Deutsches Rotes Kreuz

Auf der Suche nach vermissten Flüchtlingen

Flüchtlinge laufen am 03.10.2015 nach ihrer Ankunft über den Bahnsteig am Bahnhof in Schönefeld (Brandenburg).
Viele Flüchtlinge werden auf dem langen Weg nach Deutschland von Familienangehörigen oder Freunden getrennt. Das DRK hilft bei der Suche. © picture alliance / dpa / Patrick Pleul
Rudolf Seiters im Gespräch mit Nana Brink |
Das Deutsche Rote Kreuz hilft seit über 70 Jahren, Vermisste zu finden - und rechnet in diesem Jahr mit an die 3000 Suchanfragen. Doppelt so viele wie 2015. Derzeit sind es vor allem Flüchtlinge auf der Suche nach Familienangehörigen, die sich an die Helfer wenden.
Der Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) hat so viele Anfragen von Flüchtlingen wie noch nie. Die Zahl verzweifelt Suchender , die durch Kriege, bewaffnete Konflikte, Katastrophen oder auf der Flucht von Familienangehörigen und Freunden getrennt wurden, steigt. Im ersten Halbjahr registrierte das DRK bundesweit rund 1400 entsprechende Anfragen. Bis Jahresende rechnet man mit 3000 - das wäre fast eine Verdoppelung im Vergleich zu 2015.
Bei allen Suchaktivitäten werde auf größtmögliche Datensicherheit geachtet, sagte DRK-Präsident Rudolf Seiters anlässlich des Internationalen Tages der Vermissten:
"Die personenbezogenen Daten sind nur autorisierten Mitarbeitern der Suchdienste zugänglich, die Gefährdung besteht oftmals darin, dass Flüchtlinge gesucht werden durch Rebellen oder auch durch staatliche Einrichtungen. Und das müssen wir natürlich auf jeden Fall verhindern. Das gilt in besonderer Weise auch für die unbegleiteten, schutzbedürftigen minderjährigen Flüchtlinge unter 15 Jahren, wo wir eine eigene Webseite passwortgeschützt zur Verfügung stellen."
Der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes, Rudolf Seiters.
Der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes, Rudolf Seiters.© picture alliance / dpa / Ulrich Perrey

Die sozialen Medien sind nicht sicher

Über die Sozialen Medien wie Facebook selbst einen Aufruf zu starten, sei dagegen oft keine Option - weil die Datensicherheit dort nicht gewährleistet sei und zudem etliche der Geflüchteten Analphabeten seien.
Der DRK-Suchdienst wurde vor über 70 Jahren gegründet - damals vor allem, um Familienangehörige wieder zusammen zu bringen, die während des Zweiten Weltkriegs getrennt worden wurden. Noch heute, berichtet Seiters, gebe es Bürger, die sich im Zusammenhang mit vermissten Angehörigen aus dieser Zeit an den Suchdienst wendeten.

Das Interview im Wortlaut:

Nana Brink: Wenn wir über die Fluchtursachen sprechen, die viele Menschen zu uns führen, dann vergessen wir oft, dass sie nicht nur die zum Teil unerträglichen Ursachen bewältigen müssen, die sie erlebt haben, viele sind auch verzweifelt, weil sie Angehörige auf der Flucht verloren haben. Der Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes hat so viele Anfragen von Flüchtlingen wie noch nie, im ersten Halbjahr registrierte das DRK bundesweit rund 1.400 Anfragen und bis Jahresende rechnet man mit 3.000, das wäre fast eine Verdoppelung. Heute wird der Internationale Tag der Vermissten begangen und wir wollen mal genauer hinsehen, und zwar mit Rudolf Seiters, Präsident des Deutschen Roten Kreuzes. Einen guten Morgen!
Rudolf Seiters: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Die meisten Vermissten im letzten Jahr waren Flüchtlinge. Was sind denn so typische Fälle?
Seiters: Na ja, an erster Stelle stehen, wenn wir die Zahlen untersuchen, die Sie gerade genannt haben, afghanische Familien. Aber es sind auch viele syrische, somalische, irakische Flüchtlinge oder auch aus Eritrea dabei und darunter sind auch sehr viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Und wir sind eigentlich sehr froh darüber, dass wir doch die Möglichkeit haben, Familien wieder zusammenzuführen über die verschiedensten Maßnahmen, die wir eingerichtet haben, auch unter Datenschutzgesichtspunkten und auch aufgrund der Erfahrung, die wir ja seit dem Zweiten Weltkrieg haben. Das Deutsche Rote Kreuz ist, so denke ich, die wichtigste Institution auf diesem Feld in der ganzen Welt.

Suche übers Internet und mit Postern

Brink: Wie kann denn geholfen werden, wie muss ich mir das vorstellen?
Seiters: Ja gut, wir haben … Es melden sich Flüchtlinge bei uns direkt, dann haben wir aber eingerichtet eine eigene Internetseite, "Trace the Face", da können Suchende ihr Bild einstellen mit dem Hinweis, welchen Familienangehörigen die abgebildete Person sucht. Gleichzeitig können sie ihr Foto auf vornehmlich europaweit ausgehängten Postern durch die Rot-Kreuz-Suchdienste veröffentlichen, auf der Internetseite kann zusätzlich die Staatsangehörigkeit und das ungefähre Alter der suchenden Person eingesehen werden, alle weiteren Daten bleiben anonym. Wir haben größte Anforderungen an die Datensicherheit unserer Klientinnen und Klienten, wenn ich das so sagen will.
Die Namenskartei des DRK-Suchdienstes in Hamburg
Die Namenskartei des DRK-Suchdienstes in Hamburg.© dpa/picture alliance/Ulrich Perrey
Brink: Warum ist das so wichtig? Also, jetzt im Hinblick auf Syrien zum Beispiel könnte ich mir vorstellen, dass Personen ja auch gefährdet sind, wenn man zu viel über sie in Erfahrung bringt.
Seiters: Das wollen wir ja gerade sicherstellen, dass das jedenfalls bei denen, die sich bei uns melden, nicht geschieht. Die personenbezogenen Daten sind nur autorisierten Mitarbeitern der Suchdienste zugänglich, die Gefährdung besteht oftmals darin, dass Flüchtlinge gesucht werden durch Rebellen oder auch durch staatliche Einrichtungen. Und das müssen wir natürlich auf jeden Fall verhindern. Das gilt in besonderer Weise auch für die unbegleiteten, schutzbedürftigen minderjährigen Flüchtlinge unter 15 Jahren, wo wir eine eigene Webseite passwortgeschützt zur Verfügung stellen.
Brink: Ich stelle mir das unglaublich schwierig vor, in solchen ja wirklich chaotischen Situationen wie in einem Bürgerkrieg in Syrien oder auch in Teilen Afghanistans jemanden zu finden oder eine Spur zu verfolgen, ja?

Die Helfer gehen von Dorf zu Dorf

Seiters: Das ist richtig, wir stehen ja auch in einer ganz engen Abstimmung mit dem internationalen Roten Kreuz. Wir sind ja als Deutsches Rotes Kreuz nicht in allen Ländern unterwegs, aber diese Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes, die ja natürlich zusammenarbeiten mit der jeweiligen nationalen Rot-Kreuz- und Rot-Halbmond-Gesellschaft, die gehen fast … In nahezu jedem Land können sie von Haus zu Haus gehen und von Dorf zu Dorf, aktiv auf die Suche, und selbst in abgelegensten Gebieten … Wir haben uns das gerade noch auch in dieser Woche – wie gesagt, 30. August, Internationaler Tag der Vermissten – vom Internationalen Roten Kreuz bestätigen lassen.
Brink: Wie hoch ist Ihre Erfolgsquote, wie viele Menschen können Sie finden?
Seiters: Ja, das ist natürlich sehr unterschiedlich. Wir haben, das geht, wenn ich das richtig sehe, in die Hunderte bisher. Aber viele haben sich ja auch erst im letzten Jahr beziehungsweise in diesem Jahr gemeldet. Das hängt damit zusammen, dass viele Flüchtlinge erst einmal sich eingelebt haben hier in Deutschland beziehungsweise eine Zeitverzögerung haben, aber jetzt kommen die Daten auf den Tisch und wir erwarten wie gesagt, Sie sagten es, in diesem Jahr rund 3.000.
Brink: Es ist interessant, dass es trotzdem noch so schwierig ist, jemanden zu finden, obwohl es Handys gibt und auch Facebook, das frage ich mich auch immer gerade.
Seiters: Na ja, gut, aber Facebook ist natürlich anders als … Also, auf Plattformen wie Facebook und Co., da sind die Datenschutzbestimmungen natürlich andere und die Datensicherheit ist da nicht in dem Maß gegeben, wie das bei uns bei "Trace the Face" der Fall ist. Und viele können auch vielleicht mit den Medien und mit diesen Institutionen nicht richtig umgehen. Es gibt ja auch Analphabeten darunter.
Brink: Interessant ist ja, wenn wir weggehen jetzt von der Situation der Flüchtlinge, dass sie auch immer mehr, das habe ich gelesen, also, bis zu 10.000 Anfragen im Jahr noch bekommen zum Zweiten Weltkrieg. Wer fragt denn da?
Seiters: Ja, das ist richtig. Ich erinnere mich am meine Zeit als Bundeskanzleramtsminister und Bundesinnenminister, in den Jahren damals konnten wir mit Russland Vereinbarungen treffen, dass die russischen Archive geöffnet wurden seit Beginn der 90er-Jahre. Und wir haben allein im Jahr 2015 jetzt 12.000 Anfragen noch bekommen, in denen Auskunft über den Verbleib und das Schicksal von kriegsvermissten Angehörigen erbeten worden sind. In 46 Prozent der Fälle konnten wir den Angehörigen helfen. Also, das ist schon erstaunlich, dass so viele Jahre nach dem Krieg eben doch der Wunsch von Kindern und Enkeln da ist, etwas über die Situation und das Verbleiben von Angehörigen zu erfahren. Wir sind hier sehr erfahren und auch ganz glücklich darüber, dass wir wenigstens mit der Auskunft helfen können, weil das für die Familien auch sehr wichtig ist.
Brink: Vielen Dank, Rudolf Seiters, Präsident des Deutschen Roten Kreuzes. Und wir sprachen über die Situation von Vermissten am heutigen Internationalen Tag der Vermissten. Danke, Herr Seiters, für das Gespräch!
Seiters: Ja, bitte schön, danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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