"Auszeichnung für Anne Weber ist eine Überraschung"
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Es ist die wichtigste Auszeichnung für deutschsprachige Romane: Die Schriftstellerin Anne Weber hat für das Buch „Annette, ein Heldinnenepos“ den Deutschen Buchpreis 2020 erhalten. Die Jury ehrte damit eine Erzählform in Versen.
Die Schriftstellerin Anne Weber erhält den Deutschen Buchpreis 2020. Das gab die Jury am Montag in Frankfurt am Main bekannt. Ihr Buch "Annette, ein Heldinnenepos" gilt damit als der beste Roman des Jahres. Das Buch erzählt in Versform die Lebensgeschichte der französischen Widerstandskämpferin Anne Beaumanoir.
Es ist auch eine Geschichte der Resistance gegen die deutschen Besatzer im Frankreich der Vierzigerjahre und den Kampf der Algerier gegen die französische Hegemonialmacht. Anne Beaumanoir, die eingeführt wird mit dem schönen Satz "Sie glaubt nicht an Gott, aber er an sie", wird von der Heldin im Widerstand zur Terroristin – zumindest in den Augen ihrer Landsleute.
Als Anne Beaumanoir das Manuskript des Buches gelesen hatte, habe sich die 96-Jährige nicht darin wiedererkannt, erzählt Anne Weber im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur. Sie sagte wörtlich: "Das ist deine Annette!" Es sei letztlich eine literarische Figur aus ihr geworden, so die Autorin.
Lob der Jury für die Kraft der Erzählung
Weber sei es gelungen, in der Form des Epos das reale Leben von Anne Beaumanoir "in ein grandioses Stück Literatur zu verwandeln", hieß es in der Begründung für den Preis. Die Kraft von Webers Erzählung könne sich "mit der Kraft ihrer Heldin messen", betont die Jury. Es sei atemberaubend, mit welcher Leichtigkeit Weber die Lebensgeschichte der französischen Widerstandskämpferin zu einem Roman über Mut, Widerstandskraft und den Kampf um Freiheit verdichte.
Überraschende Wahl
"Die Auszeichnung für Anne Weber darf als Überraschung gelten", sagt unsere Literaturkritikerin Wiebke Porombka. Neben Thomas Hettches "Herzfaden", der Geschichte der Augsburger Puppenkiste, oder "Serpentinen", Bov Bjergs düsterem Roadmovie in die eigene und die deutsche Vergangenheit, habe Webers Versroman eigentlich eher als Außenseiter gegolten. "Dass Weber nun diesen öffentlichkeitswirksamen Preis bekommt, kann man als Signal in doppelter Hinsicht verstehen: Zum einen wird damit einer historischen Frau die Aufmerksamkeit zuteil, die ihr bislang jedenfalls in der deutschen Wahrnehmung verwehrt geblieben ist. Zum anderen zeigt die Jury, dass sie nicht das vermeintliche Credo des Deutschen Buchpreises erfüllt: einen auf den ersten Blick möglichst verkaufsträchtigen Roman zu prämieren", sagt Porombka.
Universelles Übersetzen
Weber, die neben ihrem eigenen Schreiben auch als Übersetzerin aus dem Französischen ins Deutsche und aus dem Deutschen ins Französische tätig ist, zeige mit ihrem Roman auch, wie wesentlich, eigenwillig, vielschichtig und universell das Übersetzen sein kann, sagt Porombka. Denn auch die Geschichte von Anne Beaumanoir, die Weber in ihrem Roman erzählt, sei eine Form der Übersetzung eines historischen Stoffes in Literatur.
Erschienen ist "Annette, ein Heldinnenepos" bei dem kleinen Verlag Matthes & Seitz Berlin. Schon im Jahr 2015 wurde mit Frank Witzels "Die Erfindung der Rote Armee Fraktion durch einen manisch depressiven Teenager im Sommer 1969" ein Roman aus diesem Verlag mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet – ebenfalls eine Überraschung. "Man kann den Preis also – nicht zuletzt – auch als Würdigung der herausragenden und immer wieder selbstausbeuterischen Arbeit von Verleger Andreas Rötzer und seinem Team verstehen", lautet die Einschätzung unserer Literaturkritikerin.
Verkaufserfolg garantiert
Der Deutsche Buchpreis ist die vielleicht wirkmächtigste Auszeichnung für deutschsprachige Autorinnen und Autoren. Der Titel ist ein Garant für Verkaufserfolg. Der Preis wird in einem mehrstufigen Verfahren vergeben. Erst wird eine Liste mit 20 Titeln veröffentlicht, die dann auf sechs Bücher der Shortlist verkürzt wird. Das hat den Zweck, die Aufmerksamkeit auf eine Reihe herausragender Titel zu lenken und nicht nur auf einen.
Den Deutschen Buchpreis gibt es seit 2005. Ausgerichtet wird der Wettbewerb vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels in Frankfurt. Die Verlage können bis zu zwei Titel einreichen. Sie müssen jeweils zwischen Oktober des Vorjahres und September erschienen sein. Sieben Jurorinnen und Juroren, die jährlich wechseln, sichten die Einsendungen und stimmen ab. Der Preis ist mit 37.500 Euro dotiert: Die Siegerin erhält 25.000 Euro, die übrigen Autorinnen und Autoren der Shortlist jeweils 2500 Euro.
(gem)