Deutschland braucht eine "schonungslose Bestandsaufnahme"
Vor einem Jahr floh der Wikileaks-Gründer Julian Assange in die ecuadorianische Botschaft in London. Im Interview spricht sein Mitstreiter Andy Müller-Maguhn vom Chaos Computer Club darüber, wie es ihm in der Botschaft ergeht und warum Enthüllungsplattformen immer wichtiger werden.
Joachim Scholl: Am Telefon ist nun Andy Müller-Maguhn vom Chaos Computer Club, er hat zusammen mit Julian Assange ein Buch verfasst über das Internetzeitalter und kämpft an der digitalen Frontlinie von Staatsmacht und Bürgerrechten, guten Tag, Herr Maguhn!
Andy Müller-Maguhn: Hallo!
Scholl: Wann hatten Sie das letzte Mal Kontakt zu Julian Assange?
Müller-Maguhn: Ich war das letzte Mal so vor drei, vier Wochen da und habe mit Erstaunen festgestellt, dass im Vergleich zum Frühjahr jetzt nur noch sechs statt zwölf Polizisten 24 Stunden das Gelände bewachen. Der Wachmann der ecuadorianischen Botschaft hat sich jetzt auch zwei große Bildschirme und mehr Kameras, das heißt, die Ecuadorianer beobachten die ganze Zeit die britische Polizei. Aber insgesamt war es eine sehr entspannte Atmosphäre, die scheinen da auf eine Art alle miteinander Spaß zu haben.
Scholl: Wie geht es ihm denn, hat er noch keinen Koller?
Müller-Maguhn: Nein, also, der schafft es irgendwie ganz gut, sich die Laune nicht verderben zu lassen. Er hat, am Anfang war das ja alles in einem Zimmer und das ist natürlich nicht so eine optimale Situation, weil man da Schlafen, Arbeiten und Leute-Treffen in einem Raum kombiniert, er hat jetzt ein separates Schlafzimmer, das hat ihm deutlich gutgetan, er hat einen großen Arbeitstisch, paar Rechner, er hat eine neue Internetleitung, die auch ein bisschen schneller ist, weil das Botschaftsnetz, das ruckelte immer ein bisschen. Und also, ich meine, er ist halt so auch ein bisschen aus der Generation der Leute, die, solange sie Internet haben, ist das mit der Außenwelt so ein bisschen relativ. Trotzdem ist das natürlich alles ein bisschen absurd, wenn man sich überlegt, dass der offizielle Vorwurf etwas im Missverhältnis steht zu der Situation dort, direkt auf der anderen Straßenseite steht ja ein Container, auf dem Police Conference, also Polizeikonferenz steht und in dem interessante Antennen offenbar so alles überwachen, was über Mobil- und andere Netze geht. Na ja!
Scholl: Aber Herr Müller-Maguhn, ich meine, Julian Assange hat ja doch viel persönliches Kapital in der Öffentlichkeit verspielt, dass er sich den Anschuldigungen aus Schweden jetzt auf diese Weise entzieht. Er sieht sich als politisch Verfolgter, eben wegen jener Enthüllungen. Inwieweit steht sein Name eigentlich noch für WikiLeaks und die Erfolge, die die Plattform hatte?
Müller-Maguhn: Man muss halt sehen, dass … Es läuft ja derzeit der Bradley-Manning-Prozess, also der Prozess gegen diesen jungen Soldaten, der die Materialien …
Scholl: Der die Dokumente geliefert hat damals.
Müller-Maguhn: Genau, der die Materialien, also auch diese Diplomatic Cables und die Dokumente über den Irak- und Afghanistan-Krieg und so fort geliefert hat. Und im Rahmen dieses Prozesses, der nur so halb öffentlich stattfindet, die Protokolle beispielsweise, die es im Internet zu lesen gibt über die ganzen Sachen, sind, wie man sagt, crowdgefundet, das heißt, da haben Leute dafür gesammelt, damit dort professionelle Steganografen mitschreiben, weil die US-Regierung sich weigert, die Protokolle offenzulegen. Und im Rahmen dieses Prozesses wird schon sehr deutlich, dass hier der Vorwurf der Verschwörung gegen Assange in der Luft hängt, also der Vorwurf, er hätte den Bradley Manning dazu angestiftet, Materialien aus dem Geheimhaltungskreis da herauszutragen und an WikiLeaks zu übermitteln. Und es gibt schon sehr ernste Anzeichen dafür und auch, also, der Assange, Julian, der hat ja auch ein paar Anwälte nicht nur in den USA, aber eben auch, die sich um die Sache kümmern und die ganz klar sagen, dass er der dringenden Gefahr unterliegt, an die USA ausgeliefert zu werden. Und das passt auch mehr zu der Situation der britischen Polizei und der Botschaft da zusammen als diese merkwürdige Geschichte mit Schweden.
Scholl: Julian Assange, heute vor einem Jahr floh der WikiLeaks-Gründer in die Botschaft Ecuadors in London. Wir sind hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Andy Müller-Maguhn vom Chaos Computer Club. WikiLeaks hat, wenn man das so nennen will, eine Weltkarriere gemacht durch die Veröffentlichung auch vor allem jener geheimen Dokumente. Inzwischen geht es aber auch anders, wie der Fall jetzt von Edward Snowden gezeigt hat, der das PRISM-Programm der USA enthüllt hat. Braucht die Welt WikiLeaks eigentlich noch, Herr Müller-Maguhn?
Müller-Maguhn: Na ja, also, um die Wahrheit zu sagen, bei dieser Snowden-Geschichte, die ich natürlich auch mit großer Aufmerksamkeit verfolge und mit auch ein bisschen Genugtuung hier und da, aber da habe ich das erste Mal den Eindruck gehabt, da wird der Julian wirklich bestraft. Weil der läuft da jetzt wahrscheinlich die Wände hoch und runter, dazu kenne ich ihn gut genug, und ärgert sich, weil diese Geschichte wäre auf seinem Tisch gelandet. Und er hätte nicht nur mit einer Zeitung, nämlich mit dem "Guardian", sondern … Bei WikiLeaks sind ja schon viele Medienpartnerschaften entstanden, um auch Geschichten, die irgendetwas mit einem bestimmten Land zu tun haben, um die dann mit lokalen Medien und mit der Beleuchtung des Kontexts der jeweiligen Geschichte zu bearbeiten. Das ist tatsächlich eine Strafe für Julian.
Aber der Snowden und diese ganze Geschichte mit den NSA-Dokumenten, die läuft ja auch jetzt in die ersten Probleme rein. In England gibt es eine sogenannte D-Notice, das ist ein Verfahren, was es in Deutschland nicht gibt, was eigentlich eine Militärzensur ist, wo also das britische Verteidigungsministerium die Medien angehalten hat, keine taktischen und technischen Details der Informationsgewinnung ihres Verbündeten USA zu veröffentlichen. Inwieweit der "Guardian" sich daran halten muss, ist alles noch in Klärung, aber WikiLeaks hat halt tatsächlich hier etwas nicht nur etabliert, sondern ich glaube, man kann schon auch sagen, dass Leute wie Assange schon sehr im Besonderen auch Leute inspiriert hat, solche Dinge zu tun.
Scholl: Aber es ist ganz interessant, ich will noch mal auf den Anfang von Ihrer Antwort zurückgehen, Herr Müller-Maguhn, weil Sie sagen ja, Julian Assange würde die Wände hochgehen, das wäre auf seinem Tisch gelandet. Das hätte doch aber auch ganz normal auf dem Tisch von WikiLeaks landen können, ohne Julian Assange, oder?
Müller-Maguhn: Ja, na ja, nun ist es halt so, dass die Organisation, da gibt es ja schon ein paar Leute, die sich da kümmern, im Moment gibt es halt noch keinen in dem Sinne "Submission Interface", das hat auch was mit den Streitereien zu tun, die es … oder sagen wir mal, mit der erheblichen Gravität der Situation zu tun. Also, als diese "Diplomatic Cables" und als das ganze Material von Manning kam, da haben halt auch einige einfach kalte Füße bekommen und das ist ihnen vielleicht etwas zu groß gewesen, was da zu tun gewesen wäre. Und da hat Julian schon, glaube ich, das Richtige getan.
Aber Sie haben natürlich recht, die Organisation … Julian hat so ein bisschen die Vorstellung, dass das hierarchisch geführt und organisiert wird, es gibt andere Vorstellungen, wie man solche Organisationen führt und organisiert, trotzdem laufen da noch eine Menge Sachen, es laufen da schon noch Materialien ein, die noch verarbeitet und veröffentlicht werden, auch in letzter Zeit. Aber diese Snowden-Geschichte, da muss man sich natürlich, wenn man ein Snowden, wenn man ein Whistleblower ist, die Frage stellen, ist das wirklich klug, dass jetzt über so einen Tisch zu machen, der zu den bestüberwachten des Planeten wahrscheinlich gehört? Und der Snowden hat sich halt für einen anderen Weg entschieden, was man ihm sicherlich nicht verübeln kann.
Scholl: Wie sehen Sie denn generell in die Zukunft von Big Data sozusagen, was die Bürgerrechte angeht, wann wird es überhaupt hier mal transparente demokratische Strukturen und Mittel geben, selbst mit den Enthüllungsplattformen, mit denen man dem Staat und den Behörden und den Geheimdiensten wirklich auf die Finger sehen kann?
Müller-Maguhn: Ja, das ist tatsächlich eine sehr gute Frage. Also, ich glaube, das ist sehr, sehr wichtig. Ich sehe halt, dass der Snowden da eine Debatte angestoßen hat, die eigentlich längst überfällig ist, aber wir reden alle über PRISM, weil dieses PRISM, das ist so ein kurzes Wort, das lässt sich einfach aussprechen. Das wirkliche Skandalsystem hat einen etwas langen und sperrigen Namen, nämlich "Boundless Informer", und da gibt es noch weitere Projekte. Der Snowden hat noch viel mehr Material und wird auch noch viel mehr veröffentlichen, das hat er mehrfach gesagt. Er hat auch eine gewisse Überlegung, was seine Sicherheit betrifft, da so eingebaut, dass, wenn ihm etwas passiert, dass das Material trotzdem rausgeht.
Und also, der riskiert da ganz klar sein Leben für das Licht, was wir in diesem Zusammenhang brauchen, nämlich mal eine schonungslose Bestandsaufnahme, was da im Namen der Bürger, sei es der amerikanischen oder der deutschen, überhaupt passiert. Aber in Deutschland sind wir da auch noch am Anfang, der Bundesnachrichtendienst legt auch noch nicht längst alles offen, und auch die Vereinbarungen, unter denen Deutschland immer noch steht mit den Alliierten, die im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung eingefädelt wurden und Zugriffsrechte auf die Telekommunikation beinhalten, sind auch noch nicht veröffentlicht. Ich sage mal, da sind jetzt eine Menge Journalisten zum Glück dank Snowden dran, aber da ist noch viel zu tun.
Und an der Stelle glaube ich schon, dass man sagen kann, dass Assange und WikiLeaks da als so eine Art Leuchtturmprojekt mal radikal was anderes ausprobiert haben und auch eine Menge erreicht haben, und sei es nur, den Weg dahin zu zeigen. Und natürlich auch, ich will gar nicht verbergen, dass da auch Fehler gemacht wurden. Aber solche Fehler passieren und ich glaube trotzdem noch, dass das Projekt seine Berechtigung hat und in die richtige Richtung geht.
Scholl: Julian Assange, WikiLeaks und die Bedeutung von Enthüllungsplattformen und Enthüllungen. Das war Andy Müller-Maguhn vom Chaos Computer Club. Besten Dank für das Gespräch!
Müller-Maguhn: Gerne, okay, bis bald!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Andy Müller-Maguhn: Hallo!
Scholl: Wann hatten Sie das letzte Mal Kontakt zu Julian Assange?
Müller-Maguhn: Ich war das letzte Mal so vor drei, vier Wochen da und habe mit Erstaunen festgestellt, dass im Vergleich zum Frühjahr jetzt nur noch sechs statt zwölf Polizisten 24 Stunden das Gelände bewachen. Der Wachmann der ecuadorianischen Botschaft hat sich jetzt auch zwei große Bildschirme und mehr Kameras, das heißt, die Ecuadorianer beobachten die ganze Zeit die britische Polizei. Aber insgesamt war es eine sehr entspannte Atmosphäre, die scheinen da auf eine Art alle miteinander Spaß zu haben.
Scholl: Wie geht es ihm denn, hat er noch keinen Koller?
Müller-Maguhn: Nein, also, der schafft es irgendwie ganz gut, sich die Laune nicht verderben zu lassen. Er hat, am Anfang war das ja alles in einem Zimmer und das ist natürlich nicht so eine optimale Situation, weil man da Schlafen, Arbeiten und Leute-Treffen in einem Raum kombiniert, er hat jetzt ein separates Schlafzimmer, das hat ihm deutlich gutgetan, er hat einen großen Arbeitstisch, paar Rechner, er hat eine neue Internetleitung, die auch ein bisschen schneller ist, weil das Botschaftsnetz, das ruckelte immer ein bisschen. Und also, ich meine, er ist halt so auch ein bisschen aus der Generation der Leute, die, solange sie Internet haben, ist das mit der Außenwelt so ein bisschen relativ. Trotzdem ist das natürlich alles ein bisschen absurd, wenn man sich überlegt, dass der offizielle Vorwurf etwas im Missverhältnis steht zu der Situation dort, direkt auf der anderen Straßenseite steht ja ein Container, auf dem Police Conference, also Polizeikonferenz steht und in dem interessante Antennen offenbar so alles überwachen, was über Mobil- und andere Netze geht. Na ja!
Scholl: Aber Herr Müller-Maguhn, ich meine, Julian Assange hat ja doch viel persönliches Kapital in der Öffentlichkeit verspielt, dass er sich den Anschuldigungen aus Schweden jetzt auf diese Weise entzieht. Er sieht sich als politisch Verfolgter, eben wegen jener Enthüllungen. Inwieweit steht sein Name eigentlich noch für WikiLeaks und die Erfolge, die die Plattform hatte?
Müller-Maguhn: Man muss halt sehen, dass … Es läuft ja derzeit der Bradley-Manning-Prozess, also der Prozess gegen diesen jungen Soldaten, der die Materialien …
Scholl: Der die Dokumente geliefert hat damals.
Müller-Maguhn: Genau, der die Materialien, also auch diese Diplomatic Cables und die Dokumente über den Irak- und Afghanistan-Krieg und so fort geliefert hat. Und im Rahmen dieses Prozesses, der nur so halb öffentlich stattfindet, die Protokolle beispielsweise, die es im Internet zu lesen gibt über die ganzen Sachen, sind, wie man sagt, crowdgefundet, das heißt, da haben Leute dafür gesammelt, damit dort professionelle Steganografen mitschreiben, weil die US-Regierung sich weigert, die Protokolle offenzulegen. Und im Rahmen dieses Prozesses wird schon sehr deutlich, dass hier der Vorwurf der Verschwörung gegen Assange in der Luft hängt, also der Vorwurf, er hätte den Bradley Manning dazu angestiftet, Materialien aus dem Geheimhaltungskreis da herauszutragen und an WikiLeaks zu übermitteln. Und es gibt schon sehr ernste Anzeichen dafür und auch, also, der Assange, Julian, der hat ja auch ein paar Anwälte nicht nur in den USA, aber eben auch, die sich um die Sache kümmern und die ganz klar sagen, dass er der dringenden Gefahr unterliegt, an die USA ausgeliefert zu werden. Und das passt auch mehr zu der Situation der britischen Polizei und der Botschaft da zusammen als diese merkwürdige Geschichte mit Schweden.
Scholl: Julian Assange, heute vor einem Jahr floh der WikiLeaks-Gründer in die Botschaft Ecuadors in London. Wir sind hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Andy Müller-Maguhn vom Chaos Computer Club. WikiLeaks hat, wenn man das so nennen will, eine Weltkarriere gemacht durch die Veröffentlichung auch vor allem jener geheimen Dokumente. Inzwischen geht es aber auch anders, wie der Fall jetzt von Edward Snowden gezeigt hat, der das PRISM-Programm der USA enthüllt hat. Braucht die Welt WikiLeaks eigentlich noch, Herr Müller-Maguhn?
Müller-Maguhn: Na ja, also, um die Wahrheit zu sagen, bei dieser Snowden-Geschichte, die ich natürlich auch mit großer Aufmerksamkeit verfolge und mit auch ein bisschen Genugtuung hier und da, aber da habe ich das erste Mal den Eindruck gehabt, da wird der Julian wirklich bestraft. Weil der läuft da jetzt wahrscheinlich die Wände hoch und runter, dazu kenne ich ihn gut genug, und ärgert sich, weil diese Geschichte wäre auf seinem Tisch gelandet. Und er hätte nicht nur mit einer Zeitung, nämlich mit dem "Guardian", sondern … Bei WikiLeaks sind ja schon viele Medienpartnerschaften entstanden, um auch Geschichten, die irgendetwas mit einem bestimmten Land zu tun haben, um die dann mit lokalen Medien und mit der Beleuchtung des Kontexts der jeweiligen Geschichte zu bearbeiten. Das ist tatsächlich eine Strafe für Julian.
Aber der Snowden und diese ganze Geschichte mit den NSA-Dokumenten, die läuft ja auch jetzt in die ersten Probleme rein. In England gibt es eine sogenannte D-Notice, das ist ein Verfahren, was es in Deutschland nicht gibt, was eigentlich eine Militärzensur ist, wo also das britische Verteidigungsministerium die Medien angehalten hat, keine taktischen und technischen Details der Informationsgewinnung ihres Verbündeten USA zu veröffentlichen. Inwieweit der "Guardian" sich daran halten muss, ist alles noch in Klärung, aber WikiLeaks hat halt tatsächlich hier etwas nicht nur etabliert, sondern ich glaube, man kann schon auch sagen, dass Leute wie Assange schon sehr im Besonderen auch Leute inspiriert hat, solche Dinge zu tun.
Scholl: Aber es ist ganz interessant, ich will noch mal auf den Anfang von Ihrer Antwort zurückgehen, Herr Müller-Maguhn, weil Sie sagen ja, Julian Assange würde die Wände hochgehen, das wäre auf seinem Tisch gelandet. Das hätte doch aber auch ganz normal auf dem Tisch von WikiLeaks landen können, ohne Julian Assange, oder?
Müller-Maguhn: Ja, na ja, nun ist es halt so, dass die Organisation, da gibt es ja schon ein paar Leute, die sich da kümmern, im Moment gibt es halt noch keinen in dem Sinne "Submission Interface", das hat auch was mit den Streitereien zu tun, die es … oder sagen wir mal, mit der erheblichen Gravität der Situation zu tun. Also, als diese "Diplomatic Cables" und als das ganze Material von Manning kam, da haben halt auch einige einfach kalte Füße bekommen und das ist ihnen vielleicht etwas zu groß gewesen, was da zu tun gewesen wäre. Und da hat Julian schon, glaube ich, das Richtige getan.
Aber Sie haben natürlich recht, die Organisation … Julian hat so ein bisschen die Vorstellung, dass das hierarchisch geführt und organisiert wird, es gibt andere Vorstellungen, wie man solche Organisationen führt und organisiert, trotzdem laufen da noch eine Menge Sachen, es laufen da schon noch Materialien ein, die noch verarbeitet und veröffentlicht werden, auch in letzter Zeit. Aber diese Snowden-Geschichte, da muss man sich natürlich, wenn man ein Snowden, wenn man ein Whistleblower ist, die Frage stellen, ist das wirklich klug, dass jetzt über so einen Tisch zu machen, der zu den bestüberwachten des Planeten wahrscheinlich gehört? Und der Snowden hat sich halt für einen anderen Weg entschieden, was man ihm sicherlich nicht verübeln kann.
Scholl: Wie sehen Sie denn generell in die Zukunft von Big Data sozusagen, was die Bürgerrechte angeht, wann wird es überhaupt hier mal transparente demokratische Strukturen und Mittel geben, selbst mit den Enthüllungsplattformen, mit denen man dem Staat und den Behörden und den Geheimdiensten wirklich auf die Finger sehen kann?
Müller-Maguhn: Ja, das ist tatsächlich eine sehr gute Frage. Also, ich glaube, das ist sehr, sehr wichtig. Ich sehe halt, dass der Snowden da eine Debatte angestoßen hat, die eigentlich längst überfällig ist, aber wir reden alle über PRISM, weil dieses PRISM, das ist so ein kurzes Wort, das lässt sich einfach aussprechen. Das wirkliche Skandalsystem hat einen etwas langen und sperrigen Namen, nämlich "Boundless Informer", und da gibt es noch weitere Projekte. Der Snowden hat noch viel mehr Material und wird auch noch viel mehr veröffentlichen, das hat er mehrfach gesagt. Er hat auch eine gewisse Überlegung, was seine Sicherheit betrifft, da so eingebaut, dass, wenn ihm etwas passiert, dass das Material trotzdem rausgeht.
Und also, der riskiert da ganz klar sein Leben für das Licht, was wir in diesem Zusammenhang brauchen, nämlich mal eine schonungslose Bestandsaufnahme, was da im Namen der Bürger, sei es der amerikanischen oder der deutschen, überhaupt passiert. Aber in Deutschland sind wir da auch noch am Anfang, der Bundesnachrichtendienst legt auch noch nicht längst alles offen, und auch die Vereinbarungen, unter denen Deutschland immer noch steht mit den Alliierten, die im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung eingefädelt wurden und Zugriffsrechte auf die Telekommunikation beinhalten, sind auch noch nicht veröffentlicht. Ich sage mal, da sind jetzt eine Menge Journalisten zum Glück dank Snowden dran, aber da ist noch viel zu tun.
Und an der Stelle glaube ich schon, dass man sagen kann, dass Assange und WikiLeaks da als so eine Art Leuchtturmprojekt mal radikal was anderes ausprobiert haben und auch eine Menge erreicht haben, und sei es nur, den Weg dahin zu zeigen. Und natürlich auch, ich will gar nicht verbergen, dass da auch Fehler gemacht wurden. Aber solche Fehler passieren und ich glaube trotzdem noch, dass das Projekt seine Berechtigung hat und in die richtige Richtung geht.
Scholl: Julian Assange, WikiLeaks und die Bedeutung von Enthüllungsplattformen und Enthüllungen. Das war Andy Müller-Maguhn vom Chaos Computer Club. Besten Dank für das Gespräch!
Müller-Maguhn: Gerne, okay, bis bald!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.