Kalter Krieg am Himmel
Russland schickt Kampfjets über den Nord- und Ostseeraum, deutsche Eurofighter fangen die russischen Flieger ab und begleiten sie durch den Luftraum zurück - das ist kein ungewöhnlicher Vorgang. Worum geht es bei diesem Nervenspiel?
"Sie bewegen sich im internationalen Luftraum, können im Prinzip hinfliegen, wohin sie wollen. Wir sprechen hier von Trainings-Aufklärungsmissionen, wie sie auch bei uns zum Standard gehören. Die russischen Piloten haben ihren Auftrag – und sobald sie in den von der NATO kontrollierten Luftraum eindringen, reagieren wir."
Wenn der Russe kommt, ist Elisabeth Norton schon gewarnt. Die Spezialistin der britischen Royal Airforce hält die anfliegenden Jagdflugzeuge und Bomber fest im Blick. Als so genannter Duty Controller.
Auf den Monitoren im Gefechtsstand sind die Positionen von Abertausenden Luftfahrzeugen registriert. Norton muss reagieren, wenn ein Flugzeug von seiner Route abweicht. Alarmiert dann die Abfangjäger der in Wittmund stationierten Alarmrotte.
"Wir fangen sie ab, klären auf, mit welcher Art Fluggerät wir es zu tun haben. Wir begleiten die Flugzeuge durch den Luftraum - und dann lassen wir sie ziehen, wenn wir uns über ihre Absichten im Klaren sind."
Häufung von Flugbewegungen russischer Flugzeuge
Rund zwei Dutzend Mal im Jahr steigen die bei Wittmund und Neuburg an der Donau stationierten Abfangjäger auf, um in der Luft nach dem Rechten zu sehen. In den meisten Fällen, erzählt Nortons Kollege Wolfgang Weber, verhalten sich Piloten bei der Annäherung der Eurofighter kooperativ. Er hat zuletzt eine gewisse Häufung der Flugbewegungen russischer Flugzeuge festgestellt.
Wolfgang Weber: "Wir haben im baltischen Raum Kräfte feststellen können, die vorher dort nicht so anzutreffen waren. Dass die russischen Flugzeuge vor der Küste Portugals aufgetaucht sind, das ist etwas, was wir beobachten, was es früher so nicht gegeben hat. Wir haben jetzt natürlich nur seit Beginn der Ukraine-Krise wesentlich mehr Kräfte zur Verfügung, um zu reagieren."
In einer Baracke auf ihrem Fliegerhorst bei Wittmund, im Norden Niedersachsens, bereiten sich die Piloten auf ihren nächsten Einsatz über der Nordsee vor. Schlichte Holzstühle mit Schreibunterlage, dampfende Kaffeetassen. Die projizierten Wetter-Daten lassen Turbulenzen erwarten, Schauer, Böen: Orkantief "Billie" ist im Anmarsch.
Die Ruheräume der Alarmrotte sind für den Reporter Sperrgebiet. Nüchtern ist das Ambiente der Lounge. Auf den vergilbten Fotos an den Wänden ringsum posieren herausgeputzte Soldaten vor ihren "Phantom2-Jagdflugzeugen, einem Zweisitzer. Im Eurofighter sind die Piloten auf sich gestellt, Karten und Missionsdaten werden elektronisch in das komplexe Waffensystem eingelesen.
Wird Alarm gegeben, bleibt für aufwändige Flugvorbereitungen keine Zeit. Auch jetzt spurten die Piloten los, schlüpfen sie in ihre Flugausrüstung. Spätestens 15 Minuten nach Alarmierung müssen sie in der Luft sein. In Wittmund unterbieten sie den NATO-Standard um viele Minuten, versichert Staffelkapitän Tentrup. Da muss jeder Handgriff sitzen.
"Das ist fast wie Einkaufen vor Weihnachten: Man hat immer zu wenig Zeit! So ist es bei uns meistens, dass sich dann doch irgendwelche Wetterkapriolen noch kurzfristig noch in den Planungsbaum mit hereinspielen und man dann relativ flexibel agieren und reagieren muss – und damit läuft einem relativ zügig die Zeit weg. Und deswegen ist dann meistens groβe Eile angesagt, letzte Sachen zu klären und dann raus zu den Maschinen zu gehen."
Tägliche Alarmübung
Bei der Ankunft im Shelter hat die Bodencrew die Inspektion des Eurofighters bereits abgeschlossen. Ein letzter "Walk around", dann klettert der Pilot die Eisenleiter zum Cockpit hoch. Schon läuft das Triebwerk an. Timo Heimbach ist der Kommandeur der Alarmrotte. Täglich lässt der erfahrene Pilot im Rang eines Oberstleutnants, den Alarmstart ins Ungewisse üben.
"Bei der Alarmrotte droht eben das Szenario: Man wird jetzt alarmiert, ich gehe in die Luft – und ich weiß nicht, was mein Auftrag ist. Das kann sein, einen Militärjet abzufangen, irgendwo hin zu geleiten, es kann sein eine Passagiermaschine, die ich nach Frankfurt geleiten muss, weil die ein elektrisches Problem haben. Diese Bandbreite der möglichen Aufträge ist die groβe Herausforderung."
Inzwischen sind gleich vier Eurofighter zur Startbahn gerollt. Der Tower gibt die Startfreigabe. Beim Alarmstart werden Duty Controller wie Elisabeth Norton und Wolfgang Weber übernehmen, die Piloten der Abfangjäger an das abzufangende Objekt heranführen. Die Aufregung um die jüngsten Aufklärungsflüge seiner russischen Kollegen kann Heimbach nicht teilen. Der Kommandant gibt sich gelassen.
Timo Heimbach: "Das sind beide Flieger, die sich im Luftraum treffen. Ich gehe mal davon aus, dass das Vollprofis sind – genau wie wir auch. Man zeigt natürlich die Präsenz, dass man reaktionsfähig ist. Also, zu zeigen, man ist da, man ist in einer guten Zeit da, man hat Waffen dabei, man ist handlungsfähig. Das ist eigentlich das Signal, was man dann transportieren möchte."
Spricht der Kommandant – und schaut zu, wie seine Eurofighter lärmend in den grauen Himmel über Wittmund aufsteigen. Die Abfangjäger nehmen Kurs in Richtung Nordsee. Paarweise werden sie dort einander jagen. Es ist eine Übung. Doch der nächste Russe kommt bestimmt…