Deutschland-Israel

"Israels Politik schafft keine große Sympathie"

Moshe Zimmermann sieht keine Chance auf ein linkes Bündnis in Israel
Moshe Zimmermann hat viele Wendepunkte der deutsch-israelischen Beziehungen selbst miterlebt © imago stock&people
Moshe Zimmermann im Gespräch mit Korbinian Frenzel |
Der israelische Historiker Moshe Zimmermann beobachtet eine Schieflage im deutsch-israelischen Verhältnis: "In Israel steigt immer die Sympathie für Deutschland, und die Sympathie für Israel in Deutschland nimmt ab."
Die meisten Israelis sähen in Deutschland heute keine Gefahr, sagte Zimmermann im Deutschlandradio Kultur. Sie träfen eine krasse Unterscheidung zwischen dem Deutschland von heute und dem von damals.
Dass das Bild Israels in Deutschland sich negativ entwickle, sei eine normale Reaktion, so Zimmermann weiter: "Die israelische Politik erzeugt keine große Sympathie im Ausland, nicht nur in Deutschland, sondern auch anderswo."

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Bei aller Freude darüber, wie gut sich die Dinge entwickelt haben mögen zwischen Israel und Deutschland: Es bleibt die Schuld der Shoah, die Verantwortung für den Holocaust, sechs Millionen ermordete Juden. Man merkt, wenn man den damaligen israelischen Präsidenten Salman Schasar sprechen hört, wie präsent diese Katastrophe 1965 noch war.
Salman Schasar: "Die Überreichung dieses Beglaubigungsschreibens heute in Jerusalem beweist, dass selbst die dunkelste der Nächte mit dem Anbruch der Dämmerung enden muss."
Frenzel: Das war ein Ton von damals, Präsident Salman Schasar. Weiter bei mir im Studio ist der Historiker Moshe Zimmermann. Wenn wir diese Aussage nehmen: Ist das gelungen, die dunkelste der Nächte überwunden?
Moshe Zimmermann: Überwinden können es nur die Leute, die das miterlebt haben, also die nächste Generation muss es nicht überwinden, das ist nur eine Art von Paraphrase, die man immer wieder benutzt. Man muss die Vergangenheit kennen, man muss sich mit der Vergangenheit auseinandersetzen, und die neue Generation muss Antworten finden auf neue Fragen. Und das ist beiden Gesellschaften, meines Erachtens, gelungen. Man vergisst nicht die Vergangenheit, aber man lässt die Vergangenheit nicht diese Rolle spielen, die Beziehungen von heute, Beziehungen der Gegenwart zerstören.
1965 gab es noch mulmige Gefühle
Frenzel: Der jetzige israelische Präsident Rivlin, der hat gerade in Deutschland auch offen bekannt, dass er damals protestiert hat, demonstriert hat 1965 gegen die Aufnahme diplomatischer Beziehungen. War das damals ein Schritt, der gegen den Willen der Mehrheit in Israel gegangen wurde?
Zimmermann: Ja, er erinnert sich an etwas, woran ich mich auch persönlich erinnere, an diese Atmosphäre im Jahr 1965. Im Jahr 1965 hatte man irgendwie mulmige Gefühle bei der Frage, normale Beziehungen, diplomatische Beziehungen mit Deutschland. Die Leute, die damals protestiert hatten, waren wahrscheinlich Repräsentanten der Mehrheit, aber der Protest war nicht aggressiv wie 13 Jahre vorher. Die große Zeit der Proteste war die Zeit, wo man über die Wiedergutmachung entschieden hat und diskutiert hat. 13 Jahre später flaute es schon ab, und mit der Zeit seit 1965 flaute es noch weiter ab.
Frenzel: Wir haben vorhin den früheren deutschen Botschafter Pauls gehört, der sagte, der Sechstagekrieg war eine Wende, als Israelis gesehen haben, dass es Solidaritätsbekundungen in Deutschland gibt für Israel, was ja heute schwer vorstellbar ist, wenn wir die Kriegssituation sehen, die wir heutzutage haben. Würden Sie das auch als Wendepunkt markieren?
Zimmermann: Es gab viele Wendepunkte für die Israelis. Aus der Sicht der Israelis war selbstverständlich die Unterstützung, die man während des Krieges, des Sechstagekrieges bekommen hat, eine Bestätigung: Vor zwei Jahren haben wir diplomatische Beziehungen aufgenommen, die Deutschen stehen auf unserer Seite. Aber es gab auch weitere Wendepunkte und wichtigere oder weniger wichtig. Es gibt ein Thema, das vielleicht nicht so für wichtig gehalten wird, aber der Besuch von Borussia Mönchengladbach in Israel, 1969 glaube ich, wo Mönchengladbach gezeigt hat, wie man Fußball spielt, schaffte auch eine Art von Wende in der israelischen öffentlichen Meinung. Also es gibt Sachen im Bereich der Kultur, im Bereich der Wissenschaft, im Bereich der Politik und vor allem im Bereich der Sicherheitspolitik, die Wende schaffen, aber die addieren sich, die akkumulieren sich. Und es geht hier um einen Prozess und nicht um Krisen.
Frenzel: Wir sind weiter im Gespräch mit dem israelischen Historiker Moshe Zimmermann. Das erste Wort hat aber unsere Kanzlerin – ein Ausschnitt aus ihrer Rede vor dem israelischen Parlament im Jahr 2008.
Angela Merkel: "Die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar."
Frenzel: Angela Merkel 2008 in der Knesset. Herr Zimmermann, ist das eine Aussage, die das heutige spezielle Verhältnis zwischen beiden Ländern aus Ihrer Sicht gut beschreibt, oder ist es letztendlich, ja, ich bin verlockt, zu sagen, Phrase, ist das letztendlich nur eine Phrase?
Zimmermann: Bei Frau Merkel ist es keine Phrase, das ist eine Überzeugung. Und genauso war es auch bei Kanzler Kohl. Das ist eine Verpflichtung, das ist eine Überzeugung. Das ist nicht nur eine Phrase. Wie man aus diesem Satz Politik macht oder das in Politik umsetzt, ist eine andere Frage. Aber es geht vor allem um einen Inhalt, den auf beiden Seiten die Leute sehr ernst nehmen. Und eine Bemerkung nicht zum Inhalt, sondern zum Ton: Da spricht eine deutsche Bundeskanzlerin auf Deutsch, und wir haben versucht, zu erfahren, also wie die Israelis darauf reagieren, dass die deutsche Sprache hier benutzt wird, und für die allermeisten Israelis ist das eigentlich unproblematisch. Nur etwa zehn Prozent der Israelis haben im Prinzip etwas dagegen, dass man auf israelischem Boden die deutsche Sprache benutzt.
Floskeln als Teil des internationalen Rituals
Frenzel: Wie ehrlich ist das Verhältnis heute zwischen beiden Ländern? Also wenn Sie sagen, Kohl, Merkel, das ist eine innere Überzeugung, aber gleichzeitig kennen wir ja auch diese Aussagen, die immer wieder fallen. Haben Sie den Eindruck, dass es da auch schon eine Ritualisierung gibt in Deutschland?
Zimmermann: Also von der rituellen Distanz redet man jetzt immer mehr. Selbstverständlich sind Floskeln ein Teil des internationalen Rituals. Aber es geht hier um den Inhalt. Das große Problem ist, dass Deutschland sich selbst verpflichtet fühlt für die Sicherheit Israels, aber sehr schüchtern ist, wenn man Kritik gegen die israelische Politik üben muss.
Frenzel: Man könnte ja sagen, das Verhältnis ist so gut zwischen Deutschland und Israel, weil Deutschland sich so stark zurückhält in den aktuellen politischen Fragen?
Zimmermann: Die Verhältnisse sind gut, weil Deutschland im Prinzip Israel unterstützt, und selbstverständlich wird es anders sein, wenn Israel klare Worte spricht. Das ist bisher noch nicht gekommen und das ist aber in der Zukunft doch zu erwarten.
Frenzel: Es gibt, Herr Zimmermann, in Deutschland ein immer negativeres Israelbild, wenn man die Bevölkerung befragt. Da gibt es jüngste Zahlen, die sagen, zwei Drittel haben ein negatives Bild, wenn sie auf Israel schauen. Die Hauptursache dürfte der Nahostkonflikt sein, die Berichterstattung, die wir darüber ja im regelmäßigen Rhythmus haben. Ist das erschreckend für Sie?
Zimmermann: Das ist eigentlich eine normale Reaktion. Die israelische Politik erzeugt keine große Sympathie im Ausland, nicht nur in Deutschland, sondern auch anderswo. Was hier verblüffend ist, ist diese Schieflage, die Asymmetrie, die entstanden ist. In Israel steigt immer die Sympathie für Deutschland, und die Sympathie für Israel in Deutschland, die nimmt ab. Das hat mit der Gegenwart sehr viel zu tun. Deutschland von heute bedeutet für Israelis keine Gefahr. Und in Israel macht man auch diese krasse Unterscheidung zwischen Vergangenheit und Gegenwart: Man bezieht sich auf Deutschland von heute, nicht auf Deutschland von damals, und deswegen entsteht so etwas. Es ist eine komplexe Entwicklung, weil auch in Deutschland mindestens im Hintergrund die Vergangenheit eine Rolle spielt. Israels Politik schafft keine große Sympathie, aber vor allem auf dem Hintergrund dieser Vergangenheit. Man hat immer auch die Vergangenheit der Juden im Hinterkopf, wenn man die israelische Politik kritisiert.
Frenzel: Der Historiker Moshe Zimmermann, herzlichen Dank für Ihren Besuch hier im Studio!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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