Edgar Selge für Soloperformance in "Unterwerfung" ausgezeichnet
Die Verleihung des elften Deutschen Theaterpreises in Freiburg war zum einen ein Abend der getarnten Lebenswerk-Preise. So wurden mit dem "Faust" neben Edgar Selge auch Hans Neuenfels und Frank Castorf geehrt. Zum anderen war er auffällig unpolitisch.
Es war der Abend der getarnten Lebenswerk-Preise. Fast immer, wenn ein renommierter Theatermacher gegen jüngere Konkurrenten für den "Faust" nominiert war, ging er als Sieger aus dem Rennen.
Frank Castorf erhielt den "Faust" für die beste Regie für "Brüder Karamasow" an der Berliner Volksbühne (vermutlich eine Art Abschiedsgeschenk für seine zu Ende gehende Volksbühnen-Ära), Peter Konwitschny stach die Konkurrenz mit seiner Musik-Theater-Regie für "La Juive" am Nationaltheater Mannheim aus, in der er Christen und Juden durch blaue und gelbe Gummihandschuhe erkennbar macht (Zitat Konwitschny im Einspieler: "Juden und Christen verstehen sich nicht. Und töten sich.") Beide Regie-Großmeister ließen sich entschuldigen und für die Dankesrede vertreten.
Edgar Selge wurde als bester Schauspieler für seine fast dreistündigen Solo-Parforceritt in Karin Beiers Inszenierung "Unterwerfung" am Hamburger Schauspielhaus ausgezeichnet und Achim Freyer in der Kategorie Bühnenbild/Kostüme für seine Umsetzung von "Esame di mezzanotte" in der er gleich noch für Regie und Videos zuständig war – ebenfalls am Nationaltheater Mannheim. Alles völlig verdiente Preisträger.
Aber der Preis für das Lebenswerk stand da ja noch aus: den überreichte am Ende des Abends der langjährige Bühnenvereins-Chef Klaus Zehelein, nach mit verrauchter Stimme vorgetragener Laudatio an den Regisseur, Schriftsteller und Filmemacher Hans Neuenfels – der, mit noch verrauchterer Stimme, dankte.
Bewährtes auszeichnen – oder Ungewöhnliches unterstützen?
Doch irgendwie blieb der Eindruck haften, dass dieser "Faust" gar nicht richtig weiß, was er eigentlich will. Bewährtes auszeichnen – oder Ungewöhnliches unterstützen? Die finale Auswahl der Deutschen Akademie der darstellenden Künste lässt vermuten, dass man eher auf Bekanntes setzt.
Dabei waren die meisten Mit-Nominierten – wie zum Beispiel in der Kategorie Bühnenbild/Kostüme – wie selbst Achim Freyer sagte: "so toll". Dann aber ergänzte der 82-Jährige, auch er sei als junger Mann "so toll" gewesen und hätte nie einen Preis bekommen. So ist es eben. "Theater ist Betrug" fasste Freyer nüchtern zusammen und freute sich über seinen "Faust".
Kluge Worte von Liesbeth Coltof
Kluge Worte fand die Niederländerin Liesbeth Coltof, die seit knapp zehn Jahren regelmäßig in Palästina arbeitet und für die Flüchtlingsgeschichte "Der Junge mit dem Koffer" – eine Produktion des Jungen Schauspiel Düsseldorf- den Preis für die beste Kinder- und Jugendtheater-Regie holte. Sie betonte, wie sehr Theater aktuelle Prozesse erlebbar machen könne.
Hören Sie hier ein Interview, das Susanne Burkhardt vor der Preisverleihung mit Liesbeth Coltof geführt hat.
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Und doch noch eine Überraschung
Und dann eine Überraschung: "Bester Tänzer": Aloalii Naughton Tapu, der in "Urban Soul Café" im Ballhaus Ost in Berlin seine Biografie tänzerisch – nur mit Glitzershorts bekleidet – erzählt (und dabei auf Vorbilder wie Pina Bausch und Royston Maldoom rekuriert). Eine freie Produktion? Irgendwie hatte man schon vergessen, dass auch die hier eine Chance haben könnten. Aber nach welchen Kriterien? Der junge Neuseeländer stand – gemeinsam mit Nicole Chevalier, "beste Sängerin", die in "Hoffmanns Erzählungen" gleich in vier Rollen an der Komischen Oper brilliert und dem Schweden Alexander Ekman "bester Choreograf" für "COW" an der Sächsischen Staatsoper Dresden, in der er das friedliche Wesen der Kuh tänzerisch hinterfragt, an diesem Abend für das Unterhaltende, Schräge, Überraschende im Theater.
Unkonkret und wenig scharf
Ein kleiner Lichtblick immerhin, denn der Rest des Abends ging routiniert, aber irgendwie lustlos über die Bühne. Auch wenn Schauspieler Milan Peschel als Moderator versuchte, hier und da Kritisches anzubringen, wie die niedrigen Honorare von jungen Schauspielern oder die ungerechte Zusammenfassung von Kostüm und Bühnenbild in einer Kategorie – so blieben solche Anspielungen zu unkonkret und wenig scharf. Kein Lachen, das im Halse stecken blieb.
Nach der "Faust"-Theater-Preisverleihung des vergangenen Jahres in Saarbrücken – die noch stark unter den damals nur einen Tag zuvor verübten Terroranschlägen in Frankreich stand – wirkte diese Ausgabe merkwürdig blass. Wenig (selbst-)kritische, aufrüttelnde Stimmen. Und das ein Jahr nach einem Sommer, in dem die Welt zu uns aufgebrochen ist. Ein paar mehr deutliche Worte darüber, was Theater in diesen Zeiten sein kann und soll, hätten gut getan.