Deutsche Wahlkämpfe seit 1949

Von Winfried Sträter |
Bundestagswahlkampf 1949. Der erste nach dem Krieg. Mit bescheidenen Mitteln und einer oft noch etwas ungelenken Rhetorik werben CDU und SPD und FDP und eine Reihe weiterer Parteien um die Wählergunst.
Kaisen: "Morgen müssen alle Wahlberechtigten an die Wahlurne treten und den ersten Bundestag wählen. Keiner darf fehlen. Wer jetzt nicht wählt, hat bekanntlich hinterher auch kein Recht zum Schimpfen. "

Bundestagswahlkampf 1949. Der erste nach dem Krieg. Der Bremer Senatspräsident Wilhelm Kaisen redet den Bundesbürgern ins Gewissen, dass sie von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. Mit bescheidenen Mitteln und einer oft noch etwas ungelenken Rhetorik werben CDU und SPD und FDP und eine Reihe weiterer Parteien um die Wählergunst.

Erich Köhler, CDU: "Wenn Sie, liebe Zuhörer wollen, dass diese soziale Politik einer preiswerten Versorgung mit Verbrauchsgütern auch weiter angestrebt und vollendet wird, dann geben Sie der CDU/CSU die Macht dazu, indem Sie uns Ihr Vertrauen schenken."

Carlo Schmid, SPD: "Das ganze Deutschland soll es sein! Darum, Wählerinnen und Wähler, wählt Sozialdemokraten!"

Schwennicke, FDP: "Es ist selbstverständlich, dass die FDP als Vertreterin liberaler Auffassungen sich gegen den sozialistischen Kollektivgedanken und gegen die Handlungsfreiheit des einzelnen einengenden Planwirtschaft einsetzt."

15 Mal haben sich die Parteien von 1949 bis 2002 in Bundestagswahlkämpfe gestürzt - mit Ergebnissen, die eines auf erfreuliche Weise gemein hatten: ziemlich eindeutige Regierungsaufträge an das eine oder andere Lager. Kein einziges Mal war das Parlament nach einer Wahl so zersplittert, dass nur noch eine große Koalition regieren konnte. Die einzige große Koalition der bundesdeutschen Geschichte - von 1966-69 - war nicht das Ergebnis eines Wählervotums, sondern der Ausweg aus einer Regierungskrise. Und einer Staatskrise. Besser: einer gefühlten Staatskrise. 1966 hatte Ludwig Erhard als Kanzler krass versagt, das Wirtschaftswunder stockte, die Staatsverschuldung stieg an, auch die Arbeitslosigkeit – auf knapp 700.000. Das waren die Parteien nicht gewöhnt, die Politiker hatten schon den nationalen Notstand vor Augen. In so schweren Zeiten sahen sich die beiden großen Parteien herausgefordert, gemeinsam das Staatsschiff durch die raue See zu steuern.

Ludwig Erhard war der Versager im Kanzleramt. Ein Jahr zuvor hatten die Unionsparteien noch fröhlich Wahlkampf mit ihm gemacht.

Als Wirtschaftsminister war Erhard erfolgreich wie kein anderer nach ihm gewesen, Wahlkampflokomotive der CDU im ersten Bundestagswahlkampf 1949. In den 50er Jahren allerdings beherrschte der Kanzler die Wahlkämpfe: Konrad Adenauer.

Adenauer Rundfunkansprache: "Vergessen Sie den hässlichen Wahlkampf..."

Adenauers ruhige Art, mit den Wählern zu kommunizieren, seine Bodenständigkeit, sein Humor, seine Schlagfertigkeit und seine einfachen Erklärungen der Weltlage kamen bei den Wählern an.

Adenauer Rundfunkansprache: "Wir gehen unseren Weg weiter und wissen, dass die Mehrheit des Volkes uns dabei folgt. Deutschland wählt Adenauer…"

…verkündete die CDU selbstbewusst.

"Keine Experimente!"

war der erfolgreichste Wahlslogan aller Zeiten: Mit dieser Losung erhielten die Unionsparteien 1957 über 50 Prozent der Wählerstimmen. Die SPD hatte dem nichts entgegenzusetzen. Bis 1961.

Brandt: "Der Wohlstand des Einzelnen wird sich auf die Dauer nur mehren lassen, wenn der Wohlstand der Gemeinschaft wächst."

Nach amerikanischem Vorbild baute die SPD einen charismatischen Nachwuchspolitiker erstmals als Kanzlerkandidaten auf: Willy Brandt. Für einen Augenblick schien es, als habe Brandt eine realistische Chance gegen Adenauer, dessen Glanz verblasste: Beim Mauerbau war Brandt zur Stelle, während Adenauer zunächst abtauchte. Hässlichster Auswuchs des Wahlkampfs 1961 war eine Flüsterkampagne, die Brandt als uneheliches Kind und Emigrant – Vaterlandsverräter! – brandmarkte. Die CDU verlor zwar die absolute Mehrheit, konnte aber mit der FDP weiter regieren.

"Man macht die Erfahrung, dass man auf dem Lande, auf den Dörfern sehr stark zum Wähler selber hingehen muss, die Versammlungen sind also nicht mehr das Mittel im Wahlkampf, es spielt auf dem Lande insbesondere der Lautsprecher eine Rolle, dessen man sich bedient, es spielt auch der Kurzfilm eine Rolle, insbesondere auf den Dörfern."

Deutsche Wahlkämpfe. Traditionell baten die Parteien die Wähler in Versammlungsräume - doch schon in den 50er Jahren erkannte der CDU-Politiker Heinrich Krone die Notwendigkeit, die Wähler auf dem Marktplatz anzusprechen.

Wahlwerbung mit Musik. Ludwig Erhard und die CDU gegen Willy Brandt und die SPD 1965. Die Kandidaten präsentieren sich nicht mehr auf dem Podium, sondern suchen das direkte Gespräch mit den Bürgern: Demokratisierung des Alltagslebens in den 60er Jahren.

Richtig ernst wurde es 1972, als sich die sozialliberale Koalition nach 3 Regierungsjahren einer vorzeitigen Wahl stellen musste. Die Unionsparteien wollten zurück an die Macht – der Regierungswechsel von 1969 sollte eine kurze Episode bleiben. Ein Kampf mit harten Bandagen. Aber - in diesem Wahlkampf bestand die Bundesrepublik ihre demokratische Bewährungsprobe. Die Wähler bestätigten den Regierungswechsel von 1969 und stellten damit klar, dass keine Partei das Kanzleramt für sich gepachtet hat.

"Achtung, Achtung! Hier spricht die FDP, die treibende Kraft in Deutschland. Wir sind heute zu Ihnen gekommen…"

1976 hätten die Unionsparteien mit Helmut Kohl an der Spitze beinahe wieder die absolute Mehrheit erreicht: 48,6 Prozent.

"Deutschland vor der Entscheidung: Freiheit oder Sozialismus."

Mit dieser Parole wollten die Unionsparteien Kanzler Helmut Schmidt in die Knie zwingen.

Helmut Kohl: "Freiheit statt Sozialismus"

Alles gute Zureden half nichts - mit knapper Mehrheit entschieden sich die Bundesbürger 1976 für den Sozialismus.

Wahlwerbung in der Bundesrepublik. Die Unterschiede zumindest zwischen den beiden Volksparteien wurden immer kleiner – dafür muss in den Wahlkämpfen umso dicker aufgetragen werden. Jede Wahl wird zur Richtungsentscheidung. Doch nur 1949 ging es wirklich um eine weit reichende Richtungsentscheidung. 1949 war die SPD noch eine traditionalistische Arbeiterpartei, die auf staatliche Planung in der Wirtschaft setzte. In scharfem Kontrast dazu stand Ludwig Erhards Konzept der sozialen Marktwirtschaft. Erhard war mehr, als es den großen Unternehmern lieb war, ein konsequenter Marktwirtschaftler. Erhards Wirtschaftspolitik war eine kleine Revolution in Deutschland: Er brach das verknöcherte Kartellwesen auf.

Erhard: "Ich glaube, für mich in Anspruch nehmen zu können, die wirtschaftliche Entwicklung jeweils zutreffend vorausgesehen zu haben. Und ich werde auch in der Beurteilung unserer jetzigen Situation Recht behalten. "

Um eine Richtungsentscheidung ging es noch einmal 1990 - im ersten Wahlkampf nach der Wiedervereinigung. Nicht um Freiheit oder Sozialismus, sondern um die Frage: Wie geht Deutschland mit den finanziellen Lasten um, die sich aus dem Untergang der DDR ergeben? Während SPD-Kanzlerkandidat Lafontaine die Probleme offen ansprach, blendete Kanzler Kohl die Problematik im Wahlkampf weitgehend aus und setzte auf die nationale Wiedervereinigungseuphorie. Der Erfolg dieser Strategie begünstigte die westdeutschen Institutionen und die westdeutsche Gesellschaft in ihrem Drang, den eigenen Reformbedarf zu ignorieren und sich im Großen wie im Kleinen als die fraglos bessere Alternative darzustellen. Inzwischen rächt sich diese Selbstgerechtigkeit und die Wahlkämpfe sind beherrscht von der Frage: Wer schafft es, die verpassten Reformen nachzuholen?