Urwald oder ab in die Holzfabrik?
Dem deutschen Wald geht es gut. Doch ist sein Holz heute nur noch eine nachwachsende Ressource für die deutsche Industrie? Landwirtschaftsminister Christian Schmidt hofft jedenfalls auf eine steigende Bedeutung des deutschen Waldes für die Ökonomie.
Forstdirektor Ulrich Mergner: "Der Baum ist ungefähr 120 - 130 Jahre alt."
Wie lange dauert es, den zu fällen?
Forstarbeiter: "Keine fünf Minuten."
Wie lange dauert es, den zu fällen?
Forstarbeiter: "Keine fünf Minuten."
Christian Schmidt: "Sie merken, ich bin ganz optimistisch. Gehen wir mal in den Wald und lassen uns etwas sagen."
Christian Schmidt, der Bundeslandwirtschaftsminister ist in das Revier Spechtswald gekommen, bei Eberswalde im Nordosten Brandenburgs. Ein Vorzeigewald. Wie ihn das Waldgesetz wünscht: Einer, der wirtschaftliche Erträge bringt, der der Erholung dient und dabei auch noch eine vielfältige Tier- und Pflanzenwelt beherbergt. Hier stehen stattliche Rotbuchen und Kiefern, aus abgestorbenen Baumstümpfen wachsen graustreifige Zunderschwämme. Am Waldweg recken sich ein paar junge Douglasien mit ihren aromatischen nach Zitrone riechenden Nadeln. Der Minister ist nicht allein im Grün. Der Revierförster und Wissenschaftler begleiten ihn, Vertreter des zuständigen Landesministeriums in Potsdam sind dabei. Hoher politischer Besuch für den Wald. Und hoch sind die Erwartungen, die von der Politik an den Wald gestellt werden.
"Der Wald hat eine Bedeutung in Zahlen von über einer Million Arbeitsplätzen, die am Wald hängen, sei es unmittelbar, die Förster, aber auch die in der Holz verarbeitenden Industrie und im Bau etc. Das heißt eine sehr große Bedeutung. Der Wald hat eine sehr große Substitutbedeutung, weil er mit der Nachhaltigkeit auch andere Produkte, beispielsweise Kunststoffe ersetzen kann. Ich erwarte eher eine steigende Bedeutung im ökonomischen Bereich für den Wald im Verhältnis zu heute. Das heißt: eine Million plus."
Aber kann der Wald auch leisten, was sich der Minister von ihm erhofft? Hat Deutschland den richtigen Wald dafür? Dass er optimistisch ist, hat Schmidt ja schon gesagt. Eine breit angelegte Untersuchung der deutschen Wälder gibt ihm recht. Die Bundeswaldinventur, die alle zehn Jahre durchgeführt wird.
Beim Termin im Spechtswald macht sich der Minister mit den Erhebungsmethoden vertraut. Ein Begleiter hat Schmidt ein Metallsuchgerät gereicht.
Alle zehn Jahre werden alle Bäume gezählt
Mit diesen Geräten, Karten und einem GPS sind für die bundesweite Erhebung zwei Jahre lang 100 Teams unterwegs. 60.000 vorgegebene Messpunkte gibt es. Dort wird bei jeder Inventur nachgesehen und verglichen, wie sich die Bäume entwickelt haben.
"Die Buche ist gerade gewachsen, gut, die Krone oben"
Inventurmitarbeiter Demandt: "Entscheidend ist das obere Stück."
Der Minister soll den Durchmesser der Buche in Brusthöhe bestimmen. Er bekommt ein Maßband in die Hand und umarmt damit den Baum.
"Dieser Baum hat 30... ist das gemessen in Zoll?
Demandt: "Nein das ist schon gemessen in Zentimeter, das ist ein Umfangbandmaß."
"Okay, 30 Zentimeter Durchmesser, das ist der Durchmesser, der Durchmesser wäre jetzt 30 Zentimeter. Was haben wir im Vergleich in der Inventuraufnahme von vor zehn Jahren."
Demandt: "Das ist schwierig, wir haben hier ja..."
"Da stünde jetzt dann drin 25 etwa ."
Demandt: "25. Ja, vor zehn Jahren, das würde so passen."
Die Messungen werden in einen bauchladenartigen Feldcomputer eingegeben und später – koordiniert vom Thünen-Institut, das dem Landwirtschaftsministerium untersteht, ausgewertet. Es kommen Ergebnisse heraus, die Minister Schmidt zukunftsfroh stimmen. Nicht nur dieser Baum ist dicker geworden.
Im Tross des Ministers läuft auch der Mann mit durch den Wald, der die Vermessung organisiert:
Heino Polley: "Mein Name ist Heino Polley. Seit ungefähr 20 Jahren obliegt mir die wissenschaftliche Koordinierung der Bundeswaldinventur und ich bin auch stellvertretender Leiter des Instituts für Waldökosysteme im Thünen-Institut."
Deutschlands Wald geht es gut, stellen die Waldvermesser fest. Über ein Drittel der Bundesrepublik breiten sich die Waldgebiete aus. Darin stehen 90 Milliarden Bäume, ermittelten die Fachleute, wobei sie dieses Mal großzügig auch Schösslinge mitgezählt haben. Daraus errechnet sich insgesamt- ein Holzvorrat von 3,7 Milliarden Kubikmetern. Immerhin seien das sieben Prozent mehr als noch bei der letzten Bundeswaldinventur. Soviel Holz haben nicht einmal die skandinavischen Länder. Alles richtig gemacht, schließen Förster, Wissenschaftler und Landwirtschaftsminister Schmidt.
Heino Polley: "Alle Diese Mutmaßungen, die wir mal gehabt haben in den 80er Jahren - der deutsche Wald stirbt und so, das hat nicht stattgefunden. Wir sind heute im Wald gewesen und er ist immer noch da, er ist immer noch grün, ihm geht es gut. Zwar haben wir hier und da immer noch Probleme, die gelöst werden müssen, aber die Horrorszenarien, die der eine oder andere noch im Ohr hat, die sind ganz eindeutig nicht eingetreten."
Im Gegenteil. Der Wald nimmt sogar zu - trotz der 57 Millionen Kubikmeter, die Jahr für Jahr geerntet werden.
Heino Polley: "Die Inventur hat gezeigt, dass immer noch weniger Holz genutzt wird als zuwächst in Deutschland. Das ist zum Teil auch der besonderen Altersstruktur unserer Wälder zu verdanken, oder geschuldet. Wir haben ja eine sehr starke Übernutzung unserer Wälder im 2. Weltkrieg und nach dem 2. Weltkrieg. Und es ist dann in den 50er Jahren sehr viel Holz neu aufgeforstet worden. Der ist heute in seinem produktivsten Alter und wächst sehr schnell. Der ist im Moment noch nicht ganz hiebreif, aber in einigen Jahrzehnten werden diese Wälder soweit sein, dass man sie nutzen kann. Insofern haben wir von der Altersstruktur sehr gute Bedingungen um in Deutschland nachhaltig Holz zu produzieren."
Der Landwirtschaftsminister freut sich. "Rohstoffriese Deutschland!", verkündet er. Der Holzreichtum macht auch sein eher kleines Regierungsressort etwas größer und wichtiger. Beim Klimaschutz zum Beispiel, weil der Wald Kohlendioxyd bindet und die nationale Klimabilanz aufbessert. Am besten, so argumentieren die Forstpolitiker ist es wohl, wenn das Holz aus dem natürlichen Prozess des Wachsens und Verfallens herausgenommen und dauerhaft verwendet wird. Der Eichenschrank als Klimaretter. Aber auch als Dämmstoff und Heizmaterial ist Holz eine strategische Ressource der Energiewende. Weniger Gas, Kohle und vor allem Öl: Holz ist ein Kernfaktor für den Aufbau einer biobasierten Wirtschaft.
Es tut sich was im Wald. Die Bundesregierung hat eine Waldstrategie 2020 aufgelegt, in der als Obergrenze des Holzeinschlags 100 Millionen Kubikmeter jährlich festgelegt werden. Fast doppelt so viel wie derzeit geerntet wird. Die Privatwaldbesitzer mit ihren zumeist kleinen Wäldchen sollen durch staatliche Programme fachlich unterstützt werden, damit sie effizienter wirtschaften.
Unter dem wachsenden Nutzungsdruck haben sich die Wälder in den vergangenen Jahren bereits verändert. Ein Raster von breiten Rückegassen durchschneidet die Forste. Platz für computergesteuerte Nutzfahrzeuge. Ist das eigentlich noch ein Wald, oder doch eher eine Holzfabrik? Zu wenige alte Bäume bleiben stehen, zu wenig Wert wird auf biologische Vielfalt gelegt, warnen Naturschutzverbände. Ein Baumvollernter braucht wenige Minuten um einen prächtigen Stamm zu fällen, zu entasten und abzulängen. Dann kommt der nächste.
Carbonfasern für die Autoindustrie, Kunstharze für Lautsprecherboxen
Deutschland, so hat die Politik beschlossen braucht jede Menge Holz. Es lässt sich allerhand Erstaunliches damit herstellen. In Leuna stehen die Labors, in denen die bioökonomische Zukunft schon heute gemacht wird. Sie werden von der Fraunhofer Gesellschaft betrieben. Drumherum rauchen noch die Schlote der alten Petrochemie.
Moritz Leschinsky: "Jetzt gehen wir in die eigentliche Anlage zum Holzaufschluss rein."
Der promovierte Holzwirt Moritz Leschinsky leitet das Pilotprojekt, in dem auch noch das kleinste Molekül im Buchenholz nutzbar gemacht wird.
"Wir stehen hier im untersten Stockwerk einer Anlage, die über drei Stockwerke geht, wo wir das Holz aufschließen. Und hier unten sehen wir die Stelle an der die Holzhackschnitzel, das Buchenholz hier aufgegeben wird in den eigentlichen Kocher. Dann ist hier unten noch ein Behälter, der fasst etwa 800 Liter und da setzen wir unsere Lösungsmittel an um das Holz aufzuschließen. Das wird mit Alkohol und Wasser, letzten Endes kann man sagen, es wird mit Schnaps aufgeschlossen. Da kommt noch ein bisschen Schwefelsäure rein, der das ganze als Katalysator beschleunigt. Dahinter sieht man eine Pumpe, mit der das Lösungsmittel in diesen Prozess hochgepumpt wird."
Das Chemiegemisch wird jetzt in einen Kessel auf der 3. Etage gepresst und wirkt dort auf 70 Kilogramm Buchenhackschnitzel ein. Die Holzbestandteile sind eng miteinander verschachtelt, dadurch werden Bäume elastisch, stabil und ungenießbar für Schädlinge und Parasiten. Cellulose und Zucker werden hier gewonnen. Und der chemische Baustein, der das Holz zum Holz macht. Leschinsky beugt sich über einen weißen Zehn-Liter-Eimer.
Moritz Leschinsky: "Das ist das Lignin. Man sieht dieses hellbraune Pulver. Riecht noch ein bisschen nach Restethanol, es riecht recht intensiv aromatisch nach Vanillin und anderen aromatischen Holzabbauprodukten, ja, das ist ein sehr feines Pulver es klumpt teilweise noch ein bisschen."
Leschinsky zerreibt einen bröseligen Schatz zwischen den Fingern. Carbonfasern für Autokarosserien lassen sich daraus spinnen, sehr rein und schwefelfrei; Kunstharze; wärmeelastische Kunststoffe für Lautsprecherboxen. Es ist der Stoff aus dem Wald, der mit dem Erdöl konkurrieren soll. 100 Kilo aus einem Festmeter Holz.
Moritz Leschinsky: "Das Lignin, mit dem kann man zum Beispiel in einigen Fällen Phenol ersetzen. Phenol das hat einen relativ hohen Preis, das kostet über 1000 Euro pro Tonne. Wenn man das Lignin zu solchen Preisen oder 60-70 Prozent von diesem Phenolpreis vermarkten könnte, dann könnte sich so ein Verfahren schon rechnen."
Das Verfahren hat noch einen langen Weg vor sich, bis es im Industriemaßstab einsetzbar ist. Aber Holz ist da und Erdöl wird immer knapper. Das Schöne für Leschinsky an dem Verfahren – es verwertet Buchen. Davon gibt es in Deutschland laut Bundeswaldinventur immer mehr, mit immer dickeren Stämmen – ohne dass die Holzwirtschaft so richtig weiß, was sie damit anfangen soll. Bauholzhändler, Sägewerkbetreiber und Papierhersteller wollen nämlich lieber langfaseriges Nadelholz – und das ist die Sorte, die in Deutschland ihrer Meinung nach viel zu knapp ist. Doch auch der Laubbaum könnte bald boomen.
Investitionen in nordamerikanische Douglasien- und Roteichenwälder
Moritz Leschinsky: "Die Buchen, die in Deutschland stehen sind größtenteils überaltert. Es gibt keine Buchennutzung in Deutschland, jedenfalls keine signifikante, außer ein bisschen für Möbel. Deswegen überaltern die Bestände. Die vergammeln im Wald, so muss man das wirklich sagen. Das freut vielleicht die extremen Naturschützer, weil man am Ende wieder Urwälder hat, aber am Ende ist es doch eine Ressource, die nicht genutzt wird. Die Frage ist, ob wir uns das wirklich leisten können, weil die Alternative, dass wir dann stattdessen fossile Rohstoffe nutzen und ich nicht, weiß ob das die bessere Alternative ist."
Harald Textor: "Die Holzverwertung wird so interessant, dass sie unvergleichbar ist zu Beton und Stahl, wo sie die 10 – 20.000-fache Energie brauchen im Vergleich mit dem Holz. Schäume in Autos, Lippenstift für Damen, Glukose, Zucker, Hemden, Textilien werden in Zukunft aus Holz gemacht werden können. Wunderbare, wunderbare Aussichten für Waldbesitzer in der Zukunft."
Oberforstdirektor Harald Textor lenkt von Ingolstadt aus die Geschicke der Wälder des Wittelsbacher Ausgleichsfonds. 12.000 Hektar. Der Fonds ist eine Einrichtung des Freistaates Bayern, über die die Nachfahren der ehemaligen bayerischen Königsfamilie versorgt werden. Im Besprechungszimmer schaut Kronprinz Rupprecht mit eisgrauen Augen streng von einem Gemälde herab. Zwei prächtige Widderschädel hängen an der Wand. Ein konservatives Ambiente, genau wie der Wald als Anlageform. Bescheidene Renditen, aber...
Harald Textor: "Eine relativ sichere Finanzanlage zwischen 1 bis 3 Prozent. Aber bei dem geringen Risiko legen viele Investoren es genau darauf hin an, dass ein Teil ihres Portfolios in risikoreduzierten Anlagen investiert werden und da sind Land- und Forstwirtschaft eine wunderbare Ergänzung der strategischen Anlagenallokation."
Textor hat sich mit Investitionen in nordamerikanischen Douglasien- und Roteichenwäldern beschäftigt. Forstplantagen auf stillgelegten Baumwollfeldern. Die Renditen sind noch höher, aber Anlegern ohne genaue Fachkenntnis rät er ab. National und international beobachtet er an den Finanzmärkten steigendes Interesse am Wald. Auch in Deutschland versuchen Fonds Wälder aufzukaufen. Der Gedanke an Heuschrecken, die über Bäume herfallen liegt nahe.
Harald Textor: "Die Befürchtung ist berechtigt. Und ich sage jetzt einmal ein drastisches Beispiel. Ich kann auf einer Fläche Buchen pflanzen mit einem Negativergebnis über die gesamte Rotationszeit, oder ich kann Beispielsweise eine Douglasie oder eine Roteiche pflanzen mit einem Ergebnis von 5 Prozent und mehr auf diesem Standort. Das wäre aber das Extrembeispiel. Wir versuchen immer eine Mischung anzustreben. Im Übrigen haben wir diese Waldgesetze: Wir müssen die Sozialpflichtigkeit, wir müssen die Ökologie beachten, dürfen aber die Ökonomie nicht vergessen."
Ein Blick auf die Wittelsbacher Wälder lässt etwas Ökologie und eine ganze Menge Ökonomie erkennen. Dort stehen die aus Nordamerika stammenden Douglasien bereits auf fünf Prozent der Flächen. Auf der gesamten Waldfläche Deutschlands sind es zwei Prozent. Aber die zugewanderte Baumart holt auf. Das Nadelgehölz wächst rasch, lässt sich gewinnbringend verkaufen und hält große klimatische Schwankungen aus. Stichwort Erderwärmung. Und, ein Plus das Naturschützer ärgert: heimische Pilze und Käfer können kaum etwas mit der Douglasie anfangen.
Der Waldverwalter in Ingolstadt achtet darauf, die Zeitläufte zu nutzen, um den Wald effizient zu formen. Textor liegt im Trend.
Harald Textor: "Vivian, Wiebke: In derselben Nacht als der Sturm kam und wir wussten, wir haben riesige Mengen am Boden, haben wir Harvestoren geholt aus Skandinavien. Und haben gesehen, die arbeiten ja 20 Mal so viel wie unsere Waldarbeiter. Wir haben gerechnet mit drei bis vier Jahren Aufarbeitungszeit des Sturmes und haben es in einem halben Jahr alles aufgearbeitet gehabt. Wir hatten 1960 noch 400 Waldarbeiter - heute haben wir noch 15. Diese Rationalisierungsimpulse haben uns geholfen, um die Betriebe zu retten. Hätten wir die nicht gehabt, wäre es schwierig."
Wald plus Mobilfunkmasten und Windkraftanlagen
Wald plus Ultra nennt Textor sein Konzept, bei dem der Wald zusätzlich durch Mobilfunkmasten, Windkraftanlagen und Erlebnisangebote rentabel wird. Und wo bleibt die Natur? Der Oberforstdirektor beruhigt. "Schützen und Nützen", sagt er. Harald Textor spricht damit eine Zauberformel der deutschen Forstwirtschaft aus. Hinter ihr steht das Verständnis, dass der deutsche Wald seine Gestalt vom Menschen hat und den Menschen braucht, damit er seinen Charakter behält.
"Wir haben in Deutschland keinen Quadratmeter ursprünglichen Waldboden mehr, oder ganz wenige, in den Hochlagen der Gebirge. Es ist alles anthropogen beeinflusst seit dem Mittelalter und wir sollten uns nicht diesem Traum hingeben, dieses alles wieder der Natur zu überlassen."
Forstleute und Waldbesitzer überlassen viel weniger der Natur, als der natursuchende Waldbesucher angesichts des wuchernden Grüns vermuten mag. Was wo und wie wächst wird genau beobachtet und gesteuert. Selbst dort, wo sich der Wald ohne gepflanzte Setzlinge erneuert sorgt der Förster durch gezielte Hiebe dafür, dass alles wächst wie gewünscht. Der Wald soll seine volle Wuchskraft entfalten. Schützen und Nützen.
Christian Schmidt: "Unser Prinzip heißt schützen durch nützen!"
Den weiteren Nutzen zu schützen, ist das Leitmotiv der Forstwirtschaft. Nachhaltigkeit heißt das seit 300 Jahren. Der Begriff geht auf den sächsischen Bergrat Hans Carl von Carlowitz und dessen Werk Sylvicultura Oeconomica von 1713 zurück. Damals waren die deutschen Wälder fast am Ende.
Jürgen Müller: "Wir sind auf der Suche nach dem Wald von morgen. Wie sieht er aus, welche Baumarten werden in ihm wachsen? Und werden die Waldfunktionen in 100 Jahren auch noch so sein, dass die Waldbauern vom Holzertrag leben können. Um das zu beantworten, müssen wir heute wissenschaftliche Grundlagen erarbeiten, um diesen Wald von morgen zu kreieren."
Jürgen Müller erforscht am Thünen-Institut die Auswirkungen des Klimawandels auf den Wald. Ein zupackender Typ mit weißem Vollbart. Sein wissenschaftlicher Fleiß konzentriert sich auf die Buchen. Die Baumart, die Mitteleuropa flächendeckend besetzt hielte, gäbe es den Menschen nicht.
Auf dem Freigelände vor den Gebäuden des Instituts hat der Wissenschaftler eine Versuchspflanzung angelegt. Dazu gehört ein Schiebedach, vier Meter Spannweite, dass sich schließt, wenn Regen droht. Es schiebt sich jetzt über die kniehohen Pflanzenschösslinge. Müller will die Buchenkinder gerne durstig halten.
Jürgen Müller: "Wir spielen hier natürlich so ein bisschen Lieber Gott. Wir haben hier zwei Herkünfte. Eine Herkunft stammt aus Ostpolen, hat dort im Jahresniederschlag so 550/580 ml Regen und dann haben wir eine Baumart der Buche aus Niedersachsen, dort wächst die bei 900 und 950 ml, als Luxuskonsum.
Wir versuchen jetzt rauszukriegen, ob diese gleiche Baumart Rotbuche die aus Polen stammt, möglicherweise trockenheitstoleranter ist, als die aus Niedersachsen."
Wir versuchen jetzt rauszukriegen, ob diese gleiche Baumart Rotbuche die aus Polen stammt, möglicherweise trockenheitstoleranter ist, als die aus Niedersachsen."
Die polnischen Buchen sehen ein bisschen frischer aus. Jeder Milliliter Wasser, den die elektronisch gesteuerte Bewässerung zuführt wird bei seinem Weg durch den Boden und durch die Pflanzen verfolgt.
Jürgen Müller: "Das ist eine Kamera mit Endoskop. Diese Kamera wird in Glasrohre geführt und wir können dort zu unterschiedlichen Zeitpunkten die Feinwurzeln sehen. Unsere Hypothese ist: die polnische ist mehr in der Lage Feinwurzeln zu bilden und dadurch ist sie in der Lage Trockenheit besser zu überstehen."
Ob die Waldbauern und Förster wohl bald Bucheckern in Polen für die Aufzucht der künftigen deutschen Wälder sammeln werden? Unter Forstleuten werden heißere Kandidaten gehandelt für den Wald in der menschgemachten Warmzeit. Die Douglasie natürlich, oder die ebenfalls in Nordamerika heimische Küstentanne. Tägliche Experimente, die einen Wald entstehen lassen sollen, der in 100 oder 120 Jahren Gewinn abwirft. Der Blick in die Zukunft des Waldes bleibt unscharf, auch beim Waldökologen Müller.
"Der Wald in 100 Jahren wird aus einer Vielfalt von Bäumen bestehen, die den Menschen Erholung bringen, die den Waldbauern Holz bringen und uns ein gutes Gefühl in der Landschaft bringen. Er wird nicht so aussehen wie heute. Wir werden uns auf neue Baumarten einstellen müssen die wärmeliebender sind, die aber dennoch in der Lage sind, Holz zu produzieren."
Eigentlich braucht der Wald den Menschen gar nicht, um auch in der Zukunft zu wachsen. Er stellt sich von selbst auf Veränderungen ein.
Urwald mögen die Leute nicht
Wartet man lange genug, stehen auf jeder Brachfläche irgendwann kleine Bäume und später ein funktionstüchtiger Wald. Klimawandel - kein Problem. So wie die Bäume nach der letzten Eiszeit die von den Gletschern leergeräumten Steppen erobert haben. Nur das dauert alles seine Zeit. Die Forstwirtschaft hat kein rechtes Vertrauen darauf, dass dann der Wald entsteht, den sie nützen kann und gerne schützen will. Was der Wald kann, wenn man ihn vor sich hin wuchern lässt, ist erstaunlich. Aber nach 300 Jahren intensiver und nachhaltiger Bewirtschaftung in Deutschland ist es schwer, geeignetes Anschauungsmaterial zu finden.
Norbert Panek: "Ja, wir sind jetzt im tiefsten Kellerwald in Nordhessen und laufen durch einen relativ naturnahen Laubwaldbestand. Ja ein sehr schöner stufig aufgebauter Bestand mit mehreren Altersklassen nebeneinander, was man in Wirtschaftswäldern eigentlich nicht mehr findet, weil dort auf großer Fläche immer nur eine Baumart im gleichen Alter gepflanzt oder sich selbst verjüngt hat."
Norbert Panek ist Landschaftspfleger und hat in der Gegend lange für einen Nationalpark gekämpft. Urwald, das hat er dabei gelernt, mögen die Leute nicht. Es gibt da eine tief sitzende Angst vor der ungebändigten Natur, vermutet er. Kaum zwei Prozent des deutschen Waldes sind naturbelassen. Selbst in den vielen Naturparks und Naturschutzgebieten, sogar in den Schutzflächen nach der Flora und Fauna-Habitat-, der FFH-Richtlinie geht die Nutzung mit nur geringen Einschränkungen weiter. Der Wald mit seinen Funktionen für die Artenvielfalt und die Erholung des Menschen existiert gerade so als Nebenprodukt der Bewirtschaftung. Ein ärmliches Konzept findet Panek.
Norbert Panek: "Die Holzfabrik ist gekennzeichnet durch extrem ausgedünnte Wälder, holzarme Wälder im Prinzip. Die Forstwirtschaft brüstet sich damit, dass wir in Deutschland die vorratsreichsten Wälder in Europa haben. Das ist ein Trugschluss, wenn man diese ausgedünnten Wälder mit naturnahen Wäldern, mit Urwäldern vergleicht, stellt man fest, dass in Urwäldern der Holzvorrat um mindestens zwei Drittel höher ist als in solch einem ausgedünnten Wirtschaftswald."
Mit dabei bei der Exkursion zum Wald wie er sein will, ist Paneks Mitstreiter Markus Schönmüller. Der Biologe stammt aus einer Försterfamilie und hat die Route im Kellerwald ausgesucht.
Markus Schönmüller: "Was hier jetzt beeindruckend ist und was man in deutschen Wäldern nur noch sehr selten findet, es sei denn man geht in Parkanlagen, da findet man noch alte Bäume. Hier stehen jetzt am Wegesrand immerhin eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs Buchen, die langsam ihre Optimalphase, das heißt ihre größte Phase der Lebenskraft verlassen Richtung Alterungsphase und solche Bäume sind in unseren Wirtschaftswäldern eigentlich überhaupt nicht mehr zu finden. Einzelne Bäume vielleicht, aber ich bin jetzt ganz beeindruckt, dass ich zwischen solchen Bäumen stehe und dieses Waldbild ist eines, von dem wir uns offensichtlich verabschieden müssen."
200 Meter weiter deutet Schönmüller einen Hang hoch. Nicht so ordentlich wie der Wald drum herum. Ein wucherndes Durcheinander.
Markus Schönmüller: "Hier kommen wir an eine vielleicht seit Menschengedenken ungenutzte Zelle. Das ist vielleicht insgesamt ein Hektar, auf so einem Lavafeld in das man überhaupt nicht rein kann, weil alles rutscht und locker ist. Und hier haben wir mal einen kleinen, einen ganz kleinen Wald, der eigentlich Urwaldcharakter aufweist - das heißt alle Entwicklungsstadien vom Keimling bis zum verrotteten starken Totholzstamm sind da. Alle Baumarten, die auf diesen Sonderstandort gehören sind da. Es geht fast senkrecht hoch mit großen Klippen darin. Und da tobt natürlich das Leben."
Für Naturschutz nicht nutzbar?
Bäume die vergammeln und unzähligen Pilzen, seltenen Spechtarten und Käfern eine Heimat bieten. Ein hoch aktiver Boden, den nie eine der gewaltigen Baumerntemaschinen zusammengepresst hat. Faszinierend. Wald.
Norbert Panek: "Wir müssen den Mut haben, unsere Wälder wieder altern zu lassen. Das geschieht leider auf viel zu kleinen und viel zu wenigen Flächen in Deutschland. Und ich denke, dass dieses Ziel dazu beitragen wird, dass wir wieder Wälder erleben werden, die uns auch seelisch ansprechen, die uns das Gefühl geben, dass wir uns in einer natürlichen Umwelt bewegen - dieser Naturerlebnisaspekt, der halt in Wirtschaftswäldern nicht erfüllt wird. Das Potential ist da, um solche vielfältigen, naturnäheren Wälder zu schaffen."
Panek und Schönmüller würden sich wünschen, dass zehn Prozent der deutschen Wälder aus der Nutzung genommen werden. Diese Zonen könnten eine Basis der Regeneration sein. Es sieht schlecht aus. Selbst die fünf Prozent die die Bundesregierung laut ihrer Biodiversitätsstrategie bis 2020 erreichen will, werden - so wie es aussieht – nicht erreicht. Und das Potential, von dem Panek spricht, sieht Schönmüller rapide schwinden. Er lässt seinen Blick noch einmal über den urwüchsigen Wald am Hang gleiten. Mit den neuen Erntemaschinen, könnte der inzwischen zu schaffen sein.
Markus Schönmüller: "Das Schlimme ist, dass heute fast alle Bäume genutzt werden können. Vor kurzem wurden nur geradschäftige hochwertige Bäume genutzt. Aufgrund der neuen Hackschnitzeltechnik und Pelletwirtschaft und so weiter ist eigentlich jeder Baum nutzbar. Das heißt Bäume, die aus Naturschutzsicht als nicht nutzbar galten, sind plötzlich auch alle im Fokus der wirtschaftlichen Nutzung gelandet, das heißt die befriedeten Flächen im Wald sind eigentlich auf Null gegangen außerhalb von Schutzgebieten."