Deutsche Eisschnellläufer

Aufholjagd auf glattem Grund

24:21 Minuten
Eisschnellläuferr während des Rennens
Das Ziel aller Nachwuchs-Sportler: Der Wettkampf, hier beim Deutschen Junioren-Cup in Erfurt © imago images / VIADATA
Von Wolf-Sören Treusch |
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Zehn Jahre ist es her, dass deutsche Athletinnen Olympia-Medaillen im Eisschnelllauf gewannen. Seitdem fehlt es an vielem: Nachwuchs, Vorbildern, Strategie. Trotzdem herrscht bei vielen Sportlern Hoffnung. Zu Recht?
Deutsche Juniorenmeisterschaften Ende Januar. Ort des Geschehens: Die Gunda-Niemann-Stirnemann-Halle in Erfurt. Erster Wettkampf: 300 Meter der D2-Junioren. Auf der Innenbahn der 12-jährige Finn Sonnekalb vom Eissportclub Erfurt.
Nach 100 Metern hat er seinen Konkurrenten bereits eingeholt. Mit Riesenschritten stürmt er in die Kurve. Dann: Ein kurzer Fehltritt, Finn Sonnekalb stürzt. "Plopp" macht es, als der Zwölfjährige in die gepolsterte Bahn-Umrandung rutscht. Er rappelt sich auf und läuft weiter, acht Sekunden beträgt sein Rückstand im Ziel:
"Ich war für meine Kufen sozusagen zu schnell und bin aufs Leder gekommen von meinem Schuh. Und bin weg gerutscht. Und bin dadurch natürlich hingefallen. Das ist das erste Mal, dass es so passiert ist."
"Weil Meisterschaften sind?"
"Nee, weil ich einfach zu schnell war."

"Deutschland ist ein Entwicklungsland geworden"

Der Sturz passt ins Bild. Deutschlands Kufenflitzer kommen nicht so recht voran. Vorbei die Zeiten, in denen Anni Friesinger-Postma, Gunda Niemann-Stirnemann und Claudia Pechstein zuverlässig Gold für Deutschland holten.
Das letzte Edelmetall bei Olympia gab es 2010 in Vancouver. Es fehlt der Nachwuchs, sagt die frühere Eisschnelllauf-Weltmeisterin Franziska Schenk aus Erfurt. Ein Grund: Vorbilder fehlen.
"Jeder Jugendliche braucht ein Vorbild, den er im Optimalfall im Fernsehen bewundert und sagt: ‚so wie die Skispringer möchte ich auch werden’, ‚so wie die Biathleten möchte ich auch werden’, ‚so wie die Rodler …’ – das können wir jetzt endlos fortsetzen. Das gibt es im Eisschnelllauf jetzt schon sehr lange nicht, und dadurch ist aus einem normalen kleinen Loch hinter erfolgreichen Athleten ein sehr großes Loch geworden, was im Laufe der Zeit immer schwieriger zu stopfen war."
Nachwuchs-Bundestrainer Daan Rottier in der Eissporthalle
Aus Holland kommt nicht nur Käse: Nachwuchs-Bundestrainer Daan Rottier.© Wolf-Sören Treusch
Das bestätigt Nachwuchs-Bundestrainer Daan Rottier, Trainer-Import aus den eislaufverrückten Niederlanden: "Ja, man muss auch ehrlich sagen, Deutschland ist ein Entwicklungsland geworden." Er findet:
"Die besten Sportler wählen im Moment keinen Eisschnelllauf, aber eine andere Sportart in Deutschland, das muss sich ändern, dass wir mehr Kinder ranholen, sportliche Kinder, die auch Eisschnelllauf machen wollen. Wir müssen jeden einzelnen Athleten pflegen und individuell steuern, weil: wir können uns einfach nicht erlauben, dass wir eine Gruppe von 30 haben, dass da zehn abfallen. Denn wir haben keine Gruppe von 30."

Der Nachwuchs weckt Hoffnung

Startschuss über 500 Meter. In seinem zweiten Rennen bei den Deutschen Meisterschaften hat Finn Sonnekalb seine Nerven im Griff. In tiefer Laufposition gleitet er durch die Kurven, dieses Mal stürzt er nicht. In persönlicher Bestzeit gewinnt Finn das Rennen.
Nachwuchs-Eisschnellläufer Finn Sonnekalb im Eissportzentrum Erfurt
Glatte Eins: Nachwuchs-Eisschnellläufer Finn Sonnekalb hat Grund zu lachen.© Wolf-Sören Treusch
Sascha Wilhelm, Bundesstützpunkt-Trainer in Berlin, und Nachwuchs-Bundestrainer Daan Rottier sind beeindruckt: "Schon sehr stark. Das ist auch im internationalen Vergleich, wird er da auch schon mit weit vorne sein, denke ich", finden sie.
"Es sind junge Sportler, die müssen noch ganz viel lernen, aber genau auch das lernen sie durch einen Sturz. Er war natürlich ganz traurig, aber ich habe ihm auch mitgegeben: ‚Okay, du hast noch drei Strecken, und zeig, dass du der Beste bist’."
Den ersten Leistungsnachweis hat Finn jedenfalls erbracht. Erleichtert dreht er noch eine Runde in der Eishalle. Ist er zufrieden?
"Sehr. Weil: beim ersten Lauf bin ich schwer gestürzt, und jetze habe ich noch mal eine neue Bestzeit hingelegt, und da freue ich mich ganz doll. Wirklich, sehr gut ist die Zeit." Wo es denn hingehen soll? Wie wichtig ihm Eisschnelllauf sei?
"Sehr wichtig!", antwortet Finn, "es ist ein Teil meines Lebens, und ohne das könnte ich nicht leben. Also: ich habe eigentlich keine weiteren richtigen Hobbys, die meiste Zeit verbringe ich denn auch zuhause mit Schule, aber in der Schule läuft es nicht so richtig wie beim Eislaufen."

Auch Talente müssen sich bewähren

Ortswechsel. Die Eisschnelllaufhalle in Berlin-Hohenschönhausen ist das Trainingszentrum von Lukas Mann, 20 Jahre alt. Dem Nachwuchstalent trauen viele Experten den Sprung in die absolute Weltspitze zu. 2019 wurde er Junioren-Weltmeister über 5.000 Meter. Das erste deutsche Gold bei einer Junioren-WM seit Anni Friesinger 1996.
Doch seine erste komplette Saison bei den Erwachsenen verläuft enttäuschend. Vor allem mit der Belastungssteuerung im Training hakt es. Er sei übermotiviert und wolle zu viel, glaubt Lukas Mann:
"Ja, kann man so zirka sagen. Ja, nee, ist schon so. Aber ich sehe jetzt nichts, was jetzt negativ für die Zukunft sein sollte. Vor allem das wird mir in Vorbereitung auf die Olympischen Spiele, wo ich schon drauf hinarbeite, auf jeden Fall deutlich helfen."
Lukas Mann während des Rennens auf der Eisbahn
Konzentriert: Lukas Mann während der Deutschen Meisterschaft über 5000 Meter in Inzell.© imago images / Ernst Wukits
Stützpunkt-Trainer Sascha Wilhelm nennt einen weiteren Grund, weshalb sein Schützling die Erwartungen nicht erfüllen konnte. Die Trainingsgruppe ist zu klein.
"Bei Lukas war es halt das Problem, dass der Großteil der Gruppe Sprinter war, sein Mehrkampftrainingspartner hier aus Berlin ausgefallen ist und er dann damit quasi allein stand. Wir brauchen einfach noch mehr Athleten, die auf diesem Niveau sind, um `ne gut aufgestellte Trainingsgruppe zu haben, meine ich, ja genau."

Unruhe beim Verband färbt ab

Konterkariert werden diese Bemühungen zudem durch das Chaos, das in der Deutschen Eisschnelllaufgemeinschaft DESG herrscht. Seit Monaten steht sie ohne Führungsspitze da. Und auf dem Eis eskaliert der Streit. Bundestrainer Eric Bouwman findet die fünfmalige Olympiasiegerin Claudia Pechstein, wörtlich, "zum Kotzen".
Derweil bewirbt sich deren Lebenspartner Matthias Große um das Präsidentenamt der DESG. Würde er gewählt, so Große in einem Interview mit dem ZDF, wolle er als erstes aufräumen, vor allem unter den Trainern:
"Die Trainer reden, Inzell redet gegen Erfurt, Erfurt gegen Berlin, Berlin gegen Inzell, also es gibt keinen Zusammenhalt, es gibt so viel Hinter-dem-Rücken-Gerede, und die Sportler leiden darunter. Und sie kriegen keinen Jugendlichen auf dieser Welt mehr motiviert, Sport zu machen unter diesen Verhältnissen, das steht fest, und das sehen wir auch jedes Jahr, umso schlechter der Eisschnelllaufsport letzten Endes wird."

Der Nachwuchs ist international besser geworden

Stimmt nicht, sagt Sascha Wilhelm. Ihn regt die Argumentation des Präsidentschaftsbewerbers mächtig auf:
"Generell habe ich ihn bei keinem einzigen Wettkampf im Nachwuchsbereich in den letzten Jahren angetroffen, die Äußerung, dass halt kein Kind und kein Jugendlicher mehr Lust hat, diese Sportart zu betreiben, das ist falsch, ich kann aus Erfahrung sprechen: weil ich ja in den letzten Jahren als Nachwuchstrainer gearbeitet habe für einen Verein, wir haben da die Mitgliederzahlen nahezu verdoppelt in den letzten drei, vier Jahren, und das halt ausschließlich durch Kinder und Jugendliche, die neu dazugekommen sind."
Wie viele von ihnen tatsächlich ganz oben landen werden, weiß der Trainer natürlich nicht. Er findet aber, dass die deutschen Eisschnellläufer und -läuferinnen im Nachwuchsbereich international besser geworden sind. In den vergangenen zweieinhalb Jahren holten sie bei Junioren-Weltcups zehn Medaillen, und als Krönung gewann Lukas Mann den WM-Titel. Was er nach seinem Sieg dachte?
"Als ich letztes Jahr die Medaille geholt habe, war es mir sehr wichtig, dass es vielleicht mal als Zeichen wahrgenommen wird, dass vielleicht doch was nachkommt. Was nicht so passiert ist, aber das ist tatsächlich das erste, woran ich nach dem Lauf gedacht habe."

Die Goldmedaille von Vancouver war die letzte bei Olympia

Rückblick: Olympische Winterspiele 2010, Vancouver. Halbfinale im Eisschnelllauf-Team-Wettbewerb der Frauen: die deutsche Mannschaft liegt vorn, doch 50 Meter vor dem Ziel stürzt Anni Friesinger-Postma. Auf dem Bauch, mit ihren Armen rudernd rutscht sie ins Ziel. Die niederländischen Reporter sind begeistert:
"… sie denkt, dass sie verloren hat. Nun sieht sie es! Was für ein Finish! Nun sieht sie es. Dass es reicht. Wie eine Ertrinkende, die auf eine Insel gespült wurde, liegt sie da …"
Anni Friesinger-Postma liegst am Boden vor der Zielgeraden.
Legendärer Sturz: Anni Friesinger-Postma stürzt auf der Zielgeraden bei den Olympischen Spiele 2010.© imago images / Camera 4/JIM
Das deutsche Team gewinnt tatsächlich, anschließend auch das Finale. Die Goldmedaille von Vancouver ist die letzte Medaille, die die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft bei Olympia erringen konnte. Zehn Jahre ist das nun her. Zum Team gehörte die damals 35-jährige Daniela Anschütz-Thoms.
"Ich war auch nie jemand, der immer vorne dabei war. Also ich war der typische: ‚du musst Geduld haben’, und ‚das schaffst du dann schon’." Erfahrungen, die sie heute weitergibt: als Nachwuchstrainerin in Erfurt:
"Was ich versuche auch umzusetzen: den Kindern sagen, ihr müsst Geduld haben, ihr könnt auch nicht jeden Wettkampf gewinnen. Es gibt auch mal Momente, da ist es nicht so toll. Aber dann immer weitermachen."

Viele Youngster haben Lust auf Wettkampf

Manchmal gebe die Jugend zu früh auf, findet sie: "Ja, da ist vielleicht auch das Umfeld da, was mit aufgibt oder, es gibt so viele Faktoren, ja, wir hatten früher kein Handy, wir hatten keine Spielkonsolen und all diese Dinge, die vielleicht heute ein bisschen mehr ablenken als früher."
Für die acht- bis zehnjährigen Kinder, die sie betreut, sind Smartphones allerdings noch kein Thema. Die haben richtig Lust auf Wettkampf, sagt sie. Zum Beispiel eine Woche nach den Juniorenmeisterschaften beim so genannten Talentetreff ‚Eisflitzer 2020’ in Berlin.
Mit 14 Kindern ist Daniela Anschütz-Thoms aus Erfurt in die Hauptstadt gefahren. Auf dem Programm stehen Wettkämpfe im Eiscross, aber auch auf dem Hallenboden. Gewandtheitslauf und Hindernisstaffel. Es ist Teil des Konzepts, dass die Kinder eine möglichst breite sportliche Ausbildung erhalten.
"Also, hier werden Strecken und Disziplinen gelaufen, die kennen wir so nicht, die sind jetzt nicht ganz typisch, bei der Athletik Parcours zu laufen, das macht man sicherlich im Training, aber im Wettkampf ist das seltener, und das ist für die Kinder was ganz Besonderes."

Auch Parcours gehört zum Wettbewerb

Der achtjährige Jann gehört zu den schnelleren Kindern aus der Erfurter Trainingsgruppe. Er erzählt:
"Gestern musste ich einen Parcours auf dem Eis machen und 100 Meter, und jetzt muss ich einen Parcours auf dem Land machen. Also eine Rückwärtsrolle, dann über die Bänke, dann zwei Vorwärtsrollen, dann die Bälle anfassen, Gewandtheitslauf, dann um den Kegel, dann Slalom, und dann müssen wir über Hürden, drunter durch und drüber weg. Und dann durchs Ziel rennen."
Ein gespanntes Seil zwischen Trainer und einem Nachwuchs-Eisschnellläufer in der richtigen Körperposition unter Spannung zu halten, ist Teil der Trockenübung
Spannung aushalten: Bei Trockenübungen wird der richtige Zug trainiert.© Wolf-Sören Treusch
Jann macht seine Sache sehr gut, andere haben vor allem Probleme mit der Rückwärtsrolle. Unter den Zuschauern: Finn Sonnekalb, das 12-jährige Nachwuchstalent vom Eissportclub Erfurt. Jann ist sein Bruder. "Also als ich so alt war wie er, bin ich ungefähr die gleichen Zeiten gelaufen", sagt er. Ob er die Geschwindigkeit von seinen Eltern habe? "Weiß ich nicht. Das einzige, was ich vielleicht vermuten könnte: wir sind Vegetarier."

Ein paar Hundertstel am Erfolg vorbei

Und dann erzählt Finn, dass er nach seinem Sturz zum Auftakt der Junioren-Meisterschaften Ende Januar in Erfurt die drei weiteren Rennen alle gewinnen konnte. Teilweise mit neuem deutschem Rekord. Aber dennoch nicht zum 'Viking-Race' nach Heerenveen fahren dürfe, dem wichtigsten Wettkampf für seine Altersklasse auf europäischer Ebene.
Weil sich nur die ersten beiden im Mehrkampf qualifizieren. Er wurde Dritter, die acht Sekunden Rückstand durch den Sturz im ersten Rennen konnte er nicht mehr aufholen. Am Ende fehlten 15 Hundertstel:
"Ja, ich bin enttäuscht. In dieser Situation habe ich es einfach nicht verdient, ich bin hingefallen, kann sein, dass es dort auch passieren könnte, aber ungerecht behandelt fühle ich mich nicht, es ist schade, aber so ist es eben."

Statements wie ein Großer

Für einen Jungen seines Alters wirkt Finn Sonnekalb schon reichlich abgeklärt. Gerrit Schädler, sein Vater, erzählt: ganz so leicht sei es Finn dann doch nicht gefallen, diese Entscheidung hinzunehmen. Viele Tränen seien geflossen.
"Ja, das gehört zum Sport, so was muss man jetzt lernen. Ich glaube, es ist wichtig, jetzt so was zu lernen als wenn später noch andere Probleme zeitgleich kommen, dann ist vielleicht auch die Hürde zu groß. Jetzt muss man mit Niederlagen umgehen können, und dann wird man das später in allen Situationen auch schaffen können. Deswegen sehe ich das Ganze natürlich mit zwei Augen. Einmal schade für ihn, und einmal für die Entwicklung gar nicht so schlecht."
"Ich fand die Antwort von Finn sehr stark, auch sehr sportlich gegenüber seinen Mitkameraden, was auch zeigt, dass er ein Leistungssportler in spe ist", ergänzt Nachwuchs-Bundestrainer Daan Rottier. Wegen seiner tadellosen Haltung habe die DESG jetzt auch einen zusätzlichen dritten Startplatz für das ‚Viking-Race’ beantragt. Eine Entscheidung liege noch nicht vor, sagt der Bundestrainer. Finns Vater sieht das Ganze gelassen. Der Spaß steht im Vordergrund. Wie schon zu Beginn der Karriere seines Sohnes:
"Und dann hatte ich beim ESC gefragt, wann da Training ist, und dann sagten die, bringe ihn einfach vorbei, und dann kommt der vorbei genau zur Weihnachtsfeier und kriegt als erstes von der einen Trainerin Buschi einen Weihnachtsmann in die Hand gedrückt, einen Schoko-Weihnachtsmann, und dann brauchte ich nur noch zu sagen: ‚wo muss ich unterschreiben’?"

Goldene Gene – und noch ein weiter Weg

Zurück bei den Deutschen Juniorenmeisterschaften in Erfurt. Kraftvoll stemmt die 17-jährige Victoria Stirnemann ihre Klapp-Schlittschuhe ins Eis. Auch sie hat schon mit fünf Jahren mit dem Eislaufen begonnen. Neben Finn gilt sie als das deutsche Nachwuchstalent aus Erfurt. Tief gebückt gleitet Victoria übers Eis.
Sie ist die Tochter von Eisschnelllauf-Legende Gunda Niemann-Stirnemann, nach der die Halle in Erfurt benannt ist. Acht Medaillen bei Olympia, darunter drei Mal Gold, und 19 WM-Titel hat die Mutter gewonnen. Die Tochter belegt seit Jahren Spitzenplätze in ihrer jeweiligen Altersklasse – international wie national. In Erfurt wird sie deutsche Meisterin im Mehrkampf und über 1.500 Meter.
Im Januar nahm Victoria Stirnemann an den Olympischen Jugend-Winterspielen teil. Auf der Natureisbahn im schweizerischen St. Moritz. Bei strahlendem Sonnenschein vor traumhafter Alpenkulisse:
"Ja, das war richtig cool. Also da habe ich mich auch total darauf gefreut gehabt die ganze Zeit, und das habe ich auch als Saisonhöhepunkt ausgelegt gehabt, dass ich da in Topform sein wollte, und das war ich, und ja, mit den anderen Kulturen, die anderen Nationen kennen zu lernen und einfach auch mit den Sportlern das zusammen zu erleben, war schon einzigartig und macht auf jeden Fall Lust auf mehr."
Eröffnung des ISU Eisschnelllauf Weltcups in Erfurt, 2013. Jugendliche Eisschnellläufer laufen mit Fahnen auf der Eisbahn.
Der Traum aller Athlethen: Eröffnung des Eisschnelllauf-Weltcups in Erfurt 2013© imago images / Karina Hessland
Auch sportlich überzeugt die 17-Jährige bei den Olympischen Jugendspielen. Trotz gerade überstandener Oberschenkelzerrung verpasst sie auf ihrer Paradestrecke, den 1.500 Metern, das Podest nur knapp. Immer mit dabei: Gunda Niemann-Stirnemann. Ihre Mutter ist auch ihre Trainerin.
"Es ist natürlich was Schönes zu wissen, dass sie die Erfolgreichste von allen war, und natürlich möchte man sich mit den Besten messen, und dann ist das schon was Schönes, sie zuhause zu haben, ja, und niemand weiß besser als sie wie es ist, an der Weltspitze zu sein und wie man dahin kommt und da ist es schon, ich denke, ein Vorteil, so jemanden zuhause zu haben."

"Schlaf nicht ein, es geht immer weiter"

Gunda Niemann-Stirnemann trainiert ihre Tochter jedoch nicht exklusiv. Am Bundesstützpunkt in Erfurt kümmert sie sich zurzeit um insgesamt 16 Athletinnen und Athleten im A- und B-Juniorenbereich. ‚Gunda Gnadenlos’ lautete ihr Spitzname früher – wegen der knallharten Übungseinheiten, die sie ablegte. Heute sei das nicht mehr zeitgemäß, bedauert sie:
"Ich war gnadenlos zu mir selber. Nie gegenüber den anderen, weil ich finde, auch meine Sportler jetzt oder die deutschen Sportler allgemein: sie entscheiden für sich selbst. Will ich mir das antun oder nicht? Möchte ich diesen Leistungssport? Ich selber war dankbar, dass ich einen Trainer hatte, der mich getrieben hat, der gesagt hat, ‚schlaf nicht ein, es geht immer weiter’, das ist für mich ganz wichtig gewesen, und ich selber war einfach motiviert.
Ich wollte immer gut sein, ich wollte schön aussehen beim Eislaufen, ich wollte das lernen, weil ich erst mit 17 begonnen habe, es steckte permanenter Ehrgeiz in mir drinne, und da freue ich mich, wenn ich die Sportler dabei erwische, wenn sie das auch haben."
Blick auf die Eisbahn und den Eisschnelllauf-Nachwuchs in Erfurt
Die Halle der Weltmeisterin: Die Gunda-Niemann-Stirnemann-Eisschnelllaufhalle in Erfurt.© Wolf-Sören Treusch

Gemeinsames Interesse: Athlethen voranbringen

In der Deutschen Eisschnelllaufgemeinschaft gibt es unterschiedliche Ansichten darüber, wie die hoch gesteckten sportlichen Ziele erreicht werden können. Seit den Misserfolgen zuletzt bei Olympia setzt die DESG auf Trainingsphilosophie und Personal aus den Niederlanden: Erik Bouwman ist Bundestrainer, Daan Rottier ist für den Nachwuchs zuständig. Mit deren strategischen Vorgaben sind die Stützpunkttrainer wie beispielsweise Gunda Niemann-Stirnemann in Erfurt nicht immer einverstanden.
Die Annäherung brauche Zeit, sagt Daan Rottier. Beispiel Victoria Stirnemann. Auch der Nachwuchs-Bundestrainer ist angetan von ihrem Talent. Er erkennt aber auch noch Defizite:
"Sie kämpft, deswegen kommt sie wahrscheinlich so weit, weil sie so eine Kämpferin ist, wie ihre Mutter, aber auch sie braucht noch viel, und auch für sie ist es wichtig, dass sie sich auch konzentriert auf diese breite Ausbildung. Auch da, im Technikbereich, kann sie auch noch wirklich einen Schritt machen."
Bei allen Differenzen: das gemeinsame Interesse, die Athletin voranzubringen, ist erkennbar. Bei den Junioren-Meisterschaften in Erfurt stehen Daan Rottier und Gunda Niemann-Stirnemann oft zusammen und tauschen sich aus. Tochter Victoria will den Weg in die Spitze jedenfalls fortsetzen.
"Ich habe eben letztes Jahr, nee 2018, als ich mich für die Bundespolizei entschieden habe, mich auch für den Leistungssport entschieden. Und das ist auf jeden Fall eine Sache, die ich weiter verfolgen möchte, ich habe sehr viel Spaß dran und hoffe, dass das so weiter geht.

Den Jüngsten Spaß am Sport vermitteln

In der Eisschnelllaufhalle im Sportforum Berlin-Hohenschönhausen ist die 9-jährige Mia zum Probetraining erschienen. Sie war gerade im einwöchigen Winterferiencamp des Eissportvereins Berlin 08, kurz EVB 08. Jetzt überlegt sie, ob sie in den Verein eintritt:
"Mir macht das sehr viel Spaß, und es ist halt sehr schön, mal was nicht in einer normalen Turnhalle zu machen, sondern auf dem Eis, was man nicht so oft erlebt." Auch das mit dem Hinfallen bekommt sie gut hin: "Ich habe das jetzt schon geübt mit dem Hinfallen. Dass man die Balance hält."
Mia gehört zu einer ganzen Reihe von Neulingen. Etwas ungelenk, aber mit Lust und Freude absolvieren sie ihre Laufübungen in Eishockey-Schlittschuhen. Die Fortgeschrittenen tragen Klapp-Schlittschuhe. Sie werden von Mees Wielinga trainiert, einer 22-jährigen Niederländerin, die vorher viele Jahre in der Eisschnelllauf-Hochburg Heerenveen tätig war.
Ihr Hauptantrieb: "Dass sie Spaß machen natürlich, und dass sie mit einem großem Lächeln aufs Eis kommen und sich wieder freuen aufs nächste Training. Das ist für mich das ganz Wichtigste."

Die einzige hauptamtliche Trainerin Berlins

Der EVB 08 will zunächst den Breitensport fördern. Und damit auch den Nachwuchs. Der Verein leistet sich sogar eine hauptamtliche Trainerin. Als einziger in Berlin. Das hat die junge Frau aus den Niederlanden auch gereizt. Weil sie es aus ihrer Heimat so kennt.
"In den Niederlanden ist es so: du kommst in einen Verein, dann lernst du Eisschnelllauf, ab 13 Jahre kommen sie in eine Top-Sport-Umgebung, wo sie das besser lernen, um Leistungssportler zu werden. Und hier kommen sie ganz jung in eine Sportschule, für Leistungssport zu machen."
Oft schon in der fünften Klasse, wenn die Kinder also gerade mal 10 Jahre alt sind. Obwohl sie zum Beispiel noch gar nicht richtig Schlittschuhlaufen können. Mees Wielinga findet das nicht gut. Viel zu früh viel zu hoher Leistungsdruck, Spezialisierung statt breiter Ausbildung. Der EVB 08 versteht sich daher auch als Auffangbecken für all diejenigen, die im Laufe der Jahre die Leistungskriterien der Sportschule nicht mehr erfüllen bzw. nicht erfüllen wollen.
"Weil wir auch der Meinung sind: der Sport ist so toll, und den dürfen Kinder machen, wenn sie eben nicht auf der Sportschule sind."

Erst der Spaß, dann die Leistung

Gut 80 Kinder sind mittlerweile Mitglieder im Verein. Tendenz langsam steigend, sagt Bärbel Görhardt, die Vorsitzende des EVB 08:
"Ich kann aber nur Leistungen bringen, wenn ich Spaß dabei habe. Das hat zum Beispiel Mees auch ganz klar gesagt, als sie gekommen ist: ihr ist es erstmal egal, ob die was gewinnen oder nicht. Sie möchte jetzt eine kontinuierliche Entwicklung der Kinder sehen, gerade technisch und dass sie weiter vorankommen. Und den Spaß dabei nicht verlieren. Ob sie jetzt Dritte, Erste oder Sechste sind, wenn sie sieht, dass sie sich läuferisch verbessert haben oder auch ihre Zeit vorangekommen ist über die Saison, dann ist sie völlig zufrieden."
Die Familie der Vereinsvorsitzenden ist selbst betroffen von den oftmals, wie sie sagt, undurchschaubaren Leistungskriterien der DESG. Ihr Sohn Nils besucht eine Eliteschule des Sports, bis vor kurzem gehörte er dem Berliner Nachwuchskader an.
Jetzt wurde er ausgesiebt, Bärbel Görhardt sorgte dafür, dass er in eine andere Trainingsgruppe aufgenommen wurde – um genau zu sein: aufgenommen werden musste:
"Und dann sind wir wirklich über den Anwalt gegangen, dass er wenigstens bis zum Abitur noch wenigstens seinen Leistungssport fertig machen kann. Das sind dann so Geschichten, wo man sagt: geht’s noch?"

Mit Geduld und Ausdauer ans Ziel

Versöhnlich geht hingegen der Talentetreff der 8-bis-10-Jährigen zu Ende. Auch wenn die Sieger, wie bei den Großen, mit lautem Getöse gefeiert werden: jedes Kind wird gewürdigt und bekommt eine Urkunde überreicht. Auch der achtjährige Jann aus Erfurt.
Der 12-jährige Bruder steht daneben und applaudiert. Drei Wochen später nimmt auch dessen Geschichte ein Happy End. Finn Sonnekalb darf doch noch beim ‚Viking-Race' in Heerenveen antreten. Dort gewinnt er zwei der vier Sprintrennen, läuft zwei Mal persönliche Bestzeit und holt sich damit auch den Mehrkampftitel. Und das, obwohl er wegen seines Sturzes bei den deutschen Meisterschaften Ende Januar gar nicht hätte dabei sein dürfen.
"Es ist natürlich für jeden Sportler ein großes Ziel, zu Olympia zu kommen, aber bis dahin habe ich noch viel Zeit und muss noch viel trainieren bis dorthin."
Finn nimmt sich die Zeit zu reifen. Und ist ein deutlicher Beleg dafür, dass es um den Nachwuchs der früheren Eisschnelllaufhochburg Deutschland gar nicht so schlecht bestellt ist. Viele junge Athletinnen und Athleten rücken nach. Sie haben Geduld und Ausdauer. Vielleicht sollten sich die Verbandsfunktionäre und auch die Fans ein Beispiel an ihnen nehmen.
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