Deutsches von Demand

Von Carsten Probst |
"Nationalgalerie" heißt die Ausstellung des Künstlers Thomas Demand, die sowohl auf den Ausstellungsort als auch auf das Werk Demands verweist: Auf den ausgestellten Fotografien zeigt der Künstler Orten von nationaler Bedeutung oder solchen, die für das Leben in Deutschland etwas Typisches haben.
Die Glashalle der Neuen Nationalgalerie ist innen mit hohen dunklen Stoffwänden aus graubrauner Schurwolle in verschiedene, ineinander übergehende Säle unterteilt, in denen die gemäldegroßen Fotografien von Thomas Demand hängen.

Die Inszenierung hat etwas seltsam Regressives an sich, das aber zweifellos gewollt ist. Man denkt bei diesem Vorhanggrau an manche Fernsehkulissen aus den 60er-Jahren, wenn politische Diskussionsrunden vor solchen Vorhängen im Studio stattfanden oder das Wort zum Sonntag gesprochen wurde.

Udo Kittelmann, der mit dieser Ausstellung seinen Einstand als Direktor dieses Hauses gibt, dachte sich vermutlich, dass man dem Namen des Ortes, Nationalgalerie, dadurch am besten gerecht wird, wenn man durch das Design der Ausstellung auf die Zeiten verweist, in der der Begriff des Nationalen noch eine gewisse Eindeutigkeit hatte. Deshalb wurde der Ausstellung von Demand der Name des Hauses auch gleich als Titel mitgegeben: Denn zur Reflexion auf das Nationale passen Demands Bilder nachweislich ganz hervorragend.

Udo Kittelmann: "Wenn eine Ausstellung, die auch an jedem anderen Ort denkbar wäre, als zur gleichen Rezeption, zu den gleichen Diskussionen führt, dann ist sie wahrscheinlich hier - in der oberen Glashalle - nicht unbedingt die, die es zwingend notwendig macht. Und wenn diese Ausstellung dann auch noch zusätzlich den Titel trug 'Nationalgalerie' und das an dem Ort der Nationalgalerie, dann muss die Rezeption eine zwangsläufig andere sein, als wenn diese Ausstellung mit den gleichen Exponaten an einem anderen Ausstellungsort gezeigt würde."

In der Tat: Für die Ausstellung wurde aus Demands Werk dasjenige Drittel von Arbeiten extrahiert, in dem er sich in irgendeiner Weise mit deutschen Orten, Orten von nationaler Bedeutung oder solchen, die für das Leben in Deutschland etwas Typisches haben, beschäftigt.

Nicht immer sind es bekannte Orte, und es wäre auch müßig, mit Fragen anzufangen, was an diesen Orten womöglich das typisch Deutsche sei. Oft genug hat Demand diese Orte selbst nie gesehen, sondern ist durch Zufall auf Abbildungen gestoßen, die ihn interessiert haben. Wie im Fall der Kufsteiner Heldenorgel, eines Kriegerdenkmals, das 1931 von Veteranen des Ersten Weltkriegs gestiftet wurde und als die größte Außenorgel Europas gilt.

Thomas Demand: "Was mich interessiert daran und was ich nicht nur kurios, sondern auch überaus modern empfinde, ist die Idee, dass das Angedenken an die alten Kameraden, dass das performativ ist, also jeden Tag aufgeführt werden muss. Man muss sich daran erinnern. Und da trifft es sich natürlich in bestimmten Hinsichten mit der Arbeit, die ich auch mache. Man muss die Dinge, wenn man sich erinnern möchte, die Erinnerungen immer im Kopf neu zusammensetzen. Jedes Mal wenn ich sage: 'Der Tunnel von Lady Di', macht Ihr Kopf natürlich nichts anderes, als die Verknüpfungen zusammenzusetzen. Dann haben Sie das Bild."

Der Produktionsprozess von Demands Bildern führt in der Regel von einer fotografischen Vorlage zu einem Modell, in dem er akribisch genau eine bestimmte Sicht auf den Gegenstand oder Ort nachbaut, und das Nachgebaut erneut fotografiert - und als gemäldegroßes Bild entwickeln lässt. Das Verfahren verwandelt in seinen Durchgangsstufen Fotografie in eine Mischung aus Installation, Malerei und Kulisse; und es stellt den Betrachter jedes Mal vor dieselbe Frage, was er sieht: eine Simulation, etwas Authentisches, Reales oder etwas Künstliches, Original oder eine Kopie von Kopien? Wenn Demand "Moderne" sagt, dann meint er genau diesen Zweifel, den das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit immer wieder als Schlüsselreiz auslöst.

Thomas Demand: "Diese Idee von der Künstlichkeit setzt so eine Art Unterscheidungsvermögen voraus, das wir, glaube ich, gar nicht haben. Oder wenn wir es haben, dann ist es auch so eine ganz merkwürdige ... ein schwammiger Begriff. Das Schloss, zum Beispiel, Rekonstruktion des Schlosses, ist ja ein ganz virulentes Thema in Berlin. Diese Schlossfassade wird nach Fotos rekonstruiert werden. Was heißt das? Wir haben eine Fotografie, die wird wieder 3-D, die wird wieder das Reale, das ist auch nicht anderes, als das, was ich mache. Es scheint also eine Kulturtechnik zu sein, dass man Fotografien mehr glaubt, als den Realitäten. Die Realität ist nämlich, dass das Schloss nicht mehr dasteht."

Obwohl die Neue Nationalgalerie natürlich weit davon entfernt ist, das Berliner Stadtschloss zu sein, ist sie als Verhandlungsort zum Thema Reproduktion und Geschichte doch denkbar bestens geeignet. Mies van der Rohes Bau ist selbst Ikone und Kopiervorlage für etliche modernistische Versuche gewesen und repräsentiert selbst ein Bild von Moderne, das ganz erheblich zum politischen Selbstverständnis Westdeutschlands nach 1945 beigetragen hat.

Und wohin immer man in dieser Ausstellung blickt, sei es auf die leere Barschel-Badewanne, auf die zerwühlten Stasibüros nach der Wende, auf das Fernsehstudio von Robert Lembkes Was-bin-ich-Sendung oder die Tosa-Klause, in der Anfang der 2000er-Jahre ein Kinderschänderring einen elfjährigen Jungen getötet haben soll, in all diesen Reminiszenzen auf die jüngere, vornehmlich westdeutsche Geschichte interessiert immer wieder die Verschaltung von Bild und Gedächtnis, die sich zu verführerischen Aha-Erlebnissen kurzschließen.

In der stereotypen, stets menschenleeren Leichtigkeit, diese Bilder als realistisch zu lesen, mag ihre Doppelbödigkeit, ja, Abgründigkeit liegen - nicht selten aber auch eine verborgene Sehnsucht nach einer repräsentativen, bürgerlichen Kunst für das 21. Jahrhundert.