Deutsche Rufe - Teil 9

"Schwerter zu Pflugscharen"

Schwerter zu Pflugscharen
Das "Schwerter zu Pflugscharen“-Plakat an der Mauer des Greifswalder Doms: Es hängt dort bis heute. © Deutschlandradio / Thilo Schmidt
Von Thilo Schmidt |
Auf dem Kirchentag in Wittenberg 1983 lässt Pfarrer Friedrich Schorlemmer ein Schwert in eine Pflugschar umschmieden. Das hat Folgen. - "Schwerter zu Pflugscharen", das war der Leitspruch der ostdeutschen, später auch der westdeutschen Friedensbewegung.
Kapitel eins: Micha 4, Vers 3
Hellmuth Frauendorfer: "Die Machthaber in der DDR empfanden diesen Spruch als so gefährlich eben weil er so seicht daherkommt. Dieser Spruch bot jetzt nicht so vordergründig Angriffsfläche. Und deswegen war er subversiver als so mancher anderer. Und deswegen haben die ihn so gefürchtet."
Christa Brandt: "Gesagt wurde ja immer, wir sind für den Frieden. Wer ist nicht für den Frieden, ne? Aber ebend nach sozialistischen Regeln und nicht nach christlichen Regeln."
Es ist ein "bewaffneter Frieden“ in der DDR, dem "Land des Friedens“. Die Hochrüstung der Blöcke erreicht ihren Höhepunkt. Und Friedensaktivisten, die einen Aufnäher mit dem Ruf "Schwerter zu Pflugscharen“ tragen, gelten als "feindlich-negative Kräfte“.
"Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Kein Volk wird gegen das andere das Schwert erheben, und sie werden fortan nicht mehr lernen, Krieg zu führen.“
1958 erschafft der sowjetische Bildhauer Jewgeni Wutschetitsch für die Tretjakow-Galerie in Moskau eine Skulptur: Ein kräftiger Mann, der ein Schwert zu einer Pflugschar umschmiedet. Ein Jahr später lässt Chruschtschow eine Kopie anfertigen und schenkt sie den Vereinten Nationen. Vor deren Hauptgebäude in New York steht sie bis heute. Es ist ein Symbol des Friedens – und nicht des Ostens oder des Westens.
Harald Bretschneider: "Dieses Denkmal ist erstaunlicherweise zu DDR-Zeiten nicht besonders beachtet worden, und Ende der 70er Jahre war dann die zunehmende Miltarisierung in der DDR in einer solchen Weise aktuell, dass es spürbar war, dass junge Menschen sich ängstigten, dass sie die Soldaten sein könnten, die mit dem Leben bezahlen, wenn es zum Ernstfall kommt."
In der DDR taucht der Ruf auf, lange bevor er zum Leitsatz der unabhängigen Friedensbewegung wurde. Im uckermärkischen Gramzow ließ ihn der Pfarrer und Superintendent Curd-Jürgen Heinemann-Grüder auf den Gedenkstein der Gefallenengräber meißeln.
Rosemarie Lutz: "Er hat überall Friedensgespräche geführt. Das war ihm wichtig. Mit Polen, hier, Verbindung mit Israel, und er hat sehr viele Leute auch hier nach Gramzow geholt, zu Vorträgen, das war doch immer sehr interessant. Und alles nur für Versöhnung. Frieden. Das war sein Thema."
Rosemarie Lutz kennt Pfarrer Heinemann-Grüder noch aus eigenem Erleben. Die 91-Jährige erinnert sich auch daran, dass er die Tafeln mit den Namen der Kriegsgefallenen des ersten Weltkriegs aus der Kirche schaffen ließ.
Rosemarie Lutz: "Wir hatten in der Kirche solche Tafeln hängen mit den Namen allen. Und da haben wir viele Sitzungen gehabt, dass die wegkommen, aus der Kirche. Also das waren die "Helden“, nicht, das hat er ja immer gesagt, in der Kirche diese militärischen Helden, die brauchen wir da nicht. In der Kirche ist das Kreuz. Die Tafeln sind dann rausgekommen. Er wollte uns überzeugen, alle überzeugen. In der Kirche hier ist der Frieden angesagt, und nicht hier diese militärischen Helden. Die brauchen wir da nicht."
Hochrüstung lässt die Friedensbewegung erstarken
Heinemann-Grüder zieht die Pfarrer aus der Region auf seine Seite, seine Gottesdienste werden von Jugendlichen besucht. Er gerät ins Visier der Staatssicherheit. Die Gramzowerin Christa Brandt.
Christa Brandt: "Und vor allem haben sie ja immer, weil er ja wirklich für den Frieden war, die Befürchtung, wenn da immer so viele junge Leute hingehen, die wollen dann alle kein Soldat mehr werden. Sondern, wie wir hier früher immer gesagt haben, in der DDR, Bausoldaten. Die haben denn die Waffe abgelehnt, aber denn mussten sie auch bestimmte Gründe hinlegen, dass sie gesagt haben, aus diesen edlen Gründen will ich keine Waffe nehmen, und Bausoldaten war denn so, die sind dann zu ner Truppe gekommen, will mal sagen, die haben dann die Wiese trockengelegt oder solche Scherze."
In beiden Teilen Deutschlands lässt die Hochrüstung die Friedensbewegung erstarken. In Dresden wählt der sächsische Landesjugendpfarrer Harald Bretschneider die Losung "Schwerter zu Pflugscharen“ als Motto für die Friedensdekade, die vom 9. bis zum 19. November 1980 stattfinden soll.
Im Gespräch mit Freunden und nach langen Überlegungen, Auseinandersetzungen mit den Bibelworten, kam ich zu der Entscheidung, dieses russische Denkmal, was sozusagen im Osten, in der Tretjakow-Galerie stand, und was Chruschtschow nach dem Westen verschenkt hatte, also nicht einseitig war, dieses russische Denkmal muss das Zeichen sein, unter dem wir eine Friedensarbeit, eine Friedensbewegung gestalten.
Die Kirchen wollen die jungen Teilnehmer ermutigen, über eine Verweigerung des Wehrdienstes nachzudenken. Bretschneider stellt Arbeitsmaterialien für die zehntägige Dekade zusammen, und lässt ein Lesezeichen entwerfen. Darauf abgebildet: Die Skulptur Wutschetitschs, darauf geschrieben: "Schwerter zu Pflugscharen".
Harald Bretschneider: "Und da war die nächste Idee, die mir der liebe Gott geschenkt hat, ich war früher mal Dorfpfarrer in der Nähe von Herrnhut, und wusste, dass der Vliesdruck Textiloberflächenveredlung ist, und keiner Druckgenehmigung bedarf. Weil damit in Herrnhut immer bloß Weihnachtsdeckchen und Jahreslosungen gedruckt worden sind."
Für eine Landeskirche, erst recht für einen Jugendpfarrer, ist jedoch ein solches Unterfangen eine Nummer zu groß. Die Friedensdekade richtet Bretschneider zusammen mit allen anderen Landesjugendpfarrern aus.
Harald Bretschneider: "Und daraufhin bin ich also im September zu Manfred Stolpe gefahren, dem damaligen Sekretär der Konferenz der Kirchenleitungen, und Manfred Stolpe hat sich das Arbeitsmaterial durchgelesen, ich hab ihm die Geschichte erzählt, und dann hat er gesagt: Hier hast du meine Unterschrift, mach los! Und dann bin ich also mit der Reinzeichnung nach Herrnhuth gefahren, und wir haben dieses Lesezeichen 100.000 mal drucken lassen, so dass es von Rostock bis nach Suhl in allen Landeskirchen dieses Material, eine Materialmappe und dieses Lesezeichen gegeben hat."
Kapitel zwei: Ein Ruf macht die Runde
Harald Bretschneider: "Und nun passierte im Prinzip das Erstaunliche: Die Jugendlichen sind ja immer pfiffig. Und sie haben sich dieses Lesezeichen in die Schulbücher gelegt, und die Lehrer haben drauf gestarrt und wussten nicht so richtig, wie sie sich dazu verhalten sollten, und dann haben sie in der Vitrine ihrer Großmütter eine eigene Bibel mal versucht zu kriegen um mal nachzulesen, ob denn das stimmt, Jesaja 2, 4 und Micha 4,3 und sie mussten feststellen, ja, das stimmt. Und dann ist in den Schulstunden tatsächlich über dieses Lesezeichen diskutiert worden."
Auch Jugendliche ohne Bezug zur Kirche interessieren sich für die biblische Prophezeihung.
Harald Bretschneider: "Dieses Zeichen, das sah ich, haben Jugendliche nicht nur in die Schulbücher gelegt, sondern sie haben das hier oben abgeschnitten und haben das auf ihre Parka genäht. Und insofern habe ich die Idee gehabt, dann müssen wir das jetzt als Aufnäher, und nicht bloß als Lesezeichen gestalten."
Ein roter Kreis, darin kreisförmig geschrieben: „Schwerter zu Pflugscharen, in der Mitte in blau die Skulptur Wutschetitschs. Die Aufnäher werden für die zweite Friedensdekade 1981 zweihunderdtausendfach auf Vliesstoff gedruckt. Und sie werden zum dem Symbol der Friedensbewegung. Jugendliche in der ganzen DDR tragen die Aufnäher auf ihren Parkas.
Harald Bretschneider: "Und dann begann etwas, das eigentlich nicht erklärbar gewesen ist: Die DDR hätte eigentlich sagen müssen: Hier hat die Kirche uns etwas vorgemacht, wir drucken das nach, und damit wäre das überhaupt nicht so explodiert. Aber: Der Herr Mielke hat eine Verordnung erlassen, dass diese pazifistischen Zeichen aus der Öffentlichkeit der Schule und der Straßen verschwinden müssen. Und da begann die große Jagd der Lehrer in den Schulen und der Polizisten auf den Straßen auf dieses Zeichen. Und wer das trug und gesehen wurde, der wurde gedrängt, und bedrängt, dass es abgemacht wurde."
Die Staatssicherheit notiert im März 1982:
"Am 16.03.82, gegen 18:00 stellten Angehörige der Volkspolizei in Berlin Prenzlauer Berg, Schönhauser Allee, eine Schülerin (16), nicht vorbestraft, fest, welche ein Abzeichen mit pazifistischem Inhalt trug. Das Abzeichen wurde eingezogen. Anzeige gefertigt. Bearbeitung Abt. K des Präsidiums der Volkspolizei.
Maßnahmen: Zentraler Operativstab informiert. Fernschreiben an Hauptabteilung Sieben."
Schüler durften die Schulen so lange nicht mehr betreten, bis sie die Aufnäher abtrennten. Über eine Schülerin der Erweiterten Oberschule in Berlin Köpenick, die sich weigerte, den Aufnäher abzulegen, schreibt ein Informant der Staatssicherheit.
"Inoffiziell wurde bekannt, dass die Direktorin die erforderlichen Maßnahmen einleiten wird und ensprechend dem Vorschlag der FDJ-Leitung der Schule die Delegierung der Schülerin (pieeeeps) in die Abiturstufe zurückzuziehen.“
Harald Bretschneider: "Also sie müssen wissen: Diese Jugendliche haben dieses Zeichen, Schwerter zu Pflugscharen, wirklich als Friedenszeugnis so ins Gespräch gebracht, dass Menschen in den Schulen und auf den Straßen zu sprechen begannen. Und sie haben dann, als es soweit war, Bereitschaft gezeigt, dafür zu leiden. Also einer hat das in eine Hauswand in Magdeburg gesprüht, der ist über ein Jahr ins Gefängnis nach Cottbus gekommen."
Kapitel drei: Wenn wir umsetzen die Worte in Taten ...
Lutherstadt Wittenberg, 1983. Evangelischer Kirchentag.
Auf dem Lutherhof spricht Friedrich Schorlemmer zu 2000 Kirchentagsgästen:
" … können wir auch verzichten auf das geschundene Wort Frieden."
Der örtliche Schmied Stefan Nau wird an diesem Abend ein Schwert zu einer Pflugschar umschmieden. Organisiert wird die Aktion vom Wittenberger Friedenskreis um Pfarrer Friedrich Schorlemmer, damals Dozent am Wittenberger Predigerseminar.
Friedemann Ehrig: "Friedrich Schorlemmer hat diese Veranstaltung kurzfristig organisiert mit den Leuten, die da waren. Der ganze Hof war nach meiner Erinnerung voll, zugebracht mit Gesang und Texten, die vorgelesen wurden, und die Südwand des Augusteums war angestrahlt mit farbigen Dias, aus der Hausmeisterwohnung des Predigerseminars wurden Schmalzschnitten und Gurken und Tee rausgereicht für die vielen Leute."
Ein Fernsehteam aus dem Westen um den Journalisten Peter Wensierski baut seine Kamera auf. Der Schmied Stefan Nau baut seine Schmiede auf.
Friedemann Ehrig: "Das war eine kleine Feldschmiede und ein transportabler Amboss, und er stand in der Nähe des Weges, da vorne bei dem Brunnen, und hier, wo wir jetzt stehen, vor dem Lutherhaus, war eine kleine Bühne improvisiert, wo die Musiker Platz genommen hatten, und haben also da den Hof erfüllt mit ihrer Musik. Es war eine wunderbare Stimmung. Es war geradezu paradiesisch."
Die Aktion überrascht selbst die Staatssicherheit. Von den Vorbereitungen hat sie nichts mitbekommen – selbst aus dem Friedenskreis um Friedrich Schorlemmer waren nur wenige eingeweiht.
Friedemann Ehrig: "Ich bin, ich muss ihnen das sagen, seit heute morgen, zuversichtlich. Die Leute, die ich heute früh gesehen habe, das waren nicht mehr die Bürger, die ich jeden Tag erlebe. Die kamen leichtfüßiger, die kamen fröhlicher, die kamen wie zu einem Fest. Es war ein außerordentlicher Tag. Auch gestern, diese Jugend! Die man meint, immer mit so viel Sicherheit begleiten zu müssen! Wie die sich an diesem Abend verhalten hat, an dem wir ein Schwert umgeschmiedet haben, und wo die Emotionen hochgingen, aber nichts geschah, was irgendwie die Polizei hätte interessieren müssen!"
Kapitel vier: Und immer noch Fragen
Stefan Nau erhält nach dem Umschmieden des Schwerts immer weniger Aufträge. Schließlich bleiben sie ganz aus. Er entschließt sich, mit seiner Familie einen Ausreiseantrag zu stellen. 2001 besucht ihn Hellmuth Frauendorfer, damals Fernsehjournalist des Mitteldeutschen Rundfunks, in seiner neuen Heimat im Schwarzwald.
Hellmuth Frauendorfer: "Er ist ziemlich naiv daran gegangen. Diesen Eindruck hatte ich, nach vielen Gesprächen, die ich mit ihm geführt hatte. Er hatte ja auch nicht gedacht, dass dann plötzlich zweitausend Menschen hier sind und ihm zuschauen. Und er sagte mir, das sei sein langsamstes Schmieden, dass er je gemacht hat, gewesen, weil er eineinhalb Stunden da herumgeschmiedet hat, damit alle das sehen können. Und er hatte in keiner Weise daran gedacht, dass dort auch unter den Mitgliedern dieses Friedenskreises Stasi-Spitzel sein könnten. Im Gespräch mit mir hat er die Vermutung geäußert, dass praktisch in den wirschaftlichen Ruin getrieben wird."
Der Wittenberger Friedenskreis soll Nau dazu gedrängt haben, seinen Ausreiseantrag zurückzuziehen.
Hellmuth Frauendorfer: "Er hat darunter gelitten. Und zwar weil er mit der Antragstellung auf Ausreise von den Mitgliedern des Friedenskreises in Wittenberg als Verräter bezeichnet worden ist. Das hat ihn beschäftigt. Wir haben mehrere Tage mit ihm gedreht, und egal, worum es ging: Darauf kam er immer wieder zurück."
Stefan Nau kann keine Auskunft mehr geben, er ist vor einigen Jahren gestorben. Im Gespräch mit Hellmuth Frauendorfer Stefan Nau im Jahr 2001:
"Ja, die Situation war so, uns wurde nahegelegt, also von Seiten des Kirchenkreises, und da wir dann aber auf unserem Standpunkt bestanden, wurde uns dann erklärt, dass wir da nicht mehr erwünscht sind, in diesem Kreis, und dann haben wir das natürlich akzeptiert, wobei ich natürlich was anderes verstanden habe unter christlicher Beziehung, Nächstenliebe, hab' ich anders verstanden … - und dann mussten wir uns halt alleine bis zu unserer Ausreise durchkämpfen."
Friedrich Schorlemmer will sich – aus Zeitgründen – nicht dazu äußern.
Friedemann Ehrig: " Es hat uns alle traurig gemacht, dass er meinte ausreisen zu müssen. Weil es die eigentliche Aktion im Nachhinein diskreditiert hätte können. Mir hat das leidgetan. Weil es eigentlich ja unser Anliegen war, das Land in dem wir lebten zu verändern, und zu demokratisieren, und nicht es alleinzulassen."
Hellmuth Frauendorfer: "Er war ja auch mit Herz und Seele Schmied. Er hat ja auch Kunstobjekte geschmiedet. Er war jetzt nicht irgendeiner, der nur die Hufe für die Pferde gemacht hat. Das war eine Identität. Und die wurde ihm weggenommen. Und dann war mehr noch als die Repressionen, die er erleiden musste, das Enttäuschende, dass die Friedensbewegung ihn ausgeschlossen hatte."
Schwerter zu Pflugscharen! Das biblische Wort, die Losung der unabhängigen Friedensbewegung in der DDR, wird von der Friedensbewegung in Westdeutschland übernommen. Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges wird sie zum gesamt-deutschen Ruf. Bei den Montagsdemonstrationen im Herbst 1989 ist sie einer der ersten Rufe auf den Transparenten.
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