Deutsche Europapolitik

Küsschen statt Taten

Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Macron begrüßen sich.
Merkel zeigt sich regelmäßig an der Seite von Macron in der Öffentlichkeit – viel bleibt allerdings Symbolpolitik. © dpa
Von Sophie Pornschlegel · 11.12.2018
Deutsche Spitzenpolitiker wiederholen mit großem Nachdruck, wie pro-europäisch Deutschland sei. Aber was steckt hinter dieser Fassade? Politikwissenschaftlerin Sophie Pornschlegel meint: viel zu wenig.
Je mehr man sich mit deutscher Europapolitik beschäftigt, desto mehr wird einem klar, dass hinter der pro-europäischen Fassade wenig steckt. Deutsche Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitiker wiederholen mit großem Nachdruck, wie pro-europäisch Deutschland sei. Merkel zeigt sich regelmäßig an der Seite von Macron in der Öffentlichkeit – zuletzt mit symbolischen Küsschen am Volkstrauertag.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Symbolpolitik ist wichtig. Pro-europäische Aussagen sind mir lieber als EU-Bashing. Und doch reichen schöne Aussagen nicht aus, um konkrete Lösungen für die zahlreichen Herausforderungen zu finden, mit denen Europa konfrontiert ist.

Deutsche Stagnation

Ob Brexit, Trump oder Rechtspopulismus: Europa geht es alles andere als gut. Ganz abgesehen davon, gibt es genügend Themen, die dringend besprochen werden müssen: Die Zukunft der Eurozone, die Gestaltung der Migrationspolitik und der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik, um nur einige zu nennen. Je konkreter man die Fragen aber stellt, desto deutlicher wird die deutsche Stagnation.
Fangen wir mit der Eurozonen-Politik an: Im Juni 2018 wurde die Meseberg-Erklärung unterschrieben, nachdem Macron ganze neun Monate auf eine deutsche Antwort auf die Vorschläge seiner Sorbonne-Rede warten musste. Die Erklärung war dann alles andere als ein großer Wurf. Vielmehr erzielte man lediglich einen Minimalkonsens zu den längst überfälligen Reformen der Eurozone.

Zurückhaltung bei Risikoverteilung

Als Arbeitsauftrag wurde festgehalten, einen Vorschlag für eine EU-Arbeitslosenversicherung auszuarbeiten, den Bundesfinanzminister Scholz schließlich im November 2018 vorstellte. Der Vorschlag wurde innerhalb kürzester Zeit vom Koalitionspartner CDU dankend abgelehnt.
Immerhin erklärte Merkel in ihrer Rede vor dem europäischen Parlament Mitte November, dass Solidarität und Toleranz die zentralen Werte der Europäischen Union seien. Doch sobald es eine Initiative gibt, die eine größere Risikoverteilung in Europa vorsieht, zuckt die Bundesregierung zurück. In den Medien fällt dann sehr schnell das Wort "Transferunion" – mit dem dazugehörigen Bild der faulen Südeuropäer, die in den deutschen Geldbeutel greifen, statt wie eine schwäbische Hausfrau zu wirtschaften.

Verwässerte Vorschläge

Auch bei den Vorschlägen wie der Digitalsteuer, wo es inzwischen eine deutsch-französische Einigung gibt, wurde der Vorschlag Frankreichs verwässert und eine Bedingung einführt – eine europäische Digitalsteuer wird nur zum Einsatz kommen, wenn eine Lösung auf internationaler Ebene scheitert.
Und so geht es endlos weiter: Das wiederkehrende Thema "europäische Armee" wurde in Deutschland schnell wieder in eine "Armee der Europäer" uminterpretiert. Der Vorschlag, transnationale Listen für die Europawahl einzuführen, wurde im Keim erstickt – es fehle noch eine europäische Öffentlichkeit, so die Argumentation. In den Bereichen Migrationspolitik und Klimaschutz ist Deutschlands Einsatz eher bescheiden – und das, obwohl bei diesen Themen europäische Antworten dringlich wären.

Brüsseler Müdigkeit

Nach und nach werden die europäischen Partner müde. Hört man sich in Brüsseler Kreisen um, wird die Unzufriedenheit mit der deutschen Europapolitik schnell deutlich. Hinzu kommt, dass die Deutschen in Brüssel in vielen Schlüsselpositionen sitzen – in den Institutionen, aber auch in den politischen Vorfeldorganisationen.
Eine Fortführung dieses europapolitischen Kurses – bestehend aus Stagnation und bräsiger Hegemonie – hat langfristige Auswirkungen: Wenn wichtige Partner wie Frankreich feststellen, dass auf Deutschland kein Verlass ist, werden wir uns nicht nur bei unseren Nachbarn unbeliebt machen. Sondern darunter leidet ganz Europa. Ohne vertrauensvolle Bündnisse – insbesondere zwischen Frankreich und Deutschland – hat es in Europa noch nie Fortschritte gegeben.

Sophie Pornschlegel ist Projektmanagerin beim Progressiven Zentrum im Programmbereich Zukunft der Demokratie. Dort beschäftigt sie sich u.a. mit Projekten zu Repräsentation, politischer Teilhabe und Parlamentarismus in Europa. Ehrenamtlich engagiert sie sich als Vorstandsmitglied beim grassroots-Thinktank für Europa- und Außenpolitik Polis180 und ist in dieser Funktion für das internationale Netzwerk verantwortlich. Sophie war zuvor in einer Public-Affairs-Beratung tätig sowie in der der europäischen Kommission. Sophie hat Politikwissenschaft in Paris und London studiert.

© Progressives Zentrum / Per Jacob Blut
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