für die deutschen Vereine und die gesamte "German Community" am Golden Gate eine Neuausrichtung, wie Karl Hartmann vom Arbeiterbildungsverein erzählt:
"Es war dann mehr ein Social Club, Deutsch gesprochen, Karten wurde gespielt und so etwas. Das war auch meine erste Aufgabe: Als ich dann Präsident wurde, sagte ich, so geht das nicht weiter, wir können hier nicht diskutieren, ehemalige Nationalsozialisten und Sozialisten und so. Also, Politik ist ein für allemal out. Religion wird nicht diskutiert, von hier an ist nur noch Education, Bildung. Getreu unserem Wort Arbeiterbildungsverein."
Die vielen deutschen Neuankömmlinge, die gerade in den 50er- und 60er-Jahren von Deutschland nach San Francisco kamen, verschafften den Vereinen einen neuen Aufwind. In den 50er-Jahren erlebte die amerikanische Radiolandschaft eine Revolution, die bis heute kaum wahr genommen wurde. Millionen von Einwanderern fanden im Hörfunk eine eigene Heimat. So entstanden weit über 100 deutsche Programme im ganzen Land. Sendungen wie "Stimme der Heimat", "Heimatmelodien" oder "German Hit Parade" wurden begeistert angenommen. Anfang der 60er-Jahre kam Manfred Müller in die Gegend:
"Es gab schon eine deutsche Radiosendung hier. Und ich fand diese Sendung irgendwie nicht professionell genug. Und da habe ich mir gedacht, ich mache meine eigene Sendung, das war 1966. Und wir waren dann mit zwei deutschen Radiosendern hier in der Bay Area am Wochenende auf Sendung. Das ging drei Jahre lang mit einem kleineren Sender, KFMR das war in Fremont."
Nach ein paar Jahren Sendung war Schluss für Manfred Müller. Er hatte aus den Studios eines Senders in Fremont, in der East Bay gesendet, doch die Station wurde verkauft. In den 70er-Jahren allerdings gelang Manfred Müller ein Comeback in der San Francisco Bay Area – im Fernsehen.
"Ich schaltete eines Morgens hier den Apparat ein und sah dann eine deutsche Sendung. Meine Frau kam dann reingelaufen und sagte, was ist das denn. Ich sagte, da macht jemand hier eine deutsche Sendung. Und dann habe ich den guten Mann angerufen, weil es war ein Berliner, der hatte so einen starken Berlinerischen Akzent, seine Grammatik stimmte auch nicht und dann habe ich mit ihm gesprochen und dann hat der mir das angeboten. Zwei Jahre später hat der dann gesagt, Manfred, mach Du doch den Moderator. Die ging dann von 1974 bis 1980."
Manfred Müller lief zur Hochform auf. Die Sendung wurde rasch beliebt und viele Prominente aus Deutschland waren in seinem Studio zu Gast: Anneliese Rothenberger, Ivan Rebroff, Gerd Müller und Franz Beckenbauer. Der Sport nahm eine ganz wichtige Rolle in dieser deutschen TV-Sendung ein.
Viele Turn- und Musikvereine gehören mittlerweile der Vergangenheit an. Die Schlesier, die Bayern, die Hamburger, die Schwaben und selbst der einst große und stolze Arbeiterbildungsverein existieren nicht mehr. Von den einst 40 Logen der Hermanns Söhne, sind nur noch ein paar übrig. In der Veranstaltungshalle der Petaluma Loge hat man ein kleines Museum zur Geschichte der Organisation aufgebaut, einen Stock höher sammelt man all das, was es zur Geschichte der Hermanns Söhne gibt. Jede Loge, die dicht macht, schickt ihre Unterlagen nach Petaluma zum Aufbewahren. Hier wird auch noch gefeiert. Maifest, Christkindlmarkt und Oktoberfest mit Fahneneinmarsch, Tanz und Trachten.
Für ein paar Stunden ist die Welt dann noch in Ordnung. Doch der Blick in den Saal macht deutlich, wohin die Reise auch hier geht. Es gibt heute Versuche, in Petaluma und auch Oakland das zu bewahren, was noch da ist, was noch nicht verloren ging, weggeschmissen wurde.

Produktion dieser Langen Nacht:
Autor: Arndt Peltner; Regie: Rita Höhne, Sprecher: Gabriele Blum, Daniel Minetti, Uwe Müller, Ulrich Lippka; Redaktion: Dr. Monika Künzel, Webproduktion: Jörg Stroisch