Der Autor und Journalist Paul Stänner wurde in Ahlen in Westfalen geboren, hat in Berlin Germanistik, Theaterwissenschaft und Geschichte studiert. Eines seiner letzten Bücher war "Ich bin hinter dir. Katholische Internatsgeschichten".
Goldenes Zeitalter oder Vorhölle?
Wir sind das reichste Land Europas. Nahezu alles funktioniert. Und dennoch herrscht hierzulande eine unglaublich miese Stimmung, stellt Paul Stänner in seiner Bilanz zum Jahresende fest und konstatiert: "Wir sind schon ein komisches Volk."
Sind wir ein komisches Volk? Wir befinden uns in einer drolligen Lage. Man hat Schwierigkeiten, Vergleiche zu finden: Einerseits könnte sich gerade Deutschland an jenes Goldene Zeitalter erinnert fühlen, wie es die Niederländer im 17. Jahrhundert erlebten, als ihre Pfeffersäcke das Geld kistenweise reinholten. Andererseits könnte man aber auch an eine danteske Vorhölle denken mit dem Ausblick auf ewige Leiden.
Alles eine Frage der Blickrichtung
Schauen wir auf die Leiden unserer Gegenwart: Die Aufbruchsstimmung, die noch Anfang unseres Jahrhunderts nach dem Zusammenbruch des Sowjetreiches herrschte, ist in unserem Jahrzehnt in blanke Angst umgeschlagen. Als Gründe dafür werden immer wieder die drei Reiter der Apokalypse genannt, die Globalisierung, die Digitalisierung und die Flüchtlings- bzw. Migrationswelle.
Da mögen Statistiken nachweisen, dass sich die Lage der Welt in den vergangenen 20, 30 Jahren deutlich gebessert hatte – aber das waren bloß Fakten. Wieviel schöner sind da Empfindungen, vor allem Ängste. Panik hat sich breit gemacht. Jetzt versucht jeder zu retten, was er in irgendeiner Weise bedroht sieht:
Osteuropa rettet sich vor Westeuropa, indem es Fremden den Zutritt verwehrt und seine Demokratien autokratentauglich trimmt. Britannien rettet sich vor der Gegenwart, indem es Fremde abweist und sich träumerisch zurückbeamt in jene Epoche, als es noch Kolonialreich war und mit niemandem etwas teilen musste. Die Katalanen wollen in Spanien, was die Lega Nord in Italien will – weg aus der Heimat und nicht mehr mit den Verlierern im Süden teilen müssen. Der überwunden geglaubte Nationalismus kehrt zurück, gesteigert zum Partikularismus. Nichts davon ist durchdacht, alles nur empfunden.
Da mögen Statistiken nachweisen, dass sich die Lage der Welt in den vergangenen 20, 30 Jahren deutlich gebessert hatte – aber das waren bloß Fakten. Wieviel schöner sind da Empfindungen, vor allem Ängste. Panik hat sich breit gemacht. Jetzt versucht jeder zu retten, was er in irgendeiner Weise bedroht sieht:
Osteuropa rettet sich vor Westeuropa, indem es Fremden den Zutritt verwehrt und seine Demokratien autokratentauglich trimmt. Britannien rettet sich vor der Gegenwart, indem es Fremde abweist und sich träumerisch zurückbeamt in jene Epoche, als es noch Kolonialreich war und mit niemandem etwas teilen musste. Die Katalanen wollen in Spanien, was die Lega Nord in Italien will – weg aus der Heimat und nicht mehr mit den Verlierern im Süden teilen müssen. Der überwunden geglaubte Nationalismus kehrt zurück, gesteigert zum Partikularismus. Nichts davon ist durchdacht, alles nur empfunden.
Wenn Gefühle die Debatten bestimmen
Das Anheimelnde an Gefühlen ist: Wer welche hat, hat immer auch Recht. Mit Gefühlen kann man nicht diskutieren, also haben sie schon gewonnen. Und fühlen kann man immer irgendwas.
Die einen fühlen sich von der wirtschaftlichen Entwicklung abgehängt, die anderen fühlen sich in ihrer vielfältigen sexuellen Orientierung diskriminiert. Die dritten fühlen sich in ihrem tatsächlichen Geschlecht zwar richtig angeschaut, aber wegen dieses Anschauens auch irgendwie angegriffen. Die vierten beklagen, dass ihre politischen Ansichten nicht gleich in Regierungshandeln umgesetzt werden und die fünften, dass das mit ihren gegenteiligen Ansichten auch nicht passiert. Die sechsten fühlen sich beleidigt, weil sie gar nicht gehört werden. Mit was auch immer.
Und der ewig verlogene, ewig beleidigte, immer um sich schlagende Donald Trump, dieser erstaunliche Sonderweg der Evolution, scheint das Wappentier dieser sozialen – oder besser – asozialen Entwicklung zu sein.
Tatsächlich geht es uns gut. Nahezu alles funktioniert in unserem Staat, einmal abgesehen von der Bahn. Wir werden mit vielen fertig, wir leisten uns sogar eine FDP. Wir sind das reichste Land Europas, aber dennoch schaffen wir es, eine unglaubliche miese Stimmung zu verbreiten.
Die einen fühlen sich von der wirtschaftlichen Entwicklung abgehängt, die anderen fühlen sich in ihrer vielfältigen sexuellen Orientierung diskriminiert. Die dritten fühlen sich in ihrem tatsächlichen Geschlecht zwar richtig angeschaut, aber wegen dieses Anschauens auch irgendwie angegriffen. Die vierten beklagen, dass ihre politischen Ansichten nicht gleich in Regierungshandeln umgesetzt werden und die fünften, dass das mit ihren gegenteiligen Ansichten auch nicht passiert. Die sechsten fühlen sich beleidigt, weil sie gar nicht gehört werden. Mit was auch immer.
Und der ewig verlogene, ewig beleidigte, immer um sich schlagende Donald Trump, dieser erstaunliche Sonderweg der Evolution, scheint das Wappentier dieser sozialen – oder besser – asozialen Entwicklung zu sein.
Tatsächlich geht es uns gut. Nahezu alles funktioniert in unserem Staat, einmal abgesehen von der Bahn. Wir werden mit vielen fertig, wir leisten uns sogar eine FDP. Wir sind das reichste Land Europas, aber dennoch schaffen wir es, eine unglaubliche miese Stimmung zu verbreiten.
Das Ende von Anstand und Aufklärung?
Die Folge der vernunftlosen Herrschaft der Gefühle ist eine unglaubliche Verrohung der Sprache, nicht nur in der Anonymität des Internets.
Das schlägt mittlerweile ins normale Leben hinein. Dem Pöbel erscheint legitim, dass er sich die Ausfahrt aus seinem Parkplatz mit Fausthieben erkämpft, egal ob ein Sanitäter mit seinem Krankenwagen gerade etwas zu tun hat.
Das Erschreckende bei dem, was uns jetzt um die Ohren fliegt, ist die Erkenntnis, dass das, was wir für fest verankert hielten – Erziehung, Anstand, Aufklärung – sich als labil erweist. Wenn uns dann die demokratische Basis unter den Füßen zusammenbricht, sind wir nicht mehr in der Vorhölle, sondern schon einen Schritt weiter. Trotzdem wären wir das reichste Land Europas – mit einer Vorhölle in seinem Goldenen Zeitalter.
Wir sind schon ein komisches Volk.
Das schlägt mittlerweile ins normale Leben hinein. Dem Pöbel erscheint legitim, dass er sich die Ausfahrt aus seinem Parkplatz mit Fausthieben erkämpft, egal ob ein Sanitäter mit seinem Krankenwagen gerade etwas zu tun hat.
Das Erschreckende bei dem, was uns jetzt um die Ohren fliegt, ist die Erkenntnis, dass das, was wir für fest verankert hielten – Erziehung, Anstand, Aufklärung – sich als labil erweist. Wenn uns dann die demokratische Basis unter den Füßen zusammenbricht, sind wir nicht mehr in der Vorhölle, sondern schon einen Schritt weiter. Trotzdem wären wir das reichste Land Europas – mit einer Vorhölle in seinem Goldenen Zeitalter.
Wir sind schon ein komisches Volk.