Zehn Jahre vereint, aber nicht stark
Am 20. Mai 2006 wurde zusammengefügt, was längst zusammengehörte: Der Deutsche Sportbund (DSB) und das Nationale Olympische Komitee (NOK) vereinigten sich zum Deutschen Olympischen Sportbund DOSB. Die Fusion ist allerdings keine Erfolgsgeschichte geworden. Die Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestages, Dagmar Freitag, kritisiert die Führungsspitze im Deutschlandradio Kultur.
Ob schwarz-rot-goldene Mokassins oder stylishe Daybreaker-Hoodies, das sind einfache graue Kapuzenpullis: das offizielle Outfit für die Spiele in Rio de Janeiro ist jedenfalls schon wettbewerbstauglich. 20 Athletinnen und Athleten der deutschen Olympiamannschaft und der Paralympischen Mannschaft präsentieren die Kleidung auf dem Laufsteg. Hier und da etwas ungelenk, aber ihre Botschaft ist eindeutig: Sie haben Spaß an der Vorstellung – und Olympia in Rio kann kommen.
Mit 27 Millionen Mitgliedern die größte Personenvereinigung Deutschlands
Die Fashion-Show in der Stadthalle auf dem Düsseldorfer Messegelände gehört zu den Medien-Events, die die deutschen Olympioniken auf dem Weg nach Rio absolvieren. Mit dabei: der "Chef de Mission" der Olympiamannschaft, Michael Vesper. Schnell macht er noch ein Selfie mit Deutschlands Top-Model Lena Gercke, dann gibt er ein Statement zu den Medaillenchancen des Teams.
"Wir sind guten Mutes, dass wir dort gute Performance geben werden und auch vorne mitmischen werden, wobei wir nicht nur auf die Medaillen schauen, sondern natürlich auch auf die Finalplätze..."
Michael Vesper gehört zum Spitzenpersonal des Deutschen Olympischen Sportbundes. Zehn Jahre ist er nun im Amt, zunächst als Generaldirektor, inzwischen ist er Vorstandsvorsitzender des DOSB.
"… so viel wie möglich dann auch auf dem Treppchen zu stehen".
Damit ist er genauso lange dabei wie der Dachverband des deutschen Sports alt ist. Am 20. Mai 2006 vereinigten sich der Deutsche Sportbund DSB und das Nationale Olympische Komitee NOK zum Deutschen Olympischen Sportbund DOSB. Mit mehr als 27 Millionen Mitgliedern die größte "Personenvereinigung" Deutschlands. Klar, dass Michael Vesper die Fusion für gelungen hält.
"Ja, auf jeden Fall. Denn es war richtig, dass damals dieser Schritt vollzogen worden ist und damit eine starke Stimme des organisierten Sports in Deutschland zu haben. Heute weiß niemand mehr: wer war früher beim NOK, wer war beim DSB, sondern der DOSB ist jetzt die Marke. Das war ja der Sinn dieser Geschichte. Um auch ein Gegeneinander zu vermeiden, das es ja nicht selten bei den Vorgängerorganisationen gegeben hat."
Vereint, aber nicht stark. Diese Bilanz zieht Rolf Müller, der Präsident des Landessportbundes Hessen. Er war schon damals gegen die Fusion. Heute, zehn Jahre danach, sieht er sich in seiner Kritik bestätigt.
"Es war ja durch diese Fusion beabsichtigt, dass man klarere, einheitlichere Strukturen bekommt, und dass man eigentlich das Ziel, das eigentlich Sportbewegungen immer ausgemacht hat, Sport für alle zu bieten, besser organisieren kann. Das hat sich in den zehn Jahren nicht bewahrheitet. Wir sind in der Tat ein Deutscher Olympischer Sportbund, das heißt mit sehr starker Ausrichtung auf den Hochleistungssport, und das, was sich auch demografisch anbietet, die Hinwendung zu mehr Breitensport, Gesundheitssport, Familiensport ist doch sehr auf der Strecke geblieben."
Viele Spitzensportler begrüßten die Fusion
Ein kurzer Rückblick. Zu Beginn der 2000er-Jahre geht dem deutschen Spitzensport die Puste aus. Diagnose: ständig wechselnde Förderkonzepte, mangelnde Talentsuche, unübersichtliche Trainingsstrukturen, anhaltender Ärger darüber, wer für den deutschen Sport spricht: der DSB oder das NOK. Die Therapie: die Fusion am 20. Mai 2006 zum DOSB. Der damalige Vorsitzende der Deutschen Sporthilfe Hans-Wilhelm Gäb:
"Ich sehe in einer neuen Organisation eine bessere Chance, geschlossen aufzutreten, die gesellschaftspolitische Bedeutung des Sports damit deutlicher zu machen, und in der Öffentlichkeit das Bewusstsein dafür zu wecken, dass die deutsche Sportbewegung die größte Bürgerbewegung dieses Landes ist."
Auch ehemalige Spitzensportler begrüßen die Fusion. Allen voran Weitsprung-Olympiasiegerin Heike Drechsler:
"Ich finde es ganz toll, dass zwei so starke Verbände zusammengefunden haben. Es geht ja um die Zukunft des Sports auch. Und sie haben es sehr wohl verstanden, dass es eigentlich auch nur mit einer Fusion machbar ist."
Widerstand der Wintersportverbände
Klar ist aber auch: die Fusion ist eine Vernunftehe, keine Liebesheirat. Der Ehrenpräsident des Nationalen Olympischen Komitees, Walther Tröger, lehnt sie rundweg ab:
"Das ist eine Katastrophe, ich sage das hier ganz deutlich. Das NOK hat nur Positives geleistet, und das NOK ist weitgehend verantwortlich dafür, dass der deutsche Sport national und international so ein gutes Standing hat."
Und auch bei den Spitzenverbänden des Wintersports rumort es kräftig. Wortführer ist der Präsident des Deutschen Skiverbandes, Alfons Hörmann:
"Als Mann aus der Wirtschaft sei mir gestattet festzustellen, dass 75 Prozent aller Fusionen in Deutschland und weltweit nachweislich, in der Wirtschaft und in allen Lebensbereichen, misslingen. Unsere Beurteilung ist die, dass bei dem vorliegenden Konzept die Grenze vom Mut zur Waghalsigkeit überschritten ist."
Drastische Worte. Heute, zehn Jahre danach, ist Alfons Hörmann Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes und muss sich mit den Folgen der Fusion auseinandersetzen. Die im Wesentlichen Michael Vesper zu verantworten hat, der erste Generaldirektor des DOSB:
"Ich fand ein Haus vor, in der Mitte war das Foyer, der Eingang, und dann ging es links zum NOK, früher NOK, und rechts ging es zum, früher DSB. Und das war natürlich in der Zeit auch noch bei vielen die Denke."
"Mister DOSB" hat immer Recht
Eine tolle Herausforderung sei es gewesen, den Umdenkprozess bei den Mitarbeitern einzuleiten, sagt er, sie davon zu überzeugen, wie wichtig es ist, mit einer Stimme zu sprechen. Eine Umstrukturierung, die nach allem, was man hört, nicht ganz spannungsfrei vonstatten ging, auch im persönlichen Umgang miteinander.
"Mister DOSB", wie Michael Vesper von seinen Kritikern spöttisch genannt wird, lässt nie auch nur den Hauch eines Zweifels an der Richtigkeit seiner Aussagen zu. Misserfolge des Deutschen Olympischen Sportbundes wie zum Beispiel das gescheiterte Referendum zur Olympiabewerbung in Hamburg redet er einfach schön.
"Ja, das ist sicherlich ein Wermutstropfen, der aber sicherlich nicht daran liegt, dass es den DOSB gab. Sondern das hat auch mit der Zeit zu tun, in der wir uns derzeit befinden, selbst das Referendum für die DFB-Akademie in Frankfurt ist ja nur mit einem Drittel Befürworter und zwei Dritteln Gegner ausgegangen und hat nur deswegen das Projekt nicht zum Stoppen gebracht, weil das Quorum nicht erreicht worden ist. Also: 48,4 Prozent. So traurig wir darüber sind, so klar muss man auch sehen: das ist für ein Großprojekt in diesem Land von der unmittelbar betroffenen Bevölkerung gar nicht so schlecht."
Deutsche Olympiabewerbungen krachend gescheitert
"Die Bilanz ist aus meiner Sicht mager, weil vor allen Dingen die Richtung, die der DOSB eingeschlagen hat seit der Fusion, nicht stimmt."
Wolfgang Buss, emeritierter Professor am Institut für Sportwissenschaften der Universität Göttingen, kritisiert, dass sich der DOSB in den zehn Jahren seines Bestehens fast ausschließlich um die Themen Olympia und Hochleistungssport gekümmert hat. Und nun, da die Bewerbungen für die Winterspiele in München und die Sommerspiele in Hamburg krachend gescheitert sind, keine ausreichende Ursachenforschung betreibt.
"Es gibt inzwischen schon erste sehr vernünftige Analysen zu dem Flop der Hamburg-Bewerbung. Und dabei wird deutlich, dass man zumindest die Bevölkerung nicht ausreichend mitgenommen hat, und keine öffentliche Diskussion geführt hat, die Transparenz war nicht ausreichend, und das muss doch aber jetzt insgesamt der Maßstab des DOSB sein."
Michael Reinsch, sportpolitischer Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, ergänzt: der organisierte deutsche Sport hat ein gewaltiges Imageproblem. Auch in den eigenen Reihen.
"Die Sportfunktionäre im DOSB sind völlig erschüttert, dass nach ihren Untersuchungen auch Vereinsmitglieder dagegen gestimmt haben, Olympische Spiele in die Stadt zu holen. Das zeugt ja davon, dass Spitzensport und insbesondere Olympischer Sport, dass der in Deutschland überhaupt kein Ansehen mehr hat."
Mehr als nur ein Imageproblem
Sportpolitiker fordern deshalb den Rücktritt der DOSB-Führungsspitze. Die Betroffenen selbst verweisen an dieser Stelle regelmäßig auf die Glaubwürdigkeitskrise, die der Sport insgesamt und weltweit erlebt. Korruption, Doping, Wettbetrug – Manipulationsskandale aller Art bestimmen die Schlagzeilen und lassen vergessen, so die Argumentation, dass jeden Tag Millionen von Menschen begeistert Sport treiben.
Stimmt, sagt Rolf Müller, Präsident des Landessportbundes Hessen. Umso wichtiger findet er, dass der DOSB, wie es in seiner Satzung steht, den Sport "in seiner kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Bedeutung weiter entwickelt".
"Dies kommt mir zu kurz, dass man wirklich einen Diskurs führt über Werte und was Werte in der Realität bedeuten, und dass vor allen Dingen es auch ein Wert sein kann, eben nicht so gierig zu sein wie man das in großen Teilen des vor allen Dingen kommerziellen Sportes sieht. Ich glaube, es würde dem DOSB sehr gut anstehen, eine solche Diskussion über Werte zu führen. Denn er hat als die größte quantitativ gesellschaftliche Macht natürlich auch aus meiner Sicht die Verpflichtung, diese Fragen von Ethik, Moral und Werten anzusprechen."
Beispiel: das Thema Flüchtlinge. Während viele Vereine und Verbände sofort initiativ wurden, passierte beim DOSB lange nichts. Themen wie diese werden vom obersten Dachverband des Sports gern nach unten delegiert. Vielleicht ist das aber auch ganz gut so, sagt Heinz Böhne, Vorsitzender der Turnerschaft Rusbend, einem kleinen Verein im Bückeburger Land mit eigener Tischtennisabteilung und unkonventionellen Ideen.
"Bei uns auf den Dörfern gibt es Dorfgemeinschaftshäuser, da werden wir zwei Tische hinstellen, da ist so eine Seniorentruppe, die können da hingehen, da ist einer von uns dabei, die Tische stehen da, Bälle können sie nehmen, Kaffee trinken, bisschen plauschen und dann spielen. Vielleicht ist ja der eine oder andere dabei, der sagt: 'oh Mensch, habe ich Lust', und dann wird er sich vielleicht auch zum Wettkampf entscheiden. Und dann muss man sofort darauf reagieren, da darf man nicht abwarten, bis der DOSB irgendwelche Geschichten macht. Sondern da muss man als Verein reagieren und sagen 'okay, wir haben ne Hallenzeit, wir haben Übungsleiter, und dann ist die Halle voll'. Vereinssport in Deutschland: der wird vor Ort entschieden."
Wird der Breitensport vernachlässigt?
Mehr Breitensport? Mehr Spitzensport? Zehn Jahre nach der Gründung des Deutschen Olympischen Sportbundes wird mehr denn je darüber debattiert, was sein Kerngeschäft sein sollte. Der Vorstandsvorsitzende Michael Vesper sieht darin keinen Widerspruch.
"Wenn wir keinen Spitzensport hätten, der Sportarten auch bei den jungen Menschen populär machte und Vorbilder produzieren würde, dann würden wir auch in der Breite ein solches Fundament gar nicht bekommen. Eines dürfen Sie nicht vergessen: ohne die Olympische Bewegung wären viele Sportarten überhaupt nicht überlebensfähig. Nur durch die Olympische Bewegung, dadurch dass sie alle vier Jahre ein Mal im Rampenlicht stehen, dadurch dass sie alle vier Jahre ein Mal zeigen können, was diese Sportart bedeutet, was sie bewirken kann, können solche Sportarten sich überhaupt halten."
Einen modernen und humanen Spitzensport zu fördern, darin sieht der DOSB seine Kernaufgabe. Aber auch hier habe er versagt, so die Meinung seiner Kritiker. Nur 44 Medaillen bei den Olympischen Sommerspielen 2012 in London, nur 19 bei den Winterspielen 2014 in Sotschi. Beide Male Platz 6 in der Nationenwertung. Seitdem wartet Sportdeutschland darauf, dass der DOSB ein Konzept vorlegt, wie die Förderung und Steuerung des Leistungssports reformiert und Deutschlands Olympioniken wieder erfolgreicher werden können.
Vorhand, Rückhand, immer wieder – im Nachwuchsleistungszentrum in Hannover trainieren die Mädchen und Jungen, die im Sportinternat leben, die immer gleichen Abläufe. Die 13-jährige Finja Hasters aus Meppen gehört zu den größten Talenten. Zwei Mal am Tag Training, am Wochenende Wettkämpfe, dazu die Schule, wenig Freizeit: ein Leben für den Sport. Zwei Mal hat sie an den Deutschen Meisterschaften teilgenommen, und im Ausland war sie auch schon ein paar Mal.
"Erstmal gucke ich, dass ich halt im Bundeskader bleibe, und auf jeden Fall will ich mal für Deutschland spielen, also auch weiter international viel spielen."
Und Olympia?
"Ja, von Olympia träume ich schon, also, ja."
Mehr Medaillen mit weniger Geld - wie soll das gehen?
Trotz der Erfolge von Timo Boll und Dimitri Ovtcharov gehört auch Tischtennis eher zu den Sportarten, die nur alle vier Jahre bei Olympia ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten. Das Beispiel Tischtennis zeigt, wie schwierig es ist, Kriterien festzulegen, nach denen die Fördermittel für den Spitzensport eingesetzt werden. Heinz Böhne, der Vereinsvorsitzende der Turnerschaft Rusbend, ist auch Präsident des Tischtennisverbandes Niedersachsen und somit verantwortlich für das Nachwuchsleistungszentrum in Hannover:
"Ziel des Spitzensports in Deutschland sind Olympiamedaillen. Wenn man dann die Aussage auch hört: 'wir wollen mehr, aber mit weniger Geld', dann muss man sich schon fragen‚ ja, schön, aber wie stellt ihr euch das eigentlich vor?"
Vor allem in einer Sportart, die wie kaum eine andere von einer Nation, China, dominiert wird.
"Wenn man die Zahl der Medaillen sieht, die ja, wenn man Olympia ganz oben hinstellt, die wir überhaupt gewinnen können als Sportart, dann ist es im Vergleich, egal ob es Rudern ist, Schwimmen, früher mal so ein Mark Spitz, der hat sieben Goldmedaillen gewonnen, die kriegen wir nicht mal zur Hälfte zustande. Wenn wir bei den Herren mal eine Mannschaftsmedaille gewinnen können, dann wäre das schon was. Wenn man das im Blick hat und sich vorstellen muss, die machen das aus betriebswirtschaftlicher Sicht - mit weniger Geld mehr Medaillen -, ist die Frage: was passiert da?"
Hier wünscht sich Heinz Böhne deutlich mehr Einfluss von Seiten des Deutschen Olympischen Sportbundes. Beim einseitigen Streben nach olympischen Medaillen dürfe er nicht vergessen, dass von einer Sportart wie Tischtennis eben auch eine hohe Breitensportwirkung ausgehe. Der Sportfunktionär aus Niedersachsen weiß: es geht ans Eingemachte.
"Im Mittelpunkt steht offensichtlich, dass man die Zahl der Bundesstützpunkte – das sind also die Stützpunkte, die vom Bund gefördert werden, die bestimmte Bedingungen erfüllen müssen und die im Tischtennis beispielsweise allen Kadermitgliedern in Deutschland die Möglichkeit gibt zu trainieren – dass man die von etwa 220, 225 auf circa 150 reduzieren will."
Was kostet eine Olympiamedaille?
153 Millionen Euro steckt das für den Sport zuständige Bundesinnenministerium in diesem Jahr in den Spitzensport. Dazu kommen noch Personal- und Sachleistungen in zweistelliger Millionenhöhe für Athleten und Trainer der Sportfördergruppen von Bundeswehr, Polizei und Zoll.
Das neue, reformierte Förderkonzept sieht vor, die Gelder anders zu verteilen, am besten so, dass mit derselben Summe künftig ein Drittel mehr Medaillen bei Olympia herausspringt.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière machte diese Vorgabe in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im vergangenen Jahr. Deren Sportredakteur Michael Reinsch findet, es ist endlich an der Zeit zu erfahren, was eine Medaille bei Olympia die Gesellschaft wirklich kostet:
"Ich rede jetzt nicht von den zig und hunderttausend Euro, die so ein Fördersystem mit seinen Olympiastützpunkten und Eliteschulen kostet, sondern ich rede vor allen Dingen davon: was ist denn eigentlich mit all denen, die die späteren Olympiasieger als Konkurrenten brauchen, seit sie elf Jahre alt sind und die es nicht bis ganz oben schaffen? Was ist mit all denen, die sagen, 'ich entscheide mich jetzt mal für die Konzentration auf Spitzensport statt für ne Lehre, statt für eine Ausbildung, statt für ein Studium'? Was ist mit denen? Das ist der Preis, den wir wirklich zahlen."
Dafür braucht es einen starken Dachverband des Sports, da sind sich alle Experten einig. Oder besser: fast alle.
Kritik vom Bundesrechnungshof
Der Bundesrechnungshof beispielsweise zweifelt die Führungsrolle des DOSB an. "Weder transparent noch untereinander vergleichbar" seien die Kriterien, nach denen er die Fördergelder verteile. Es müsse Schluss sein mit dem "Beratungsmonopol" des Deutschen Olympischen Sportbundes. Das BMI, das Bundesministerium des Inneren, solle mehr Macht bekommen. Der Vorstandsvorsitzende des DOSB, Michael Vesper, reagiert mit Unverständnis.
"Der DOSB ist der sportfachliche Gutachter. Für die Vergabe der Mittel. Also er rät dem Bundesinnenministerium, wie er diese Mittel tunlichst einsetzen soll, damit sportlich der größte Erfolg hinten rauskommt. Und der Bundesrechnungshof denkt, dass der DOSB als Adressat der Förderung, die er aber selber gar nicht bekommt, ein Interessenvertreter ist. In Wahrheit ist der DOSB die Instanz, die auch zwischen den Interessen der unterschiedlichen Verbände ausgleicht und auch Wertungen vornimmt, was er halt besser kann als das BMI, aufgrund seiner sportfachlichen Kompetenz."
Eine Kompetenz, die zuletzt allerdings kräftige Kratzer abbekommen hat.
(Reinsch:) "Der DOSB hat immer behauptet, es gäbe in Deutschland 5.200 Spitzensportler in seinen verschiedenen Kadern und an seinen Olympiastützpunkten und sonstigen Stützpunkten. Das Innenministerium hat das nie so recht geglaubt. Und hat dann eine eigene Erhebung gemacht, und siehe da, es waren plötzlich, als das BMI nachzählte, nur noch 3.800 Spitzensportler zu finden. Die trainieren nämlich an mehreren Orten abwechselnd. Und wenn man solche Fehler sich nachweisen lassen muss, dann hat man ganz schlechte Argumente in der Effizienzdebatte".
Verbände oder Politik - wer hat das Sagen?
In Berlin tobt ganz offensichtlich ein Machtkampf. Auf der einen Seite der organisierte Sport, der darauf beharrt, autonom zu sein, auf der anderen Seite die Politik, die mehr Einfluss auf die Verteilung der Fördergelder haben will.
"Wir sind jedenfalls kommunikativ in einer sehr schwierigen Situation."
Dagmar Freitag ist Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag. Zu zentralen sportpolitischen Fragestellungen würde sie gern vom DOSB selbst mehr erfahren, dazu ist deren Spitzenpersonal aber viel zu selten bereit.
"Wenn uns Sportpolitikern zugetragen wird, dass ein Gespräch mit den Haushältern doch das zielführendere sei als sich mit dem Sportausschuss zu beschäftigen, dann glaube ich, dass man etwas falsch macht. Wir sind der Fachausschuss, und wir werden uns zum Beispiel auch in die Debatte um die Spitzensportreform einmischen."
Das Konzept für die Reform des Spitzensports wird im Herbst vorliegen, nach den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro. Ob der Sportausschuss des Bundestages im Vorfeld noch in die Debatte einbezogen wird? Eher nicht. Der Ausschuss hatte auch schon eine schonungslose Analyse der gescheiterten Olympiabewerbung für Hamburg gefordert. Vergeblich. Das Verhältnis von Politik und organisiertem Sport ist nachhaltig gestört. Dagmar Freitag *):
"Deutschland ist ein Land, das Olympische Spiele ausrichten kann, vielleicht auch sollte, aber wenn ich sehen muss, dass es ja überwiegend dieselben handelnden Personen waren, die zwei gescheiterte Olympiabewerbungen zu verantworten haben, würde ich mir vorstellen, dass eine neue Mannschaft da erfolgreicher agieren könnte in Sachen Olympiabewerbung."
Vielleicht benötigt der Deutsche Olympische Sportbund schon recht bald neues Spitzenpersonal. Der Vertrag des Vorstandsvorsitzenden Michael Vesper läuft noch bis Ende 2017. Aber wie es mit dem Präsidenten Alfons Hörmann weitergeht, ist derzeit völlig offen. Er steckt in einer arbeitsrechtlichen Auseinandersetzung mit seinem ehemaligen Arbeitgeber. Verliert er sie, kann ihn das auch sein Ehrenamt als Präsident des DOSB kosten.
"Anstoß 2016" soll den angeschlagenen Dachverband wieder fit machen
Vereint, aber nicht stark. Zehn Jahre nach der Fusion lässt sich nüchtern feststellen: sie ist keine Erfolgsgeschichte geworden. Der DOSB hat die Probleme selbst erkannt und stellt seine Arbeit auf den Prüfstand. Unter dem Titel "Anstoß 2016" hat er das renommierte Beratungsunternehmen Ernst und Young beauftragt, den Dachverband des Sports fit für die Zukunft zu machen.
Das sei ein völlig falscher Ansatz, kritisiert der Sportwissenschaftler Wolfgang Buss von der Universität Göttingen.
"Da werden die Ergebnisse dem Vorstand gegenüber vorgelegt, und möglicherweise wird wieder nur das veröffentlicht, was angenehm ist. Was eine Erfolgsbilanz ausweist. Dabei hätte nach meiner Meinung... nach dem durchaus auch strittigen Prozess der Fusion hätte jetzt nach zehn Jahren eine öffentliche Evaluierung stattfinden müssen. Es hätte eine Leistungsbilanz des DOSB auf den Tisch kommen müssen, und es hätte drüber diskutiert werden müssen."
Kritik an der Unterhaltungsindustrie des Hochleistungssports
Wenn nicht jetzt, wann dann soll der organisierte deutsche Sport eine gesellschaftspolitische Debatte über seine Zukunft anschieben? Was unternimmt er zum Beispiel, um die Millionen von Menschen für den Vereinssport zu begeistern, die sich in kommerziellen Fitness-Studios austoben oder ihren Sport treiben, wo und wann sie wollen?
"Wenn man nur mal von einer Zahl ausgeht, dass wir zurzeit ungefähr 120.000 Vereine haben in Deutschland, die in ihrem Satzungsziel Sport drin haben, von diesen 120.000 sind nur 90.000 im DOSB. Dieses Viertel, diese 25 Prozent, die gar nicht im Deutschen Sportbund erfasst sind und Mitglied sind, sind ja auch schon eine Größe, die für sich spricht. Was wollen die Deutschen für einen Sport? Wie soll er finanziert werden? Wie viel Steuermittel sollen eingebracht werden für die Unterhaltungsindustrie des Hochleistungssports?"
Nur so viel ist klar: der Deutsche Olympische Sportbund wird sich weiterhin für den Spitzensport wie für den Breitensport engagieren. Den Spagat muss er leisten. Dafür muss er stark gemacht werden. Nach dem gescheiterten Referendum für eine Olympia-Bewerbung in Hamburg hatte Hockey-Olympiasieger Moritz Fürste getwittert: "Sport in Deutschland ist tot". Heute, ein halbes Jahr später, sieht er nicht mehr ganz so schwarz.
"Ich wünsche mir so viel Sport, wie es geht in unserem Land. Und wenn dafür irgendwelche Verbände oder Institutionen stärker werden müssen, dann wünsche ich mir das auch."
*) An dieser Stelle weicht das Online-Manuskript von der gesendeten Fassung ab. Auf Wunsch des Autors und der Interviewpartnerin wurde eine missverständliche Formulierung entfernt.