Deutsche Geschichte multimedial

Von Gerrit Stratmann |
Für alle, denen der Weg ins Deutsche Historische Museum Berlin oder das Haus der Geschichte in Bonn zu weit ist, gibt es im Internet das "LeMO" zu entdecken. Das "Lebendige Museum Online" ist ein Gemeinschaftsprojekt der beiden Häuser bietet Schriftstücke, Plakate, Fotos, Berichte von Zeitzeugen und viele Begleitvideos und Tondokumente.
Es gibt viele Möglichkeiten, sich im Internet über deutsche Geschichte zu informieren. Ein umfassendes und durchdachtes Internetportal ist LeMO.

LeMO, das lebendige Museum Online, präsentiert die deutsche Geschichte von 1871 bis heute. Aber es ist mehr als ein Zeitstrahl. Was LeMO vor anderen Portalen auszeichnet, sind die vielen Zeitdokumente, auf die der Besucher Zugriff hat. Schriftstücke, Plakate, Fotos, Berichte von Zeitzeugen und eine Unmenge an Begleitvideos und Tondokumenten vermitteln dem Besucher einen vieldimensionalen Einblick in das Geschehen der Zeit.

"Man will nicht dulden, dass wir in entschlossener Treue zu unserem Bundesgenossen stehen, der um sein Ansehen als Großmacht kämpft, und mit dessen Erniedrigung auch unsere Macht und Ehre verloren ist. Es muss denn das Schwert nun entscheiden."

Über 90 Jahre ist diese Aufnahme alt, in der Kaiser Wilhelm II. 1914 England, Frankreich und Russland den Krieg erklärt. Hautnah erlebte Geschichte wie diese verspricht das Lebendige Museum Online, kurz LeMO, im Internet. LeMO ist ein Gemeinschaftsprojekt des Hauses der Geschichte in Bonn und des Deutschen Historischen Museums in Berlin, auf deren Seite LeMO auch beheimatet ist. Es bietet dem Besucher einen multimedial aufbereiteten Zugriff auf die deutsche Geschichte seit der Reichsgründung 1871.

Das Archiv enthält Dokumente des politischen und kulturellen Alltags aus den letzten 130 Jahren, so zum Beispiel auch das Lied von Jenny, der Seeräuberbraut, aus Brechts "Dreigroschenoper" von 1928. Erschlossen wird der reichhaltige Fundus der Seite über ein Navigationsmenü, das vom Kaiserreich über die Weltkriege bis zur Wiedervereinigung in einzelne Zeitabschnitte eingeteilt ist. Dabei kann man nicht nur über das unsägliche Geschrei in den Ansprachen des Propagandaministers Joseph Goebbels stolpern, sondern auch über Hitlers Eröffnung der Olympischen Spiele 1936:

"Ich verkünde die Spiele von Berlin zur Feier der elften Olympiade neuer Zeitrechnung als eröffnet."

Die Tondokumente aus dem Lebendigen Museum Online sind zum Teil nicht nur alt, sondern auch stark komprimiert, was ihre Qualität beeinträchtigt. Dem Hörwert der zeitgeschichtlichen Zeugnisse tut das jedoch keinen Abbruch. So finden sich in der Auseinandersetzung mit der Geschichte des dritten Reiches und seiner Maschinerie des Völkermords auch Berichte von Überlebenden aus den Konzentrationslagern.

"Die Auschwitzer Häftlinge, die wenigen, die geblieben sind, fürchten alle, dass die Welt nicht glauben wird, was dort geschehen ist. Dort hat man lebendige, gesunde Menschen lebend ins Feuer geworfen. Meine Baracke war ungefähr 20 Meter von dem Kamin, von einem der fünf Kamine, die sich dort befanden, entfernt. Ich habe alles mit eigenen Augen mitangesehen."

Besondere Erwähnung verdient das so genannte Kollektive Gedächtnis von LeMO, eine Rubrik, in der die Erlebnisse von Zeitzeugen dokumentiert sind, die in Zusammenhang mit Ereignissen des 20. Jahrhunderts stehen. Erschütternde Frontberichte über den Wahnsinn beider Kriege finden sich ebenso darunter wie Erzählungen aus der schwierigen Zeit des Wiederaufbaus nach dem Krieg. Erst nach der Währungsreform und der Gründung der beiden deutschen Staaten 1949 mehren sich die Zeichen des Aufschwungs.

Den aufkommenden Konsumrausch vermittelt das virtuelle Museum durch Plakate, Anzeigen und Fernsehspots, die Werbung für Strumpfhosen, Kartoffelpüree, Waschmittel und Taschentücher machen.

Während der Westen sich in den Wohlstand einkaufte, wurde im Osten gebaut, und zwar eine Mauer. Die kalten Krieger rüsteten auf und der Staatschef der DDR, Walter Ulbricht, feiert in seiner Silvesteransprache 1961 die Errichtung des antifaschistischen Schutzwalls als einen Sieg über den Westen.

"Dank der Entschlossenheit der Werktätigen und der militärischen Sicherungskräfte der Deutschen Demokratischen Republik wurde am 13. August den Revanchisten, die sich in die inneren Angelegenheiten unserer Republik und ihrer Hauptstadt Berlin eingemischt hatten, eine Niederlage zugefügt."

Während im Osten das populäre Jugendradio DT64 das Licht der Welt erblickte, rutschte der Westen streitlustig auf die Zeit der Außerparlamentarischen Opposition zu. Die Protestbewegungen der 60er Jahre werden im Online-Museum nicht nur erklärt und bebildert, sondern auch hörbar gemacht. Vorne mit dabei: die Unabhängigkeitshymne einer ganzen Generation von der Gruppe Steppenwolf.

Viele der Film- und Tondateien sind tief in der verzweigten und mit Querverweisen gespickten Seitenstruktur des virtuellen Museums versteckt. Glücklicherweise bietet die Suchfunktion auch einen katalogartigen Überblick über alle vorhandenen Multimedia-Dokumente. Die mehreren hundert Dateien lassen sich damit nach Herzenslust durchstöbern. Aus der jüngeren Geschichte finden sich in dem Katalog auch etliche Zeugnisse zur Wiedervereinigung, darunter nicht nur Willy Brandts Rede vor dem Roten Rathaus, sondern auch die eher nüchternen Nachrichten vom 3. Oktober 1990:

"Es ist zwei Uhr. Sie hören Nachrichten. Die deutsche Zweistaatlichkeit ist beendet. Um Mitternacht wurde der Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland wirksam."

Die letzten Einträge zur deutschen Geschichte stammen übrigens aus dem Jahr 1998 und behandeln den Machtwechsel von Helmut Kohl zu Gerhard Schröder. Bleibt zu hoffen, dass das Deutsche Historische Museum diese gut aufbereiteten Seiten auch in Zukunft ebenso dicht und medial unterstützt weiterführen wird. Sonst ist LeMO irgendwann selber Geschichte.