Deutscher Richter verteidigt Vorgehen des Internationalen Strafgerichtshofs
Der einzige deutsche Richter am Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag, Hans-Peter Kaul, hat sich hinter IStGH-Chefankläger Luis Moreno-Ocampo gestellt, der Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten Omar Hassan al-Baschir beantragt hatte. Solange sich der Ankläger an den Gründungsvertrag des Gerichtshofs halte, sei das nicht zu beanstanden, sagte Kaul.
Jürgen König: Nach Schätzungen der Vereinten Nationen hat der Darfur-Konflikt im Sudan in den vergangenen Jahren 300.000 Menschen das Leben gekostet. Der Chefankläger beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, Luis Moreno-Ocampo, hat einen Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten Omar Hassan al-Baschir beantragt. Zehn Anklagepunkte wurden angeführt, darunter Mord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Den Zitat "ganzen Staat soll al-Baschir mobilisiert haben", um ,so wörtlich, "zweieinhalb Millionen Menschen in den Flüchtlingslagern physisch zu vernichten".
Zu Gast im Studio ist der einzige deutsche Richter an diesem Strafgerichtshof, Hans-Peter Kaul, maßgeblich beteiligt schon am Zustandekommen dieses Internationalen Strafgerichtshofs. Heute vor zehn Jahren wurde er mit dem Statut von Rom ins Leben gerufen. Auch darüber wollen wir sprechen. Herr Kaul, ich freue mich sehr, dass Sie gekommen sind. Willkommen.
Hans-Peter Kaul: Guten Morgen, Herr König.
König: Beginnen wir mit dem Aktuellen, mit dem beantragten Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten. Mord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden ihm vorgeworfen. Über diesen Haftbefehl muss der Strafgerichtshof jetzt entscheiden. Sie unterliegen dem Gebot richterlicher Zurückhaltung. Gleichwohl, wie wird diese Entscheidungsfindung herbeigeführt werden?
Kaul: Die Kammer kann, wenn sie zu der Überzeugung kommt, diese Beschuldigungen sind plausibel, es gibt hierfür vernünftige Gründe, kann sie einen Haftbefehl erlassen. Wenn die Kammer nicht der Auffassung ist, dass genügend Beweismaterial und genügend Zeugenaussagen vorliegen, kann sie den Haftbefehl ablehnen und sie kann auch weiteres Beweismaterial anfordern. In dieser Phase sind wir also jetzt. Die Prüfung durch die Kammer wird etwa zwei bis drei Monate, so hat der Ankläger es selbst vorhergesagt, dauern. Und dann werden wir sehen, wie die Kammer entscheidet.
König: Gesetzt, es käme zu einem solchen Haftbefehl. Wie könnten Sie ihn umsetzen? Wie könnten Sie al-Baschir festsetzen?
Kaul: Das ist eine Frage, die jetzt noch nicht zu beurteilen ist, aber ich kann dennoch etwas dazu sagen, weil die gleiche Frage dem Ankläger von einer japanischen Journalistin gestellt worden ist. Der Ankläger hat daraufhin zu Recht gesagt, wenn tatsächlich ein Haftbefehl zustande kommt, dann werden wir die Vertragsstaaten ersuchen, bei sich bietenden Gelegenheiten den sudanesischen Staatspräsidenten festzunehmen, …
König: Wenn er im Ausland ist zum Beispiel.
Kaul: … Wenn er im Ausland ist festzunehmen. Und wir werden auch Nichtvertragsstaaten ersuchen, uns dabei zu helfen. Da besteht allerdings keine Pflicht zur Unterstützung des Strafgerichtshofs.
König: UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat sich ziemlich entsetzt, oder sagen wir mal ablehnend gegenüber diesem Haftbefehl gezeigt. Der Friedensprozess, hat er gesagt, werde dadurch zunichte gemacht und die 20.000 UN-Soldaten im Sudan kämen in erhebliche Gefahr. Auf der anderen Seite gibt es ja den Auftrag des Sicherheitsrates der UN, den Völkermord von Darfur zu untersuchen. Zeigt das nicht so dieses grundsätzliche Dilemma des Internationalen Strafgerichtshofs?
Kaul: Der Strafgerichtshof kann nur im Rahmen der Bestimmungen seines Gründungsvertrages überhaupt operieren. Ich gehe davon aus, dass der Ankläger sehr wohl sich bewusst ist, wie aufmerksam die internationale Öffentlichkeit diesen Fall beobachten wird. Und er wird daher sehr versuchen, alle möglichen Fehler nach Kräften zu vermeiden. Solange der Ankläger und alle Beteiligten des Gerichtes sich an den Gründungsvertrag des Gerichtshofs halten, ist das nicht zu beanstanden.
König: Vor zehn Jahren wurde mit dem Statut von Rom die Grundlage für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gelegt. Vor gut fünf Jahren nahm der Strafgerichtshof seine Arbeit auf. Wir sprechen mit dem einzigen deutschen Richter dort, Hans-Peter Kaul. Herr Kaul, wie sehen Sie die ersten zehn Jahre dieses Strafgerichtshofs in Den Haag?
Kaul: Es ist eine gemischte Bilanz, bei der aus meiner Sicht aber doch das Positive klar überwiegt. Sie müssen erst einmal sich klarmachen, was es für ein Fortschritt ist, dass 1998, am 17. Juli 1998 durch den freien Willen der internationalen Gemeinschaft ein neues Weltstrafgericht beschlossen wurde. Alle bisherigen Gerichte, die internationalen Gerichte, die es gab, das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal, die Ad-hoc-Strafgerichte betreffend das ehemalige Jugoslawien und Ruanda, das Sierra Leone-Tribunal, auch das Sondertribunal in Kambodscha, das sind alles Gerichte, die nach den Verbrechen geschaffen worden sind, ad hoc geschaffen worden sind, die von einflussreichen Mächten oder dem Sicherheitsrat geschaffen worden sind, die der ganzen Welt sozusagen auferlegt wurden und diese Gerichte sind allesamt selektiv.
Wir haben hier nun nunmehr das erste Weltstrafgericht, welches auf Dauer angelegt ist, welches zukunftsorientiert ist und vor dem in vollem Umfang der Grundsatz gilt: "Gleiches Recht für alle, Gleichheit vor dem Recht, kein selektives Gericht". Das ist der große Fortschritt. Und aus diesem Grund hat dieses Gericht diesen enormen Zuspruch erfahren. In kurzer Zeit haben 106 Statten diesen hochkomplexen Vertrag ratifiziert und sind ihm beigetreten. Wir haben also jetzt bereits weit über die Hälfte der Staaten der Erde, die dieses neue Weltgericht unterstützen.
König: Das klingt jetzt so, als wollten Sie sagen, der größte Erfolg dieses Internationalen Strafgerichtshofes ist, dass es ihn gibt. Oder? Was war der größte Erfolg bisher dieser Institution?
Kaul: In der Tat, in der Tat haben Sie einen guten Punkt gemacht, denn die Wirkung des Internationalen Strafgerichtshofs misst sich nicht an der Zahl der erledigten Fälle, sondern die misst sich daran, dass eine Institution da ist, die wie eine Art von Mahnmal daran erinnert, dass Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen nicht straflos bleiben dürfen, ganz gleich, welchen Rang und welche Nationalität die Täter haben und im Namen welcher Ideologie diese Fälle begangen wurden.
König: Gleichwohl, wenn man jetzt sich die vergleichsweise dreiste Haltung des sudanesischen Präsidenten anguckt, der den Strafgerichtshof nicht anerkennt und so den Sudan nicht verlässt, vermutlich nicht habhaft gemacht werden kann, dann zeigt das doch auch die Ohnmacht dieser Institution.
Kaul: Warten wir doch einmal ab. Es hat auch niemand für möglich gehalten, dass ein Herr Milosewic eines Tages vor dem Jugoslawien-Tribunal sich rechtfertigen würde müssen. Wir warten einmal ab. Im Übrigen, es kommt auch im nationalen Bereich vor. Denken Sie mal an die terroristischen Verbrechen, dass schwerste Verbrechen geschehen und über Jahre, Jahrzehnte ungesühnt bleiben. Einige der schwersten terroristischen Gewalttaten der 70er, 80er Jahre, der Roten Armee Fraktion sind bis heute nicht vollkommen aufgeklärt. Es ist ein schwieriges Geschäft, diese komplexen Verbrechen aufzuklären, zu verfolgen und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Aber dass es da gelegentlich zu, oder dass es immer wieder zu Verzögerungen kommt, dass die Täter alles daran setzen, sich dem Arm des Gesetzes zu entziehen, das ändert nichts an der Notwendigkeit, diese Sache weiter zu betreiben.
König: Lassen Sie uns noch einmal auf die Arbeit des Strafgerichtshofs in Den Haag kommen. Die Financial Times Deutschland schrieb mal unter der Überschrift "täglich juristisches Neuland", wie schwer es sei für diesen Apparat, Routine zu entwickeln. Wie weit ist es damit bis jetzt gekommen?
Kaul: Wir sind weit in dieses juristische Neuland vorgestoßen, aber es gibt noch erhebliche Regionen, die durch Jurisprudenz geklärt und entschieden werden müssen. Wir haben bisher vor unserem Gericht vier aktuelle Fälle laufen, aber es ist zum Beispiel noch kein Endurteil gegen die Beschuldigten ergangen, es ist kein abschließendes Berufungsurteil ergangen. Es sind zum Beispiel die ganzen Fragen der Beteiligung von Opfern und dann auch die neuartige Frage, wie werden die Opfer dieser Massenverbrechen eines Tages entschädigt? Das ist alles noch ungeklärt, hier warten auf meine Kollegen und mich noch ganz erhebliche Arbeiten.
Und es ist sehr, sehr spannend, das kann ich Ihnen sagen, weil wir als Grundlage eine Art von hybrides Recht aus allen Rechtssystemen anwenden müssen. Dieser, unser Gründungsvertrag ist ein geschlossenes juristisches System. Sie haben einen allgemeinen Teil des Strafrechts, Sie haben das materielle Strafrecht, Sie haben den Gerichtsaufbau, Sie haben das gesamte Strafverfahren. All das ist neuartig, existiert jedenfalls nicht genau so in irgendeinem anderen Staat. Und das macht einerseits die Schwierigkeit, aber auch den Reiz der Aufgabe aus.
König: Die USA haben sich immer gegen diesen Strafgerichtshof ausgesprochen. Mit welchen Hoffnungen schauen Sie auf eine mögliche Wahl Barack Obamas zum Beispiel?
Kaul: Sowohl der republikanische Präsidentschaftskandidat McCain, wie auch Obama haben freundlich wohlwollende, aber leider unverbindliche Äußerungen gemacht. Man muss also abwarten. Es wäre schon ein Unterschied wie Tag und Nacht, wenn die USA auch ohne Mitglied zu sein mit ihren ungeheuren Machtmitteln, mit ihren Einflussmitteln, mit ihren Erkenntnismöglichkeiten den Strafgerichtshof auch außerhalb des Gerichtes, außerhalb der Vertragsstaatengemeinschaft immer dann unterstützen würden, wenn es ihren Interessen entspricht. Auf diesen Tag warte ich. Und es gibt Gott sei Dank in den USA ganz erhebliche Kräfte, zum Beispiel der riesige amerikanische Anwaltsverein mit 400.000 Mitgliedern, die auch für dieses Ziel arbeiten.
König: Und ich bin sicher, Herr Kaul, bei der Leidenschaft, mit der Sie dieses Projekt vorantreiben, ist für Sie völlig klar, dass eines Tages der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag eine Selbstverständlichkeit in der Welt sein wird.
Kaul: Schauen Sie, vor zehn Jahren gab es diese Institution nicht, es war eine Utopie. Heute ist es eine Wirklichkeit mit 860 Mitarbeitern. Ja, in absehbarer Zeit, legen wir uns mal nicht genau fest, in ein paar Jahrzehnten wird der Internationale Strafgerichtshof eine respektierte, eine anerkannte Institution sein, die Teil der internationalen Normalität ist.
König: Der Internationale Strafgerichtshof von Den Haag wird zehn Jahre alt. Von den genauen Umständen seiner Gründung hören wir nachher im Kalenderblatt. Wir sprachen jetzt mit einem der Wegbereiter dieser Institution, mit dem einzigen deutschen Richter dort, mit Hans-Peter Kaul. Herr Kaul, vielen Dank.
Zu Gast im Studio ist der einzige deutsche Richter an diesem Strafgerichtshof, Hans-Peter Kaul, maßgeblich beteiligt schon am Zustandekommen dieses Internationalen Strafgerichtshofs. Heute vor zehn Jahren wurde er mit dem Statut von Rom ins Leben gerufen. Auch darüber wollen wir sprechen. Herr Kaul, ich freue mich sehr, dass Sie gekommen sind. Willkommen.
Hans-Peter Kaul: Guten Morgen, Herr König.
König: Beginnen wir mit dem Aktuellen, mit dem beantragten Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten. Mord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden ihm vorgeworfen. Über diesen Haftbefehl muss der Strafgerichtshof jetzt entscheiden. Sie unterliegen dem Gebot richterlicher Zurückhaltung. Gleichwohl, wie wird diese Entscheidungsfindung herbeigeführt werden?
Kaul: Die Kammer kann, wenn sie zu der Überzeugung kommt, diese Beschuldigungen sind plausibel, es gibt hierfür vernünftige Gründe, kann sie einen Haftbefehl erlassen. Wenn die Kammer nicht der Auffassung ist, dass genügend Beweismaterial und genügend Zeugenaussagen vorliegen, kann sie den Haftbefehl ablehnen und sie kann auch weiteres Beweismaterial anfordern. In dieser Phase sind wir also jetzt. Die Prüfung durch die Kammer wird etwa zwei bis drei Monate, so hat der Ankläger es selbst vorhergesagt, dauern. Und dann werden wir sehen, wie die Kammer entscheidet.
König: Gesetzt, es käme zu einem solchen Haftbefehl. Wie könnten Sie ihn umsetzen? Wie könnten Sie al-Baschir festsetzen?
Kaul: Das ist eine Frage, die jetzt noch nicht zu beurteilen ist, aber ich kann dennoch etwas dazu sagen, weil die gleiche Frage dem Ankläger von einer japanischen Journalistin gestellt worden ist. Der Ankläger hat daraufhin zu Recht gesagt, wenn tatsächlich ein Haftbefehl zustande kommt, dann werden wir die Vertragsstaaten ersuchen, bei sich bietenden Gelegenheiten den sudanesischen Staatspräsidenten festzunehmen, …
König: Wenn er im Ausland ist zum Beispiel.
Kaul: … Wenn er im Ausland ist festzunehmen. Und wir werden auch Nichtvertragsstaaten ersuchen, uns dabei zu helfen. Da besteht allerdings keine Pflicht zur Unterstützung des Strafgerichtshofs.
König: UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat sich ziemlich entsetzt, oder sagen wir mal ablehnend gegenüber diesem Haftbefehl gezeigt. Der Friedensprozess, hat er gesagt, werde dadurch zunichte gemacht und die 20.000 UN-Soldaten im Sudan kämen in erhebliche Gefahr. Auf der anderen Seite gibt es ja den Auftrag des Sicherheitsrates der UN, den Völkermord von Darfur zu untersuchen. Zeigt das nicht so dieses grundsätzliche Dilemma des Internationalen Strafgerichtshofs?
Kaul: Der Strafgerichtshof kann nur im Rahmen der Bestimmungen seines Gründungsvertrages überhaupt operieren. Ich gehe davon aus, dass der Ankläger sehr wohl sich bewusst ist, wie aufmerksam die internationale Öffentlichkeit diesen Fall beobachten wird. Und er wird daher sehr versuchen, alle möglichen Fehler nach Kräften zu vermeiden. Solange der Ankläger und alle Beteiligten des Gerichtes sich an den Gründungsvertrag des Gerichtshofs halten, ist das nicht zu beanstanden.
König: Vor zehn Jahren wurde mit dem Statut von Rom die Grundlage für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gelegt. Vor gut fünf Jahren nahm der Strafgerichtshof seine Arbeit auf. Wir sprechen mit dem einzigen deutschen Richter dort, Hans-Peter Kaul. Herr Kaul, wie sehen Sie die ersten zehn Jahre dieses Strafgerichtshofs in Den Haag?
Kaul: Es ist eine gemischte Bilanz, bei der aus meiner Sicht aber doch das Positive klar überwiegt. Sie müssen erst einmal sich klarmachen, was es für ein Fortschritt ist, dass 1998, am 17. Juli 1998 durch den freien Willen der internationalen Gemeinschaft ein neues Weltstrafgericht beschlossen wurde. Alle bisherigen Gerichte, die internationalen Gerichte, die es gab, das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal, die Ad-hoc-Strafgerichte betreffend das ehemalige Jugoslawien und Ruanda, das Sierra Leone-Tribunal, auch das Sondertribunal in Kambodscha, das sind alles Gerichte, die nach den Verbrechen geschaffen worden sind, ad hoc geschaffen worden sind, die von einflussreichen Mächten oder dem Sicherheitsrat geschaffen worden sind, die der ganzen Welt sozusagen auferlegt wurden und diese Gerichte sind allesamt selektiv.
Wir haben hier nun nunmehr das erste Weltstrafgericht, welches auf Dauer angelegt ist, welches zukunftsorientiert ist und vor dem in vollem Umfang der Grundsatz gilt: "Gleiches Recht für alle, Gleichheit vor dem Recht, kein selektives Gericht". Das ist der große Fortschritt. Und aus diesem Grund hat dieses Gericht diesen enormen Zuspruch erfahren. In kurzer Zeit haben 106 Statten diesen hochkomplexen Vertrag ratifiziert und sind ihm beigetreten. Wir haben also jetzt bereits weit über die Hälfte der Staaten der Erde, die dieses neue Weltgericht unterstützen.
König: Das klingt jetzt so, als wollten Sie sagen, der größte Erfolg dieses Internationalen Strafgerichtshofes ist, dass es ihn gibt. Oder? Was war der größte Erfolg bisher dieser Institution?
Kaul: In der Tat, in der Tat haben Sie einen guten Punkt gemacht, denn die Wirkung des Internationalen Strafgerichtshofs misst sich nicht an der Zahl der erledigten Fälle, sondern die misst sich daran, dass eine Institution da ist, die wie eine Art von Mahnmal daran erinnert, dass Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen nicht straflos bleiben dürfen, ganz gleich, welchen Rang und welche Nationalität die Täter haben und im Namen welcher Ideologie diese Fälle begangen wurden.
König: Gleichwohl, wenn man jetzt sich die vergleichsweise dreiste Haltung des sudanesischen Präsidenten anguckt, der den Strafgerichtshof nicht anerkennt und so den Sudan nicht verlässt, vermutlich nicht habhaft gemacht werden kann, dann zeigt das doch auch die Ohnmacht dieser Institution.
Kaul: Warten wir doch einmal ab. Es hat auch niemand für möglich gehalten, dass ein Herr Milosewic eines Tages vor dem Jugoslawien-Tribunal sich rechtfertigen würde müssen. Wir warten einmal ab. Im Übrigen, es kommt auch im nationalen Bereich vor. Denken Sie mal an die terroristischen Verbrechen, dass schwerste Verbrechen geschehen und über Jahre, Jahrzehnte ungesühnt bleiben. Einige der schwersten terroristischen Gewalttaten der 70er, 80er Jahre, der Roten Armee Fraktion sind bis heute nicht vollkommen aufgeklärt. Es ist ein schwieriges Geschäft, diese komplexen Verbrechen aufzuklären, zu verfolgen und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Aber dass es da gelegentlich zu, oder dass es immer wieder zu Verzögerungen kommt, dass die Täter alles daran setzen, sich dem Arm des Gesetzes zu entziehen, das ändert nichts an der Notwendigkeit, diese Sache weiter zu betreiben.
König: Lassen Sie uns noch einmal auf die Arbeit des Strafgerichtshofs in Den Haag kommen. Die Financial Times Deutschland schrieb mal unter der Überschrift "täglich juristisches Neuland", wie schwer es sei für diesen Apparat, Routine zu entwickeln. Wie weit ist es damit bis jetzt gekommen?
Kaul: Wir sind weit in dieses juristische Neuland vorgestoßen, aber es gibt noch erhebliche Regionen, die durch Jurisprudenz geklärt und entschieden werden müssen. Wir haben bisher vor unserem Gericht vier aktuelle Fälle laufen, aber es ist zum Beispiel noch kein Endurteil gegen die Beschuldigten ergangen, es ist kein abschließendes Berufungsurteil ergangen. Es sind zum Beispiel die ganzen Fragen der Beteiligung von Opfern und dann auch die neuartige Frage, wie werden die Opfer dieser Massenverbrechen eines Tages entschädigt? Das ist alles noch ungeklärt, hier warten auf meine Kollegen und mich noch ganz erhebliche Arbeiten.
Und es ist sehr, sehr spannend, das kann ich Ihnen sagen, weil wir als Grundlage eine Art von hybrides Recht aus allen Rechtssystemen anwenden müssen. Dieser, unser Gründungsvertrag ist ein geschlossenes juristisches System. Sie haben einen allgemeinen Teil des Strafrechts, Sie haben das materielle Strafrecht, Sie haben den Gerichtsaufbau, Sie haben das gesamte Strafverfahren. All das ist neuartig, existiert jedenfalls nicht genau so in irgendeinem anderen Staat. Und das macht einerseits die Schwierigkeit, aber auch den Reiz der Aufgabe aus.
König: Die USA haben sich immer gegen diesen Strafgerichtshof ausgesprochen. Mit welchen Hoffnungen schauen Sie auf eine mögliche Wahl Barack Obamas zum Beispiel?
Kaul: Sowohl der republikanische Präsidentschaftskandidat McCain, wie auch Obama haben freundlich wohlwollende, aber leider unverbindliche Äußerungen gemacht. Man muss also abwarten. Es wäre schon ein Unterschied wie Tag und Nacht, wenn die USA auch ohne Mitglied zu sein mit ihren ungeheuren Machtmitteln, mit ihren Einflussmitteln, mit ihren Erkenntnismöglichkeiten den Strafgerichtshof auch außerhalb des Gerichtes, außerhalb der Vertragsstaatengemeinschaft immer dann unterstützen würden, wenn es ihren Interessen entspricht. Auf diesen Tag warte ich. Und es gibt Gott sei Dank in den USA ganz erhebliche Kräfte, zum Beispiel der riesige amerikanische Anwaltsverein mit 400.000 Mitgliedern, die auch für dieses Ziel arbeiten.
König: Und ich bin sicher, Herr Kaul, bei der Leidenschaft, mit der Sie dieses Projekt vorantreiben, ist für Sie völlig klar, dass eines Tages der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag eine Selbstverständlichkeit in der Welt sein wird.
Kaul: Schauen Sie, vor zehn Jahren gab es diese Institution nicht, es war eine Utopie. Heute ist es eine Wirklichkeit mit 860 Mitarbeitern. Ja, in absehbarer Zeit, legen wir uns mal nicht genau fest, in ein paar Jahrzehnten wird der Internationale Strafgerichtshof eine respektierte, eine anerkannte Institution sein, die Teil der internationalen Normalität ist.
König: Der Internationale Strafgerichtshof von Den Haag wird zehn Jahre alt. Von den genauen Umständen seiner Gründung hören wir nachher im Kalenderblatt. Wir sprachen jetzt mit einem der Wegbereiter dieser Institution, mit dem einzigen deutschen Richter dort, mit Hans-Peter Kaul. Herr Kaul, vielen Dank.