Deutsche Elektro-Avantgarde

Harmonia - eine deutsche Supergroup

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Der Elektropionier und Krautrocker Hans-Joachim Roedelius © Deutschlandradio - Matthias Dreier
Von Florian Fricke |
Roedelius, Moebius und Schnitzler - sie gründeten Ende der 60er-Jahre Kluster, eine der wichtigsten und experimentellsten Krautrock-Bands. Roedelius und Moebius machten zusammen weiter und gründeten die Band Harmonia. Nun erscheint das komplette Werk von Harmonia als Box.
Hans-Joachim Roedelius: "Ich fing an mit einer selbstgemachten Bambusflöte, einem Wecker und einem Mikrofon."
Ende der 60er-Jahre suchen viele deutsche Bands nach einer neuen musikalischen Identität. Man will sich abheben von der übermächtigen angloamerikanischen Tradition von Blues und Rock 'n' Roll, die man bestenfalls mehr schlecht als recht kopieren kann. Aber auch mit muffigem deutschen Liedgut und Schlager hat man nicht viel gemein. Nein, man will sich gänzlich neu erfinden. In Berlin gibt es dafür ein Klanglabor, den heute legendären Zodiac-Club in den Kellerräumen der alten Schaubühne. Gründer ist Conrad Schnitzler, der mit den beiden Autodidakten Hans-Joachim Roedelius und Dieter Moebius das Trio Kluster gründet. Kluster hier mit K.
Nach zwei Alben steigt Schnitzler aus, und Roedelius und Moebius machen als Cluster weiter, Cluster hier mit C. Cluster sind am ehesten der zeitgenössischen Musik zuzurechnen, wobei die Alben mit der Zeit immer elektronischer und ambientlastiger werden. Sie ziehen auf einen Bauernhof in Forst im Weserbergland – für Hans-Joachim Roedelius, Kriegskind und als Republikflüchtling in der DDR im Zuchthaus gesessen, eine paradiesische Zeit.
"Zwei Keyboards, zwei Gitarren, zwei Schlagzeuge. Schöne Idee"
Hans-Joachim Roedelius: "Das war das erste Mal, dass ich für längere Zeit Fuß fassen konnte und mich als normales Mitglied der Gesellschaft fühlen konnte. Ich war ja immer alleine unterwegs und immer auf Achse, unruhig. Und da habe ich dort meine Frau kennengelernt, dort haben wir unser erstes Kind bekommen vor offenem Kaminfeuer – es war für mich Utopia."
Eines Tages taucht Michael Rother im idyllischen Forst auf. Rother ist damals Teil des wegweisenden Krautrock-Duos Neu!. Zusammen mit seinem Schlagzeuger Klaus Dinger haben sie lange, aber vergeblich nach Musikern für eine Tour-Band gesucht. In Cluster sehen sie Brüder im Geiste, weshalb sie eine Supergroup namens Europa gründen wollen.
Hans-Joachim Roedelius: "Zwei Keyboards, zwei Gitarren, zwei Schlagzeuge. Schöne Idee, aber wir hätte unsere gesamte Zeit auf Europa konzentrieren müssen, um aus dem Ding was zu machen."
Mit dem menschlich sehr schwierigen Klaus Dinger kann keine Kooperation entstehen. Auch Michael Rother hat von ihm die Nase voll und setzt auf ein Trio mit Roedelius und Moebius. So entsteht Harmonia.
Das erste Album heißt "Musik von Harmonia" und ist mehr Experiment in der Findungsphase als ein Album mit Konzept. Zwei Titel sind sind Konzertmitschnitte, die übrigen sind bisher unveröffentlichte Kompositionen aus dem Fundus der drei Musiker, auf denen die anderen mitspielen.
Hans-Joachim Roedelius: "Wir haben es als Experiment gesehen und eben auch gedacht – als Cluster haben wir ja nie Geld gehabt – dass wir vielleicht mit Michael, der Struktur reingebracht hat und er Stücke entwickelt hat, dass uns das auch mehr finanziellen Erfolg bringt. Aber als wir merkten, dass wir da genauso üben mussten, um die Stücke dem Publikum live wiedergeben zu können, haben wir einfach gepasst. Wir wollten das nicht."
Eine legendäre, mehrtägige Session, als Harmonia eigentlich schon nicht mehr existierte
Vor dem Abbruch der Arbeit mit Rother entsteht noch das zweite Album "Deluxe". Es wird vom genialen Produzenten und Tonmeister Conny Plank co-produziert. Es ist das eingängigste Werk von Harmonia, weil sich Michael Rothers Komponierstil und seine harmonische Soundästhetik mehr durchsetzen. Man bekommt eine Vorstellung, was aus der Fusion der beiden Bands Neu und Cluster hätte werden können. Schlagzeug spielt hier Manni Neumeier von Guru Guru.
Aber so ist nach zwei Alben offiziell Schluss. Die beiden Freigeister Roedelius und Moebius konzentrieren sich wieder auf Cluster, bis 1976 Brian Eno in ihrem Studio auftaucht. Zwei Jahre zuvor hatte Harmonia ihn auf einem Konzert kennengelernt und zu einer Session eingeladen. So kommt es zu dieser legendären mehrtägigen Session, als Harmonia schon eigentlich nicht mehr existierte. Michael Rother ist auch mit von der Partie.
Hans-Joachim Roedelius: "Und da haben wir mit ihm mal das Cluster-Prinzip zu vollem Leben erwecken können und haben die "Tracks und Traces" produziert. Bin ich eigentlich ganz froh drüber, weil das bewies, das der Michael seinen eigenen Weg gehen musste.Er hat ja dann großen Erfolg gehabt mit seinen Flammenden Herzen.Und da war absolut richtig so, obwohl Michael sicher traurig war, dass sein Herzensprojekt nicht geklappt hat, wie er sich das vorgestellt hatte."
Die Bänder dieser Session hat Brian Eno für die weitere Bearbeitung mit nach England genommen. Dort gerieten sie in Vergessenheit, bis sie Hans-Joachim Roedelius 1997 in einem Archiv wieder entdeckte. Harmonia zählen nicht unbedingt zu den wichtigsten Bands des elektronischen Krautrock. Die großen Ohrwürmer haben andere geschrieben, dafür war das Projekt zu unvollendet und zu sehr Experiment. Aber gerade in dieser Experimentierfreude liegt die Kraft.
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