Die Liebe als physikalisches Experiment
Die schräge Liebesgeschichte eines Großstadtpaares - das ist der Plot von "Heisenberg" des Star-Dramatikers Simon Stephens. Angelegt ist es wie ein physikalisches Experiment. Doch genau das geht bei der deutschen Erstaufführung im Düsseldorfer Schauspielhaus verloren.
Natürlich fällt der Name "Heisenberg" nie. Denn der britische Dramatiker Simon Stephens - aus der Kaderschmiede des Londoner Royal Court Theatres hervorgegangen - weiß, wie man das macht: ein gutes Stück. Mit beiläufigem, pointiertem Dialog, einem geschmeidigen Fluss der Handlung, interessanten Menschen, aktuellen Themen aus individuellen Blickwinkeln, und die Bedeutung sorgfältig versteckt unter der Oberfläche. Sonst wäre der britische Dramatiker Simon Stephens wohl kaum fünfmal in den letzten zehn Jahren von der deutschen Theaterkritik zum wichtigsten fremdsprachigen Autor gewählt worden. "Motortown", "Harper Regan", "Pornographie" – ein Theater nach dem anderen hat diese Stücke nachgespielt. Und deswegen kommt Heisenberg nur im Titel seines neuen Stückes vor.
Das Liebespaar als zwei Teilchen, die verschmolzen werden sollen
Der Physiker und Vater der Quantentheorie setzt dem Stück einen quasi naturwissenschaftlichen Bezugsrahmen, den Stephens immer wieder virtuos ins Spiel bringt auf ganz verschiedenen Ebenen. Das Ganze ist angelegt wie ein Experiment, in dem zwei Teilchen zu einem verschmolzen werden sollen: Georgie, eine leicht hyperaktive, versponnene, ihr Leben immer wieder neu erfindende Frau von Anfang 40, und Alex, ein sehr introvertierter, nüchtern-trockener Dickschädel von 75.
Was die beiden verbindet, ist ihre Einsamkeit. Ein mechanischer Impuls setzt die Teilchen in Bewegung. Alex findet sich auf dem Bahnsteig überfallartig in den Nacken geküsst von Georgie, die behauptet, ihn mit ihrem verstorbenen Mann verwechselt zu haben. Es wird nicht die letzte Variation ihres Lebens sein, die Georgie Alex auftischt, der sehr schwer, aber schließlich doch in Bewegung kommt. Das Experiment geht durch immer neue Stadien, die Geschichte durch viele Stationen und am Ende ist das ungleiche Paar unterwegs in New York. Ob die Verbindung stabil ist - wer weiß. Aber was weiß man schon im Leben?
Situationskomik und perfektes Timing
Zwei kapitale Komödianten stürzen sich in der deutschen Erstaufführung von "Heisenberg", die Lore Stefanek für das Düsseldorfer Schauspielhaus inszeniert hat, auf Georgie und Alex: Caroline Peters und Burghart Klaußner. Natürlich räumen sie ab mit Situationskomik und perfektem Timing für die Pointen. Das Publikum amüsiert sich 90 Minuten lang glänzend und genießt das in Düsseldorf lange entbehrte Star-Theater sichtlich. Wenn es dem bislang ganz erfolgreichen Neustart unter dem Intendanten Wilfried Schulz zusätzlichen Rückenwind verleiht, umso besser. Schade ist nur, dass der amüsante Abend das Stück von Simon Stephens weit unter Wert verkauft.
Untertöne des Stückes gehen verloren
Peters und Klaußner bedienen die boulevardeske Oberfläche, aber sie verpassen viele Untertöne – und bei denen liegt die Stärke des Texts. Dass alle diese komischen Volten Strategien gegen die eiskalte Einsamkeit sind, vergisst man fast im Laufe dieses Abends. Auch den eigentlichen Clou des Autors Simon Stephens verpasst die Regisseurin Lore Stefanek. Der ganze Text ist ein ausgeklügeltes Reiz-Reaktions-Spiel, in dem jeder wie ein Schachspieler die nächsten Schritte des anderen antizipieren will, manipuliert und manipuliert wird. Der Modus des Stücks ist eine überwache und nie aussetzende gegenseitige Beobachtung. Und dieser Vorgang bestimmt immer mit, was der andere tut, so spontan und scheinbar überraschend sich die Geschichte entwickelt. Dass sich die Energie eines beobachteten Gegenstands durch die bloße Beobachtung verändert, ist so ungefähr der alltagstauglich stark verdünnte Inhalt des Unschärfesatzes der Quantentheorie. Und darum heißt das Stück "Heisenberg".