"Spahn verhält sich grob rechtswidrig"
Muss der Staat suizidwilligen Todkranken in Ausnahmefällen mit Medikamenten beim Sterben helfen? Ja, meint das Bundesverwaltungsgericht. Doch Gesundheitsminister Jens Spahn verhindert das. Inakzeptabel, findet die DGHS-Vizepräsidentin Sonja Schmid.
Todkranke Patienten, die ihrem Leiden selbst ein Ende bereiten wollen, treffen derzeit in Deutschland auf eine rechtliche Gemengelage. Einerseits verbietet §217 StGB seit 2015 ausdrücklich die geschäftsmäßige Förderung der Sterbehilfe. Andererseits entschied das Bundesverwaltungsgericht im März 2017, dass der Staat unheilbar Kranken in schwersten Notlagen auf Antrag ein Medikament zur Selbsttötung aushändigen müsse. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat die zuständige Behörde, das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte, allerdings angewiesen, keine Anträge positiv zu bescheiden.
Verhalten sei "grob rechtswidrig"
Dieses Verhalten sei "inakzeptabel" und "grob rechtswidrig", meint Sonja Schmid, Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS). "Denn er hält sich damit nicht an das Recht, wie es vom Bundesverwaltungsgericht nun in der Auslegung des Betäubungsmittelgesetzes konkretisiert wurde. Das heißt, in ganz schweren Fällen muss der Staat die Möglichkeit verschaffen, ohne ganz grauenhafte Methoden – wie sich vor den Zug legen oder so etwas – aus dem Leben scheiden zu können."
Jeder Bürger habe ein Anrecht darauf, dass sein Fall einzeln geprüft würde, betont die Juristin. "Und das verhindert gerade der Gesundheitsminister mit diesem Erlass."
Lebensbejahende Beratung als Kompromiss?
Dass es grundsätzlich eine staatliche Pflicht zum Schutz des Lebens gibt, erkennt Schmid an. Diese müsse allerdings gegen das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen abgewogen werden. Eine solche Abwägung könnte der DGHS-Vizepräsidentin in Form einer Beratungspflicht stattfinden: "Dass ein Suizidwilliger nur dann Zugang zu Medikamenten erhält, wenn er vorher eine lebensbejahenden Beratung gesucht und bekommen hat", betont sie.
"Wir würden uns davon auch eine gewisse Suizidprophylaxe erhoffen. Dass der Freitod nur dann vollzogen wird, wenn es wirklich für den Betroffenen unerträglich ist und dass auch nachdem ihm in einer solchen Beratung die verschiedenen Möglichkeiten aufgezeigt wurden, die er vielleicht in seiner verzweiflungsvollen Situation gar nicht erkennt."
(uko)