Der Ton wird rauer
Macht euch erst gar nicht auf den Weg - das war die Botschaft von Innenminister de Maizière bei seinem Besuch in der afghanischen Hauptstadt Kabul. Auch die Kanzlerin schlug neue Töne an, kommentiert Gudula Geuther: Offenbar hat sich in der Flüchtlingspolitik der Wind gedreht.
Der Wind ist rauer geworden seit der Kölner Silvesternacht. Natürlich haben die Übergriffe Unwillen geschürt. Aber auch die bloße Zahl der Flüchtlinge scheint immer mehr Sorge hervorzurufen.
81 Prozent der im Deutschlandtrend Befragten glauben, die Regierung habe die Flüchtlingssituation nicht im Griff. Und die Regierung? Auch sie gibt immer kühlere Signale. Die CDU-Kanzlerin mahnt, auch Syrer müssten nach dem Ende des Bürgerkrieges zurückkehren.
Der Wind hat sich längst gedreht
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD), will an einem Integrationsförderungsgesetz arbeiten – und betont vor allem, dass denen Leistungen gestrichen werden sollten, die sich nicht integrieren wollen. Und der Bundesinnenminister mahnt in Afghanistan: Macht euch gar nicht erst auf den Weg.
Dreht sich der Wind kurz vor den Landtagswahlen? Erkennt die Regierung endlich, dass ihr Kurs nicht vermittelbar ist? Wer das glaubt, hat die Politik bisher gründlich missverstanden. Denn der Wind hat sich längst gedreht. Auch wenn richtig ist: Im Umgang damit klingen die Verantwortlichen in Berlin immer verzweifelter.
Beispiel Thomas de Maizière und Afghanistan: Ähnliches hatte er schon vor Monaten erklärt. Dass er das diesmal in Kabul tat, wo er – am Tag eines Anschlags in der Stadt – mit Stahlhelm bewehrt in den Hubschrauber stieg, ändert die Aussage nicht. Es zeigt nur, was sie bedeutet.
Dabei ist ja richtig, dass viele Flüchtlinge völlig falsche Vorstellungen von einem Leben in Deutschland haben, vor allem in Afghanistan überschätzen offenbar viele ihre Möglichkeit, hierzulande ein eigenständiges Leben aufzubauen. Es ist richtig, hier deutlich gegenzusteuern.
Wird das Schutzversprechen aufgegeben?
Spätestens, wenn wirklich massiv in das immer unsicher werdende Land abgeschoben wird, geht es nicht mehr nur um Signale. Dann geht es auch um die Aufgabe eines Hilfs- und Schutzversprechens, das das Grundgesetz gibt – oder einmal gegeben hat.
Dasselbe gilt für viele andere Teile der ganz realen deutschen Politik. Wer Traumatisierungen nicht mehr als Abschiebehindernis anerkennt, wer in Schnellverfahren Rechtsschutz praktisch aushebelt, der pflegt schon lange keine Willkommenskultur mehr. – Und diesen Maßnahmen hat auch die SPD schon im November zugestimmt.
Trotzdem mag bei ihr das Bild vom sich drehenden Wind noch am ehesten stimmen. Das stellte Andrea Nahles in dieser Woche deutlich unter Beweis. Ihr Vorschlag, Integrationsunwilligen sollten Leistungen gekürzt werden, klingt plausibel, weckt aber Missverständnisse. Denn überwiegend geht das bereits. Wahrscheinlich hatte deshalb SPD-Generalsekretärin Katharina Barley noch wenige Tage zuvor ähnliche Unions-Vorschläge abgelehnt, und wahrscheinlich blieb Nahles deshalb so vage.
Es sollte um das Signal gehen: Wir können auch Strenge. Das ist in Ordnung, aber der Grat ist schmal. Allzu leicht klingt es nach: Wir brauchen mehr Strenge, allzu leicht kann damit Ablehnung geschürt werden. Und allzu leicht steigt der Unmut, wenn Wirkungen ausbleiben.
Angela Merkel schlug neue Töne an
Und Angela Merkel? Die schlug tatsächlich einen neuen Ton an, als sie den Syrern die spätere Rückkehr in die Heimat ankündigte. Und ganz auszuschließen ist nicht, dass auch hier die Wahlkämpfe eine Rolle spielen. Überrascht dürfte aber an sich auch hier niemand sein. Ein großer Teil der Jugoslawien-Flüchtlinge ist zurückgekehrt.
Wie lange der Krieg in Syrien dauert, weiß niemand. Deshalb gibt es keine Alternative zur Integration der Menschen, die vielleicht sehr lange hierbleiben. Aber dass es Grenzen geben kann, ist nur ehrlich. Auch hier sollen – in Flüchtlingslagern in der Türkei und im Libanon – keine falschen Erwartungen geweckt werden. Insofern war das Signal überfällig.
Solche Ehrlichkeit gab es nicht immer, nicht, als Wirtschaftsvertreter das Bild vom syrischen Arzt als Durchschnittsflüchtling zeichneten oder sich von den Flüchtlingen schnelle Hilfe bei demographischen Problemen versprachen. Allerdings: Beides hat die Bundesregierung so nicht getan.
94 Prozent der Deutschen wollen weiterhin Kriegsflüchtlinge aufnehmen
Wie auch. Angela Merkel ist immer kalkulierende Machtpolitikerin geblieben. Sie hat nie Flüchtlinge am Münchner Hauptbahnhof mit Teddybären begrüßt. Sie weiß allerdings, dass falsche Versprechungen dauerhaft mehr schaden als nutzen. So wie nicht durchsetzbare Obergrenzen.
Das wissen im Übrigen auch viele Wähler. Nach demselben Deutschlandtrend, der auch die Skepsis der Bürger notierte, sinkt auch der Wunsch nach Obergrenzen. Und mit 94 Prozent ist der ganz, ganz große Teil der Deutschen weiterhin für die Aufnahme von Flüchtlingen aus Kriegsgebieten. So kalt ist es noch nicht geworden.