Deutsches Fernsehen spiegelt nicht die Familienwirklichkeit wider
Das deutsche Fernsehen zeigt nicht die Wirklichkeit deutscher Familien oder lässt "normale" Familien gar nicht vorkommen. Das ist das Ergebnis einer Studie des Adolf-Grimme-Instituts im Auftrag des Familienministeriums. Irmela Hannover, eine der Autorinnen der Studie, appellierte an die Drehbuchschreiber, dass die Alltagswelt von Familien durchaus "Stoff zum Erzählen" biete.
Kassel: Die deutsche Durchschnittsfamilie besteht immer noch aus zwei Eltern und zwei Kindern, die mehr oder weniger gut miteinander klar kommen, die aber im Alltag häufig Probleme haben, soziale und nicht selten finanzielle Probleme. Und genau das sieht man im Fernsehen nicht. In Filmen und Serien gibt’s überwiegend starke Singles, in Informationssendungen kommt die Familie generell selten vor. Das ist eines der Ergebnisse einer Studie zu Familienbildern im Fernsehen, die das Adolf-Grimme-Institut im Auftrag des Bundesfamilienministeriums erstellt hat. Die zuständige Projektleiterin beim Grimme-Institut ist Irmela Hannover. Guten Morgen!
Hannover: Guten Morgen!
Kassel: Frau Hannover, wenn ich in den letzten Tagen den Fernseher eingeschaltet habe, dann habe ich da ständig Politiker gesehen mit Vorschlägen zum Kampf gegen die demografische Krise. Franz Schirrmacher war mit seinem Buch "Minimum" in jeder Talkshow. Wieso sagt denn Ihre Studie trotzdem, auch in Informationssendungen kommen diese Themen nicht vor?
Hannover: Na ja, wir haben Stichproben genommen aus vier Wochen im Jahre 2004, und da hat es das Ergebnis gegeben, dass familienpolitische Nachrichten einen Anteil von nicht mal ein Prozent ergeben haben. Wenn wir jetzt diese Wochen Stichproben erhoben hätten, wäre das vielleicht ein etwas höherer Prozentsatz, das ist richtig. Es gab jetzt gerade wieder die neuesten Geburtenraten, die waren ein allgemeiner Schock. Klar, dass das dann, das hat dann natürlich Nachrichtenwert, und wenn Herr Schirrmacher ein Buch schreibt, hat das offensichtlich auch immer Nachrichtenwert. Also insofern ist im Moment das in der Tat Thema. Ich bin sehr gespannt, ob sich das über das Jahr halten wird, und wenn wir dann über das Jahr wieder einen Durchschnitt errechnen, ob wir vielleicht doch wieder bei dem einen Prozent landen.
Kassel: Hatten Sie denn aber bei Ihren Untersuchungen - bleiben wir kurz bei den Informationssendungen, auf Spielfilme und Serien kommen wir gleich noch - trotzdem den Eindruck, auch für einen Nachrichtenmacher ist Familienpolitik irgendwie nicht sexy?
Hannover: Das ist mit Sicherheit nicht sexy, obwohl ich weiß gar nicht, es gibt natürlich jetzt nicht unbedingt Zahlen darüber, wie viele Nachrichtenredakteurinnen und -redakteure Familien haben. Die Kinderlosigkeit unter Journalisten soll ja besonders hoch sein, was nicht verwundert, weil es ja ein besonders schwieriger Job ist, den man schlecht mit Familie verbinden kann. Aber selbst wenn sie Familie haben, denken sie, das ist Privatsache, das geht nur mich etwas an, und wie ich jetzt mit dieser Familie klarkomme oder auch nicht klarkomme, das ist nichts, was auch die anderen interessiert, was auch politisch interessant ist.
Und ich denke, da passiert im Moment was, da wird jetzt im Moment deutlich, Familie ist eben nicht Privatsache, oder, wie man früher gesagt hat, auch das Private ist politisch. Ich glaube, dass sich da jetzt im Moment auch so ein Wandel ergibt.
Kassel: Wo haben Sie denn bei Ihrer Untersuchung bei beiden, bei den Informationsformaten als auch bei den fiktionalen Formaten, die Schwelle angesetzt, wenn da zum Beispiel - das war ja ungefähr die Zeit, als die PISA-Studie oft Thema war - über die Frage diskutiert wurde, wie wird die Schulbildung besser. War das schon Familie oder noch nicht?
Hannover: Ja, das war ein sehr weiter Familienbegriff. Also es ging da um alles, wo auch Kinder eine Rolle spielten, war da auch mit einbezogen. Wir haben allerdings bei den Stichprobenwochen nun darauf geachtet, dass es nicht gerade Wochen sind, wo jetzt, was weiß ich, weder Sportereignisse noch irgendetwas anderes Dominantes da war, oder in den Sommermonaten wo dann auch natürlich solche Themen eher weniger vorkommen, sondern wir haben wirklich versucht, diese vier Wochen so zu platzieren, dass man einen richtigen Durchschnitt bekommt.
Kassel: Eines der Ergebnisse Ihrer Studie ist auch, dass die durchschnittliche Fernsehkommissarin im deutschen Fernsehen 0,29 Kinder bekommt. Das ist deutlich weniger als die Durchschnittsfrau in der Bundesrepublik. Wie rechnet man so was denn aus?
Hannover: Na ja, wir haben die demografischen Daten aller deutschen Krimiermittlerinnen und -ermittler erhoben, und dann kann man das relativ einfach ausrechnen, wobei ich konstatiere, dass ein Demograph, ein Bevölkerungswissenschaftler vermutlich eine andere Rechnungsmethode hat. Da geht es wahrscheinlich nach Kohorten und Geburtenjahrgängen. Wir haben einfach alle genommen und geguckt, wie viele Kinder die haben, also auch die erwachsenen Kinder haben wir mitgezählt, aber das macht das Ergebnis eigentlich noch erschütternder. Also wir haben nicht nur die kleinen Kinder gezählt, sondern überhaupt jeder, der ein Kind hatte.
Kassel: Nun gibt es ja im deutschen Fernsehen - und nicht nur im deutschen - ein ganzes Genre, das schon Familienserie heißt. Damit ist natürlich eigentlich gemeint, dass es für Familien ist, aber trotzdem, wenn das Ganze schon so heißt, kommt denn selbst da keine vernünftige Familie vor?
Hannover: Na ja, was heißt vernünftig? Also es ist schon erstaunlich, dass das, was entgegen allen Unkenrufen immer noch vorherrscht, Sie sagten es schon, die Normalfamilie, also ein in erster Ehe heterosexuelles Paar mit leiblichen Kindern, dass das relativ selten vorkommt. Das hat natürlich dramaturgische Gründe. Meistens geht es ja um Liebe. Um sich zu finden als liebendes Paar, muss man erstmal Single sein. Das kann man alles erklären, und trotzdem fragt man sich, warum fällt deutschen Drehbuchschreibern so wenig Stoff auch aus ganz normalen Familien ein, denn ich kann Ihnen versichern, da gibt es einiges zu erzählen, und da kann man bestimmt auch spannende Stoffe draus machen. Aber irgendwie drängt sich so ein bisschen der Verdacht auf - das ist gar kein Vorwurf -, dass eben vermutlich Drehbuchschreiber und Fernsehmacher oft ihr eigenes großstädtisches Singleleben als Vorbild haben, wenn sie Geschichten erzählen.
Kassel: Das hört sich so an, als seien manche Fernsehserien eigentlich der Wirklichkeit regelrecht voraus, denn wenn ich mir sie angucke, dann ist es oft diese berühmte Patchworkfamilie. Also da ist der Künstler mit seinen drei unehelichen Kindern, zieht zur Wirtschaftsfrau mit vier unehelichen Kindern aus acht Ländern. Das heißt, die sind manchmal im Fernsehen, ob das nun gut oder schlecht sein mag, viel weiter als die Menschen im wirklichen Leben?
Hannover: Ja, also das ist interessant. Früher hat man im Fernsehen bei früheren Untersuchungen gerade zum Frauenbild hat man dem Fernsehen immer vorgeworfen, dass es der Realität hinterherhinkt, dass viel mehr Hausfrauen da sind und dass Frauen unselbstständig sind. Das ist in der Tat nun völlig anders. Frauen sind so gut wie alle berufstätig, auch und gerade die Mütter, was ja im wirklichen Leben noch nicht der Fall ist, weil es so schwierig ist in Deutschland, aber was dann vergessen wird, sind die Alltagsfragen, die damit zusammenhängen, also sprich Kinderbetreuung, was mache ich mit meinen Kindern, wenn ich die große Karriere mache, wie läuft es mit der Arbeitsteilung zu Hause zwischen Mann und Frau, also gerade die Themen, die jetzt in der Debatte auch hochkommen, weil ja auch deutlich wird, dass das ein Grund ist für den Geburtenrückgang, die finden in der Fiktion gar nicht statt. Nun kann man natürlich sagen, Fiktion ist nicht dazu da, Realität eins zu eins abzubilden, aber so ein bisschen aus dem realen Leben gegriffen könnte nicht schaden, weil es ja auch die Identifikation der Zuschauer erhöhen würde.
Kassel: Glauben Sie denn - das ist jetzt natürlich nicht mehr die puren Zahlen der Studie, wonach ich jetzt fragen werde, sondern ein bisschen Spekulation, aber wenn Sie Ihre eigene Studie sehen -, glauben Sie denn, dass das Familienbild, was wir im Fernsehen jeden Tag sehen, auch zumindest ein kleines Bisschen dazu beiträgt, dass so viele Deutsche gar keine Lust mehr auf Familie und auf Kinder haben?
Hannover: Also sagen wir mal so, es vermittelt zumindest überhaupt nicht ein Bild von der Normalität eines Lebens mit Kindern. Wenn im Fernsehen noch halb so viele Kinder wie im wirklichen Leben auftauchen, und schon heute gibt es ja Viertel in Großstädten, wo man überhaupt keinem Kind mehr begegnet, dann könnte man als Zuschauer natürlich auf die Idee kommen, das sei gut und richtig so, und wozu braucht man Kinder, und das fände ich natürlich einen relativ fatalen Eindruck, weil wir brauchen mehr und nicht weniger Kinder.
Kassel: Das eine große Gegenbeispiel, mit dem bestimmt, wenn die uns jetzt zuhören, die Privatsender sofort winken würden an dieser Stelle, ist ja die "Supernanny" bei RTL. Da darf man nun zugucken, wie ganz viele Kinder auch ganz viele Probleme machen. Das ist nicht die Durchschnittsfamilie, die da ganz gut mit zurechtkommt. Ist das bei aller seit Jahren tobenden Kritik um diese Frau, die das macht und die Methode dahinter, ist das grundsätzlich ein positives Beispiel für das wahre Leben im Fernsehen?
Hannover: In gewisser Weise schon, da sind wir ja auch schon im Dokumentarischen. Also im Dokumentarischen tut sich in letzter Zeit einiges. Also da findet man wirklich viele Familienformate und interessanterweise wirklich viel bei den Privaten, und übrigens nicht nur im Prinzip "Supernanny", wo ja dann eher nicht funktionierende Familien vorgeführt werden, zum Beispiel gibt es auf ProSieben eine Reihe, die heißt "We are family", da werden jeden Tag einfach ganz normale Familien vorgestellt, und das scheint wunderbar zu laufen.
Also im Dokumentarischen tut sich einiges, und so sehr ich auch die Methoden der Supernanny da einiges dran zu kritteln hätte, dass sie überhaupt mal dieses Thema aufwirft und sagt, also hier sind Familien, die haben Probleme und denen muss man helfen, finde ich schon mal einen Fortschritt, ja.
Kassel: Nun hat Ihre Studie ja das Bundesfamilienministerium in Auftrag gegeben und wird damit ja hoffentlich, da es ja auch Geld gekostet hat, eine gewisse Absicht verfolgen. Glauben Sie, dass auch durch so eine Studie da jetzt Bewegung in den Markt kommt, wird es jetzt bald Symposien geben, Familienministerium, Grimme-Institut, Sat1?
Hannover: Ich hoffe es. Also ich denke, das ist jetzt einfach in der Debatte, allein weil das Thema jetzt in der Luft liegt, und wenn Macher, wir hatten auch einige interessante Workshops, wo die Macher auch selber erstaunt waren über diese Ergebnisse, weil man selber ja oft gar nicht so sehr über sein eigenes Tun reflektiert, und ich denke, dass der eine oder andere da schon ins Nachdenken kommt, und ich bin mir auch ziemlich sicher, dass auch im fiktionalen Bereich Familienformate, wo man auch wirklich Familien dann sieht und die nicht nur für Familien sind, dass die kommen werden. Ich meine, RTL kommt jetzt schon mit der Familienanwältin, und das sind so erste Anfänge, wo dieses Thema mehr in den Mittelpunkt gerückt werden wird.
Hannover: Guten Morgen!
Kassel: Frau Hannover, wenn ich in den letzten Tagen den Fernseher eingeschaltet habe, dann habe ich da ständig Politiker gesehen mit Vorschlägen zum Kampf gegen die demografische Krise. Franz Schirrmacher war mit seinem Buch "Minimum" in jeder Talkshow. Wieso sagt denn Ihre Studie trotzdem, auch in Informationssendungen kommen diese Themen nicht vor?
Hannover: Na ja, wir haben Stichproben genommen aus vier Wochen im Jahre 2004, und da hat es das Ergebnis gegeben, dass familienpolitische Nachrichten einen Anteil von nicht mal ein Prozent ergeben haben. Wenn wir jetzt diese Wochen Stichproben erhoben hätten, wäre das vielleicht ein etwas höherer Prozentsatz, das ist richtig. Es gab jetzt gerade wieder die neuesten Geburtenraten, die waren ein allgemeiner Schock. Klar, dass das dann, das hat dann natürlich Nachrichtenwert, und wenn Herr Schirrmacher ein Buch schreibt, hat das offensichtlich auch immer Nachrichtenwert. Also insofern ist im Moment das in der Tat Thema. Ich bin sehr gespannt, ob sich das über das Jahr halten wird, und wenn wir dann über das Jahr wieder einen Durchschnitt errechnen, ob wir vielleicht doch wieder bei dem einen Prozent landen.
Kassel: Hatten Sie denn aber bei Ihren Untersuchungen - bleiben wir kurz bei den Informationssendungen, auf Spielfilme und Serien kommen wir gleich noch - trotzdem den Eindruck, auch für einen Nachrichtenmacher ist Familienpolitik irgendwie nicht sexy?
Hannover: Das ist mit Sicherheit nicht sexy, obwohl ich weiß gar nicht, es gibt natürlich jetzt nicht unbedingt Zahlen darüber, wie viele Nachrichtenredakteurinnen und -redakteure Familien haben. Die Kinderlosigkeit unter Journalisten soll ja besonders hoch sein, was nicht verwundert, weil es ja ein besonders schwieriger Job ist, den man schlecht mit Familie verbinden kann. Aber selbst wenn sie Familie haben, denken sie, das ist Privatsache, das geht nur mich etwas an, und wie ich jetzt mit dieser Familie klarkomme oder auch nicht klarkomme, das ist nichts, was auch die anderen interessiert, was auch politisch interessant ist.
Und ich denke, da passiert im Moment was, da wird jetzt im Moment deutlich, Familie ist eben nicht Privatsache, oder, wie man früher gesagt hat, auch das Private ist politisch. Ich glaube, dass sich da jetzt im Moment auch so ein Wandel ergibt.
Kassel: Wo haben Sie denn bei Ihrer Untersuchung bei beiden, bei den Informationsformaten als auch bei den fiktionalen Formaten, die Schwelle angesetzt, wenn da zum Beispiel - das war ja ungefähr die Zeit, als die PISA-Studie oft Thema war - über die Frage diskutiert wurde, wie wird die Schulbildung besser. War das schon Familie oder noch nicht?
Hannover: Ja, das war ein sehr weiter Familienbegriff. Also es ging da um alles, wo auch Kinder eine Rolle spielten, war da auch mit einbezogen. Wir haben allerdings bei den Stichprobenwochen nun darauf geachtet, dass es nicht gerade Wochen sind, wo jetzt, was weiß ich, weder Sportereignisse noch irgendetwas anderes Dominantes da war, oder in den Sommermonaten wo dann auch natürlich solche Themen eher weniger vorkommen, sondern wir haben wirklich versucht, diese vier Wochen so zu platzieren, dass man einen richtigen Durchschnitt bekommt.
Kassel: Eines der Ergebnisse Ihrer Studie ist auch, dass die durchschnittliche Fernsehkommissarin im deutschen Fernsehen 0,29 Kinder bekommt. Das ist deutlich weniger als die Durchschnittsfrau in der Bundesrepublik. Wie rechnet man so was denn aus?
Hannover: Na ja, wir haben die demografischen Daten aller deutschen Krimiermittlerinnen und -ermittler erhoben, und dann kann man das relativ einfach ausrechnen, wobei ich konstatiere, dass ein Demograph, ein Bevölkerungswissenschaftler vermutlich eine andere Rechnungsmethode hat. Da geht es wahrscheinlich nach Kohorten und Geburtenjahrgängen. Wir haben einfach alle genommen und geguckt, wie viele Kinder die haben, also auch die erwachsenen Kinder haben wir mitgezählt, aber das macht das Ergebnis eigentlich noch erschütternder. Also wir haben nicht nur die kleinen Kinder gezählt, sondern überhaupt jeder, der ein Kind hatte.
Kassel: Nun gibt es ja im deutschen Fernsehen - und nicht nur im deutschen - ein ganzes Genre, das schon Familienserie heißt. Damit ist natürlich eigentlich gemeint, dass es für Familien ist, aber trotzdem, wenn das Ganze schon so heißt, kommt denn selbst da keine vernünftige Familie vor?
Hannover: Na ja, was heißt vernünftig? Also es ist schon erstaunlich, dass das, was entgegen allen Unkenrufen immer noch vorherrscht, Sie sagten es schon, die Normalfamilie, also ein in erster Ehe heterosexuelles Paar mit leiblichen Kindern, dass das relativ selten vorkommt. Das hat natürlich dramaturgische Gründe. Meistens geht es ja um Liebe. Um sich zu finden als liebendes Paar, muss man erstmal Single sein. Das kann man alles erklären, und trotzdem fragt man sich, warum fällt deutschen Drehbuchschreibern so wenig Stoff auch aus ganz normalen Familien ein, denn ich kann Ihnen versichern, da gibt es einiges zu erzählen, und da kann man bestimmt auch spannende Stoffe draus machen. Aber irgendwie drängt sich so ein bisschen der Verdacht auf - das ist gar kein Vorwurf -, dass eben vermutlich Drehbuchschreiber und Fernsehmacher oft ihr eigenes großstädtisches Singleleben als Vorbild haben, wenn sie Geschichten erzählen.
Kassel: Das hört sich so an, als seien manche Fernsehserien eigentlich der Wirklichkeit regelrecht voraus, denn wenn ich mir sie angucke, dann ist es oft diese berühmte Patchworkfamilie. Also da ist der Künstler mit seinen drei unehelichen Kindern, zieht zur Wirtschaftsfrau mit vier unehelichen Kindern aus acht Ländern. Das heißt, die sind manchmal im Fernsehen, ob das nun gut oder schlecht sein mag, viel weiter als die Menschen im wirklichen Leben?
Hannover: Ja, also das ist interessant. Früher hat man im Fernsehen bei früheren Untersuchungen gerade zum Frauenbild hat man dem Fernsehen immer vorgeworfen, dass es der Realität hinterherhinkt, dass viel mehr Hausfrauen da sind und dass Frauen unselbstständig sind. Das ist in der Tat nun völlig anders. Frauen sind so gut wie alle berufstätig, auch und gerade die Mütter, was ja im wirklichen Leben noch nicht der Fall ist, weil es so schwierig ist in Deutschland, aber was dann vergessen wird, sind die Alltagsfragen, die damit zusammenhängen, also sprich Kinderbetreuung, was mache ich mit meinen Kindern, wenn ich die große Karriere mache, wie läuft es mit der Arbeitsteilung zu Hause zwischen Mann und Frau, also gerade die Themen, die jetzt in der Debatte auch hochkommen, weil ja auch deutlich wird, dass das ein Grund ist für den Geburtenrückgang, die finden in der Fiktion gar nicht statt. Nun kann man natürlich sagen, Fiktion ist nicht dazu da, Realität eins zu eins abzubilden, aber so ein bisschen aus dem realen Leben gegriffen könnte nicht schaden, weil es ja auch die Identifikation der Zuschauer erhöhen würde.
Kassel: Glauben Sie denn - das ist jetzt natürlich nicht mehr die puren Zahlen der Studie, wonach ich jetzt fragen werde, sondern ein bisschen Spekulation, aber wenn Sie Ihre eigene Studie sehen -, glauben Sie denn, dass das Familienbild, was wir im Fernsehen jeden Tag sehen, auch zumindest ein kleines Bisschen dazu beiträgt, dass so viele Deutsche gar keine Lust mehr auf Familie und auf Kinder haben?
Hannover: Also sagen wir mal so, es vermittelt zumindest überhaupt nicht ein Bild von der Normalität eines Lebens mit Kindern. Wenn im Fernsehen noch halb so viele Kinder wie im wirklichen Leben auftauchen, und schon heute gibt es ja Viertel in Großstädten, wo man überhaupt keinem Kind mehr begegnet, dann könnte man als Zuschauer natürlich auf die Idee kommen, das sei gut und richtig so, und wozu braucht man Kinder, und das fände ich natürlich einen relativ fatalen Eindruck, weil wir brauchen mehr und nicht weniger Kinder.
Kassel: Das eine große Gegenbeispiel, mit dem bestimmt, wenn die uns jetzt zuhören, die Privatsender sofort winken würden an dieser Stelle, ist ja die "Supernanny" bei RTL. Da darf man nun zugucken, wie ganz viele Kinder auch ganz viele Probleme machen. Das ist nicht die Durchschnittsfamilie, die da ganz gut mit zurechtkommt. Ist das bei aller seit Jahren tobenden Kritik um diese Frau, die das macht und die Methode dahinter, ist das grundsätzlich ein positives Beispiel für das wahre Leben im Fernsehen?
Hannover: In gewisser Weise schon, da sind wir ja auch schon im Dokumentarischen. Also im Dokumentarischen tut sich in letzter Zeit einiges. Also da findet man wirklich viele Familienformate und interessanterweise wirklich viel bei den Privaten, und übrigens nicht nur im Prinzip "Supernanny", wo ja dann eher nicht funktionierende Familien vorgeführt werden, zum Beispiel gibt es auf ProSieben eine Reihe, die heißt "We are family", da werden jeden Tag einfach ganz normale Familien vorgestellt, und das scheint wunderbar zu laufen.
Also im Dokumentarischen tut sich einiges, und so sehr ich auch die Methoden der Supernanny da einiges dran zu kritteln hätte, dass sie überhaupt mal dieses Thema aufwirft und sagt, also hier sind Familien, die haben Probleme und denen muss man helfen, finde ich schon mal einen Fortschritt, ja.
Kassel: Nun hat Ihre Studie ja das Bundesfamilienministerium in Auftrag gegeben und wird damit ja hoffentlich, da es ja auch Geld gekostet hat, eine gewisse Absicht verfolgen. Glauben Sie, dass auch durch so eine Studie da jetzt Bewegung in den Markt kommt, wird es jetzt bald Symposien geben, Familienministerium, Grimme-Institut, Sat1?
Hannover: Ich hoffe es. Also ich denke, das ist jetzt einfach in der Debatte, allein weil das Thema jetzt in der Luft liegt, und wenn Macher, wir hatten auch einige interessante Workshops, wo die Macher auch selber erstaunt waren über diese Ergebnisse, weil man selber ja oft gar nicht so sehr über sein eigenes Tun reflektiert, und ich denke, dass der eine oder andere da schon ins Nachdenken kommt, und ich bin mir auch ziemlich sicher, dass auch im fiktionalen Bereich Familienformate, wo man auch wirklich Familien dann sieht und die nicht nur für Familien sind, dass die kommen werden. Ich meine, RTL kommt jetzt schon mit der Familienanwältin, und das sind so erste Anfänge, wo dieses Thema mehr in den Mittelpunkt gerückt werden wird.