Schalker und Schweizer räumen ab
Ausgezeichnet wurden in diesem Jahr der politische Kabarettist "HG Butzko" aus Gelsenkirchen, außerdem das Duo "Knuth & Tucek", der Schriftsteller Franz Hohler sowie die Künstler Jonas Anderhub und Christof Wolfisberg ("Ohne Rolf") aus der Schweiz.
Kleinkunst: Klingt ein wenig nach Gartenzwerg-Gegenwelt zur Hochkultur, nach Miniatur- Bühnenzauber, nicht ganz ernst zu nehmen. Völlig falsch: Kleinkunst ist im deutschsprachigen Europa ein Riesending, eine ausdifferenzierte Welt für sich. Städte stellen längst "Kleinkunst-Manager" in ihren Kulturämtern ein, veranstalten seit Jahrzehnten ausverkaufte Kleinkunstfestivals. Ein ganzes Land, die Schweiz nämlich, gönnt sich seit einer Dekade gar einen "Tag der Kleinkunst" - gleichzeitig auf mehr als 100 Bühnen.
Mag sich die Alpenrepublik mit ihrer Einwanderungspolitik mehr und mehr vom übrigen Europa abschotten – in der Kleinkunst ist die Schweiz grenzübergreifend erfolgreich. In drei von fünf Sparten des "Oscars" der deutschen Kabarettpreise räumte sie diesmal beim Deutschen Kleinkunstpreis in Mainz ab. Das eidgenössische Duo Knuth und Tucek überzeugte mit bissiger Alltagsbeobachtung in der Sparte Chanson, Lied/ Musik.
"Verehrtes Publikum, wir sind harmlos, es freut uns sehr, dass wir hier sein dürfen. Ihr dürft ja nicht mehr bei uns sein."
Der Bieler Franz Hohler – Schriftsteller und Urgestein der Schweizer Kleinkunst – fühlt sich auf der Mainzer Kabarett-Bühne "Unterhaus" bereits seit den 1960er-Jahren zuhause. Auch Hohler thematisierte heute bei der Annahme des Ehrenpreises des Landes Rheinland-Pfalz die Zuwanderungs-Abstimmung in der Schweiz:
"Ach liebe Nachbarn im Norden, wie manches Mal müssen wir Euch die Schweiz noch erklären. Bis ihr begreift, dass der Charme der direkten Demokratie auch freundlich lächelnd die Freizügigkeit an die Wand spielen kann und das bei uns das Volk entscheidet und nicht die Regierung, wer unsere Grenzen überschreiten darf und wer nicht. Und das 19.500 Stimmen genügen, um unsere Schlagbäume niedergehen zu lassen und alle Verträge mit Europa – also mit Euch zu Makulatur zu machen."
"Ohne Rolf" blättern Plakate um und unterhalten sich stumm
Aus der "Festung Fort Helvetia", von der Franz Hohler in Mainz sarkastisch berichtete, stammen auch Jonas Anderhub und Christof Wolfisberg. Das Duo nennt sich "Ohne Rolf". Die beiden ergatterten die wichtige Mainzer Auszeichnung in der Sparte "Kleinkunst":
"Wir haben in der Schweiz 350 Kleintheater, habe ich mir mal sagen lassen und das ist eine ziemliche Dichte für so ein kleines Land und da kommt man schon viel zum spielen. Und wir gehen danach auch wieder nach hause. Das ist in Deutschland ja anders, da muss man dann auch reisen."
Das Markenzeichen der beiden Schweizer: Plakate, die sie umblättern und über die sie sich stumm unterhalten. Sie entfalten mit ihren Texten eine eigene, bisher auf Kabarettbühnen selten gesehene sehr konzentrierte Szenerie. Noch nie war Lesen so wunderbar, aufregend und unterhaltsam, befand die Mainzer Jury. "Ohne Rolf" will ihr "Plakatumblätterkabarett" demnächst auch in Fernost ausprobieren:
"Wir haben jetzt eine Chinesisch-Übersetzung in Planung. Und gedenken im September mit unserem ersten Programm nach China zu reisen, nach Schanghai und Peking. Das bietet sich einfach bei uns an. Wir brauchen die Sprache nicht zu beherrschen, können aber dennoch akzentfrei blättern."
Akzentfrei ist HG Butzko nicht- sein Ruhrdeutsch hört man dem Wahl-Berliner glücklicherweise noch gut an. Die Jury des Mainzer Kleinkunstpreises zeichnete den gebürtigen Gelsenkirchener in der Sparte "Kabarett" doch nicht für Mundart-Dichtung, sondern für seine analytische Schärfe aus – besonders mit seiner satirischen Interpretation der Finanzkrise.
"Als Angela Merkel damals im Fernsehen stand als Lehman-Brothers Pleite ging, sagte dass sie mit unseren Steuergeldern unsere Spargelder absichert da hat sie gesagt, dass ich arbeite, damit das Geld, für das ich arbeite und die Steuern, die ich dafür zahle, das Geld absichert, das für mich arbeitet, für das ich arbeite… Ja und jetzt weiß ich nicht, wie es Euch jetzt geht: Aber mich beschleicht da doch so langsam der Verdacht, dass sich da zwischen und, unsere Arbeit und unserem Geld Leute rum treiben, auf die wir im grunde auch gerne verzichten würden."
HG Butzko: Gelsenkirchener Tristesse hat ihn geprägt
HG Butzko ist ein Schalker. Aufgewachsen direkt am Stadion des berühmten Fußball-Vereins. Dass ihn Tausende um diese Kindheit beneiden, wie er sagt, ist natürlich nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte führt schnell zum politischen Kabarett: Denn anders – außer eben mit Fußball - ist die triste Wirklichkeit im Gelsenkirchener Stadtteil mit seinen grauen Häusern und mit der höchsten Arbeitslosigkeit im Westen der Republik wohl kaum auszuhalten.
"Ich bin in einer Gegend aufgewachsen, einer Malochergegend. Hohe Arbeitslosigkeit. Und das Stichwort Prägung - das nimmt man mit. Wenn man eben aufgewachsen ist ein einer Gegend, wo Leute hart arbeiten, um wenig Geld nach hause zu bringen. Da lernt man zu wirtschaften, da lernt man zu haushalten."
Haushalten braucht man nicht mit Lob für den Deutschen Kleinkunstpreis. Immer wieder gelingt es der Mainzer Jury, Talente zu entdecken und einen ausgezeichneten Querschnitt durch eine äußerst lebendige Szene zu ziehen. Der Oscar der Kabarettszene deutscher Zunge lebt. Weil er neue Trends aufgreift und gleichzeitig immer wieder die Kunst der Altmeister angemessen zu würdigen weiß.