"Deutschland ist da etwas hinterher"
Das Filmfestival "überall dabei" der Aktion Mensch zeigt ausgewählte Filme zur Inklusion von Menschen mit Behinderung. Dabei wurden die Filme auch für Blinde und Hörgeschädigte barrierefrei gestaltet. Das sei kein großer Aufwand, erklärt Nadja Ulrich von der Aktion Mensch.
Liane von Billerbeck: Auch Blinde interessieren sich für Film, doch wenn sie ins Kino gehen wollen, dann scheitert ihr Besuch oft daran, dass die Kinos gar nicht auf sie eingestellt sind - Hörgeschädigten geht es ähnlich: Die einen vermissen die Beschreibungen dessen, was sie nicht sehen können, die anderen Untertitel, die das Gesehene erklären.
Lässt sich daran nichts ändern? Doch, dachte sich wohl Nadja Ulrich von der Aktion Mensch und hat als Erstes mal ein Filmfestival organisiert für Blinde und Hörgeschädigte. "Überall dabei" heißt es, das inklusive Filmfestival. Mit Nadja Ulrich habe ich vor unserer Sendung gesprochen. Herzlich willkommen!
Nadja Ulrich: Ja, hallo, guten Tag!
von Billerbeck: Blinde im Kino, Blinde und Kino, ist das nicht ein Widerspruch?
Ulrich: Man könnte das zuerst so denken, das entsteht aber, glaube ich, aus Unwissenheit. Viele Menschen haben natürlich überhaupt keinen Kontakt zu blinden Menschen oder auch zu behinderten Menschen und können sich gar nicht vorstellen, dass auch blinde Menschen oder auch gehörlose Menschen auch Lust haben, ins Kino zu gehen.
Dem ist aber nicht so, viele blinde Menschen und überhaupt behinderte Menschen gehen sehr gerne ins Kino, wie jeder andere Mensch auch, das ist einfach ein ganz normales Freizeitvergnügen, und das möchten blinde Menschen auch erleben, und vor allen Dingen eben auch zusammen mit ihren sehenden Freunden, Verwandten, Partnern. Und deshalb haben wir dieses Festival eben so gestaltet, dass der gemeinsame Besuch von behinderten und nicht behinderten Menschen im Kino möglich ist.
von Billerbeck: Inklusion ist ja das Thema des diesjährigen Festivals "Überall dabei" - kann man das eigentlich für alle Bereiche des Lebens umsetzen, auch für Film, oder ist das zu ambitioniert?
Ulrich: Also es ist sicherlich schon ambitioniert. Man muss sich überlegen, wie geht das, aber wenn man einmal sich mit dem Thema beschäftigt hat, dann stellt man fest, dass es eigentlich gar nicht so schwierig ist.
Also für das Kino muss ich sagen, wir machen das ja jetzt einfach, dass wir das barrierefrei gestalten, indem wir für die Filme zusätzliche Tonspuren für Menschen mit einer Sehbehinderung anbieten, die eben erklären, was im Bild passiert, und wir haben zusätzlich auch noch eine bearbeitete Tonspur für Menschen, die ein Hörgerät tragen, damit die Dialoge besser verständlich sind, und wir sind nur in Kinos unterwegs, die barrierefrei zugänglich sind, also auch für Rollstuhlfahrer.
Und das ist alles möglich, und auch gar nicht immer mit so einem riesigen, großen technischen Aufwand verbunden. Also die Technik ist da, um das zu machen.
von Billerbeck: Und es ist auch nicht besonders teuer, oder wie?
Ulrich: Es ist auch nicht besonders teuer, also so eine Audiodeskription, also so eine Hörbeschreibung für einen Film kostet etwa 5.000 Euro. Wenn Sie sich vorstellen, wie hoch die Produktionskosten für einen Spielfilm sind, dann ist das ja nichts.
von Billerbeck: Da machen die 5.000 Euro die Kohl auch nicht mehr fett.
Ulrich: Das macht überhaupt nichts aus - Untertitel sind noch sehr viel kostengünstiger, und auch diese Tonspur für Hörgeräteträger kostet auch etwa so um die 4.000, 5.000 Euro für einen normalen Spielfilm. Also das ist eigentlich kein Problem.
Ich glaube, das Problem ist eher, dass sich die Menschen noch zu wenig Gedanken darüber machen, was kann man eigentlich tun, um so einen Kinobesuch jetzt im Speziellen möglich zu machen für alle Menschen?
von Billerbeck: Also eigentlich ein mentales Problem - denn im Fernsehen, da haben wir das ja schon des Öfteren, dass da die Beschreibungen dabei sind für Blinde und auch für Hörgeschädigte. In welcher Form werden denn nun die Filme des Festivals für Blinde und Gehörlose erfahrbar gemacht?
Ulrich: Also wie ich gerade schon gesagt habe, wir haben für blinde Menschen eine spezielle Audiodeskription dabei, das heißt, es gibt professionelle Hörfilmbeschreiber - so nennen die sich -, die schauen sich den Film an, arbeiten allerdings auch mit blinden Menschen zusammen - es sind immer Teams, die auch schon inklusiv aufgestellt sind -, und erarbeiten dann eben zusätzlich Informationen, die vor allen Dingen die Bildinhalte, die ja der blinde Mensch eben nicht sehen kann, erfahrbar machen.
von Billerbeck: Also: Er geht zum Haus und stößt dabei den Holzklotz um.
Ulrich: Ganz genau, und auch Personen werden beschrieben, Brille - ja, nein, Haarfarbe, Augenfarbe, Kleidung und so weiter. Und so wird der Film für den blinden Menschen erfahrbar. Wenn blinde Menschen normalerweise ins Kino gehen, wenn es diese Beschreibung nicht gibt, dann nehmen sie eben meistens Begleitpersonen mit, die ihnen dann den Film halt beschreiben ...
von Billerbeck: ... und wahrscheinlich vom Restpublikum sehr geliebt werden, wenn sie zwischendurch immer reden.
Ulrich: Richtig, ja. Und wir arbeiten eben so, um allen Menschen möglich zu machen, den Film auch wirklich so auf ihre Art zu genießen, dass wir mit Kopfhörern arbeiten. Wir machen also keine offene Audiodeskription - das geht auch, dass alle diesen Ton hören, aber das machen wir nicht, sondern wir bieten Kopfhörer an, und das tun wir eben auch für die hörbehinderten Menschen, die diese spezielle Tonspur, wenn sie ein Hörgerät tragen, eben nutzen wollen, da haben wir dann auch Kopfhörer, über die sie dann den Film erleben können, beziehungsweise es ist auch möglich für Leute mit einem Hörgerät, dass sie so eine tragbare Induktionsspule um den Hals bekommen.
von Billerbeck: Wurden denn nun die Filme des Festivals - das sind sechs Spiel- und Dokumentarfilme, die in 40 Städten deutschlandweit zu sehen sind - gleich "barrierefrei" in Anführungsstrichen für Blinde und Hörgeschädigte produziert, oder mussten Sie das nachbereiten?
Ulrich: Nein, das haben wir nachbereitet. Also es werden schon einige Filme so aufbereitet, also in der Regel Untertitel oder Audiodeskription, aber die Filme, die wir ausgesucht haben, die auch sehr speziell sich mit dem Thema Inklusion auseinandersetzen und die vielleicht auch anderweitig gar nicht in deutsche Kinos gekommen wären, da haben wir die Aufbereitung selber übernommen.
von Billerbeck: Das heißt, Blinde und Hörgeschädigte gehen jetzt ins Kino und gucken sich Filme an, wo es wieder um ihr Problem geht. Wollen die das?
Ulrich: Nein, natürlich nicht nur, das ist ganz klar. Blinde Menschen wollen nicht unbedingt Filme sehen über blinde Menschen. Das ist völlig klar.
von Billerbeck: Die wollen auch den neuen Batman sehen.
Ulrich: Die wollen auch den neuen Batman sehen, genau, nur verbinden wir als Aktion Mensch natürlich mit diesem Festival schon auch den Anspruch, dass wir über das Thema Inklusion durch die Filme auch informieren und in gewisser Weise auch aufklären wollen, aber eben auf eine unterhaltsame Art und Weise.
Also wir wollen da nicht mit dem Holzhammer kommen - so, ihr müsst jetzt alle Inklusion machen -, das ist ganz schwierig, und das kostet Arbeit, sondern das kann eben auch Spaß machen, und wir wollen mit den Filmen zeigen, dass Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten miteinander auskommen und miteinander reden, und auch voneinander lernen können. Das zieht sich eigentlich durch fast alle Filme durch.
Man hat immer am Anfang das Gefühl: Oh, da ist ein behinderter Mensch, der ist benachteiligt. Aber nachher stellt sich eigentlich immer heraus, dass der Mensch mit seiner besonderen Fähigkeit, die er hat, ganz stark zur Entwicklung des Films beiträgt. Das ist zum Beispiel bei "Blind" der Fall, wo diese erblindete junge Polizeischülerin ganz maßgeblich dazu beiträgt, den Serienmörder zu fassen.
Das macht sie eben zusammen mit einem sehenden jungen Mann, der eben diesen ganzen Tathergang ganz anders erlebt hat. Aber zusammengesetzt ergibt ...
von Billerbeck: Weil sie besonders gut hört, oder ... ?
Ulrich: Genau, sie hat eben ganz andere Sinneserfahrungen und trägt so ganz maßgeblich dazu bei, dass der Fall aufgeklärt wird.
von Billerbeck: Das ist auch so, klingt so ein bisschen so, als ob das auch Filme sind, die das Selbstbewusstsein von Blinden und Hörgeschädigten etwas stärken soll. Ist das so?
Ulrich: Ja, wobei ich denke, es geht eigentlich eher darum, das gegenseitige Verständnis füreinander aufzubauen. Also es ist uns auch ganz wichtig, in den Filmen nicht Leute zu zeigen, die so außergewöhnliche Talente haben, also so Superhelden sind. Zum Beispiel diese blinde Frau ist eine ganz normale junge Frau, die sich auch irrt, die macht auch einfach falsche Erfahrungen, die dann die ganzen Ermittlungen auch in die Irre führen.
Und das ist eben auch ganz wichtig. Ich meine, behinderte Menschen sind wie jeder Mensch auch, haben auch ihre Fehler und Schwächen, und das ist uns ganz wichtig. Was mir aber noch mal wichtig ist bei dem Festival, es geht ja nicht nur um hörbehinderte und sehbehinderte Menschen, sondern uns ist eben auch zum Beispiel ganz wichtig, lernbehinderte Menschen mit einzubeziehen, zum Beispiel mit dem Film "Die Kunst, sich die Schuhe zu binden".
Da geht es um sogenannte geistig behinderte Menschen, die an einer Casting-Show teilnehmen wollen in Schweden, das ist auch ein Spielfilm - ein sehr liebenswerter Film -, und die Schauspieler in dem Film, das ist eine Theatergruppe aus Schweden, eine integrative Theatergruppe, und die spielen sich quasi selbst. Also das ist mir eben auch ganz wichtig, dass wir Filme zeigen, in denen behinderte Menschen auch von behinderten Menschen gespielt werden.
von Billerbeck: Eine Frage, die wir noch gar nicht besprochen haben, und die kommt einem ja dann, wenn man sich mit dem Thema beschäftigt: Warum werden nicht Filme, Spielfilme, Dokumentarfilme gleich so produziert?
Warum sind die Förderrichtlinien beispielsweise in Deutschland noch nicht so weit, dass solche Filme gleich so produziert werden, dass sie eben nicht in der Lage sind, die nachproduzieren zu müssen, nachbearbeiten zu müssen?
Ulrich: Ja, also ich denke, das hat in gewisser Weise auch damit zu tun, dass man sich darüber keine Gedanken gemacht hat bisher, dass man eben denkt, ja, wieso, blinde Menschen gehen doch nicht ins Kino, oder gehörlose Menschen.
Da muss ich aber zum Glück sagen, das ändert sich ja gerade, die Politik tut ja da einiges, und das Filmfördergesetz soll jetzt auch dahin gehend geändert werden, dass eben eine Förderung nur dann möglich ist, wenn Audiodeskription und Untertitel in den Filmen auch von vornherein mit dabei sind, und das freut uns natürlich sehr.
In Großbritannien ist das schon lange so, zumindest was die Audiodeskription angeht, auch in anderen Ländern. Andere Länder sind da weiter, Deutschland ist da etwas hinterher, aber das ändert sich. Und wir versuchen natürlich mit unserem Festival, mit dem wir auch in sehr viele Städte in viele Kinos gehen, auch die Kinos selber davon zu überzeugen, das ist alles gar nicht so schwierig, wenn die Filme einmal da sind, sich diese Funkanlage zu kaufen, diese Kopfhörer, das ist nicht so teuer, das kann man machen. Und man erschließt sich ja da als Kinobetreiber auch einen ganz neuen Markt, nicht?
Ich meine, die Kinobesucherzahlen steigen ja nicht, sie sind ja eher rückläufig, und man kann natürlich da einfach dafür sorgen, dass einfach Menschen, die bisher einfach nicht die Möglichkeit hatten, ins Kino zu gehen, das jetzt auch verstärkt tun.
von Billerbeck: Das sagt Nadja Ulrich von der Aktion Mensch. Sie hat das inklusive Filmfestival "Überall dabei" organisiert und sechs Spiel- und Dokumentarfilme ausgewählt, die jetzt in 40 deutschen Städten gezeigt werden. Danke Ihnen!
Ulrich: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Das inklusive Filmfestival der Aktion Mensch
Lässt sich daran nichts ändern? Doch, dachte sich wohl Nadja Ulrich von der Aktion Mensch und hat als Erstes mal ein Filmfestival organisiert für Blinde und Hörgeschädigte. "Überall dabei" heißt es, das inklusive Filmfestival. Mit Nadja Ulrich habe ich vor unserer Sendung gesprochen. Herzlich willkommen!
Nadja Ulrich: Ja, hallo, guten Tag!
von Billerbeck: Blinde im Kino, Blinde und Kino, ist das nicht ein Widerspruch?
Ulrich: Man könnte das zuerst so denken, das entsteht aber, glaube ich, aus Unwissenheit. Viele Menschen haben natürlich überhaupt keinen Kontakt zu blinden Menschen oder auch zu behinderten Menschen und können sich gar nicht vorstellen, dass auch blinde Menschen oder auch gehörlose Menschen auch Lust haben, ins Kino zu gehen.
Dem ist aber nicht so, viele blinde Menschen und überhaupt behinderte Menschen gehen sehr gerne ins Kino, wie jeder andere Mensch auch, das ist einfach ein ganz normales Freizeitvergnügen, und das möchten blinde Menschen auch erleben, und vor allen Dingen eben auch zusammen mit ihren sehenden Freunden, Verwandten, Partnern. Und deshalb haben wir dieses Festival eben so gestaltet, dass der gemeinsame Besuch von behinderten und nicht behinderten Menschen im Kino möglich ist.
von Billerbeck: Inklusion ist ja das Thema des diesjährigen Festivals "Überall dabei" - kann man das eigentlich für alle Bereiche des Lebens umsetzen, auch für Film, oder ist das zu ambitioniert?
Ulrich: Also es ist sicherlich schon ambitioniert. Man muss sich überlegen, wie geht das, aber wenn man einmal sich mit dem Thema beschäftigt hat, dann stellt man fest, dass es eigentlich gar nicht so schwierig ist.
Also für das Kino muss ich sagen, wir machen das ja jetzt einfach, dass wir das barrierefrei gestalten, indem wir für die Filme zusätzliche Tonspuren für Menschen mit einer Sehbehinderung anbieten, die eben erklären, was im Bild passiert, und wir haben zusätzlich auch noch eine bearbeitete Tonspur für Menschen, die ein Hörgerät tragen, damit die Dialoge besser verständlich sind, und wir sind nur in Kinos unterwegs, die barrierefrei zugänglich sind, also auch für Rollstuhlfahrer.
Und das ist alles möglich, und auch gar nicht immer mit so einem riesigen, großen technischen Aufwand verbunden. Also die Technik ist da, um das zu machen.
von Billerbeck: Und es ist auch nicht besonders teuer, oder wie?
Ulrich: Es ist auch nicht besonders teuer, also so eine Audiodeskription, also so eine Hörbeschreibung für einen Film kostet etwa 5.000 Euro. Wenn Sie sich vorstellen, wie hoch die Produktionskosten für einen Spielfilm sind, dann ist das ja nichts.
von Billerbeck: Da machen die 5.000 Euro die Kohl auch nicht mehr fett.
Ulrich: Das macht überhaupt nichts aus - Untertitel sind noch sehr viel kostengünstiger, und auch diese Tonspur für Hörgeräteträger kostet auch etwa so um die 4.000, 5.000 Euro für einen normalen Spielfilm. Also das ist eigentlich kein Problem.
Ich glaube, das Problem ist eher, dass sich die Menschen noch zu wenig Gedanken darüber machen, was kann man eigentlich tun, um so einen Kinobesuch jetzt im Speziellen möglich zu machen für alle Menschen?
von Billerbeck: Also eigentlich ein mentales Problem - denn im Fernsehen, da haben wir das ja schon des Öfteren, dass da die Beschreibungen dabei sind für Blinde und auch für Hörgeschädigte. In welcher Form werden denn nun die Filme des Festivals für Blinde und Gehörlose erfahrbar gemacht?
Ulrich: Also wie ich gerade schon gesagt habe, wir haben für blinde Menschen eine spezielle Audiodeskription dabei, das heißt, es gibt professionelle Hörfilmbeschreiber - so nennen die sich -, die schauen sich den Film an, arbeiten allerdings auch mit blinden Menschen zusammen - es sind immer Teams, die auch schon inklusiv aufgestellt sind -, und erarbeiten dann eben zusätzlich Informationen, die vor allen Dingen die Bildinhalte, die ja der blinde Mensch eben nicht sehen kann, erfahrbar machen.
von Billerbeck: Also: Er geht zum Haus und stößt dabei den Holzklotz um.
Ulrich: Ganz genau, und auch Personen werden beschrieben, Brille - ja, nein, Haarfarbe, Augenfarbe, Kleidung und so weiter. Und so wird der Film für den blinden Menschen erfahrbar. Wenn blinde Menschen normalerweise ins Kino gehen, wenn es diese Beschreibung nicht gibt, dann nehmen sie eben meistens Begleitpersonen mit, die ihnen dann den Film halt beschreiben ...
von Billerbeck: ... und wahrscheinlich vom Restpublikum sehr geliebt werden, wenn sie zwischendurch immer reden.
Ulrich: Richtig, ja. Und wir arbeiten eben so, um allen Menschen möglich zu machen, den Film auch wirklich so auf ihre Art zu genießen, dass wir mit Kopfhörern arbeiten. Wir machen also keine offene Audiodeskription - das geht auch, dass alle diesen Ton hören, aber das machen wir nicht, sondern wir bieten Kopfhörer an, und das tun wir eben auch für die hörbehinderten Menschen, die diese spezielle Tonspur, wenn sie ein Hörgerät tragen, eben nutzen wollen, da haben wir dann auch Kopfhörer, über die sie dann den Film erleben können, beziehungsweise es ist auch möglich für Leute mit einem Hörgerät, dass sie so eine tragbare Induktionsspule um den Hals bekommen.
von Billerbeck: Wurden denn nun die Filme des Festivals - das sind sechs Spiel- und Dokumentarfilme, die in 40 Städten deutschlandweit zu sehen sind - gleich "barrierefrei" in Anführungsstrichen für Blinde und Hörgeschädigte produziert, oder mussten Sie das nachbereiten?
Ulrich: Nein, das haben wir nachbereitet. Also es werden schon einige Filme so aufbereitet, also in der Regel Untertitel oder Audiodeskription, aber die Filme, die wir ausgesucht haben, die auch sehr speziell sich mit dem Thema Inklusion auseinandersetzen und die vielleicht auch anderweitig gar nicht in deutsche Kinos gekommen wären, da haben wir die Aufbereitung selber übernommen.
von Billerbeck: Das heißt, Blinde und Hörgeschädigte gehen jetzt ins Kino und gucken sich Filme an, wo es wieder um ihr Problem geht. Wollen die das?
Ulrich: Nein, natürlich nicht nur, das ist ganz klar. Blinde Menschen wollen nicht unbedingt Filme sehen über blinde Menschen. Das ist völlig klar.
von Billerbeck: Die wollen auch den neuen Batman sehen.
Ulrich: Die wollen auch den neuen Batman sehen, genau, nur verbinden wir als Aktion Mensch natürlich mit diesem Festival schon auch den Anspruch, dass wir über das Thema Inklusion durch die Filme auch informieren und in gewisser Weise auch aufklären wollen, aber eben auf eine unterhaltsame Art und Weise.
Also wir wollen da nicht mit dem Holzhammer kommen - so, ihr müsst jetzt alle Inklusion machen -, das ist ganz schwierig, und das kostet Arbeit, sondern das kann eben auch Spaß machen, und wir wollen mit den Filmen zeigen, dass Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten miteinander auskommen und miteinander reden, und auch voneinander lernen können. Das zieht sich eigentlich durch fast alle Filme durch.
Man hat immer am Anfang das Gefühl: Oh, da ist ein behinderter Mensch, der ist benachteiligt. Aber nachher stellt sich eigentlich immer heraus, dass der Mensch mit seiner besonderen Fähigkeit, die er hat, ganz stark zur Entwicklung des Films beiträgt. Das ist zum Beispiel bei "Blind" der Fall, wo diese erblindete junge Polizeischülerin ganz maßgeblich dazu beiträgt, den Serienmörder zu fassen.
Das macht sie eben zusammen mit einem sehenden jungen Mann, der eben diesen ganzen Tathergang ganz anders erlebt hat. Aber zusammengesetzt ergibt ...
von Billerbeck: Weil sie besonders gut hört, oder ... ?
Ulrich: Genau, sie hat eben ganz andere Sinneserfahrungen und trägt so ganz maßgeblich dazu bei, dass der Fall aufgeklärt wird.
von Billerbeck: Das ist auch so, klingt so ein bisschen so, als ob das auch Filme sind, die das Selbstbewusstsein von Blinden und Hörgeschädigten etwas stärken soll. Ist das so?
Ulrich: Ja, wobei ich denke, es geht eigentlich eher darum, das gegenseitige Verständnis füreinander aufzubauen. Also es ist uns auch ganz wichtig, in den Filmen nicht Leute zu zeigen, die so außergewöhnliche Talente haben, also so Superhelden sind. Zum Beispiel diese blinde Frau ist eine ganz normale junge Frau, die sich auch irrt, die macht auch einfach falsche Erfahrungen, die dann die ganzen Ermittlungen auch in die Irre führen.
Und das ist eben auch ganz wichtig. Ich meine, behinderte Menschen sind wie jeder Mensch auch, haben auch ihre Fehler und Schwächen, und das ist uns ganz wichtig. Was mir aber noch mal wichtig ist bei dem Festival, es geht ja nicht nur um hörbehinderte und sehbehinderte Menschen, sondern uns ist eben auch zum Beispiel ganz wichtig, lernbehinderte Menschen mit einzubeziehen, zum Beispiel mit dem Film "Die Kunst, sich die Schuhe zu binden".
Da geht es um sogenannte geistig behinderte Menschen, die an einer Casting-Show teilnehmen wollen in Schweden, das ist auch ein Spielfilm - ein sehr liebenswerter Film -, und die Schauspieler in dem Film, das ist eine Theatergruppe aus Schweden, eine integrative Theatergruppe, und die spielen sich quasi selbst. Also das ist mir eben auch ganz wichtig, dass wir Filme zeigen, in denen behinderte Menschen auch von behinderten Menschen gespielt werden.
von Billerbeck: Eine Frage, die wir noch gar nicht besprochen haben, und die kommt einem ja dann, wenn man sich mit dem Thema beschäftigt: Warum werden nicht Filme, Spielfilme, Dokumentarfilme gleich so produziert?
Warum sind die Förderrichtlinien beispielsweise in Deutschland noch nicht so weit, dass solche Filme gleich so produziert werden, dass sie eben nicht in der Lage sind, die nachproduzieren zu müssen, nachbearbeiten zu müssen?
Ulrich: Ja, also ich denke, das hat in gewisser Weise auch damit zu tun, dass man sich darüber keine Gedanken gemacht hat bisher, dass man eben denkt, ja, wieso, blinde Menschen gehen doch nicht ins Kino, oder gehörlose Menschen.
Da muss ich aber zum Glück sagen, das ändert sich ja gerade, die Politik tut ja da einiges, und das Filmfördergesetz soll jetzt auch dahin gehend geändert werden, dass eben eine Förderung nur dann möglich ist, wenn Audiodeskription und Untertitel in den Filmen auch von vornherein mit dabei sind, und das freut uns natürlich sehr.
In Großbritannien ist das schon lange so, zumindest was die Audiodeskription angeht, auch in anderen Ländern. Andere Länder sind da weiter, Deutschland ist da etwas hinterher, aber das ändert sich. Und wir versuchen natürlich mit unserem Festival, mit dem wir auch in sehr viele Städte in viele Kinos gehen, auch die Kinos selber davon zu überzeugen, das ist alles gar nicht so schwierig, wenn die Filme einmal da sind, sich diese Funkanlage zu kaufen, diese Kopfhörer, das ist nicht so teuer, das kann man machen. Und man erschließt sich ja da als Kinobetreiber auch einen ganz neuen Markt, nicht?
Ich meine, die Kinobesucherzahlen steigen ja nicht, sie sind ja eher rückläufig, und man kann natürlich da einfach dafür sorgen, dass einfach Menschen, die bisher einfach nicht die Möglichkeit hatten, ins Kino zu gehen, das jetzt auch verstärkt tun.
von Billerbeck: Das sagt Nadja Ulrich von der Aktion Mensch. Sie hat das inklusive Filmfestival "Überall dabei" organisiert und sechs Spiel- und Dokumentarfilme ausgewählt, die jetzt in 40 deutschen Städten gezeigt werden. Danke Ihnen!
Ulrich: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Das inklusive Filmfestival der Aktion Mensch