"Liu Xia mit großem Respekt Ruhe gönnen"
Nachdem sie seit Jahren in China unter Hausarrest stand, ist die Dichterin Liu Xia gestern in Berlin angekommen. Wie sich der deutsche PEN für die Witwe des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo eingesetzt hat, erklärt die Präsidentin Regula Venske.
Andrea Gerk: Es ist ein rührendes Bild. Strahlend und mit ausgebreiteten Armen steigt Liu Xia, die Witwe des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo, in Helsinki aus dem Flugzeug - vor ihrem Weiterflug nach Deutschland. Die Dichterin und Fotografin durfte China für eine medizinische Behandlung in Deutschland verlassen, so ist die offizielle Meldung zumindest, nachdem sie seit acht Jahren unter Hausarrest stand.
Der deutsche PEN hat sich stark für die Freilassung von Liu Xia eingesetzt. Und bei mir ist jetzt Regula Venske, die Präsidentin des deutschen PEN. Guten Morgen!
Regula Venske: Guten Morgen!
Gerk: Wie geht es denn Liu Xia? Wie ist ihr Zustand?
Venske: Von den Fotos her hofft man ja, dass es ihr jetzt doch bald besser gehen wird. In der letzten Zeit haben sich ja Freunde und Weggefährten und auch die Weltöffentlichkeit, kann man, glaube ich, schon sagen, große Sorgen um sie gemacht. Es gab Telefonate, in denen sie doch im Grunde schon sehr von Selbstmord gesprochen hat.
Gerk: Sie leidet unter schweren Depressionen.
Brutale Trennung von ihrem Mann
Venske: Sie hat schwere Depressionen aufgrund dieser schrecklichen Situation, in der sie seit acht Jahren, aber ja auch schon länger leben musste. Liu Xiaobo ist ja auch schon vorher im Lager gewesen, sie haben im Lager geheiratet. Das ist ja eine Ehe, die nur wenig glückliche Zeit gehabt hat, eine ganz kurze Zeitspanne, wo sie wirklich als ein Schriftstellerehepaar zusammen haben leben können. Sonst sind sie ja über viele, viele Jahre unter brutalen Umständen getrennt gewesen.
Ich hoffe sehr, dass sie jetzt wirklich zur Ruhe kommt und auch ein bisschen – Heilung ist vielleicht beinahe zu viel gewünscht, das kann man vermutlich bei so einer Lebensgeschichte nicht – aber doch Linderung auch der Trauer, die sie ja empfindet auch um den Verlust ihres Mannes, hier findet.
Gerk: Was denken Sie denn, was jetzt dazu geführt hat, dass sie freigelassen wurde? Könnte das auch mit den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen zusammenhängen oder was war da los?
Venske: Die Nähe eines solchen Zeitpunkts lässt das natürlich vermuten. Ich kann nur sagen, dass sich schon seit langer Zeit wirklich unsere Bundesregierung auch auf hoher Ebene für sie eingesetzt hat. Und wir haben schon zu verschiedenen anderen Zeitpunkten im Lauf des vergangenen Jahres gehofft, dass die Ausreise kurz bevorstünde. Das war schon mal Anfang des Jahres, und das war auch im April, nachdem sie ja eine Weile incommunicado gehalten worden war während der Kongresse.
Das waren dann ja immer so Situationen, wo sie quasi in den Zwangsurlaub geschickt wurde, und auch die Freude, die sie sonst manchmal telefonisch erreichten, nicht mehr erreichen konnten. Und da hatten wir auch schon einmal die Hoffnung.
Ich hatte ihr im März einen Brief geschrieben, der über die Präsidentin des unabhängigen chinesischen PEN-Zentrums, Tienchi Martin-Liao, die in Deutschland lebt, ihr dann telefonisch auch vorgelesen und übersetzt worden ist. Und da hatte ich schon die Hoffnung ausgedrückt, dass wir uns eines nicht allzu fernen Tages auch persönlich kennenlernen würden. Und ich hoffe, dass so ein bisschen solche Signale weltweit, natürlich von anderen Leuten noch viel mehr, ihr auch immer wieder ein bisschen Trost gegeben haben, sodass sie durchgehalten hat.
Vor allen Dingen finde ich aber, dass man doch sagen muss, dass sich da das Auswärtige Amt, aber auch die Kanzlerin selbst, ich denke schon, auch aus einem Anliegen für die Menschenrechte heraus, eingesetzt haben. Gut, dass es dann Deals gibt auf anderen Ebenen, davon wird man wohl ausgehen müssen. Aber die hätte es auch sonst gegeben.
Gerk: Es gibt ja aber offenbar auch eine enge Verbindung zum deutschen PEN. Sie war ja auch, glaube ich, Ehrenmitglied. Wie kommt das?
Venske: Ja, wir haben sie voriges Jahr zum Ehrenmitglied ernannt. Liu Xiaobo war schon länger Ehrenmitglied. Das heißt dann ja auch, alles, was diesen Menschen widerfährt, das geschieht einem Mitglied des Deutschen PEN. Das ist auch sozusagen mit ein Instrument, um Öffentlichkeit zu schaffen und auch sich wirklich an die Seite solidarisch zu stellen.
Liu Xiaobo war ja Hermann-Kesten-Preisträger im Jahr 2010, und die damals Verantwortlichen im PEN-Präsidium haben diese Wahl getroffen oder in der Jury dann, noch bevor der Friedensnobelpreis bekannt gegeben wurde. Darauf sind wir sehr stolz, dass wir mit unserem Preis eher da waren. Aber wie in Oslo auch war der Stuhl leer, auf dem er hätte sitzen sollen.
Und das ist seit vielen Jahren ein kontinuierliches Engagement gewesen, das wir dann im Präsidium, seit Josef Haslinger Präsident wurde und ich Generalsekretärin, 2013, natürlich sehr gern fortgesetzt haben.
"Öffentlichkeit erzeugen"
Gerk: Wie geht denn überhaupt der PEN da vor in so einem Fall? Was machen Sie da genau, was können Sie überhaupt machen?
Venske: Es sind unterschiedliche Dinge. Ganz wichtig ist, Öffentlichkeit zu erzeugen. Ich denke, das spielt schon eine Rolle, einerseits im Hinblick auf den Druck, den man gegenüber den Regierungen ausüben kann, dass jemand nicht vergessen ist. Aber auch für die Beteiligten selbst, das kriegen wir auch immer wieder als Rückmeldung, wie wichtig das oft fürs eigene Überleben ist, zu wissen, man ist im Gefängnis oder man lebt unter schrecklichen Bedingungen, aber man ist nicht vergessen. Und da gibt es Menschen weltweit, die sich für einen einsetzen.
Das sind ja auch Bindungen im Grunde, die da entstehen. Empathie, Interesse aufgrund der Veröffentlichungen – sie ist ja eben auch selber Dichterin und Fotografin, wie Sie ja auch sagten. Also das ist wichtig.
Dann schreiben wir aber natürlich auch an die Staatspräsidenten, also an den chinesischen Präsidenten hat es schon Briefe, auch offene Briefe gegeben. Und man macht Veranstaltungen. Es gab ja auch hier in Berlin vom Literaturfestival dies "Worldwide reading", wo man dann Texte von Liu Xiaobo gelesen hat. Also Öffentlichkeit, versuchen, Druck zu erzeugen, manchmal aber auch wieder mit der Öffentlichkeit zurückzuhalten, um die Gespräche, die im Hintergrund auf diplomatischer Ebene laufen, nicht zu gefährden, das gehört dann auch dazu. Deshalb ist dann auch ein Kontakt mit den Akteuren dort wichtig, damit man dann in gewissen Fällen auch mal sagt, okay, wir verzichten jetzt auf diesen öffentlichen Rabatz, weil das dann vielleicht sogar eher auch mal schaden kann. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten.
Es gab immer noch die Überlegung, ob man mal nach China fährt und da versucht, sie aufzusuchen. Das ist aus verschiedenen Gründen und auch realistischen Überlegungen dann wieder beiseite gestellt worden.
"Schwarze Milch der Frühe"
Gerk: Aber ich nehme an, dass Sie auch jetzt sich, wenn sie dann hier in Berlin ist, sicher auch um sie kümmern werden.
Venske: Jetzt ist erst mal das Auswärtige Amt da federführend, und die haben das Ganze auch erst mal jetzt versucht, low key zu halten, weil natürlich auch die Journalisten Schlange stehen sicher, und alle wollen Interviews mit ihr haben. Ich hoffe natürlich, dass wir uns eines Tages dann auch persönlich begegnen.
Aber ich würde jetzt erst mal mit großem Respekt ihr die Ruhe gönnen, die sie vermutlich braucht. Und sie hat ja hier Freunde und Weggefährten, chinesische Weggefährten, Liao Yiwu, der ja auch mit ihr telefoniert hat und viel darüber geschrieben hat.
Herta Müller hat ihre Gedichte wunderbar nachgedichtet. Da haben wir mal vom deutschen PEN eine schöne Veranstaltung gehabt, da hat Herta Müller eben die Gedichte gelesen. Und ein Gedicht von Liu Xia hatte einen Rhythmus wie Paul Celans "Todesfuge", und Herta Müller erzählte, sie hat sich noch mehrfach bei der Übersetzerin aus dem Chinesischen vergewissert, dass sie das jetzt nicht falsch interpretiert. Es war dann doch die Empfindung, dass es offenbar existenzielle Erfahrungen gibt im Leben, auch die Monotonie, die Wiederholung, also wie bei Celan, "Schwarze Milch der Frühe, wir trinken sie morgens, wir trinken sie mittags, wir trinken sie abends."
Und so ähnlich war das auch in dem Gedicht von Liu Xia, im Rhythmus. Menschliche existenzielle Erfahrung, die dann auch zu einem ähnlichen Sprachrhythmus in ganz unterschiedlichen Sprachen führt. Das war sehr faszinierend, Herta Müller da zuzuhören. Da gibt es jetzt doch einige Menschen auch hier in Berlin, die schon sehr involviert sein werden.
Gerk: Regula Venske, die Präsidentin des deutschen PEN, vielen Dank, dass Sie hier bei uns waren!
Venske: Gern, danke für die Einladung!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.