Haltung zeigen zum Islamismus
Nordrhein-Westfalen gilt als Hochburg des islamischen Extremismus: Rund 130 Islamisten von dort sollen in Syrien oder Irak kämpfen. Doch aus den Moscheegemeinden dringt dazu wenig an die Öffentlichkeit. Welche Haltung haben sie dazu - vor allem junge Muslime? Gibt es genug Präventionsarbeit?
Sie tragen karierte Hemden, Pullunder und Baseball-Kappen, oder auch Röhrenjeans und Kopftuch. Treffpunkt ist jeden Freitagabend in der türkischen Ditib-Moschee Leverkusen: Den muslimischen Jugendtreff hier gibt es seit über drei Jahren:
Bei mildem Herbstwetter sitzen Abdi, Uru und die anderen draußen, auf der von Grünzeug umrankten, viel bevölkerten Terrasse vor der Moschee. Auf dem Tisch Mineralwasser aus Plastikflaschen. Dass andere junge Muslime aus Deutschland für die Terrormiliz Islamischer Staat kämpfen wollen, schockiert sie. Selbst in Leverkusen gebe es zwei Verdachtsfälle:
"Da ist ein Bild in den Medien aufgetaucht, dass hier bei uns in der Moschee ein Dschihadist oder Salafist ein Bild gemacht hat und das in Facebook gepostet hat",
erzählt Uru, 26 Jahre alt und Informatik-Kaufmann.
"Natürlich ist das ein Riesenthema hier in unserer Gemeinde, und dass man indirekt in die Sache mit einbezogen wird, ist schon sehr ärgerlich."
Das ist für viele am Tisch noch milde ausgedrückt. Ständig werde man als junger Moslem in Deutschland mit diesen irren Extremisten in einen Topf geworfen, behauptet Abdi – nur weil man die gleiche Religion habe.
"Es wird Stimmung gemacht gegenüber den Muslimen, und wir kriegen Angst."
Kemal: "Was mich kränkt, ist, dass das Menschen sind, die wir nicht kennen, noch nie gesehen haben, und sofort es heißt, die ganzen Muslime sind schuld."
Kein klarer Standpunkt zum Umgang mit IS-Kämpfern
Die kleine Runde am Tisch, alle so zwischen 20 und 30 Jahre alt, gehört zur zweiten oder dritten Einwanderer-Generation und ist gut gebildet. Lächelnd, aber auch stolz bezeichnen sich die Deutsch-Türken als gebürtige Leverkusener. Doch eines unterscheidet sie von vielen nicht-muslimischen Jugendlichen in Deutschland: Glaube und Religion spielen in ihrem Alltag und für ihre Identität eine große Rolle. Umso wütender ist Lehramtsstudent Kemal, dass sich junge IS-Anhänger in Deutschland auf den Islam berufen:
"Es sind ja keine Muslime, denn im Koran steht ja, dass der Mensch, der eine Person tötet, das ist so, als wenn er die ganze Menschheit getötet hätte. Das heißt, wenn eine Person in den Krieg zieht und eine Person tötet, das spricht ja schon gegen den Koran, also kann es ja gar nicht der Islam sein."
Normalerweise reden sie über Religion, über Schwierigkeiten zuhause, oder sie treffen sich zum Spieleabend – über Politik aber, wird beim Leverkusener Jugendtreff nur selten gesprochen, obwohl die Debatte um junge Dschihadisten aus Deutschland so präsent ist. Abdi sieht dennoch keinen Grund, sich einzumischen, oder gar zu demonstrieren:
"Ich bin wirklich müde, mich als Muslim für Sachen zu entschuldigen, wofür ich nichts kann."
Das sei ein großes Missverständnis, sagt Eren Güvercin. Seit Jahren beobachtet der türkisch-stämmige Publizist die muslimische Community in Deutschland. Niemand müsse sich entschuldigen für die Islamistenszene, wohl aber eine Haltung zeigen:
"Ich habe in den letzten Wochen sehr viel die Reaktionen beobachten können, gerade bei jungen Muslimen, dass sie eigentlich die Schnauze voll haben von diesen ganzen Distanzierungs-Aufforderungen. Das stimmt auch zum Teil. Aber, ich glaube schon, dass wir als Muslime aufgefordert sind, uns zu positionieren. Das ist, glaube ich, der große Unterschied."
Auch Eren Güvercin sieht bei den muslimischen Verbänden und ihren Jugendorganisationen keinen klaren Standpunkt zum Umgang mit IS-Kämpfern aus Deutschland:
"Also die Moscheegemeinden, habe ich manchmal das Gefühl, reden das Problem eher klein, als dass man es wirklich ernst nimmt. Von einer Religionsgemeinschaft, wenn sie den Anspruch haben, Religionsgemeinschaft zu sein, erwarte ich auch eine inhaltliche Positionierung, und zwar aus dem Islam heraus. Was ist Dschihad? Was ist das Kalifat? Dieser Gedanke, dass man einen Staat islamisieren kann, das ist halt der Knackpunkt, wo viele Verbände Probleme haben, sich auch inhaltlich wirklich klar zu positionieren."
Es könnte mehr Präventionsarbeit sein
Bekir Alboga: "Ich bestreite diese Aussage."
So wehrt sich Bekir Alboga. Der Generalsekretär der Türkisch-Islamischen Union Ditib in Deutschland sieht die Medien stärker in der Pflicht:
"Ich würde einfach Sie bitten, unsere Pressemitteilungen sich anzuschauen, wie wir uns so deutlich von diesem Terrorismus distanziert haben, und zwar auch mit theologischen Begründungen."
Und wie steht es um die Präventionsarbeit in den Moscheen, damit junge Muslime gar nicht erst radikal werden? Da könnte ruhig noch ein wenig mehr aus den Gemeinden kommen, räumt der Ditib-Generalsekretär ein:
"Wir wissen, dass die meisten Jugendlichen, die missbraucht werden für diesen Terrorismus, sich vielleicht auch in einer Krisensituation befinden, und vielleicht nicht zu einem Beratungsgespräch zu einem Imam kommen. Vielleicht müssen wir ab jetzt noch mehr darauf achten, dass unsere Imame diese Einladungen noch öfters aussprechen."
Doch in vielen Moscheegemeinden herrscht Angst vor den Extremisten, und zugleich die Sorge, mit ihnen in einen Topf geworfen zu werden. Auch Resignation macht sich breit: Viele Jugendliche würden im Internet geködert – in den Moscheen könne man sie dann ohnehin nicht mehr erreichen, glaubt Uru, einer der jungen Türken vom Jugendtreff in Leverkusen:
"Die kommen in falsche Umkreise, so Pierre Vogel und so. Die kommen halt in diese Gemeinschaften rein, und dann werden die ganz anders aufgezogen, sage ich mal. Ich bin hier aufgewachsen und bin ein ganz normaler Mitbürger, und diese Leute, ich denke einfach, dass die sehr naiv sind, und ich habe da kein Verständnis für."