"Er ist in der Zeit emigriert"
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Günter de Bruyn gehörte zu den wichtigsten deutschen Autoren nach dem Zweiten Weltkrieg. Er kritisierte offen das SED-Regime der DDR und schrieb noch bis ins hohe Alter gefeierte Bücher. Nun ist er mit 93 Jahren gestorben.
Der Schriftsteller Günter de Bruyn ist tot. Er starb im Alter von 93 Jahren, wie der Landkreis Oder-Spree unter Berufung auf de Bruyns Familie am Donnerstag mitteilte.
Günter de Bruyn, geboren in Berlin, war einer der bedeutendsten Schriftsteller der DDR und des wiedervereinigten Deutschland. Zu seinen Werken gehören die Romane "Buridans Esel" (1968), "Märkische Forschungen" und "Neue Herrlichkeit" (1984) sowie die autobiografischen Schriften "Zwischenbilanz" (1992) und "Vierzig Jahre" (1996). Sein letztes Buch erschien vor zwei Jahren: "Der neunzigste Geburtstag".
Günter de Bruyn habe sehr abgeschieden gelebt, erzählt der Lyriker Norbert Hummelt. De Bruyn habe in Brandenburg seit den 60er-Jahren in einer alten Mühle gelebt in einer Gegend, die er selbst als "im Abseits" bezeichnet habe.
"In dieses Abseits hat er sich zurückgezogen, um da nicht gefunden zu werden, vielleicht in der damaligen Gesellschaft, in dem Staat, in dem er lebte, in der DDR. Das ist natürlich so ganz nicht möglich gewesen", sagt Hummelt. "Es ist aber schon eine für ihn sehr typische Geste."
Der Autor wurde nach dem Zweiten Weltkrieg Lehrer, arbeitete als Bibliothekar und sei recht spät freier Schriftsteller geworden, so Hummelt.
In seinem Werk setzte sich der Autor kritisch mit dem Privatleben der Kulturschaffenden in der DDR auseinander. Wegen seiner Kritik am SED-Regime ließ die Zensur die erste Auflage seines Romans "Neue Herrlichkeit" einstampfen. Erst nachdem es in Westdeutschland (bei Fischer) erschienen war, kam es auch in der DDR heraus. 1989 nahm de Bruyn den Nationalpreis der DDR nicht an. Er sagte später über diese Zeit: "Mein Leben spielte sich zwar in der DDR ab, aber es blieb doch mein Leben."
Rechercheur vergessener Geschichten
Ausgereist ist Günter de Bruyn nicht. "Aber er ist in der Zeit emigriert", so Hummelt. De Bruyn sei ein Chronist und genauer Beobachter gewesen und habe sich aus der Gegenwart in die Zeit um 1800 zurückgezogen. "In dieser Zeit hat er sich sehr wohlgefühlt und hat später auf Streifzügen durch die Mark Brandenburg diese alten Musenhöfe, Schlösser und Güter besucht und hat da die vergessenen Geschichten recherchiert."
Dabei habe er allerdings nie die Gegenwart aus dem Blick verloren. Er habe immer klar gemacht, dass man die Vergangenheit von heute aus betrachtet. "In kaum vernehmbaren Sendungen hat er die Geschichten aus der Vergangenheit benutzt, um der heutigen Zeit etwas entgegenzuhalten. Und er hat, wie ich finde, das so fein gemacht, mit unscheinbaren, präzisen Formulierungen, dass er im Grunde unterhalb des Radars der Zensoren geflogen ist, weil sie das eigentlich gar nicht verstanden haben."
(leg/nho)