Deutscher Krimipreis 2019
Preisträger national:
Simone Buchholz: "Mexikoring", Rowohlt 2018
Matthias Wittekindt: "Tankstelle von Courcelles", Nautilus 2018
Max Annas: "Finsterwalde", Rowohlt 2018
Preisträger international:
Hideo Yokoyama: "64", Atrium Verlag 2018
Tom Franklin: "Krumme Type, krumme Type", Pulpmaster 2018
Denise Mina: "Blut Salz Wasser", Ariadne 2018
Viele knappe Sätze und eine klare Haltung
Der deutsche Krimipreis 2019 geht an Simone Buchholz für "Mexikoring". Jurorin Sonja Hartl lobt den knappen "Buchholz-Sound" und "hinreißende Sprachbilder". Auch andere prämierte Krimis seien "hochpolitisch".
Andrea Gerk: Als der Deutsche Krimipreis 1985 zum ersten Mal vergeben wurde, da war dieses Genre lange noch nicht so angesehen und etabliert wie heutzutage. Inzwischen erscheinen Kriminalromane ja ganz selbstverständlich in den angesehensten Literaturverlagen und das ist vielleicht auch ein bisschen diesem Preis zu verdanken.
Wer in diesem Jahr mit den höchsten Weihen der Krimiwelt dekoriert wird, das wurde heute bekanntgegeben. Und eine der Jurorinnen ist jetzt bei mir, die Kino- und Krimispezialistin Sonja Hartl. Hallo, herzlich willkommen!
Sonja Hartl: Hallo!
Gerk: National sind alle drei Preisträger bekannte Namen, die zum Teil auch schon mal den Preis bekommen haben. Nummer eins, Simone Buchholz mit "Mexikoring", ein neuer Fall ihrer Staatsanwältin Chastity Riley. Was hat Simone Buchholz denn so toll gemacht, dass sie alle anderen aus dem Feld geschlagen hat?
Hartl: Simone Buchholz hat ja so einen ganz bestimmten Stil, den Buchholzsound sozusagen. Das sind immer so knappe Sätze und hinreißende Sprachbilder, bei denen man erst denkt, das ist ein bisschen irritierend, aber dann merkt man, das passt wirklich perfekt.
Und diesen Sound hat sie jetzt in "Mexikoring" noch weiter verfeinert. Und dazu ist dann diese Hauptfigur da, Chastity Riley, die wirklich einzigartig ist. Sie ist Mitte 40, arbeitet bei der Staatsanwaltschaft und bisher hatte sie immer so ein Netz von Freunden um sich, das ihr Halt gegeben hat. Dieses Netz zerbricht jetzt und dadurch durchzieht dieses Buch viel spürbarer so eine Traurigkeit, die vorher noch nicht da war, und die nimmt einen unglaublich gefangen beim Lesen.
Dazu kommt dann noch dieser Kriminalfall, der sich im Milieu von Clans abspielt, und das ist ein Thema, das es auch so in den deutschen Krimis wirklich selten gibt.
Gerk: Wie ist das mit den Autoren auf Platz zwei und drei, Matthias Wittekindt, "Die Tankstelle von Courcelles", und Max Anna "Finsterwalde" – was zeichnet denn diese beiden Romane aus?
Hartl: Also Matthias Wittekindts "Tankstelle von Courcelles" ist so ein Prequel zu seiner Reihe um den Polizisten Ohayon, und da geschieht ein Verbrechen und das schreibt sich so nach und nach in die Biographien der jeweiligen Betroffenen ein. Und er zeigt wirklich sehr schön, wie sich Gewalt und Verbrechen auswirken, und zwar über die persönliche Betroffenheit hinaus. Sondern auch, wie sich politische Gewalt oder historische Gewalt in einen Menschen einschreiben kann.
Und bei Max Annas "Finsterwalde" haben wir es mit einem politischen Kriminalroman zu tun, der aber in der Zukunft spielt. Und er macht wirklich etwas, was man eher so aus dem angloamerikanischen Sprachraum kennt, er nimmt halt die Zukunft, um der Gegenwart einen klaren Spiegel vorzuhalten.
"Alle sind wirklich hochpolitisch"
Gerk: Gibt es denn etwas – das klingt ja jetzt schon, als ob das ganz unterschiedliche Romane sind –, aber gibt es dennoch etwas, was die vielleicht im Kern verbindet?
Hartl: Es gibt ja seit Jahren diese Beobachtung, dass Kriminalromane zunehmend politisch werden. Nun glaube ich grundsätzlich nicht, dass es einen unpolitischen Kriminalroman überhaupt geben kann, aber mal abgesehen von diesen grundsätzlichen Bedenken ist es schon so, dass die Preisträger national alle eine ganz klare Haltung haben und auch wirklich hochpolitisch sind.
Bei Simone Buchholz steckt wirklich in jedem der knappen Sätze eine klare Haltung gegenüber der Welt und was gerade passiert. Bei Matthias Wittekindt ist es so eine ruhige, so eine souveräne Prosa, dass sie der Komplexität des von ihm Erzählten, dieser Komplexität von Gewalt und Verbrechen fast gegenübersteht. Und Max Annas bezieht einfach ganz klar Position und sagt, wenn wir jetzt nichts ändern, haben wir eine schreckliche Zukunft vor uns.
Gerk: Jetzt haben Sie ja nicht nur deutschsprachige Autoren ausgezeichnet, sondern auch international geschaut, was da los ist. Da sind die drei Preisträger ja nicht ganz so bekannt.
Hartl: Das stimmt, Hideo Yokoyama ist hierzulande noch nicht so bekannt, aber in Japan ist er tatsächlich sehr, sehr erfolgreich und er wurde auch schon ins Englische übersetzt. Auf dem zweiten Platz ist Tom Franklin gelandet, der ist bisher mehr so etwas für Kenner gewesen, aber ich hoffe, das ändert sich jetzt mit "Krumme Type, krumme Type", das ist auch Abi-Thema in Baden-Württemberg zum Beispiel.
Und Denise Mina ist ja lange nicht so bekannt, wie sie sein sollte, was ich auch regelmäßig bedaure. Und sie hat den dritten Platz bekommen und das ist für mich wirklich eine längst überfällige Anerkennung von einer wirklich großartigen Schriftstellerin, die seit Jahren sozialkritische, spannende, unglaublich präzise beobachtete Krimis schreibt.
Gerk: Ist das auch Ihr Liebling unter den dreien bei international?
Hartl: Ja, das ist sie!
Gerk: Das hört man so raus. Fand ich auch toll, habe ich auch gelesen. Gibt es auch da irgendwas, wo Sie sagen würden, das ist gerade typisch für das, was so international Krimiautoren beschäftigt?
Kleinstadt als Blaupause
Hartl: Also, die Bücher sind stilistisch schon sehr unterschiedlich. Und über "64" wird ja gerne gesagt, er sprengt die Grenzen des Genres. Da habe ich immer so ein bisschen Schwierigkeiten mit, weil diese Grenzen irgendwie nie genau benannt werden, aber alle wissen immer, wann sie gesprengt werden. Das ist aber nun wirklich kein Buch, dass so spannend vorantreibt, sondern es ist ein sehr detailliertes Porträt des japanischen Justizapparates.
Und bei Tom Franklins und Denise Minas Buch könnte man so eine Verbindung sehen, dass sie beide eine Kleinstadt nehmen, um über eine Gesellschaft zu erzählen. Und bei Franklin sind es zwei Männer in Mississippi, die Freunde sein könnten, wenn es denn den Rassismus nicht gäbe, bei Denise Mina ist es eine schottische Kleinstadt, die gespalten ist zwischen arm und reich und Befürwortern und Gegnern des schottischen Unabhängigkeitsreferendums.
Was aber alle drei tatsächlich zeigen, ist, dass die Kategorie des Ortes, die ja in Gesprächen über Kriminalromane immer so eine große Rolle spielt, dass man die nicht überbewerten darf, weil jeder gute Kriminalroman braucht einen Sinn für den Handlungsort, er braucht ein Gefühl dafür, aber das heißt nicht, dass es irgendwie regional verortete Krimis sind. Gewalt und Verbrechen gibt es überall und die sind auch konstitutiv für eine Gesellschaft.
Gerk: Und dann sind aber, so wie Sie das jetzt dargestellt haben, diese Preisträger schon auch ein guter Spiegel für das, was im Krimigenre gerade so möglich ist und was auch eben die Gesellschaft beschäftigt.
Der Krimipreis spiegelt Trends wider
Hartl: Was die Gesellschaft beschäftigt auf jeden Fall. Was möglich ist, da würde ich sagen, dass es schon gerade international Kriminalromane gibt, die formal und inhaltlich ein bisschen gewagter waren. Aber das sind natürlich dann auch Bücher, die polarisieren, und Juryentscheidungen sind Mehrheitsentscheidungen, die schaffen es dann meist nicht auf die vorderen Plätze.
Was der Deutsche Krimipreis aber macht in diesem Jahr, ist, dass er so einige Trends widerspiegelt. Wir haben mit "64" einen Krimi aus Japan und Krimis aus Ostasien bekommen derzeit viel Aufmerksamkeit. Nicht nur Japan mit einer ausgeprägten Krimitradition, sondern auch kriminalliterarisch bisher eher unbekannte Länder wie Korea oder auch Hongkong.
Dann glaube ich auch, dass Zukunftsthriller weiter im Kommen sind, und was der Deutsche Krimipreis auf jeden Fall mal wieder beweist, ist, dass die unabhängigen Verlage wirklich immer im Auge zu behalten sind, denn die liefern seit Jahren guten Stoff, und das wird auch dieses Jahr so bleiben.
Gerk: Sonja Hartl, vielen Dank für dieses Gespräch! Die Titel, die dieses Jahr den Deutschen Krimipreis bekommen haben, die können Sie auch bei uns im Internet nachlesen unter www.deutschlandfunkkultur.de.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.