Die Akademie in der Selbstkritik
Es ist das alte Elfenbeinturm-Problem: Wie sehr leidet die Philosophie unter der eigenen Nabelschau? Die Wissenschaft populärer zu machen, heißt nicht, sie ihrer akademischen Expertise und Schlagkraft zu berauben, lautete darauf die Antwort bei einer Wissenschaftskonferenz.
Ein dicker hellblauer Balken erscheint auf dem Bildschirm im Audimax der Humboldtuniversität zu Berlin. Es ist die erste Hochrechnung zur Bundestagswahl 2017, live übertragen in einer eigens eingeplanten Pause, und jetzt das: In Deutschland ist eine rechtpopulistische Partei drittstärkste Kraft. Es ist damit auf den Kurs vieler anderer europäischer Länder und der USA eingeschwenkt, der gern unter dem Stichwort "postfaktisch" subsummiert wird.
Zu leicht scheint es heute zu sein, diffuses Misstrauen und Fake-News zu säen. Fehlt den Menschen einfach der Wille zum Selberdenken, oder vielleicht doch nur die Übung? Mehr denn je, so scheint es jedenfalls, ist die Kernkompetenz von Philosophen gefragt: kritische Reflexion. Susan Neiman, Leiterin des Einsteinforums in Potsdam glaubt, die Philosophen und Geisteswissenschaftlerinnen bewegten sich zu oft in einer Blase und würden so zu ihrem eigenen Bedeutungsverlust beitragen:
"Man macht 'was Fortschrittliches, man ist antikolonialistisch, man ist antirassistisch, man ist natürlich antinationalistisch und vor allem Anti-Trump, aber wenn die Gespräche nur untereinander geführt werden und nur in einer Fachsprache, die ein paar Leute erreichen, ist es nicht wirklich überraschend, wenn die Leute meinen: 'Ja ok, Humanities taugt sowieso nicht, wir brauchen nicht so viel Studienplätze, wir brauchen nicht so viel Professoren etc.' Natürlich würde sich das nicht alles ändern, wenn wir uns ändern würden. Aber es wäre ein Schritt in der richtige Richtung."
Die Wissenschaft populär zu machen, erscheint unwissenschaftlich
Susan Neiman ist selbst eine populäre Philosophin. Ihre Bücher erreichen eine breite Leserschaft, ihr jüngstes Werk heißt: "Widerstand der Vernunft. Ein Manifest in postfaktischen Zeiten." Dass es aber durchaus auch spielerischere Formen gibt, Philosophie für Laien zugänglich zu machen, wird auf dem Kongress ebenfalls deutlich. Ein Beispiel: die sogenannte performative Philosophie. Performativ, das heißt vor allem eine viel breitere Anwendung darstellerischer und künstlerischer Mittel. Das Forum beginnt direkt mit einem einstudierten Dialog, der allerdings ziemlich akademisch klingt.
Das hat aber auch mit dem Publikum hier zu tun, sagt Rainer Totzke alias Kurt Mondaugen von der Uni Magdeburg:
"Ich schaue immer wo spreche ich und zu wem spreche ich. Wenn ich in der langen Nacht der Wissenschaften was mache ist es was anderes als wenn ich jetzt in einem noch stärker akademischen Kontext mache oder wenn ich in so einem öffentlichen Kulturort mache."
Aber auch das, was man von den Ausrichtenden des Forums an Performances im Netz findet, wirkt recht speziell; in der Regel auf ein bildungsbürgerliches Publikum zugeschnitten. Teilweise ist es das auch, sagt die freie Dozentin und Autorin Heidi Salaverría, aber nicht nur:
"In den Philosophieshows die ich gemacht hab bis jetzt war es ich würde schon sagen, dass es jetzt vielleicht nicht unbedingt der Metzgermeister war, obwohl hatten wir auch schon, also aber tendenziell zumindest offen für Leute die jetzt nicht unbedingt studiert haben müssen. Philosophie darf auch Pop sein. Man kann auch Philosophieshows machen die anspruchsvoll sind und nicht mit diesem Distinktionsgestus auftreten."
Die große Gefahr, den akademischen Status zu verlieren
Nach Erfahrung der Performerin und Philosophin Sonja Schierbaum von der Universität Hamburg sind die populäreren Zugänge im akademischen Betrieb alles andere als anerkannt:
"Es ist eher das Gegenteil: Dass man aufpassen muss, sich nicht selbst 'raus zu katapultieren. Also sozusagen: als Philosoph nicht mehr ernst genommen zu werden - als professioneller."
Wer sich dem gemeinen Volk zuwendet, muss also mit Statusverlust rechnen, was im übrigen auch für diejenigen gilt, die sich um Lehre und Ausbildung bemühen, sagt Susan Neiman:
"Ich meine: Wir wissen alle, dass solche Arbeit keinen Status bringt innerhalb der Akademien. Wenn man sich zu sehr mit der Lehre - vor allem irgendwie mit der Schule, mit Volkshochschule mit Lehrerausbildung - beschäftigt, dann wird das nicht ernst genommen. Und wenn man in die Öffentlichkeit geht, läuft man immer Gefahr: 'Sie ist ja keine richtige Philosophin, sie ist nur Populärphilosophin.'"
Es ist ein Zeichen kritischer Selbstbefragung, dass die Deutsche Gesellschaft für Philosophie der Frage nach der öffentlichen Wirksamkeit auf ihrem Kongress so viel Raum gegeben hat. Das ist in der gegenwärtigen politischen Lage notwendiger denn je.