"Wir fordern eine Entschuldigung für diesen Völkermord"
Im Berlin gibt es das Afrikanische Viertel. Dort sind Straßen nach Staaten des Kontinents benannt, aber auch nach ehemaligen Kolonialherren. Dagegegen regt sich Protest: Das Bündnis "Berlin Postkolonial" fordert eine Umbenennung der Lüderitzstraße - wegen dessen Mitschuld an den Verbrechen an den Herero.
Es ist ein Sommertag mit weitem Himmel in Berlin-Wedding, der Wind rauscht in den Bäumen, alle paar Minuten verstärkt vom Rauschen der Flugzeuge, die am Flughafen Tegel starten. Israel Kaunatjike trägt ein weißes Hemd und grüne Leinenschuhe. Wir sind zu einem Spaziergang durch den Wedding verabredet. In einem Wohngebiet mit pragmatisch sanierten Altbauten. An einer Ecke bleiben wir stehen, auf dem Straßenschild lesen wir: Lüderitzstraße. Lüderitz.
"Der war ein Kaufmann aus Bremen, der also irgendwie aus einer Tabakfamilie war."
Eigentlich ist hier das afrikanische Viertel, die Straßen Guineastraße, Togostraße, Sansibarstraße. Lüderitz scheint nicht dazu zu passen. Lüderitz.
"Eigentlich ´ham die damals auch in Mexiko angefangen mit ihre Geschäfte, aber das war nicht so erfolgreich, aber dann ist er natürlich an die Idee gekommen, und ist nach Namibia."
Das ist der Bezug zu Afrika: die deutsche Kolonialgeschichte. Als Adolf Lüderitz hörte, dass in Südwestafrika Bodenschätze zu vermuten seien, kaufte er 1883 Land von dem Nama-Häuptling Joseph Fredericks. Der hielt den Deal für ein gutes Geschäft, aber er hatte sich geirrt:
"Der Lüderitz war eigentlich auch ein Betrüger, wie er die Geschäfte abgewickelt hat in Namibia, und darum für uns versuchen wir, auch diesen Namen aus dem Bezirk auszuradieren, oder dass es umbenannt werden, weil das war einfach für uns eine Betrüger, der war so genannte Gründer von Deutsch Südwestafrika, und das hat natürlich nach Lüderitz unheimlich böse Geschichte geworden."
1884 wurde Deutsch-Südwestafrika deutsche Kolonie
Lüderitz hatte den Nama-Häuptling Fredericks glauben lassen, dass die im Vertrag angegebenen Meilen englische seien. Dabei waren es preußische, die viereinhalb Mal länger waren. Viel Land für wenig Geld. 1884 wurde Deutsch-Südwestafrika deutsche Kolonie.
"Und dann kamen natürlich die Truppen und die Siedler nach Namibia, und da hat das ganze Geschichte angefangen mit Landraub, Vergewaltigung, Konzentrationslager und diese Aufstand der Hereros gegen die deutsche Besatzungsmacht."
Schon seit längerem kämpft Israel Kaunatjike mit dem Bündnis "berlin postkolonial" dafür, dass die Lüderitzstraße umbenannt wird. Das Afrikanische Viertel, in dem sie liegt: ein Lernort für die deutsche Kolonialgeschichte – das ist die Idee.
"Die Lüderitzstraße soll umbenannt werden in Mongundastraße. Mongunda war eine Freiheitskämpferin in Namibia gegen die Apartheid. Und dass ist wichtig ist, dass man diese Straße in eine Frauenname umbenannt, das ist wichtig, weil ohne unsere Mütter und unsere Frauen hätten wir nie überlebt."
Direkt hinter der Lüderitzstraße ist ein Kleingartenverein beheimatet. "Dauerkleingartenverein Togo", lesen wir auf dem Schild. Früher hieß er "Dauerkolonie Togo", erst auf Druck der Geschichts-Aktivisten wurde er umbenannt.
Jedes Mal, wenn Israel Kaunatjike oder einer seiner Mitstreiter das Kleingartenidyll betreten, hisst einer der Gartenpächter eine Reichskriegsflagge.
"Reichskriegsflagge: ah, da ist sie! Ist ja nicht zu glauben."
Sie sieht ausgebleicht aus, als würde sie öfter dort hängen. Israel Kaunatjike ärgert sich.
"Das empfinden wir als Provokation gegenüber unserer Geschichte, was wir hier im Wedding machen. Viele von den Bürgern, die hier leben, die sind natürlich auch ein bisschen sauer, die müssen irgendwann ihre Adressen ändern, aber die haben überhaupt kein Verständnis für unsere Sachen, wenn wir sagen, Lüderitz war ein Verbrecher oder ein Betrüger, vielleicht sind die auch politisch auch anders Denkende, Menschen, die bisschen nationalistisch denken."
Herero wehrten sich gegen deutschen Kolonialisten
In Namibia hatten die deutschen Kolonialisten von Anfang an vor allem mit den Herero Probleme, sie beschwerten sich über ihren “mangelnden Untertanengeist”. Israel Kaunatjike ist selbst Herero, er wuchs bei seiner Großmutter auf dem Land auf, bis er zur Mutter nach Windhoek zog. Zwei seiner Großväter waren Deutsche, er weiß aber nichts über sie. Die Herero lebten traditionell vor allem von Rinderzucht. Als ein Großteil der Tiere 1897 nach einer Dürre und einer Rinderpest verendet war, drängten die deutschen Siedler wegen der hohen Fleischpreise auf den Markt.
"Dann haben die Hereros gesagt, wenn die Deutschen so weiter machen, das Land wegnehmen, dann haben wir nachher nichts, das heißt, wir müssen uns organisieren und einen Widerstand leisten."
1904 bliesen die Herero zum Aufstand, und es sah auch zunächst so aus, als ob ihr Befreiungskrieg Erfolg haben könnte, die deutschen Siedler waren völlig überrascht.
"Und dann war der Krieg so heftig, dass Deutschland einen General, Lothar von Trotha nach Namibia geschickt haben, der eine ganz harte Nuss war. Der auch einen Vernichtungsbefehl gegen das Hererovolk ausgeführt hat."
Die Herero wurden geschlagen, in die Wüste vertrieben, ohne Zugang zu Wasser, die Überlebenden in Konzentrationslager gesteckt.
"Das heißt, es sind tausende von Hereros umgekommen und darum fordern wir eine Entschuldigung. Für diesen Völkermord."
Bis 1911 kamen etwa 85.000 Herero und 10.000 Nama ums Leben. Das ist die Geschichte, für die die Lüderitzstraße steht und woran Israel Kaunatjike jedes Mal denkt, wenn er durch sie hindurch geht. Deutschland hat es im Gegensatz zu den Vereinten Nationen bisher vermieden, den Völkermord anzuerkennen.
Wir verlassen den Kleingartenverein wieder in Richtung Lüderitzstraße, ein junger Mann, ein Weißer mit einem braunen Staffordshire Bullterrier, kommt uns entgegen, der Kampfhund mit Stachel-Halsband. Die beiden biegen in die Kleingartenanlage ein, im Hintergrund die Reichskriegsflagge. Ich frage Israel Kaunatjike, warum ihm die Straßennamen so wichtig sind:
"Es hängt alles zusammen, Kolonialismus, Straßennamen... warum hat man hier keine Adolf-Hitler oder Hermann-Göring-Straße? Aber die Politik bewegt sich sehr, sehr langsam. So lange ich lebe, werde ich mich für diese Sachen einsetzen. Vielleicht noch meine Enkelkinder."
Und spätestens die sollen beim Spaziergang durch das afrikanische Viertel nicht mehr Straßenschilder lesen müssen, hinter denen sich die Schrecken der Kolonialzeit verbergen.