"Wir wollen eine informierte Politik haben"
Anfang 2017 hat das neue Deutsche Arktisbüro unter der Leitung von Volker Rachold seine Arbeit aufgenommen. Ziel der Tätigkeit sei der Transfer von Wissen aus der Wissenschaft in die Politik, sagt Rachold. Man versuche, verschiedene Interessen zu vernetzen.
Liane von Billerbeck: Voriges Jahr wurde wieder ein dramatischer Rückgang des Packeises in der Arktis beobachtet. Der menschengemachte Klimawandel – laut Donald Trump ja eine Erfindung der Chinesen – sorgt dafür, dass das ewige Eis immer weniger ewig ist. Der scheidende US-Präsident Obama hat ja bestimmte Teile der Arktis und der arktischen Gewässer unter Schutz gestellt, um dort Ölbohrungen zu vermeiden, aber die Arktis ist längst ein Wirtschaftsraum, in dem sich viele tummeln und ihre Ansprüche stellen und versuchen durchzusetzen.
Das neue deutsche Arktisbüro hat zu Beginn des Jahres seine Arbeit aufgenommen. Es soll Expertenwissen liefern für Entscheidungsträger aus Politik und Wirtschaft. Volker Rachold leitet dieses Büro und ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
Volker Rachold: Guten Morgen, Frau von Billerbeck!
Billerbeck: Warum, bitte schön, braucht Deutschland ein Arktisbüro? Es ist zwar mancherorts gerade arktisch kalt, aber an der Arktis liegen wir doch nicht.
Rachold: Sie haben ja gerade die verschiedenen Interessen in der Arktis schon erwähnt und das zunehmende Interesse an der Arktis. Es hat natürlich zu tun mit Klimaänderungen in der Arktis im Wesentlichen. Die Arktis wird einfach durch diesen Rückgang des Meereises zugänglicher und damit natürlich für viele, viele Aspekte von vielen Interessenten besonders wichtig und interessant, auch innerhalb von Deutschlands.
Deutschlands lange Tradition der Arktisforschung
Billerbeck: Trotzdem, bei dem Wort deutsche Interessen, da rollen sich mir immer irgendwie so ein bisschen die Nägel auf. Geht Ihnen das nicht auch so?
Rachold: Nein, eigentlich gar nicht, weil, ich meine, das erste Interesse natürlich ist bei uns die Forschung. Deutschland hat eine lange Tradition in der Arktisforschung, in der Polarforschung allgemein, ist zwar kein arktisches Land, hat aber eins der größten Arktisforschungsprogramme der ganzen Welt.
Wir haben einen eigenen Forschungseisbrecher, die Polarstern, es gibt bald einen zweiten Forschungseisbrecher, der nächstes Jahr auch noch angefangen wird zu bauen, und mehrere Stationen in der Arktis, und allein schon daher hat Deutschland großes Interesse an der Arktis.
Diese Forschung ist natürlich auch wichtig für die Politik in Deutschland, weil in den letzten Jahren durch dieses Aufschmelzen der Arktis, durch das Öffnen der Arktis, auch deutsche Interessen aus der Wirtschaft in der Arktis natürlich wichtig werden, wobei immer die Forschung im Zentrum steht.
"Deutsche Technik kann der Umwelt in der Arktis helfen"
Billerbeck: Das heißt aber, Sie beraten jetzt nicht beispielsweise, wenn ein Unternehmen wirtschaftlich tätig werden will, und dann kommen die ins deutsche Arktisbüro und sagen, tja, was für Schiffe brauchen wir denn da, wann können wir da fahren, helft uns doch mal.
Rachold: Das, was wir tun – wir wollen Kontakte vermitteln natürlich. Ich meine, Deutschland hat viel Industrie oder Technik, die gebraucht wird in der Arktis. In der Arktis wird weiterentwickelt, die Arktis wird entwickelt werden, und das einzige, was wir tun können, ist, wir können das wissenschaftlich begleiten, und wir können das in einer Art und Weise machen, dass es der Arktis nicht schadet, dass es den Menschen in der Arktis nicht schadet und der Umwelt in der Arktis nicht schadet. Da kann deutsche Technik natürlich sehr helfen, Umwelttechnik und moderne Technik, die entwickelt werden kann für die Arktis.
Billerbeck: Das heißt, es geht vielmehr um Schadensbegrenzung bei Ihrer Tätigkeit?
Rachold: Ich würde nicht sagen Schadensbegrenzung. Es geht natürlich zum einen da drum, dass wir wissenschaftliche Erkenntnisse den Entscheidungsträgern der Politik vermitteln. Da sind verschiedene Ministerien in der Arktis, die Interesse haben. Da ist nicht nur die Forschung, da ist aber auch das Auswärtige Amt, da ist das Umweltministerium, da ist das Verkehrsministerium, das Wirtschaftsministerium, die alle anfangen zu sehen, dass die Arktis wichtig ist und dass man sich das angucken muss, verfolgen muss, was passiert, und wir versuchen, diese verschiedenen Interessen zu vernetzen und denen das Expertenwissen aus der Wissenschaft zu vermitteln.
Gleichzeitig fängt die Industrie an, sich anzusehen, was in der Arktis passiert. Da geht es um Schifffahrt, da geht es aber auch um Infrastruktur in der Arktis, Energieversorgung. Und da sind die arktischen Länder natürlich längst dabei, die Arktis zu entwickeln, und die haben Interesse an deutscher Technologie, die ihnen dabei helfen kann, das nachhaltig und umweltbewusst und umweltschonend zu machen. Und genau darum geht es, diese Interessen zu vernetzen und diesen ganzen Interessenten die entsprechenden Kontakte zu vermitteln.
Nur Steigbügelhalter wirtschaftlicher Interessen?
Billerbeck: Sie gehören ja zum Alfred-Wegener-Institut, das sich ja vor allem für den Schutz der Polargebiete einsetzt. Haben Sie da nicht Angst, der Gefahr zu erliegen, dass sich da Ihr Büro, das deutsche Arktisbüro, und auch die Wissenschaft da zum – in Anführungsstrichen – Steigbügelhalter der Wirtschaft macht, wenn es vor allem um die Ausbeutung der Rohstoffe geht?
Rachold: Es geht sicher nicht um die Ausbeutung der Rohstoffe. Also da hat Deutschland sowieso keine Möglichkeit, sich zu beteiligen, weil natürlich die Rohstoffe der Arktis den Anrainern gehören. Die Arktis ist ja nicht, wie die Antarktis, ein Niemandsland, sondern die arktischen Landgebiete sind alle nationales Hoheitsgebiet, und auch die Meeresgebiete der Arktis sind größtenteils nationale Hoheitsgebiete.
Das heißt, was da passiert, unterliegt alleine der Entscheidung der Arktisanrainer. Natürlich können deutsche Firmen da als Partner mitwirken, aber es geht sicherlich nicht darum, um die Rohstoffe der Arktis auszubeuten. Es geht eher darum, um die Infrastruktur in der Arktis aufzubauen, nachhaltig aufzubauen. Es geht zum Beispiel um Schifffahrt, Navigation, wie kann man Schifffahrt in der Arktis, die in den nächsten Jahren wahrscheinlich einfacher werden wird, einfach mit dem Rückgang des Meereises, wie kann man diese Schifffahrt unterstützen, was braucht man dazu für Technik, um die Schifffahrt zu ermöglichen, wo Deutschland sicher einen Beitrag leisten kann.
Es geht um Infrastruktur – wie baut man zum Beispiel Straßenschienenwege, Häfenanlagen in Gebieten mit sogenanntem Kammerfrost, wo der Boden im Sommer auftaut und sonst durchgehend gefroren ist da drunter, da ist viel Technik für notwendig, und da können natürlich deutsche Firmen einen Beitrag leisten.
Politikberatung ist eine wichtige Funktion
Selbst wenn es darum geht, und wenn das passiert, wenn Öl und Gas abgebaut werden, dann muss man in der Arktis ganz anders rangehen als in anderen Gebieten, um Schäden zu verhindern, zu vermeiden, oder, wenn sie dann doch aufgetreten sind, zu beseitigen. Und auch da kann natürlich deutsche Umwelttechnologie einen Beitrag zu leisten. Aber das ist nur ein Element des Arktisbüros. Im Wesentlichen geht es eigentlich darum, die Ministerien, die Politik in der Arktis zu beraten, weil wir alle wissen, dass wir natürlich für eine vernünftige Politik wissenschaftlich basierte …
Billerbeck: Kenntnisse brauchen.
Rachold: … Entscheidungen, Erkenntnisse brauchen. Sie haben gerade die USA erwähnt: Wenn die Politik sagt, der Klimawandel ist eine Erfindung der Chinesen, ist es natürlich nicht das, was wir wollen. Wir wollen eine informierte Politik haben, und deswegen ist der Transfer von Wissen aus der Wissenschaft in die Politik extrem wichtig, und diese Politikberatung ist eine wichtige Funktion.
Billerbeck: Volker Rachold war das, Leiter der deutschen Arktisbüros, das zum Jahresbeginn seine Arbeit aufgenommen hat und die Politik mit Expertenwissen die Arktis betreffend versorgen wird. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Rachold: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.