Deutsche Verhältnisse nach 1945
Der britische Historiker Frederick Taylor ist mit Büchern über die Berliner Mauer und die Bombardierung Dresdens bekannt geworden. Nun befasst er sich in seinem aktuellen Buch detailfreudig mit Deutschland von 1944 bis 1946: mit der Umformung Deutschlands.
"Deutschland wird nicht besetzt zum Zwecke seiner Befreiung, sondern als ein besiegter Feindstaat."
Nach sechs Jahren Krieg hassten die Alliierten Deutschland, und das hieß für wohl die meisten: Sie hassten nicht allein Hitler und die Spitzen von Partei, Staat, Wehrmacht. Einem britischen Offizier kam das Land vor wie Transsylvanien. War nicht vom versinkenden Regime der Werwolf beschworen worden? Hatten nicht die Alliierten das Recht, sich wie in einem Horrorfilm zu fühlen? Der britische Historiker Frederick Taylor - er ist mit Büchern über die Berliner Mauer und die Bombardierung Dresdens bekannt geworden - befasst sich in seiner jüngsten Arbeit mit Deutschland 1944 bis 46: "Zwischen Krieg und Frieden".
Es beginnt mit dem Überschreiten der deutschen Grenzen durch die alliierten Truppen und endet mit der Stuttgarter Rede des amerikanischen Außenminister Byrnes im Herbst 46. Die Rede wollte den Deutschen Hoffnung auf eine bessere Zukunft machen, sie löste geradezu Begeisterung aus. Es ist ein den Deutschen gegenüber eigentümlich verständnisvolles Buch. Natürlich werden ihre Verbrechen nicht verschwiegen. Geht es um den Hunger der Nachkriegsjahre, so kommt die Rede auf die Hungerpolitik des Reiches in den besetzten Gebieten während des Krieges. Sie zielte auf Völkermord, der Unterschied zu den Verhältnissen nach 45 liegt auf der Hand.
Und doch hat der Autor Mitgefühl mit den Deutschen. Er beschreibt die Leiden in den Ostgebieten, die Brutalitäten der Roten Armee (und auch den Respekt vieler Rotarmisten vor dem besiegten Gegner), die Plünderungen und Vergewaltigungen. Dies aber nicht, ohne einen jungen deutschen Soldaten zu zitieren:
"Was müssen wir eigentlich auf der anderen Seite angerichtet haben, dass viele russische Soldaten so bestialisch gewütet haben?"
Die Vertreibungen schildert er in ihren Schrecken, die Gräuel im Sudetenland nennt er "unvorstellbar". Tschechische Soldaten zwangen deutsche Männer, eine Grube auszuheben und sich davor aufzustellen; dann wurden die Männer erschossen und Kalk über ihre Leichname gestreut. Eine deutsche Zeugin erzählte:
"Als ich das gesehen habe, habe ich sehr geweint. Eine Frau sagte mir dann, dass ich nicht zu weinen brauchte, denn das hätten die Deutschen auch mit den Juden gemacht."
Es sind nur gut zwei Jahre, von denen das Buch handelt und doch ist es ein riesiger Stoff. Das liegt auch daran, dass jeder der Alliierten bald nach der deutschen Kapitulation seine sehr eigene Politik trieb. Die Sowjetunion ging nach einem klaren Plan zu Werke, sie verfügte auch über das geeignete Personal: Deutsche Kommunisten, die ins Moskauer Exil gegangen und auf Linie waren. Die Westmächte wussten sehr viel weniger, was sie wollten. Die Amerikaner zeichneten sich durch einen gewissen Idealismus aus, so waren sie in der Entnazifizierung und der Behandlung der Kriegsgefangenen zunächst strikt.
Die Briten waren laxer, pragmatischer, vielleicht auch zynischer. Frankreich, das die deutsche Besatzung hatte erdulden müssen, übte zunächst seine Macht streng aus, wollte Deutschland dauerhaft geteilt sehen, konnte sich damit aber bekanntlich nicht durchsetzen. Besonders interessiert den Autor die Entnazifizierung. Mit Elan begonnen, geriet sie bald ins Stocken. In Nordrhein-Westfalen waren es zuletzt ganze 90 Deutsche, in die in die ersten zwei Belastungsklassen sortiert wurden, der Rest galt als "Minderbelastete", "Mitläufer" oder "Entlastete". So lächerlich die Zahl ist, Taylor beschreibt mit großer Anschaulichkeit, woran eine moralisch konsequente Politik scheiterte. Man brauchte einfach die Fachleute. Der Ruhrbergbau war zunächst scharf entnazifiziert worden.
Aber Produktivität und Sicherheit litten. In Bergkamen/Unna kam es 1946 zum schlimmsten Grubenunglück der deutschen Geschichte. Um wenigstens einige der Bergleute zu retten, musste ein Ingenieur aus dem Gefängnis geholt werden. Und es begann der Anspruch der Entnazifizierung zu leiden unter dem Verhalten der Besatzungstruppen. Gewiss war nichts mit den Taten der Nationalsozialisten zu vergleichen. Aber es gab ein herrenhaftes Auftreten, das zum demokratischen Bekenntnis schlecht passte. So beobachtete ein hoher Offizier des britischen Nachrichtendienstes den früheren Kolonialbeamten Harold Ingrams, der in Deutschland Räte aus zuverlässigen Leuten zusammenstellen sollte:
"Ingrams neigte dazu, die Deutschen zu behandeln, als wären sie ein besonders intelligenter Beduinenstamm. Diskussionen im schattigen Zelt waren erlaubt, bis der Kolonialoffizier seinen Stock in den Boden rammte und seine Entscheidung bekannt gab. Diese Haltung brachte die Deutschen auf."
Mit Verständnis zitiert Taylor deshalb Kurt Schumacher, der fast zehn Jahre KZ-Haft hinter sich hatte: "Wir sind kein Negerstamm!" Und dann war da das Fraternisieren, von dem zu schreiben dem Autor viel Spaß macht. Besatzer und Besetzte (vor allem weibliche) rückten im Westen allmählich zusammen. Zwischen 44 und 46 beginnt die Umformung Deutschlands, der Weg von Transsylvanien zurück in die Mitte Europas, vom Werwolf zum Bündnispartner, von der Niederlage zur Befreiung. Mit seinem Buch "Zwischen Krieg und Frieden" bringt Taylor nicht die Wissenschaft voran; er wendet sich an einen breiteren Kreis von Lesern. Er ist anschaulich, detailfreudig, er denkt, wie viele britische Historiker, an den Leser und dessen Wunsch, unterhalten zu werden. Das sind keine geringen Vorzüge.
Frederick Taylor: Zwischen Krieg und Frieden. Die Besetzung und Entnazifizierung Deutschlands 1944 - 1946
Aus dem Englischen von Klaus-Dieter Schmidt
Berlin Verlag, Berlin 2011
Nach sechs Jahren Krieg hassten die Alliierten Deutschland, und das hieß für wohl die meisten: Sie hassten nicht allein Hitler und die Spitzen von Partei, Staat, Wehrmacht. Einem britischen Offizier kam das Land vor wie Transsylvanien. War nicht vom versinkenden Regime der Werwolf beschworen worden? Hatten nicht die Alliierten das Recht, sich wie in einem Horrorfilm zu fühlen? Der britische Historiker Frederick Taylor - er ist mit Büchern über die Berliner Mauer und die Bombardierung Dresdens bekannt geworden - befasst sich in seiner jüngsten Arbeit mit Deutschland 1944 bis 46: "Zwischen Krieg und Frieden".
Es beginnt mit dem Überschreiten der deutschen Grenzen durch die alliierten Truppen und endet mit der Stuttgarter Rede des amerikanischen Außenminister Byrnes im Herbst 46. Die Rede wollte den Deutschen Hoffnung auf eine bessere Zukunft machen, sie löste geradezu Begeisterung aus. Es ist ein den Deutschen gegenüber eigentümlich verständnisvolles Buch. Natürlich werden ihre Verbrechen nicht verschwiegen. Geht es um den Hunger der Nachkriegsjahre, so kommt die Rede auf die Hungerpolitik des Reiches in den besetzten Gebieten während des Krieges. Sie zielte auf Völkermord, der Unterschied zu den Verhältnissen nach 45 liegt auf der Hand.
Und doch hat der Autor Mitgefühl mit den Deutschen. Er beschreibt die Leiden in den Ostgebieten, die Brutalitäten der Roten Armee (und auch den Respekt vieler Rotarmisten vor dem besiegten Gegner), die Plünderungen und Vergewaltigungen. Dies aber nicht, ohne einen jungen deutschen Soldaten zu zitieren:
"Was müssen wir eigentlich auf der anderen Seite angerichtet haben, dass viele russische Soldaten so bestialisch gewütet haben?"
Die Vertreibungen schildert er in ihren Schrecken, die Gräuel im Sudetenland nennt er "unvorstellbar". Tschechische Soldaten zwangen deutsche Männer, eine Grube auszuheben und sich davor aufzustellen; dann wurden die Männer erschossen und Kalk über ihre Leichname gestreut. Eine deutsche Zeugin erzählte:
"Als ich das gesehen habe, habe ich sehr geweint. Eine Frau sagte mir dann, dass ich nicht zu weinen brauchte, denn das hätten die Deutschen auch mit den Juden gemacht."
Es sind nur gut zwei Jahre, von denen das Buch handelt und doch ist es ein riesiger Stoff. Das liegt auch daran, dass jeder der Alliierten bald nach der deutschen Kapitulation seine sehr eigene Politik trieb. Die Sowjetunion ging nach einem klaren Plan zu Werke, sie verfügte auch über das geeignete Personal: Deutsche Kommunisten, die ins Moskauer Exil gegangen und auf Linie waren. Die Westmächte wussten sehr viel weniger, was sie wollten. Die Amerikaner zeichneten sich durch einen gewissen Idealismus aus, so waren sie in der Entnazifizierung und der Behandlung der Kriegsgefangenen zunächst strikt.
Die Briten waren laxer, pragmatischer, vielleicht auch zynischer. Frankreich, das die deutsche Besatzung hatte erdulden müssen, übte zunächst seine Macht streng aus, wollte Deutschland dauerhaft geteilt sehen, konnte sich damit aber bekanntlich nicht durchsetzen. Besonders interessiert den Autor die Entnazifizierung. Mit Elan begonnen, geriet sie bald ins Stocken. In Nordrhein-Westfalen waren es zuletzt ganze 90 Deutsche, in die in die ersten zwei Belastungsklassen sortiert wurden, der Rest galt als "Minderbelastete", "Mitläufer" oder "Entlastete". So lächerlich die Zahl ist, Taylor beschreibt mit großer Anschaulichkeit, woran eine moralisch konsequente Politik scheiterte. Man brauchte einfach die Fachleute. Der Ruhrbergbau war zunächst scharf entnazifiziert worden.
Aber Produktivität und Sicherheit litten. In Bergkamen/Unna kam es 1946 zum schlimmsten Grubenunglück der deutschen Geschichte. Um wenigstens einige der Bergleute zu retten, musste ein Ingenieur aus dem Gefängnis geholt werden. Und es begann der Anspruch der Entnazifizierung zu leiden unter dem Verhalten der Besatzungstruppen. Gewiss war nichts mit den Taten der Nationalsozialisten zu vergleichen. Aber es gab ein herrenhaftes Auftreten, das zum demokratischen Bekenntnis schlecht passte. So beobachtete ein hoher Offizier des britischen Nachrichtendienstes den früheren Kolonialbeamten Harold Ingrams, der in Deutschland Räte aus zuverlässigen Leuten zusammenstellen sollte:
"Ingrams neigte dazu, die Deutschen zu behandeln, als wären sie ein besonders intelligenter Beduinenstamm. Diskussionen im schattigen Zelt waren erlaubt, bis der Kolonialoffizier seinen Stock in den Boden rammte und seine Entscheidung bekannt gab. Diese Haltung brachte die Deutschen auf."
Mit Verständnis zitiert Taylor deshalb Kurt Schumacher, der fast zehn Jahre KZ-Haft hinter sich hatte: "Wir sind kein Negerstamm!" Und dann war da das Fraternisieren, von dem zu schreiben dem Autor viel Spaß macht. Besatzer und Besetzte (vor allem weibliche) rückten im Westen allmählich zusammen. Zwischen 44 und 46 beginnt die Umformung Deutschlands, der Weg von Transsylvanien zurück in die Mitte Europas, vom Werwolf zum Bündnispartner, von der Niederlage zur Befreiung. Mit seinem Buch "Zwischen Krieg und Frieden" bringt Taylor nicht die Wissenschaft voran; er wendet sich an einen breiteren Kreis von Lesern. Er ist anschaulich, detailfreudig, er denkt, wie viele britische Historiker, an den Leser und dessen Wunsch, unterhalten zu werden. Das sind keine geringen Vorzüge.
Frederick Taylor: Zwischen Krieg und Frieden. Die Besetzung und Entnazifizierung Deutschlands 1944 - 1946
Aus dem Englischen von Klaus-Dieter Schmidt
Berlin Verlag, Berlin 2011