Deutsche Regionalkrimis auf Weltniveau

Welcome to Hindafing

05:58 Minuten
Der korrupte Politiker Zischl ist auf dem Bild hinter seinem Schreibtisch sitzend zu sehen, während er ein unmoralisches Angebot bekommt. Filmstill aus der Serie "Hindafing".
Maximilian Brückner spielt den korrupten Politiker Alfons Zischl: Sein alter Rivale Karli Spitz, gespielt von Heinz Josef Braun, ist Bürgermeister.. © NEUESUPER / Arvid Uhlig / BR
Von Anna Wollner |
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Das deutsche „Fargo“ mit Spuren von „Breaking Bad“ und „House of Cards“ – so haben viele die erste Staffel der BR-Serie „Hindafing“ beschrieben. Im Mittelpunkt: der unfähige, korrupte, koksende Landtagsabgeordnete Alfons Zischl. Nun folgt Staffel 2.
"Ich schwöre, dass ich meine ganze Kraft dem Erfolg des Freistaates Bayern widme und mein Amt unparteiisch, gewissenhaft und unbestechlich getreu der Verfassung und den Gesetzen zum Wohle des Volkes führen werde."
Hochgefallen ohne wesentliche Verluste. Das trifft die Karriere des Ex-Bürgermeisters aus Hindafing und Neu-Landtagsabgeordneten Alfons Zischl wohl am besten. Sein Vorgänger im Landtag ist wegen des Besitzes von Kinderpornographie verhaftet worden, Zischl als Nachrücker muss sich aber an den rauen Ton in der Machtzentrale noch gewöhnen – auch wenn klar ist, dass die Interessen für ihn die gleichen geblieben sind: Geklüngel mit den Kumpels vom Dorf, allen voran dem Wurstfabrikanten Goldhammer und dessen Versuch, dank Globalisierung den chinesischen Leberwurstmarkt umzukrempeln und eine Wurstfabrik am Rande des Naturschutzgebietes zu bauen. Doch die Uhren im Landtag ticken etwas schneller als in der bayrischen Provinz.

Digitalisierung, Hightech, Twitterthemen

"Herr Zischl, Sie sind ein Kämpfer. Das gefällt mir. Wenn es nach mir geht, können wir das ganze Naturschutzgebiet zubetonieren. Aber die Frau Ministerpräsidentin interessiert sich einfach nicht für Ihre Wurstwirtschaft. Barbara Obereder steht für Zukunftsthemen. Digitalisierung, Hightech, Internet. Twitterthemen. Sie müssen noch lernen, woher der Wind weht. Und wenn er sich dreht, Zischl, dann müssen Sie sich mitdrehen."
Wenn Zischl eines kann, dann ist es sich Drehen und Wenden. Egal ob um 90, 180 oder 360 Grad. Immerhin hat er Großes vor, will es mindestens bis zum Staatssekretär schaffen, Punkte sammeln bei der Ministerpräsidentin und schwenkt um auf die Förderung eines maroden Rüstungsunternehmens in der Region, das ausgerechnet Schrottwaffen an die Bundeswehr verkauft hat.
"War das jetzt ein friendly fire in Afghanistan? Hab ich 10 Millionen in Schrott investiert. Schauen sie halt selber. Schießt das für sie ungenau? Mitten ins Schwarze."

Satire mit Rundumschlag

Die Serienmacher um Boris Kunz, Niklas Hoffmann und Rafael Parente holen mit ihrer Satire zum Rundumschlag aus. Es geht um einen Jagdunfall und ein vermeintliches Attentat auf die Ministerpräsidentin; um illegale Waffengeschäfte mit Rumänien und dem Vatikan, die Angst vor Überfremdung; das Ausleben von Radikalen – egal ob linksextrem mit der RAF oder der Rückkehr eines deutschen Schläfers aus Afghanistan, der bei der Bundeswehr untertauchen will und in seiner Naivität bei der Reichswehr landet; und um die Absurditäten des deutschen Wohnungsmarktes.
Zischls hochschwangere Frau hat ihn betrogen, er selbst hat sich eine Krebserkrankung ausgedacht – in Hindafing gibt es eben nichts, was es nicht gibt. Und das ist fulminant provinziell.
Maximilian Brückner als Alfons Zischl spielt das alles absolut schmerzfrei, aus dem Bauch heraus. Zwei Staffeln lang hatte er jetzt Zeit, die Figur aktiv mitzugestalten. Mit allen Ecken und Kanten – und genau die genießt er in seinem Spiel. Die Kamera ist immer eng an ihm dran, jederzeit bereit ihn und seine Eitelkeiten zu entlarven.

Die Provinz im Fernsehen

Hanebüchen ist das Wort, was "Hindafing" wohl am besten beschreibt. Aber in der absoluten Übertreibung liegt die Stärke dieser bissigen Politsatire – die immer wieder, so scheint es, von der Realität eingeholt wurde.
Für die bayrische Provinz ist das alles ziemlich viel. Aber die Provinz bekommt im deutschen Fernsehen eben oft ihr Fett weg. Denn genauso fiktiv wie der Ort "Hindafing" ist, ist auch der Ort "Hengasch, Kreis Liebernich, Eifel" in der ARD-Serie "Mord mit Aussicht".
Hier ist es eine Kölner Kommissarin, die nicht nach oben, sondern nach unten fällt, strafversetzt wird aufs Dorf und hinter jeder Gartenhecke einen Mord wittert.

"Mord mit Aussicht" erfreut sich großer Beliebtheit

"Mord mit Aussicht", alle drei Staffeln sind auf Netflix verfügbar, ist nicht ganz so böse wie "Hindafing", dafür aber liebenswert schrullig, vor allem durch die Charaktere wie die beiden Dorfpolizisten Bärbel Schmied und Dietmar Schäffer, gespielt von Bjarne Mädel und den Verschrobenheiten der westdeutschen Provinz. Lokalkolorit, Slapstick, Running Gags und Komik in Zeitlupe.
So unterschiedlich die beiden Serien sind, fürs deutsche Fernsehen sind beide innovativ. Denn gerade Leute wie Zischl bringen es weit. Gedankenspiele für eine dritte Staffel auf Bundesebene sind zwar noch Zukunftsmusik, aber ein Kanzlerkandidat oder ein Europaparlamentsabgeordneter Alfons Zischl wäre gar nicht so abwegig.
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