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Bauern vertrieben, Plantage läuft
22:52 Minuten
Die Dorfbewohner dachten, es sei "Krieg", als sie 2001 aus ihren Häusern vertrieben wurden. Ugandas Regierung hatte das Land zuvor an einen Hamburger Kaffeekonzern für dessen Plantage verpachtet. Ein Fall von Landgrabbing mit Opfern und Profiten.
Auch nach Jahren ist der Kleinbauer Aminadabu aus Uganda noch immer darüber aufgebracht, dass er mit seiner Familie von seinem Land vertrieben wurde. Er sitzt auf einer wackeligen Holzbank vor seiner Hütte und erinnert sich an die schrecklichen Ereignisse.
"Wir sahen, wie Soldaten kamen. Mit Gewehrkolben schlugen sie auf uns ein und zerstörten unsere Häuser. Wir wussten nicht, wer sie waren. Später erfuhren wir, dass es um einen Weißen aus Deutschland ging. Man hat unsere Häuser für seine Kaffeeplantage zerstört."
Diesen "Weißen" macht Kleinbauer Aminadabu mitverantwortlich für die Ereignisse. Der residiert in Hamburg, ist Herr über ein Imperium, das Geschäfte mit Kaffee macht. Gemeint ist Michael R. Neumann, weltweit führender Rohkaffee-Importeur.
Kleinbauer Aminadabu hat um sich herum auf dem Boden seine fünf Kinder versammelt. Neben ihm auf der Bank sitzt seine Frau Vanisi. Sie trägt ihr Sonntagskleid in leuchtendem Blau.
"Ich dachte zunächst, es sei Krieg, als wir fliehen mussten. Danach war es sehr schwierig, die Familie zu ernähren. Wir hatten nicht genug zu essen, nicht einmal Decken, um uns nachts zuzudecken. Deshalb starb eines meiner Kinder – es war erst sieben."
Einer der ersten, gut dokumentierten Fälle von Landgrabbing
Die Familie von Aminadabu hatte früher ihr Auskommen und einen bescheidenen Wohlstand – bis zum jenem 18. August 2001, als die Soldaten sie von ihrem Land vertrieben, wie viele andere in Mubende, in Zentral-Uganda. Insgesamt waren es 4000 Menschen in vier Dörfern. Sie sollten Platz schaffen für die neue Plantage der Neumann Kaffee Gruppe aus Hamburg.
Nach der Vertreibung kümmerten sich Menschenrechtsorganisationen um die Opfer. Gertrud Falk unterstützt sie schon seit 2003, fliegt regelmäßig nach Uganda und arbeitet für FIAN, das Food First Informations- und Aktions-Netzwerk, das für das Menschenrecht auf Nahrung eintritt.
"Dieser Fall der Kaweri-Plantage ist einer der ersten, gut dokumentierten Fälle von Landgrabbing. Landgrabbing ist ja leider ein Phänomen, was heute ganz gravierend ist. Das heißt, multinational aufgestellte Unternehmen und auch Regierungen nehmen Bevölkerungen in Entwicklungsländern das Land weg, um für den Export zu produzieren. Die Bevölkerung vor Ort leidet darunter, sie haben keine ausreichende Alternative, sich mehr zu ernähren."
Im konkreten Fall hier in Uganda begann alles im Jahr 2000. Die "Neumann Kaffee Gruppe" suchte Land für eine neue Plantage. Im Distrikt Mubende fand man ein 2500 Hektar großes Areal, das die staatliche "Uganda Investment Authority" für 99 Jahre an Neumann verpachtete, damit die Firma dort ihre "Kaweri Coffee Plantation" errichten konnte. Aber das Land war besiedelt.
"Bevor die Plantage 2001 angelegt wurde, wurden zwei Monate vorher die Menschen aufgefordert, das Land zu verlassen. Es wurden ihnen Entschädigung zugesagt, Umsiedlung zugesagt, doch das ist alles nicht eingetreten. Da die Menschen überhaupt nicht wussten, wohin sie gehen sollten, sind sie zuhause geblieben. Und dann kam die ugandische Armee und hat die Leute gewaltsam vertrieben."
Weitere Land-Vertreibungen in Uganda
Mubende sei nicht der einzige Fall von Landgrabbing in Uganda - ergänzt Gertrud Falk und verweist auf weitere Fälle. Oft gehe es um Landkonflikte beim Abbau von Bodenschätzen - wie in West-Uganda durch Ölförderung oder durch Minenaktivitäten im Nord-Osten, in Karamoja. Dort hatte die Regierung großzügig Konzessionen für die Ausbeute von Edelmetallen an ausländische Investoren vergeben. Wie Human Rights Watch berichtete, versprach man der lokalen Bevölkerung zuvor zwar Wohlstand, tatsächlich aber wurden viele Kleinbauern von ihrem Land vertrieben.
Oxfam berichtete, dass zwischen 2006 und 2010 in den Provinzen Kiboga und Mubende über 22.500 Menschen mit Gewalt von Soldaten und Mitarbeitern des britischen Holzunternehmens New Forests Company verjagt, ihr Vieh getötet und Häuser zerstört worden seien, um dort Nadel- und Eukalyptusbäume zu pflanzen. Die Vertriebenen hätten dort seit Jahrzehnten gelebt und keine Entschädigung bekommen.
3500 Tonnen Kaffee liefert die größte Plantage des Landes
Zurück zur Kaweri-Plantage in Mubende. Hier wird Robusta-Kaffee angebaut, also Kaffee, der auch nach Europa kommt. Die Neumann Kaffee Gruppe beliefert fast alle deutschen Marken. Die Firma hat als führender Rohkaffee-Importeur einen Anteil von zehn Prozent am Welthandel. Ein Konzern mit Stammsitz in der Hamburger Hafencity, 47 Tochterfirmen in 28 Ländern, Umsatz 2,7 Milliarden US-Dollar im Jahr 2014. Dazu trägt auch die Kaweri-Plantage hier in Uganda bei.
Ihren Aufbau hat Hans Fässler von Anfang an begleitet. Der Schweizer ist ihr Manager und begutachtet gerade mit Arbeitern die Blätter einiger Kaffeebäumchen. Dunkelbrauner Cowboy-Hut, olivgrünes Hemd, Jeans.
Im Jahr 2011 stellt er sich den Fragen, danach wollen Sprecher des Konzerns keine Interviews mehr geben. Bei aktuellen Anfragen heißt es in der Firmenzentrale in Hamburg nur, man wolle sich zur Plantage nur schriftlich äußern.
"Ich selber kam hierher mit dem damaligen Besitzer, und wir haben das Land besichtigt. Da hat es eine Straße gegeben, die durch dieses Land geführt hat. Man hat gesehen, es hat Settlements, es hat Felder gehabt, verstreut auf diesem Land. Wir wussten, dass Leute da sind. Das ist kein Geheimnis. Der Besitzer hat uns damals versichert, dass diese Leute eben genau wissen, dass sie auf seinem Land sind."
3500 Tonnen Kaffee werden jedes Jahr auf der Kaweri-Plantage geerntet, der modernsten und größten Kaffeeplantage in Uganda. Es sei eine "Modellfarm", so der Konzern, die man auf dem frei geräumten Areal errichten konnte.
Aber rein rechtlich hätte keine der Familien dort vertrieben werden dürfen. Denn freies Land kann in Uganda von mittellosen Kleinbauern besiedelt und bewirtschaftet werden. Der ugandische Land Act gewährt jedem, der mehr als zwölf Jahre darauf lebt, ein Gewohnheitsrecht. Die meisten der Vertriebenen lebten schon länger dort, einige sogar seit Generationen - so auch die Familie von Betty Ingabire.
Das Dorf der Vertriebenen neben der Plantage
Neben ihrer Hütte bereitet Betty das Essen für die Familie vor - eine einfache Feuerstelle aus Steinen, darüber zum Schutz eine Plastikplane gegen Regen. Betty rührt in einem großen Topf, kocht einen Brei aus Maismehl und Wasser - das Essen der Armen. Die Vertreibung wurde für die damals noch junge Betty zum Trauma.
"Als die Soldaten uns das Vieh nehmen wollten, flehte unsere Mutter, ‚Lasst uns doch wenigstens eine Kuh‘. Aber stattdessen schlugen sie meine Mutter und rissen mit einem Bulldozer unser Haus ein. Als wir unseren Vater aus dem Haus retten wollten, trafen ihn Steine. Er starb nach drei Tagen. Meine Mutter war durch Schläge auf die Nieren verletzt worden. Auch sie starb, zwei Monate später. Wir sechs Kinder waren nun Waisen, lebten unter Bäumen und hatten nichts zu essen. Der Hunger quälte uns so sehr, dass auch die beiden Kleinsten von uns starben."
Obwohl Betty durch die Kaffeeplantage alles verloren hat, arbeitet sie heute dort als Tagelöhnerin. Die Not zwinge sie dazu, sagt sie. Hier gäbe es sonst keine Arbeit. Betty lebt in Kyengeza, dem Dorf der Vertriebenen. Es entstand nach der Vertreibung unmittelbar neben der Plantage.
Nicht weit entfernt lebt auch Anna Nandyose Katende. Sie ist 85, eine stolze alte Dame mit kurz geschnittenen, weißen Haaren. Anna gehörte zu den Bessergestellten im Dorf, hatte 42 Hektar Land mit großen Plantagen, sechs Häuser und mehr als 100 Tiere.
"Sie haben den Stall angezündet, in dem meine Ziegen waren. Alle Ziegen sind darin verbrannt. Was für ein Unglück! Ich muss weinen, wenn ich daran denke. Als sie mich vertrieben hatten, musste ich hier unter den Bäumen leben. Ich hatte nichts mehr. Die Soldaten kreisten ständig um uns herum. Fünf Tage lang haben sie hier patrouilliert."
Anna sitzt aufrecht auf einer Bastmatte und nimmt Dokumente zur Hand, die sie vor sich ausgebreitet hat. Einige sind schon ein wenig zerfleddert, andere zum Schutz in Folie eingeschweißt. Anna gehört zu denjenigen, die laut ihren Unterlagen rechtmäßige Besitzer des Landes sind, von dem sie vertrieben wurden.
"Das Land gehört mir. Ich habe es von meinem Vater bekommen. Diese Papiere beweisen, dass mein Vater das Land gekauft hat. Damals lebte er noch. Im Jahr 1964 hat er hier unterschrieben."
Kaffeekonzern spricht von Entschädigungen
Laut Manager Hans Fässler hat man im Unternehmen nicht so recht mitbekommen, was sich im August 2001 auf ihrem zukünftigen Plantagengelände abspielte.
"Das ist sicher, dass hier Druck gemacht wurde, dass die Armee, die ja selber auf dem Land präsent war, dass die eingeschritten sind, das halt ich für möglich."
Er hält es für "möglich"? Angesichts des Ausmaßes der Vertreibung mehrerer tausend Menschen verwundert die Sicht des Managers. Man habe verlangt, dass das Land frei sei von Rechten Dritter und dass die Familien entschädigt würden - ergänzt der Manager. Dorfvorsteher Patrick Sebwato widerspricht. Auch wenn das Unternehmen immer behaupten würde, die Vertriebenen hätten eine Entschädigung erhalten - dies sei nicht geschehen.
Patrick Sebwato arbeitet in Gummistiefeln auf seinem Feld, das er bald bestellen möchte. Er reißt das dichte Gestrüpp aus der Erde und lockert den Boden mit einer langstieligen Hacke. Er erinnert sich noch gut daran, dass 2001 weiße Männer ins Dorf kamen und er in die Verwaltung gerufen wurde.
"Ich ging in meiner Funktion als Dorfvorsteher dahin. Sie sagten, man wolle dem Dorf Fortschritt bringen und uns für unser Land und unseren Besitz voll entschädigen. Wir würden woanders gleichwertiges Land erhalten. Sie würden dort neue Häuser bauen, gute Straßen, Krankenhäuser und Wasserstellen. Man wolle alle Voraussetzungen schaffen, damit jeder sich wie im 'gelobten Land' fühle. Aber - so wahr ich hier sitze - die Versprechungen wurden nie eingehalten."
Anwalt widerspricht Konzern und erhebt schwere Vorwürfe
Joseph Balikuddembe hat als Anwalt jahrelang für die Rechte der Vertriebenen gestritten. Ende 2017 ist er verstorben. Im Jahr zuvor hatte auch er in seinem Büro in der ugandischen Hauptstadt Kampala den Beteuerungen der Neumann Kaffee Gruppe widersprochen, die Vertriebenen seien entschädigt worden und hätten neues Land erhalten. Im Interview bestritt er die Rechtmäßigkeit der vorgelegten Bestätigungen.
"Diese Bestätigungen, die die Leute unterzeichnet haben, wurden mit Waffengewalt erzwungen. Der Assistent des Regierungspräsidenten ging durch die Dörfer, eskortiert von Soldaten. Man zwang die Leute zu unterschreiben, sie hätten irgendwo Land erhalten und sie seien entschädigt worden."
Anwalt Balikuddembe widersprach auch der Darstellung des Unternehmens, man habe erst zwei Monate später von der Vertreibung erfahren. Denn bei den Treffen mit den Kleinbauern seien zwei Neumann-Manager dabei gewesen - auch beim letzten, am Vorabend der Vertreibung. Eine Anwesenheitsliste würde das belegen.
"Die beiden Deutschen waren dabei, als der Regierungsvertreter den Siedlern das Ultimatum stellte, bis acht Uhr am nächsten Morgen das Land zu verlassen. Die Leute wussten nicht, wohin sie sollten und gingen nach Hause. Am nächsten Tag kamen die Soldaten und vertrieben sie. Ich betone: Die Deutschen waren bei dem Treffen anwesend, als das Ultimatum gestellt wurde."
Der Anwalt erhob weitere schwere Vorwürfe. Nicht nur die Armee habe die Zerstörung zu verantworten, sondern auch Angestellte der Plantage seien dabei aktiv gewesen.
"Unmittelbar nach der offiziellen Eröffnung begannen Arbeiter der Kaweri-Kaffeeplantage damit, die Ernte, Kaffeebäume, Bananenpflanzen und alles Andere abzuholzen, um den Boden zu säubern – damit sie ihren Kaffee anpflanzen konnten. Wir haben sie verklagt, weil sie daran beteiligt waren, meine Mandanten zu vertreiben und ihren Besitz zu zerstören."
Der Gerichtsprozess läuft seit 16 Jahren
Ihre Klage reichten die Vertriebenen 2002 ein - gegen den ugandischen Staat, den früheren Landbesitzer und die Neumann Kaffee Gruppe. Aber der Prozess wurde über Jahre verschleppt und dauert bis heute an. 2013 fällte der High Court zwar ein Urteil zu Gunsten der Vertriebenen, das wurde aber 2015 vom Berufungsgericht wieder aufgehoben. Seitdem wird erneut vor dem High Court verhandelt.
Auf den Fall Mubende sind mittlerweile auch die Vereinigten Nationen aufmerksam geworden. Sie forderten 2015 die ugandische Regierung auf, die Rechte der Vertriebenen wieder herzustellen.
Möglicherweise gibt es Schritte in diese Richtung. Zumindest schöpfen die Vertriebenen nach 17 Jahren nun ein wenig neue Hoffnung. Eine staatliche Kommission wurde im vergangenen Jahr in Uganda eingesetzt, die auch Fälle von Land Grabbing untersuchen soll. Die 85-jährige Anna möchte es noch erleben, mit ihren Kindern wieder auf dem eigenem Land zu wohnen.
"Sie sollen mir mein Land zurückgeben. Das ist das Einzige, was ich will. Sie sollen mir mein Land zurückgeben und mich für alles entschädigen, was ich erleiden musste. Sie haben mir meinen inneren Frieden genommen. Ich habe keinen Frieden mehr."