Wenn Worte auswandern
Obwohl Deutschsprechen in Israel lange verpönt war, benutzen viele Israelis deutsche Wörter, ohne es zu wissen. Das Mannheimer Institut für deutsche Sprache hat ein Online-Lexikon deutscher Wörter aufgebaut, die von anderen Sprachen übernommen wurden.
Für Nirit Bialer begann alles mit einem Irrtum. Die 39-jährige ist in der Nähe von Tel Aviv aufgewachsen und hörte dort eines Tages fremdartige Worte.
"Wir hatten in Israel so eine Art Flohmarkt im Auto. Es gab jemand mit so einem großen LKW, der ist auf die Strassen gefahren und wollte alte Möbel kaufen. Der kam irgendwie zwei Mal die Woche und hat geschrien: "Alti Zakhen, alti Zakhen!". Und ich dachte immer, das sei irgendwie Arabisch. Dann plötzlich, als ich Deutsch gelernt habe, habe ich fest gestellt, das kam wirklich aus der deutschen Sprache!"
Alte Zakhen: Trödel, Ramsch, alte Kleidung. Ausruf des "Altezakhener" genannten Straßenhändlers, der – meist mit einem Pferdewagen – Trödel und Klamotten aufkauft und diese repariert weiterverkauft; in den 1950er und 1960er in Israel üblich, heute quasi nur noch in Tel Aviv zu beobachten. (Quelle: Institut für deutsche Sprache)
Ging Nirit ihrem Vater beim Heimwerkern zur Hand, hörte sie noch mehr Deutsch.
"Ein Dübel – Dibel, was wir auf Hebräisch sagen. Oder man macht jetzt auf der Wand Spritz oder Schlicht, Beton nutzen wir auch, Gummi – das gibt’s auf jeden Fall."
Unterputs, Zsement, Flashen-Tsug, Tapet, Papirklaister...
Nirit Bialer lebt heute in Berlin. Hier arbeitet sie für eine israelische Firma und hat – nebenher - einen Verein aufgebaut: Habait – das Haus. Eine Kulturinitiative, die Deutsche und Israelis zusammenbringt - über Literatur und Sprache.
Binenshtich, Shwartswald Torte, Flamkukhen, Kremshnit, Shtrudel...
"Strudel wird auf Hebräisch auch für das @-Zeichen benutzt. Wenn ich jetzt eine Email-Adresse diktieren möchte, dann würde ich anstatt "Name@" – "Name-Strudel" sagen. Weil es sieht aus wie eine Strudel-Torte, in israelischen Augen auf jeden Fall (lacht)."
Online-Lexikon "ausgewanderter" Wörter
Das Mannheimer Institut für deutsche Sprache hat ein Online-Lexikon deutscher Wörter aufgebaut, die von anderen Sprachen übernommen wurden. Dieser sogenannte Lehnwortschatz umfasst im Hebräischen rund 1500 Vokabeln. Peter Meyer, Linguist und Lexikon-Projektleiter, weiß: ein Großteil der deutschen Sprachimporte stammt von Zuwanderern, die einst Jiddisch sprachen.
"Entstanden ist das Jiddische zwischen dem neunten und dem zwölften Jahrhundert nach Christus im Südwesten Deutschlands. Und ist dann später, im Rahmen der Judenverfolgung des Spätmittelalters, nach Osteuropa gewandert. So dass es dort eine eigenständige Dialektgruppe des Jiddischen gibt, das Ostjiddische."
Die Jiddisch-sprachigen Migranten brachten die Vokabeln ab dem späten 19. Jahrhundert nach Palästina mit. Genauso wie die Templer - eine Gruppe deutschsprachiger Christen, die in den 1870ern einwanderte. Auf Hebräisch redete damals niemand mehr im "gelobten Land". Diese Sprache existierte zu jener Zeit nur noch als Sprache der Bibel und der Liturgie. Doch Anfang des 20. Jahrhunderts wurde sie wieder zum Leben erweckt.
"Es hatte seine Beweggründe vor allem in der zionistischen Bewegung. Also man hatte das große Problem, dass Israel so ein Schmelztiegel war von Menschen, die aus den verschiedensten Regionen der Welt, aus der jüdischen Diaspora, eingereist waren und die nun darum rangen, eine gemeinsame Kommunikationsform zu finden. Und es bot sich an, das Hebräische als Medium der gesprochenen Kommunikation wiederzubeleben."
Shlagbaum, Shlampe, Kompot, Ritshratsh, Heksenshus...
Das Neuhebräisch, das Ivrit, saugte viele deutsche, jiddische, russische und arabische Vokabeln auf. Doch bald schon war alles Deutsche verpönt.
"Es ist klar, dass mit der Judenverfolgung durch den Nationalsozialismus das Deutsche letztendlich zur unerwünschten Sprache wurde. Es war die Sprache der Mörder von Auschwitz, um es ganz pointiert zu formulieren. Und es ist mehr als verständlich, dass auch in den Nachkriegsjahren das Deutsche zunächst einen außerordentlich schweren Stand in Israel hatte."
Ofitser, Substantiv, männlich. Schimpfwort für einen pingeligen Offizier; vgl. im Deutschen den " 'schneidigen' Potsdamer Leutnant" der späten Kaiserzeit.
Deutsche Vokabeln in Israel wieder legitim
Heute, mehr als 70 Jahre nach dem Holocaust, gilt Deutsch wieder als legitim. Dennoch versucht die Jerusalemer Akademie für hebräische Sprache den nationalen Wortschatz möglichst "rein" zu halten. Eliezer Ben-Jehuda, der Schöpfer des ersten hebräischen Wörterbuches, erfand dafür einst sogar neue hebräische Wörter. So empfahl er anstelle von "Telefon" eine übersetzte Form von "Fernsprecher". Der Volksmund jedoch rede heute wie er wolle, weiß die Berliner Israelin Nirit Bialer.
Für Telefon ist es "sach rachok". "Sach" ist zu sprechen und "rachok" ist fern. Das nutzt aber niemand. Telefon klingt etwas sexyer. Und dann nutzt man das. Am Ende des Tages Realität gewinnt, ne. 014
Das Institut für deutsche Sprache protokolliert auch hebräische Modifikationen, selbst kuriose. Linguist Peter Meyer berichtet etwa, dass die Formulierung "gar nichts" in Israel als "gurnischt" weiter lebt – unter Medizinern sogar als Geheimformel "gmg".
"Wo dann Ärzte abgekürzt geschrieben haben, der Patient hat "gurnischt mit oder min gurnischt". Das heißt: Er hat "gar nichts mit gar nichts". Und das war dann eine verklausulierte Formulierung dafür, dass es sich um einen Hypochonder handelt oder jemanden, der mit einem banalen Wehwehchen zum Arzt gekommen ist."