Deutsche im Betrieb, Franzosen in der Schule

Von Jacqueline Boysen |
Während das duale System in Deutschland auf die Verzahnung von betrieblicher Praxis und der theoretischen Ausbildung in der Berufsschule setzt, besuchen die allermeisten französischen Berufsanfänger ausschließlich eine der zahlreichen staatlichen Berufsschulen.
"Für uns Köche aus Deutschland ist es wie ein Mekka, wie Mekka, einmal nach Paris zu kommen!"

Marcel Ohms ist Auszubildender im zweiten Lehrjahr und das Mekka, von dem der Nachwuchskoch aus Berlin schwärmt, ist eine Ausbildungsküche in der renommierten Pariser Hotellerie- und Gastronomieschule Grégoire Ferrandi.

"Mir ist aufgefallen, dass sie sehr viel mit Butter arbeiten, also Butter, um die Soße abzubinden, klötzeweise Butter! Das kennen wir gar nicht so."

Butter oder Mehl und Soßenbinder - drei Wochen seiner Lehrzeit verbringt der Azubi aus einem Berliner Luxushotel in Paris, wo er in die Geheimnisse der französischen Küche eingeweiht wird. Hautnah erlebt er die Unterschiede zwischen der deutschen und der französischen Berufsausbildung: In Berlin steht er als jüngstes Glied in der Hotelküche am Herd, in Paris wird auch unter realen Bedingungen gekocht, aber eben in einer Schule: Das Menü aber essen die Jungköche am Ende selbst.

Während das duale System in Deutschland auf die Verzahnung von betrieblicher Praxis und der theoretischen Ausbildung in der Berufsschule setzt, besuchen die allermeisten seiner französischen Altersgenossen ausschließlich eine der zahlreichen staatlichen Berufsschulen.

"Das ist für die Jugendlichen auch eine demütigende Sache, denn die Situation im Betrieb kennenzulernen, die realen Arbeitsbedingungen, das ist eigentlich das Entscheidende."

Bent Paulsen vom Bundesinstitut für Berufsbildung stellt fest, dass französischen Jugendlichen, die ihren Beruf in einer staatlichen Schule erlernt haben, die Praxis oft fremd ist. Steht das deutsche Ausbildungssystem insbesondere bei den Handwerksberufen in der Tradition der alten Zünfte, so gleicht das französische Modell einem komplexen Labyrinth von diversen Schulstufen: Die Lernenden erklimmen im besten Fall ihr Leben lang immer höhere Stufen. Sie erwerben staatliche Diplome, die auf unterschiedlichem Weg erlangt werden können: schnell oder langsam, mit handfestem Praxisbezug oder auf einem eher technischen Niveau.

Philippe, inzwischen Möbeltischler, war ein klassischer Schulversager: Er brachte schlechte Noten nach Hause und seine Lehrer empfahlen ihm, Friseur zu werden. Seine Mutter erkannte, dass ihr Sohn langsam lernt, aber durchaus ein kaufmännisch-technisches Verständnis mitbringt. Nachdem er zunächst manuelle Fertigkeiten erworben hat, bereitet er sich nun in einer Fachoberschule darauf vor, eine Tischlerei zu leiten. Eine Laufbahn, die in Frankreich nicht untypisch ist:

Regis Roussel, Berufsberater im Auftrag der französischen Regierung, erklärt, wie durchlässig das zentralistische französische System im Vergleich zum deutschen ist. Auch schlechte Schüler fängt der Staat zunächst auf und bietet ihnen die Chance, sich zu qualifizieren. So landen sie nicht in quälend langen Warteschleifen wie so viele deutsche Schulabgänger oder Schulabbrecher.

Was ihnen aber durch die externen Abschlüsse erschwert wird, ist der Schritt hinein in die Wirtschaft, so die Beobachtung des deutschen Ausbildungsexperten Bent Paulsen

"Erstmal sind alle Jugendliche "versorgt", wenn sie alle Ausbildungsplätze bekommen, die Frage ist aber, was nutzt diese Versorgung, wenn sie mit schulischem Wissen vollgestopft sind und sich dann doch erst wirklich in der betrieblichen Praxis so qualifizieren können, dass sie eine dauerhafte Perspektive haben."

Die Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich ist mit 19,2 Prozent höher als in Deutschland, wo sich zwei Drittel der Jugendlichen eines Jahrgangs für eine Berufsausbildung entscheiden - und damit auch für einen ersten Schritt in die Unabhängigkeit, schließlich erhalten sie anders als ihre weiterhin die Schule besuchenden französischen Kollegen einen Ausbildungsvertrag und eine, wenngleich geringe Vergütung

"Ich finde das gut, dass die Jugendlichen, wenn sie aus der Schule herauskommen, von den Eltern etwas unabhängig werden. Die Ausbildungsvergütung erlaubt zwar normalerweise kein echt selbständiges Leben, aber zumindest ist es ein sehr gutes Taschengeld. Das Erwachsenwerden wird so ja auch respektiert und honoriert."