Doppelleben oder: Gedenkt unserer mit Nachsicht
In ihren Biografien spiegelt sich gegensätzliche deutsche Geschichte, aber sie zeigen auch Gemeinsamkeiten: Im Dritten Reich gab es für beide keinen Platz, Brecht ging ins Exil und Benn in die innere Emigration. Im Sommer 1956 starben mit Gottfried Benn und Bertolt Brecht kurz nacheinander zwei der bedeutendsten deutschen Dichter des 20. Jahrhunderts in Berlin. Sie lebten nach 1945 in einer Stadt und doch in zwei Welten.
Benn, ausgezeichnet mit Büchnerpreis und Bundesverdienstkreuz, starb auf der Höhe seines Ruhmes als ein Repräsentant der Adenauer-Ära, die ihn auch deshalb verehrte, weil er Geschichte und Gesellschaftlichkeit so sehr verachtete. Der Marxist Brecht galt zwar als Staatsdichter der DDR, doch den Nachrufen von Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht war auch die Erleichterung anzumerken, diesen skeptischen, lebendigen Geist los zu sein und in Zukunft als Klassiker behandeln zu dürfen. Die Begräbnisse auf dem Waldfriedhof in Dahlem und auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof mit der Trauerfeier im "Berliner Ensemble" sprechen für sich.
Aus zwei Szenen wird eine ganze Epoche kenntlich, in zwei Biografien spiegelt sich deutsche Geschichte. Aber es gibt schließlich nicht nur Gegensätze zwischen ihnen, sondern auch Gemeinsamkeiten: nicht zuletzt die, dass es im Dritten Reich für beide keinen Platz gab. Brechts Exil und Benns innere Emigration schafften eine doppelte Leere, die nach 1945 durch geteilte Verehrungsbereitschaft im geteilten Land ausgetrieben wurde. Was hätten sie sich zu sagen gehabt, wenn sie sich 1956 begegnet wären? Günter Grass hat das in „Mein Jahrhundert" ausprobiert, wo er die beiden am Kleistgrab am Kleinen Wannsee zusammenkommen lässt. Benn sagt dort das eher nach ihm klingende Brecht-Gedicht "Der Nachgeborene" auf, während Brecht Benns "Mann und Frau gehen durch die Krebsbaracke" zitiert.