Daniel Ris ist Schauspieler, Regisseur und Autor. Er hält einen "Executive Master in Arts Administration" der Universität Zürich. Seine Master-Arbeit "Unternehmensethik für den Kulturbetrieb" ist die erste wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema und im Springer VS Verlag erschienen. Seit 2013 gehört er zum Kernteam der Initiative "art but fair".
In der Spirale des Gagen-Dumpings
Die deutsche Theater- und Orchesterlandschaft mit ihren mehr als 150 öffentlich-rechtlichen Häusern gehört zum immateriellen Welt-Kulturerbe. Für die nötige Neuordnung des Tagesgeschäfts dieser Häuser allerdings ist dieser museale Titel wenig nützlich.
Es wird immer noch alles dafür getan, damit das Theatersystem nach außen scheinbar funktioniert wie eh und je, dabei tut es das in der Arbeitsrealität an den Häusern längst nicht mehr. Seit zwei Jahrzehnten beschleunigt sich eine bedrohliche Entwicklung. Mit immer weniger Personal wird, bei immer weiter sinkenden Honoraren für die Künstlerinnen und Künstler, immer mehr produziert. Konkret wurden über 6000 Stellen abgebaut. Der Reallohn eines Schauspielensemblemitglieds hat sich nahezu halbiert. Gleichzeitig hat sich die Zahl der freien Verträge verdreifacht. Die Spirale des Gagen-Dumpings dreht sich immer weiter.
Der Mindestlohn den der Deutsche Bühnenverein mit der Gewerkschaft der Deutschen Bühnenangehörigen ausgehandelt hat, beträgt 1650 Euro brutto. An vielen Häusern ist dieser Mindestlohn mittlerweile der Einheitslohn für alle außerhalb der Kollektive von Chören und Orchestern künstlerisch Tätigen geworden.
In den von der öffentlichen Hand finanzierten Kulturbetrieben bestimmen in erschreckendem Maße ökonomische Prinzipien das Handeln. Ist das der Auftrag?
Und auch die Kulturpolitik beschäftigt sich in ihren Zielvereinbarungen vielerorts ausschließlich mit ökonomischen Parametern; mit Besucherzahlen, der Anzahl der zu produzierenden Premieren und der Aufforderung zur Steigerung des Eigenfinanzierungsanteils der Theater. Das ist nichts anderes als eine Kommerzialisierungsforderung. Und vielen Häusern bleibt ohnehin gar nichts anderes übrig. Denn bei eingefrorenen Etats und gleichzeitig steigenden Tariflöhnen der im öffentlichen Dienst befindlichen nichtkünstlerischen Mitarbeitenden entsteht ein sogenanntes “strukturelles Defizit“.
Die Theater müssen also einerseits an der Kunst sparen, denn nur dort geht es ja, und andererseits die Einnahmen erhöhen. Oder man baut, wie derzeit in Rostock, gleich ganze Sparten ab. So oder so führt der materielle Gewinn zu immateriellen Verlusten. Und der ursprüngliche Sinn einer Förderung der Kultur aus Steuermitteln wird ad absurdum geführt.
"Vorne hui - hinten pfui" allerorten
Aber auch in den Theaterbetrieben selbst ist das Prinzip “Vorne hui - hinten pfui“ tief verwurzelt. Die auf der Bühne oft nachdrücklich eingeforderten Grundwerte von Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit werden im streng hierarchischen Theaterbetrieb kaum in ausreichendem Maß gelebt.
Konkret gilt beispielsweise seit 2006 das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Aber an vielen Theatern verdienen gleich qualifizierte Mitarbeiterinnen, auf und hinter der Bühne, immer noch deutlich weniger als ihre männlichen Kollegen. Der Markt gibt es ja her. In vielen Branchen sind Teilhabe, Solidarität und Gleichberechtigung heute ganz selbstverständliche Maßstäbe der Unternehmenskultur. Ausgerechnet im “Kultur-Unternehmen“ haben diese Werte anscheinend oft gar keinen Platz.
Dazu müssten die Theater den Wertediskurs im eigenen Haus führen. Aber dafür haben sie im Hamsterrad der zunehmenden Ergebnisorientierung ihrer Arbeit gar keine Zeit. Und es geht hier natürlich auch um Machtverhältnisse. Deshalb wird von den Verantwortlichen häufig lieber gar nicht hingeschaut und stattdessen immer noch, nach ganz alter Schule, auf die Bühne als Ort der Moral verwiesen. Was ist die Botschaft? Der gute Zweck heiligt die schlechten Mittel? Ist das eine Werthaltung, für die unsere Theater einen öffentlichen Auftrag verdienen?
In der Angst davor sich angreifbar zu machen, und am Ende dann vielleicht doch ganz weggespart zu werden, kämpfen die Theater um den Erhalt des Systems. Aber das System muss sich wandeln, denn das Wesentliche der künstlerischen Arbeit droht immer mehr auf der Strecke zu bleiben. Die Theater müssen Allianzen suchen.
Kulturpolitik muss wieder als Gesellschaftspolitik verstanden werden. Der beste Schutz der Kulturbetriebe ist die gesellschaftliche Relevanz ihrer Kunst. Dem wachsenden Kommerzialisierungsdruck muss eine kraftvolle Formulierung und Umsetzung des gesellschaftlichen Kulturauftrags entgegengesetzt werden. Mit dem Rücken zur Wand ist das nicht zu schaffen.