"Deutschland kann wichtigster Partner der Ukraine werden"
Informationen am Morgen vom 09.03.2005, 06:50 Uhr
Moderation: DLR
Interviewpartner, Funktion: Gernot Erler, SPD-Fraktionsvize
Sagenschneider: Herr Erler, bei seinem Besuch in Deutschland wird Viktor Juschtschenko heute ja eine sehr seltene Ehre zuteil. Er darf vor dem Bundestag sprechen. Geschieht das auch, um ihm den Rücken zu stärken? Denn es ist schon außergewöhnlich, dass jemandem, der gerade so kurz im Amt ist, das gestattet wird.
Erler: Ja, das ist sicherlich einer der wichtigsten Punkte bei dem Besuch des neuen ukrainischen Präsidenten. Er erreicht damit gleiche Augenhöhe mit gleich mehreren amerikanischen Präsidenten, die schon dieses Privileg genossen haben, mit Jacques Chirac, mit Vladimir Putin, und ich glaube, er wird das gut nutzen. Wir freuen uns auf die Rede, die er heute Mittag um 14 Uhr für etwa eine halbe Stunde vor den Abgeordneten halten wird.
Sagenschneider: Nun will Viktor Juschtschenko mit seiner Ukraine in die EU, was - da sind sich alle einig - vorerst kein Thema ist, allein weil die wirtschaftliche Lage der Ukraine das gar nicht zuließe, aber die Frage ist ja, wie bindet man die Ukraine mehr ein? Wie kann man denen, die da so tapfer mit der orangefarbenen Revolution für Demokratie und Reformen gestritten haben, signalisieren, das hat sich gelohnt, wir unterstützen euch auf eurem Reformweg?
Erler: Also da hat natürlich Juschtschenko schon in Brüssel einige Erfolge gehabt. Es ist ganz deutlich, dass die Ukraine zum wichtigsten Land bei diesem Konzept der neuen Nachbarschaft der EU geworden ist. Da gibt es einen Aktionsplan, der sehr stark erweitert worden ist von Seiten der EU, und damit ist die Ukraine eigentlich die Nummer Eins in diesem Konzept, was für 17 Länder aufgelegt ist, geworden. Das ist schon ein gutes Mitbringsel, was Juschtschenko dann von seinem Europatrip nach Hause bringt. Die Leute aber in der Ukraine - und das weiß er natürlich ganz genau - wollen nicht nur Erfolge bei dieser Annäherung an Europa haben, sondern die wollen ja sehr konkret merken, dass es jetzt besser, und da ist dieser Besuch in Deutschland, glaube ich, wichtig, denn da geht es natürlich auch um die Wirtschaft, um die wirtschaftliche Entwicklung, um die Arbeitsplätze und um die Verbesserung der Standards innerhalb der Wirtschaft. Da geht es um konkrete Projekte, und es geht um Beratung, um Verbesserung der Struktur, der Gesetze in der Ukraine, und da kann Deutschland vielleicht sogar der wichtigste Partner der Ukraine werden in all diesen Feldern.
Sagenschneider: Das heißt, Sie teilen die Einschätzung des CDU-Politikers Volker Rühe, der gestern gesagt hat, Deutschland sei ein Schlüsselstaat auf dem weiteren Weg der Ukraine?
Erler: Das ist in der Tat in der Vergangenheit schon in der Entwicklung so gewesen. Man kann sagen, dass sich Deutschland wie kein anderer Staat in Europa auch während der orangefarbenen Revolution bemüht hat, diese Bewegung zu unterstützen. Es kommt ja selten vor, dass wir im Bundestag zwei Mal innerhalb einer Woche über ein Land reden. Das ist aber damals passiert. Viele Abgeordnete sind damals selber nach Kiew gefahren und auch dort aufgetreten. Jede Presseerklärung von uns, die ja diese Bewegung unterstützt hat, ist mit großer Aufmerksamkeit verfolgt worden. Das heißt, hier hat sich etwas sehr Intensives entwickelt, und das gilt es jetzt zu bestätigen und weiterzuentwickeln.
Sagenschneider: Wie sehr ist dieser Versuch von Juschtschenko in Deutschland belastet durch die so genannte Visa-Affäre?
Erler: Das ist etwas, was auch Juschtschenko selber natürlich großen Kummer macht, denn ich glaube, kein Präsident freut sich, wenn er in der Zeitung liest, dass ein ganzes Land eher darüber diskutiert, und eben noch so ein befreundetes Land wie Deutschland, dass in erster Linie Schwerstkriminelle, Schleuser, Schlepper, Prostituierte usw. nach Deutschland gekommen sein sollen, wobei ja in der Öffentlichkeit zum Teil der Eindruck entsteht, dass jeder Ukrainer, der den Kontakt nach Deutschland will, der hierher reisen will, irgendetwas Böses im Schilde führt. Das ist fahrlässig so entstanden, und ich bin sicher, dass in seinem öffentlichen Auftritt auch Juschtschenko versuchen wird, dieses Bild gerade zu rücken, und da hat er ein gutes Recht darauf.
Sagenschneider: Der Imageschaden für die Ukraine ist das eine, aber wie steht es mit Hilfe und Unterstützung aus deutscher Sicht, zum Beispiel was Reiseerleichterungen für die Ukraine anbelangt, was Juschtschenko natürlich gerne hätte? Das wäre sicher auch einfacher ohne die Visa-Affäre, oder?
Erler: Na ja, also ich meine, da muss man vor allen Dingen den falschen Teil an der öffentlichen Wahrnehmung hier zurechtrücken. Ich will mal sagen, der allergrößte Teil der Ukrainer, die zum Beispiel auch die neuen Freiheiten nach dem Jahr 1991 genutzt haben, um nach Europa, nach Deutschland zu kommen, der hatte nichts Böses im Schilde, der hat einfach von diesem Freiheitsrecht Gebrauch machen wollen, und das müssen wir auch anerkennen und zurechtrücken. Allmählich kommen auch die tatsächlichen Zahlen zum Vorschein des Schadens, der eben durch die wenigen, die doch illegale Tätigkeiten vorhatten, entstanden ist, und wenn das zurechgerückt wird, werden auch die Chancen wieder deutlicher werden. In Zukunft werden wir mit ständigen Forderungen aus der Ukraine konfrontiert sein. Das wird Juschtschenko bei seinem Besuch jetzt auch machen - das hat er schon begonnen -, die Visaregelungen zu erleichtern. Es ist auch die europäische Politik, hier Wege zu finden. Es ist auch gar nicht einzusehen, dass hier Russland eine klare Perspektive hat, die die Ukraine dann nicht bekommt.
Sagenschneider: Vielen Dank für das Gespräch.
Interviewpartner, Funktion: Gernot Erler, SPD-Fraktionsvize
Sagenschneider: Herr Erler, bei seinem Besuch in Deutschland wird Viktor Juschtschenko heute ja eine sehr seltene Ehre zuteil. Er darf vor dem Bundestag sprechen. Geschieht das auch, um ihm den Rücken zu stärken? Denn es ist schon außergewöhnlich, dass jemandem, der gerade so kurz im Amt ist, das gestattet wird.
Erler: Ja, das ist sicherlich einer der wichtigsten Punkte bei dem Besuch des neuen ukrainischen Präsidenten. Er erreicht damit gleiche Augenhöhe mit gleich mehreren amerikanischen Präsidenten, die schon dieses Privileg genossen haben, mit Jacques Chirac, mit Vladimir Putin, und ich glaube, er wird das gut nutzen. Wir freuen uns auf die Rede, die er heute Mittag um 14 Uhr für etwa eine halbe Stunde vor den Abgeordneten halten wird.
Sagenschneider: Nun will Viktor Juschtschenko mit seiner Ukraine in die EU, was - da sind sich alle einig - vorerst kein Thema ist, allein weil die wirtschaftliche Lage der Ukraine das gar nicht zuließe, aber die Frage ist ja, wie bindet man die Ukraine mehr ein? Wie kann man denen, die da so tapfer mit der orangefarbenen Revolution für Demokratie und Reformen gestritten haben, signalisieren, das hat sich gelohnt, wir unterstützen euch auf eurem Reformweg?
Erler: Also da hat natürlich Juschtschenko schon in Brüssel einige Erfolge gehabt. Es ist ganz deutlich, dass die Ukraine zum wichtigsten Land bei diesem Konzept der neuen Nachbarschaft der EU geworden ist. Da gibt es einen Aktionsplan, der sehr stark erweitert worden ist von Seiten der EU, und damit ist die Ukraine eigentlich die Nummer Eins in diesem Konzept, was für 17 Länder aufgelegt ist, geworden. Das ist schon ein gutes Mitbringsel, was Juschtschenko dann von seinem Europatrip nach Hause bringt. Die Leute aber in der Ukraine - und das weiß er natürlich ganz genau - wollen nicht nur Erfolge bei dieser Annäherung an Europa haben, sondern die wollen ja sehr konkret merken, dass es jetzt besser, und da ist dieser Besuch in Deutschland, glaube ich, wichtig, denn da geht es natürlich auch um die Wirtschaft, um die wirtschaftliche Entwicklung, um die Arbeitsplätze und um die Verbesserung der Standards innerhalb der Wirtschaft. Da geht es um konkrete Projekte, und es geht um Beratung, um Verbesserung der Struktur, der Gesetze in der Ukraine, und da kann Deutschland vielleicht sogar der wichtigste Partner der Ukraine werden in all diesen Feldern.
Sagenschneider: Das heißt, Sie teilen die Einschätzung des CDU-Politikers Volker Rühe, der gestern gesagt hat, Deutschland sei ein Schlüsselstaat auf dem weiteren Weg der Ukraine?
Erler: Das ist in der Tat in der Vergangenheit schon in der Entwicklung so gewesen. Man kann sagen, dass sich Deutschland wie kein anderer Staat in Europa auch während der orangefarbenen Revolution bemüht hat, diese Bewegung zu unterstützen. Es kommt ja selten vor, dass wir im Bundestag zwei Mal innerhalb einer Woche über ein Land reden. Das ist aber damals passiert. Viele Abgeordnete sind damals selber nach Kiew gefahren und auch dort aufgetreten. Jede Presseerklärung von uns, die ja diese Bewegung unterstützt hat, ist mit großer Aufmerksamkeit verfolgt worden. Das heißt, hier hat sich etwas sehr Intensives entwickelt, und das gilt es jetzt zu bestätigen und weiterzuentwickeln.
Sagenschneider: Wie sehr ist dieser Versuch von Juschtschenko in Deutschland belastet durch die so genannte Visa-Affäre?
Erler: Das ist etwas, was auch Juschtschenko selber natürlich großen Kummer macht, denn ich glaube, kein Präsident freut sich, wenn er in der Zeitung liest, dass ein ganzes Land eher darüber diskutiert, und eben noch so ein befreundetes Land wie Deutschland, dass in erster Linie Schwerstkriminelle, Schleuser, Schlepper, Prostituierte usw. nach Deutschland gekommen sein sollen, wobei ja in der Öffentlichkeit zum Teil der Eindruck entsteht, dass jeder Ukrainer, der den Kontakt nach Deutschland will, der hierher reisen will, irgendetwas Böses im Schilde führt. Das ist fahrlässig so entstanden, und ich bin sicher, dass in seinem öffentlichen Auftritt auch Juschtschenko versuchen wird, dieses Bild gerade zu rücken, und da hat er ein gutes Recht darauf.
Sagenschneider: Der Imageschaden für die Ukraine ist das eine, aber wie steht es mit Hilfe und Unterstützung aus deutscher Sicht, zum Beispiel was Reiseerleichterungen für die Ukraine anbelangt, was Juschtschenko natürlich gerne hätte? Das wäre sicher auch einfacher ohne die Visa-Affäre, oder?
Erler: Na ja, also ich meine, da muss man vor allen Dingen den falschen Teil an der öffentlichen Wahrnehmung hier zurechtrücken. Ich will mal sagen, der allergrößte Teil der Ukrainer, die zum Beispiel auch die neuen Freiheiten nach dem Jahr 1991 genutzt haben, um nach Europa, nach Deutschland zu kommen, der hatte nichts Böses im Schilde, der hat einfach von diesem Freiheitsrecht Gebrauch machen wollen, und das müssen wir auch anerkennen und zurechtrücken. Allmählich kommen auch die tatsächlichen Zahlen zum Vorschein des Schadens, der eben durch die wenigen, die doch illegale Tätigkeiten vorhatten, entstanden ist, und wenn das zurechgerückt wird, werden auch die Chancen wieder deutlicher werden. In Zukunft werden wir mit ständigen Forderungen aus der Ukraine konfrontiert sein. Das wird Juschtschenko bei seinem Besuch jetzt auch machen - das hat er schon begonnen -, die Visaregelungen zu erleichtern. Es ist auch die europäische Politik, hier Wege zu finden. Es ist auch gar nicht einzusehen, dass hier Russland eine klare Perspektive hat, die die Ukraine dann nicht bekommt.
Sagenschneider: Vielen Dank für das Gespräch.