Nick Reimer/Toralf Staud: "Deutschland 2050. Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird"
Kiepenheuer & Witsch 2021
388 Seiten, 18 Euro
Es wird bald sehr ungemütlich
05:49 Minuten
Das Wasser wird knapp, Schienen verbiegen sich und es wird Kälteräume brauchen. In knapp 30 Jahren wird sich vieles in Deutschland wegen des Klimawandels ändern. Was genau, das beschreiben Nick Reimer und Toralf Staud erschreckend realistisch.
Die beiden Journalisten Nick Reimer und Toralf Staud haben für ihr Buch "Deutschland 2050. Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird" mit zahlreichen Wissenschaftler*innen gesprochen, unter anderem mit denen vom Deutschen Wetterdienst. Deren Prognose: 2050 wird es in Deutschland zwischen 1,9 bis 2,3 Grad Celsius wärmer sein als 1881, egal was wir tun. Denn die CO2-Mengen, die dann das Klima bestimmen werden, sind schon längst in die Atmosphäre emittiert.
Detailliert bröseln Reimer und Staud auf, was zwei Grad Erwärmung für uns Menschen konkret bedeutet: Das Leben in Deutschland wird ungemütlich.
Gab es beispielsweise im Südwesten von 1971 bis 2000 im Schnitt an 30 Tagen Temperaturen von über 25 Grad Celsius, werden es Mitte des Jahrhunderts bis zu 80 Tage sein – bei Spitzenwerten von 45 Grad. In Stuttgart wird es an 70 Tagen heißer als 30 Grad Celsius sein. In Hamburg herrscht dann ein Klima wie heute in Pamplona, in Berlin wie in Toulouse.
Kälteräume, Überschwemmungen, veränderte Landwirtschaft
Städte werden Kälteräume einrichten müssen und Altenheime müssen dauerhaft klimatisiert sein.
Außerdem wird es im Winter mehr, im Sommer weniger regnen und wenn, dann mehr als Starkregen mit Überschwemmungen. Trotzdem nimmt die Trockenheit zu, da der ausgedörrte Boden das Wasser nicht aufnehmen kann. Der sinkende Grundwasserpegel gefährdet die Wasserversorgung, und Konflikte um Wassernutzung sind programmiert.
Kaum eine Folge der Erwärmung bleibt so unerwähnt und genau das macht dieses Buch so lesenswert. Alles ist nachvollziehbar beschrieben. Denn Reimer und Staud haben fleißig die Ergebnisse verschiedener Studien zusammengetragen. Nichts dabei ist Kaffeesatzleserei, alles ist wissenschaftlich fundiert und abgesichert.
Leider, muss man sagen, denn die Befunde sind bedrohlich: So sind von den in Deutschland vorkommenden 71.900 Tier- und Pflanzenarten 30 Prozent durch den Klimawandel bedroht.
Zahlreiche einheimische Tiere sind bedroht
Die Brockenanemone wird ganz sicher aussterben. Das Hahnenfußgewächs gedeiht nur noch auf dem höchsten Gipfel des Harzes, denn es braucht bestimmte niedrige Temperaturen, aber die wird es in ein paar Jahren auf dem Brocken nicht mehr regelmäßig geben.
Oder der Moselapollofalter: Diese Schmetterlingsart kommt weltweit nur an der Mosel vor, wo sich die Raupen von der weißen Fetthenne ernähren. Normalerweise schlüpften die Raupen erst im April, jetzt aber wegen des fehlenden Frostes immer früher, und finden dann kein Futter, weil die Fetthenne noch nicht herangewachsen ist. Selbst Igel und Kuckuck werden 2050 bedroht sein.
Dafür wird es mehr asiatische Tigermücken geben, die das Denguefieber verbreiten können. Die Mückenart wurde 2007 erstmals im Südwesten Deutschlands nachgewiesen und wird sich bis 2050 im ganzen Land verbreitet haben.
Beeindruckende Lektüre
Den beiden Autoren ist ein beeindruckendes und irritierendes Buch gelungen. Beeindruckend ob der Faktenfülle und der Anschaulichkeit, irritierend, weil der Klimawandel, die Klimakrise so nahe rückt. Das Fazit: Alles wird sich ändern, wenn wir nichts ändern.