Deutschland - Pilcherland nonstop
Die Schriftstellerin Rosamunde Pilcher hat weltweit rund 60 Millionen Bücher verkauft, ein Teil davon ist fürs Fernsehen verfilmt worden. Und weil die Geschichten in Cornwall spielen, ist der Landstrich vor allem für deutsche Pilcher-Fans zum Wallfahrtsort geworden.
Sie trägt kurzen Rock und schwarze Leggings, steigt gekonnt über die rote Absperrkordel. Und löst dennoch zweimal Alarm aus – im Schlafzimmer des Herrenhauses.
Sarah Merriman gibt per Funk Entwarnung – und deutet dann auf einen Koffer aus Reptilleder – den Ankleidekoffer von Tommy Agar-Robartes.
Kleine Fläschchen mit Silberverschlüssen, in denen sich noch heute das damals benutzte Zahnpulver und Talkumpuder befindet. In einem Walnussbehälter das Rouge, das Tommy als Offizier aufträgt, damit er nicht blass vor seine Kameraden tritt, als er sie in die Schlacht führt.
"Das Traurige daran ist nur, dass der Koffer ohne Tommy hierher zurückkam. Er wurde in der Schlacht bei Loose 1915 getötet."
Sarah führt durch Lanhydrock Garden, einen der schönsten historischen Herrensitze Cornwalls aus dem 17. Jahrhundert. Insgesamt 82 Räume, alle begehbar und in jedem einzelnen sieht es so aus, als ob der Landadel nur mal kurz zum Nachmittagstee außer Haus ist. Oder: jeden Moment kann eine liebestrunkene Barbara Wussow hineinstürzen – in einer Rosamunde-Pilcher-Verfilmung.
"Alles hier führt den Besucher direkt in die viktorianische Zeit. Und man braucht nicht besonders viel Vorstellungskraft, um sich in diese Periode zurückzuversetzen, was wirklich fantastisch ist."
Tatsächlich dient Lanhydrock Garden 1999 als Drehort für einen Pilcher-Film. Vor meiner Zeit hier, sagt Sarah nur und zuckt mit den Schultern. Doch Deutsche – oh ja, die strömen nur so hierher.
30 von 40 Bussen in der Woche schätzt sie.
20 Kilometer weiter westlich, in Newquay, dem beliebtesten Seebad Cornwalls, parkt ein Bus vor einem zweistöckigen holzverkleideten Hotel. Ein MAN Lions Top Star in silbergrau, Kennzeichen: ANA, Landkreis Annaberg, Erzgebirge. 480 PS, 40 Sitzplätze. Mit Bordtoilette, Bord-TV und Bordküche.
"Ja, die Küche. Wir haben Würstchen mit, Suppenterrinen, heiße Tasse. Kaffee wird jeden Tag frisch gemacht. Würstchenkocher hier noch mit drinne. Natürlich Wasser, leichte Limonaden, so Wellnessgetränke, verschiedene Geschmacksrichtungen, es gibt Sekt, die kleinen Piccolo. Es gibt, wie man bei uns sagt, die kleinen Zündkerzen, wenn man sich mal den Magen verstimmt hat. (Lacht.)"
Uwe Hofmann ist am Ende seines morgendlichen Bus-Checks. Reifendruck, Kühlwasser, Öl und Papiere sind überprüft. Er wirft jetzt noch schnell einen Blick auf die Vorräte. Schließlich wollen 19 größtenteils Seniorinnen und Senioren neun Stunden lang versorgt sein.
Alle aus Sachsen. Gebucht über eine Zeitung. 4000 Kilometer in neun Tagen. Von der Haustür in Deutschland bis zum westlichsten Zipfel Englands und wieder zurück. Pauschal für knapp 1000 Euro.
Die Gruppe wartet schon vor dem Bus, will einsteigen. Einige sehen müde aus. Der Kopfsteinpflastersteilhang vom gestrigen Ausflug steckt ihnen noch in den Knochen.
Hofmann winkt, lächelt, streicht noch einmal über seine bunte Krawatte mit Busmotiven, nickt dann einer jungen Frau mit blondem Pagenschnitt zu. Für Steffi Krahnert, die Reiseleiterin, das Zeichen zum Einstieg.
Krahnert: "Jemand Muskelkater heute? Nein. War ne schöne Runde gestern, ne? Dann übergeb’ ich das Mikrofon an unsere örtliche Reiseleiterin, die Jilly, diese wird uns heute das Rosamunde-Pilcher-Land zeigen."
Jilly, Ende 50, eigentlich Londonerin, lebt seit knapp 30 Jahren in Cornwall. Früher Schauspielerin, arbeitet sie heute als Lehrerin und Fremdenführerin. Führt vor allem deutsche Gruppen durch Englands Südwesten.
"… und hier bin ich wirklich zu Hause und ich hoffe am Ende von diesem Tag sie werden verstehen, warum ich wohne gerne hier in Cornwall, obgleich ich könnt’ viel reicher in London sein. Ich stelle mich vor, wir haben wunderschönes Landschaft hier."
Wegen der wunderschönen Landschaft bucht auch Jutta Schneider die Reise. Die 68-Jährige sitzt erhöht direkt hinter dem Busfahrer. Sie trägt eine riesige Sonnenbrille, stoisch die Arme vor dem Körper verschränkt. Von hier aus hat sie das ganze Cornwall-Panorama.
"Den hab ich gebucht, ich möchte immer vorne sitzen","
sagt sie trocken. Und erzählt, dass sie vor vier Jahren schon in Schottland und Irland war – das Grün und die Klippen haben es ihr angetan.
""Dann brachten die die Rosmunde-Pilcher-Filme und dann habe ich die natürlich geguckt und bin total von der Landschaft begeistert gewesen. Und da stand für mich fest ich will unbedingt hierher. Und dieses Jahr hat es nun geklappt."
Schneider weiß, es gibt sogar einen Direktflug aus Dresden nach Newquay. Seit die Pilcher-Filme im Fernsehen laufen, rollen deutsche Reisebusse Stoßstange an Stoßstange durch Cornwall.
Das Programm dieser Tour ist teilweise anstrengend, gibt Schneider offen zu. Heute, am sechsten Tag, wünscht sie sich frei zu haben, um dann runter zum Strand zu gehen, den ganzen Tag auf das Meer und die Felsen zu gucken. Zu Hause schaut die Witwe aus Radebeul aus ihrem Fenster auf einen Neubaublock.
Uwe Hofmann lenkt seinen Lions Star auf der A 30 – der Straße durch Cornwall. Vorbei an Rosengärten, durch grüne Hügel und Täler. Schon bald ragen Backsteinschornsteine aus der Bilderbuchlandschaft, Ruinen alter Zinnbergwerke. Die Region, die heute fast ausschließlich vom Tourismus lebt – früher war sie bettelarm.
Nach einer halben Stunde hat die Gruppe den ersten Blick auf das Nachmittagsziel, den Künstlerort St. Ives. "Atemberaubend schön gelegen, umgeben von Stränden und türkiser See", verspricht das Programm. Jilly aber deutet auf einen Golfplatz.
"Das ist Lelland und ein wunderschöner grüner Platz – das ist der Golfplatz und in einem ihrer Bücher schreibt Pilcher über die Kirche mit Blick über Meereswasser und Golfplatz und wir stellen uns vor, das muss hier sein, weil sie war hier in der Nähe geboren, sie kennt diese Kirche, sie war in dieser Kirche geheiratet und das ist die Kirche, die wir sehen jetzt rechts ..."
Ein heller, klobiger Bau, nichts Aufregendes. Deshalb wohl kaum eine Reaktion im Bus. Weiter auf der A 30 bis nach Penzance, die am häufigsten von Rosamunde Pilcher erwähnte Stadt, Drehort für gleich sechs Verfilmungen. Eine sportliche ältere Dame mit rötlichem Kurzhaarschnitt reckt ihren Hals, murmelt irgendwas wie "hätt’ ich mir viel kleiner vorgestellt". Duckt sich dann schnell, damit ihr Mann ein Foto machen kann.
Ein paar Kilometer weiter: ein schlichter Dorfbahnhof. Graues Holz, roter Backstein.
Jilly: "Ja und wir haben unseren eigenen Pilcher-Bahnhof, hier links – das ist unser Pilcher-Bahnhof. Und sie möchten schnell fotografieren, ja? Immer sehr gut gepflegt, schöne Blumen. Möchte jemand fotografieren? Ja, nein? Nein."
Nicht eine Kamera klickt. Die als mutig bekannten Sachsen, sie kneifen. Dabei haben alle dieselbe Reise gebucht. Mit dem Untertitel: auf den Spuren Rosamunde Pilchers… Offenbar ist ihnen das jetzt irgendwie peinlich. Keiner will sich outen, sich bekennen zu dem oft hochdosierten Kitsch, der immer wieder sonntags rund sechs Millionen Deutschen gefällt.
Eine gute Stunde später nähert sich der Bus Land´s End, dem westlichsten Zipfel der Insel. Die Stimmung im Bus jetzt lockerer. Reiseleiterin Steffi serviert Kaffee, Wasser, Schokoriegel, hier und da ein Radeberger. Jilly nimmt ihre Landsmänner aufs Korn.
"Links haben wir jetzt die letzte Kirche in England und natürlich die letzte Kirche liegt bei dem letzten Wirtshaus in England. Und wenn wir zurückkommen, ist das die erste Wirtshaus in England. Wie machen sie das, wie machen sie das in England? Ich hab keine Ahnung."
Eine Shopping- und Spielhalle lässt Jilly links liegen, geht direkt Richtung Klippen. Stellt sich mit dem Rücken zum Meer, die Gruppe in einem Halbkreis um sie herum.
"Hier hinter uns sind die letzen Steine Englands. Auf diese Seite das ist Atlantik, auf diese Seite ist Kanal. Sehen Sie einen Unterschied, nein, okay?"
Jetzt darf jeder eine halbe Stunde den fantastischen Blick bis zu den Scilly-Inseln genießen und träumen, Fotos machen oder im Souvenirshop einkaufen.
"Ob wir das als Hintergrund kriegen …"
Andrea Winzer möchte gern ein Foto von sich vor dieser wildromantischen Kulisse. Die 29-jährige, etwas korpulentere junge Frau ist mit Abstand die jüngste im Bus.
Sie nutzt die halbe Stunde für einen kleinen Spaziergang, ein bisschen Träumen. Winzer ist Angestellte bei der Agentur für Arbeit in Dresden, ist durch Zufall zu der Reise gekommen, erzählt sie. Sie hat nie ein Buch von Rosamunde Pilcher gelesen. Weil jeder schon bei den Filmen immer gleich weiß, wie es ausgeht, sagt sie.
"Also ich denke mal, die ersten zwei Seiten und dann na gut okay, die kriegen sich. Da ist ja so ein Film Sonntagabend, noch mal fix was Entspanntes, Montag geht’s wieder auf Arbeit, der Film sicherlich besser als ein Buch."
Unentwegt rauscht das Meer, dampft der Tee, rennen liebestrunkene Schauspieler durchs Bild. Das Schicksal schlägt zwar manchmal hart zu, am Ende aber wird immer alles gut. Das ist die Pilcher-Erfolgsgarantie für weichgespülte Sonntagabende. "Na und?", sagt Winzer leise. Sie hat mit dieser Landadel-Biedermeier-Mischung grundsätzlich kein Problem. Mit Leidenschaft in schöner Landschaft, in der Verbrechen und Sozialkritik tabu sind. Für ein paar Tage, sagt sie und lacht, würde sie sogar gern mal in eine der Rollen schlüpfen. Und sich einrichten zum Beispiel im Lanhydrock-Herrenhaus oder Mount-Edgcumbe-Landsitz, dem gestrigen Stopp.
"Das war schön, das war wirklich schön, diese Backstein, diese großen Fenster, dort konnte man richtig durch die Räume gehen. Paar Bedienstete – hier könnte man wohnen. Die hatten auch einen Rosamunde-Pilcher-Film eingelegt für uns und wenn man dann so sieht, da fährt der Landrover vor und wenn man dann so sieht, die steigen dort ein, schön, könnte man sich vorstellen."
Heute Morgen, gesteht Andrea Winzer, hätte sie auch gern ein Foto vom Pilcher-Bahnhof gemacht. Traut sich dann aber nicht, weil keiner sich traut.
Pünktlich nach 30 Minuten steigt Winzer wieder in den Bus, setzt sich ein paar Reihen hinter Jutta Schneider ans Fenster. In den großen Gläsern von Schneiders Sonnenbrille spiegeln sich schon wieder grüne Hügel und Täler.
Steffi Krahnert verteilt Bockwürstchen und Getränke, rechnet gleich ab.
Jilly: "Von hier nach St. Ives fahren wir auf meine beste Strecke, das ist so traumhaft hier, so viel von Pilcher ist hier gefilmt, Sie werden das erkennen. Also rechts sehen Sie ersten Leute mit Fahrrad in England."
Kamera-Klingeln. Das ist noch nicht eng. Klicken. Schauen sie links dieses fantastische Gebäude und wieder ein deutsches Auto. Noch mal klicken bei Musik. Gerede im Bus.
Plötzlich – dort wo die Landschaft immer ursprünglicher wird, die A 30 längst zu Ende ist und die Küstenstraße immer enger wird, geht nichts mehr. Der Weg ist hier schlicht und einfach zu schmal für einen Bus und ein Auto, der entgegenkommende Pkw muss zurücksetzen, fast einen Kilometer. Am Straßenrand: alte Cottages, liebevoll restauriert, ab und an ein Schild, das vor Fußgängern auf der Fahrbahn warnt. Und ein Wegweiser mit der Aufschrift: The Gunnard’s Head.
Jilly: "Sie sehen ein Pub hier, Gunnard’s, und die machen ein gutes Geschäft hier, weil viele deutsche Gäste übernachten hier."
… weil ganz in der Nähe, unten an den Klippen "Sommer am Meer" gedreht wurde, ein weiterer von mittlerweile 90 Pilcher-Verfilmungen. Für ein Guinness oder ein Lager reicht die Zeit nicht, Reiseleiterin Steffi lässt sich aber zu einer Fotopause hinreißen.
"Fünf Minuten Fotopause. Also bitte schön, schnell fotografieren und let’s go."
Diesmal steigen fast alle aus. Halten fest, wo Frau Pilcher ihr Pint trinkt, wenn sie zweimal im Jahr aus Schottland hierher kommt, ihren Bruder besucht, der ganz in der Nähe eine Biofarm betreibt.
Nur in der letzten Reihe bleibt ein Paar sitzen. Antje Keilich, eine große, aparte pensionierte Ärztin aus Dresden und ihr Begleiter. Keilich kennt Pilcher nicht nur aus dem Fernsehen. Sie kennt auch einen ihrer Romane, jedenfalls ein paar Seiten davon.
"Wenn ne Witwe in ihre alte Heimat Cornwall zurückkommt und nicht weiß von dem Jugendfreund, ist der noch auf seiner Farm – aber ja. Dann wissen Sie doch schon wie der Ausgang ist. Lachen. Ne junge Witwe natürlich."
Wenn auch nicht ganz so kitschig wie die Filme, sind Pilchers Bestseller zweifellos seichte Ware. Mehr als 60 Millionen Bücher verkauft sie weltweit. Warum ausgerechnet die Deutschen so ein Faible für britisches Landleben und die Romantik als solche haben – Antje Keilich zuckt mit den Schultern. Und selbst Jilly, die Fremdenführerin, ist dieses eine Mal sprachlos.
Keilich: "Man müsste eigentlich auf den Klippen reiten, jedenfalls ritt damals die Darstellerin auf den Klippen, ich weiß nicht mehr wohin und warum, aber das Reiten auf den Klippen sah natürlich gut aus, wirkte gut im Film."
Jilly: "Daphne du Maurier und Virginia Woolf, die beiden sind sehr bekannt hier, die schreiben wirklich gute Bücher."
Auf der kurzen Fahrt nach St. Ives erzählt Jilly noch über diese zwei berühmten Schriftstellerinnen, die sich in die Halbinsel Cornwall verliebt haben und deren Romane hier spielen. Dann biegt Uwe Hofmann auch schon auf den großen Busparkplatz oberhalb von St. Ives.
"St. Ives ist ein kleines Örtchen und das Problem ist, dass der Parkplatz...
Okay, mein Vorschlag ist: wir gehen alle zusammen mit dem Bus, so let’s go. Wann ist Abfahrtszeit: 17 Uhr. Wo? Hier am Bus. Very good. Aussteigen.
Uhlig: Man kann doch aber, das muss doch nicht sein ..."
Fünf Minuten später, auf der Hafenpromenade. Jilly im Gespräch mit Lothar Uhlig, einem hochinteressierten Rentner aus Dresden mit korrektem Scheitel, Brille und kariertem Kurzarmhemd. Uhlig ist gedanklich noch immer beim letzten Stopp, in Land´s End. Kommt nicht darüber hinweg, wie sehr der Ort durch die Shopping- und Spielhalle verschandelt wird. Er schimpft richtig, wedelt mit den Armen. Jilly nickt nur. Sie ist in Gedanken schon beim nächsten Pilcher-Pub.
"Da, vor dem Pub sitzen eine Menge Leute, man kann da einfach sitzen im Sonnenschein und das ist eine Szene in die Pilcher Films, das ist typisch cornisch, das die Leute da sitzen und trinken und ja, das Leben ist schön."
Die Bierbänke draußen sind wie der ganze Ort hoffnungslos überfüllt mit Surfern und Touristen. Ansonsten ist der Pub wie jeder andere. Ein Zwei-Gänge-Menü – Roastbeef mit Yorkshire Pudding – kostet 9 Pfund 95 Pence, das Pint Lager-Bier 2 Pfund 95. Drinnen jobben Hannah, Simone und Jeff. Eine britische Schriftstellerin namens Rosamunde Pilcher ist ihnen völlig unbekannt.
Hannah & Jeff: "Of what? Of Rosamunde Pilcher. No, I haven’t. Of who sir? No I haven´t."
Eine Stunde später sitzen alle wieder im Bus.
Hofmann biegt wieder auf die A 30 – und schon bald tauchen die ersten Schornsteine wieder auf.
Jilly: "Heutzutage wir haben kein Zinnbergwerk in Cornwall mehr, das noch geöffnet ist. Die Leute gingen weg, suchten Arbeit in Zinnminen in Mexiko, Australien – deshalb heute der Witz – wo immer du in ein Loch fällst, triffst du bestimmt ein Cornish Jack."
Die meisten der Senioren bekommen noch ein müdes Lächeln hin, den ersten fallen bereits die Augen zu. Jilly legt das Mikro zur Seite. Eine halbe Stunde lang ist es sehr ruhig im Bus.
"Der Vater war militärischer Mann..."
In Höhe von Lelland, dem Geburtsort Rosamunde Pilchers, will Jilly noch ein bisschen über deren Biographie reden. Die hat nicht viel mit ihrer Kuschelprosa gemein.
Rosamunde Scott wächst in kleinen Verhältnissen auf, macht eine Ausbildung zur Sekretärin, erzählt Jilly. Später heiratet sie einen Kaufmann, bekommt mit ihm vier Kinder. Bis sich ein Verlag ernsthaft für sie interessiert, dauert es fast 40 Jahre.
1987 dann der Durchbruch mit "Die Muschelsucher". Die Familiensaga macht sie schlagartig reich. 63 Jahre ist Pilcher da schon alt, rechnet Jilly vor. Und Pilcher schreibt weiter. 25 Romane, Hunderte Erzählungen. Der Vorwurf, sie produziert Kitsch, seichte Massenware – der prallt an der mittlerweile 85-Jährigen ab. "Ich schreibe schöne Literatur", sagt sie einmal, "fertig aus".
Jilly: "Und wieder links, die Kirchturm hinter die großen Bäumen, das ist wo Rosamunde Pilcher geheiratet."
Noch ein Blick auf den klobigen Kirchturm, das nahegelegene Penzance, das in "Die Muschelsucher" Portcarree heißt. Plötzlich ist Christine Förster, die sportliche Dame mit dem roten Kurzhaarschnitt, wieder voll da.
".. wie groß das ist, das Penzance, das ist ja ne richtige riesengroße Stadt und wenn Sie das in dem Buch lesen, dann denken Sie an einen winzig kleinen Ort. Da denken Sie, das hat drei Straßen und das war’s."
Das hört Jilly und verrät, dass bei den Dreharbeiten für die Filme noch viel mehr geschummelt wird, schon mal ein Pub oder eine ganze Kirche aus einer Ecke Cornwalls in eine ganz andere gesteckt wird. Christine Förster zuckt mit den Schultern. Mir relativ egal, sagt sie …
"… allerdings muss ich sagen, ich nehme ihr ein bisschen übel, wirklich ein bisschen übel der Rosamunde Pilcher, wir haben noch in keinem Buch etwas über die Industrie hier gelesen, dass es da zwangsläufig eine sehr arme Bevölkerung gegeben hat, die ihre Kinder in die Bergwerke geschickt hat, dass es relativ wenig Gesellschaftskritik gibt in den Büchern. Da ist das nur die heile Welt."
Sonntagabends aber hat auch sie nichts gegen ein bisschen heile Welt in ihrem Wohnzimmer. Warum – das sagt sie offen und ehrlich.
"Dass ich eigentlich mal keine Angst haben brauch, dass wieder eener umgebracht werden wird während dem Film, dass ich genau weiß, die Probleme, die sind zwar da, aber die gehen immer gut aus, ich kann heute einfach mal die Füße hoch strecken und die Seele baumeln lassen. Mich belastet heute nichts und wenn ich ins Bett gehe und schlafe, dann habe ich keine Alpträume und die Welt ist in Ordnung."
Das findet auch Lothar Uhlig, der die ganze Zeit mit einem Ohr zuhört und sich jetzt, nach seinem zweiten Pils, auch nicht mehr so über Land´s End ärgert. Vielmehr will auch er für Frau Pilcher eine Lanze brechen.
"Das geht zwar immer gut aus, aber trotzdem ist auch viel vom wahren Leben drin. Man soll die nicht so abstempeln: ‚Das ist Kitsch’. Ich bin der Meinung, dort kann man mal abschalten und braucht nicht zu denken und das ist gar nicht so verkehrt."
Soweit aber, dass er oder Christine Förster auf die Idee kommen, bei einem anderen Veranstalter das Rosamunde-Pilcher-Exklusiv-Paket mit dreitägigem Aufenthalt bei Fiona, der Tochter der Schriftstellerin, zu buchen – so weit geht die Liebe dann aber doch nicht.
Förster: "Also so verrückt bin ich ja nun wirklich nicht. Da ist sie mir einfach auch nicht wichtig genug, das wär’ mir dann einfach auch zu doof."
"Morgen früh den Koffer mitbringen. Abfahrt wird 8.30 Uhr sein."
"Ja, ich denke, ich spreche im Namen aller Gäste, wenn ich zur Jilly sagen, es war ein wunderschöner Tag. Recht herzlichen Dank Jilly. Sind Sie einverstanden, wenn ich sage, es war ein wunderschöner Tag? Ja, Applaus. Ja, ich wünsche Ihnen eine gute Reise natürlich und alles Gute und tschüß, tschüß, ja. (Ruckeln, Abschnallen.)"
Jutta Schneider, Andrea Winzer, Antje Keilich, Lothar Uhlig, das Ehepaar Förster und alle anderen wollen jetzt nur noch eine Dusche, ein Bett, später Abendbrot und vielleicht noch einen kleinen Spaziergang zu den Klippen.
Wenig später steht Uwe Hofmann wieder in der Bordküche des Busses, gießt sich einen Becher Kaffee ein. Die gute Frau Pilcher kann ganz schön ermüdend sein, sagt er und lächelt verschmitzt.
"Wenn wir zurück fahren am Sonntagabend, setzen wir über von Dover nach Calais. Und sind denn dort noch mal im Hotel. Und in dem Hotel empfängt man das Zweite Deutsche Fernsehen. Und die werden bestimmt alle am Sonntagabend einen Rosmunde-Pilcher-Film anschauen."
Sarah Merriman gibt per Funk Entwarnung – und deutet dann auf einen Koffer aus Reptilleder – den Ankleidekoffer von Tommy Agar-Robartes.
Kleine Fläschchen mit Silberverschlüssen, in denen sich noch heute das damals benutzte Zahnpulver und Talkumpuder befindet. In einem Walnussbehälter das Rouge, das Tommy als Offizier aufträgt, damit er nicht blass vor seine Kameraden tritt, als er sie in die Schlacht führt.
"Das Traurige daran ist nur, dass der Koffer ohne Tommy hierher zurückkam. Er wurde in der Schlacht bei Loose 1915 getötet."
Sarah führt durch Lanhydrock Garden, einen der schönsten historischen Herrensitze Cornwalls aus dem 17. Jahrhundert. Insgesamt 82 Räume, alle begehbar und in jedem einzelnen sieht es so aus, als ob der Landadel nur mal kurz zum Nachmittagstee außer Haus ist. Oder: jeden Moment kann eine liebestrunkene Barbara Wussow hineinstürzen – in einer Rosamunde-Pilcher-Verfilmung.
"Alles hier führt den Besucher direkt in die viktorianische Zeit. Und man braucht nicht besonders viel Vorstellungskraft, um sich in diese Periode zurückzuversetzen, was wirklich fantastisch ist."
Tatsächlich dient Lanhydrock Garden 1999 als Drehort für einen Pilcher-Film. Vor meiner Zeit hier, sagt Sarah nur und zuckt mit den Schultern. Doch Deutsche – oh ja, die strömen nur so hierher.
30 von 40 Bussen in der Woche schätzt sie.
20 Kilometer weiter westlich, in Newquay, dem beliebtesten Seebad Cornwalls, parkt ein Bus vor einem zweistöckigen holzverkleideten Hotel. Ein MAN Lions Top Star in silbergrau, Kennzeichen: ANA, Landkreis Annaberg, Erzgebirge. 480 PS, 40 Sitzplätze. Mit Bordtoilette, Bord-TV und Bordküche.
"Ja, die Küche. Wir haben Würstchen mit, Suppenterrinen, heiße Tasse. Kaffee wird jeden Tag frisch gemacht. Würstchenkocher hier noch mit drinne. Natürlich Wasser, leichte Limonaden, so Wellnessgetränke, verschiedene Geschmacksrichtungen, es gibt Sekt, die kleinen Piccolo. Es gibt, wie man bei uns sagt, die kleinen Zündkerzen, wenn man sich mal den Magen verstimmt hat. (Lacht.)"
Uwe Hofmann ist am Ende seines morgendlichen Bus-Checks. Reifendruck, Kühlwasser, Öl und Papiere sind überprüft. Er wirft jetzt noch schnell einen Blick auf die Vorräte. Schließlich wollen 19 größtenteils Seniorinnen und Senioren neun Stunden lang versorgt sein.
Alle aus Sachsen. Gebucht über eine Zeitung. 4000 Kilometer in neun Tagen. Von der Haustür in Deutschland bis zum westlichsten Zipfel Englands und wieder zurück. Pauschal für knapp 1000 Euro.
Die Gruppe wartet schon vor dem Bus, will einsteigen. Einige sehen müde aus. Der Kopfsteinpflastersteilhang vom gestrigen Ausflug steckt ihnen noch in den Knochen.
Hofmann winkt, lächelt, streicht noch einmal über seine bunte Krawatte mit Busmotiven, nickt dann einer jungen Frau mit blondem Pagenschnitt zu. Für Steffi Krahnert, die Reiseleiterin, das Zeichen zum Einstieg.
Krahnert: "Jemand Muskelkater heute? Nein. War ne schöne Runde gestern, ne? Dann übergeb’ ich das Mikrofon an unsere örtliche Reiseleiterin, die Jilly, diese wird uns heute das Rosamunde-Pilcher-Land zeigen."
Jilly, Ende 50, eigentlich Londonerin, lebt seit knapp 30 Jahren in Cornwall. Früher Schauspielerin, arbeitet sie heute als Lehrerin und Fremdenführerin. Führt vor allem deutsche Gruppen durch Englands Südwesten.
"… und hier bin ich wirklich zu Hause und ich hoffe am Ende von diesem Tag sie werden verstehen, warum ich wohne gerne hier in Cornwall, obgleich ich könnt’ viel reicher in London sein. Ich stelle mich vor, wir haben wunderschönes Landschaft hier."
Wegen der wunderschönen Landschaft bucht auch Jutta Schneider die Reise. Die 68-Jährige sitzt erhöht direkt hinter dem Busfahrer. Sie trägt eine riesige Sonnenbrille, stoisch die Arme vor dem Körper verschränkt. Von hier aus hat sie das ganze Cornwall-Panorama.
"Den hab ich gebucht, ich möchte immer vorne sitzen","
sagt sie trocken. Und erzählt, dass sie vor vier Jahren schon in Schottland und Irland war – das Grün und die Klippen haben es ihr angetan.
""Dann brachten die die Rosmunde-Pilcher-Filme und dann habe ich die natürlich geguckt und bin total von der Landschaft begeistert gewesen. Und da stand für mich fest ich will unbedingt hierher. Und dieses Jahr hat es nun geklappt."
Schneider weiß, es gibt sogar einen Direktflug aus Dresden nach Newquay. Seit die Pilcher-Filme im Fernsehen laufen, rollen deutsche Reisebusse Stoßstange an Stoßstange durch Cornwall.
Das Programm dieser Tour ist teilweise anstrengend, gibt Schneider offen zu. Heute, am sechsten Tag, wünscht sie sich frei zu haben, um dann runter zum Strand zu gehen, den ganzen Tag auf das Meer und die Felsen zu gucken. Zu Hause schaut die Witwe aus Radebeul aus ihrem Fenster auf einen Neubaublock.
Uwe Hofmann lenkt seinen Lions Star auf der A 30 – der Straße durch Cornwall. Vorbei an Rosengärten, durch grüne Hügel und Täler. Schon bald ragen Backsteinschornsteine aus der Bilderbuchlandschaft, Ruinen alter Zinnbergwerke. Die Region, die heute fast ausschließlich vom Tourismus lebt – früher war sie bettelarm.
Nach einer halben Stunde hat die Gruppe den ersten Blick auf das Nachmittagsziel, den Künstlerort St. Ives. "Atemberaubend schön gelegen, umgeben von Stränden und türkiser See", verspricht das Programm. Jilly aber deutet auf einen Golfplatz.
"Das ist Lelland und ein wunderschöner grüner Platz – das ist der Golfplatz und in einem ihrer Bücher schreibt Pilcher über die Kirche mit Blick über Meereswasser und Golfplatz und wir stellen uns vor, das muss hier sein, weil sie war hier in der Nähe geboren, sie kennt diese Kirche, sie war in dieser Kirche geheiratet und das ist die Kirche, die wir sehen jetzt rechts ..."
Ein heller, klobiger Bau, nichts Aufregendes. Deshalb wohl kaum eine Reaktion im Bus. Weiter auf der A 30 bis nach Penzance, die am häufigsten von Rosamunde Pilcher erwähnte Stadt, Drehort für gleich sechs Verfilmungen. Eine sportliche ältere Dame mit rötlichem Kurzhaarschnitt reckt ihren Hals, murmelt irgendwas wie "hätt’ ich mir viel kleiner vorgestellt". Duckt sich dann schnell, damit ihr Mann ein Foto machen kann.
Ein paar Kilometer weiter: ein schlichter Dorfbahnhof. Graues Holz, roter Backstein.
Jilly: "Ja und wir haben unseren eigenen Pilcher-Bahnhof, hier links – das ist unser Pilcher-Bahnhof. Und sie möchten schnell fotografieren, ja? Immer sehr gut gepflegt, schöne Blumen. Möchte jemand fotografieren? Ja, nein? Nein."
Nicht eine Kamera klickt. Die als mutig bekannten Sachsen, sie kneifen. Dabei haben alle dieselbe Reise gebucht. Mit dem Untertitel: auf den Spuren Rosamunde Pilchers… Offenbar ist ihnen das jetzt irgendwie peinlich. Keiner will sich outen, sich bekennen zu dem oft hochdosierten Kitsch, der immer wieder sonntags rund sechs Millionen Deutschen gefällt.
Eine gute Stunde später nähert sich der Bus Land´s End, dem westlichsten Zipfel der Insel. Die Stimmung im Bus jetzt lockerer. Reiseleiterin Steffi serviert Kaffee, Wasser, Schokoriegel, hier und da ein Radeberger. Jilly nimmt ihre Landsmänner aufs Korn.
"Links haben wir jetzt die letzte Kirche in England und natürlich die letzte Kirche liegt bei dem letzten Wirtshaus in England. Und wenn wir zurückkommen, ist das die erste Wirtshaus in England. Wie machen sie das, wie machen sie das in England? Ich hab keine Ahnung."
Eine Shopping- und Spielhalle lässt Jilly links liegen, geht direkt Richtung Klippen. Stellt sich mit dem Rücken zum Meer, die Gruppe in einem Halbkreis um sie herum.
"Hier hinter uns sind die letzen Steine Englands. Auf diese Seite das ist Atlantik, auf diese Seite ist Kanal. Sehen Sie einen Unterschied, nein, okay?"
Jetzt darf jeder eine halbe Stunde den fantastischen Blick bis zu den Scilly-Inseln genießen und träumen, Fotos machen oder im Souvenirshop einkaufen.
"Ob wir das als Hintergrund kriegen …"
Andrea Winzer möchte gern ein Foto von sich vor dieser wildromantischen Kulisse. Die 29-jährige, etwas korpulentere junge Frau ist mit Abstand die jüngste im Bus.
Sie nutzt die halbe Stunde für einen kleinen Spaziergang, ein bisschen Träumen. Winzer ist Angestellte bei der Agentur für Arbeit in Dresden, ist durch Zufall zu der Reise gekommen, erzählt sie. Sie hat nie ein Buch von Rosamunde Pilcher gelesen. Weil jeder schon bei den Filmen immer gleich weiß, wie es ausgeht, sagt sie.
"Also ich denke mal, die ersten zwei Seiten und dann na gut okay, die kriegen sich. Da ist ja so ein Film Sonntagabend, noch mal fix was Entspanntes, Montag geht’s wieder auf Arbeit, der Film sicherlich besser als ein Buch."
Unentwegt rauscht das Meer, dampft der Tee, rennen liebestrunkene Schauspieler durchs Bild. Das Schicksal schlägt zwar manchmal hart zu, am Ende aber wird immer alles gut. Das ist die Pilcher-Erfolgsgarantie für weichgespülte Sonntagabende. "Na und?", sagt Winzer leise. Sie hat mit dieser Landadel-Biedermeier-Mischung grundsätzlich kein Problem. Mit Leidenschaft in schöner Landschaft, in der Verbrechen und Sozialkritik tabu sind. Für ein paar Tage, sagt sie und lacht, würde sie sogar gern mal in eine der Rollen schlüpfen. Und sich einrichten zum Beispiel im Lanhydrock-Herrenhaus oder Mount-Edgcumbe-Landsitz, dem gestrigen Stopp.
"Das war schön, das war wirklich schön, diese Backstein, diese großen Fenster, dort konnte man richtig durch die Räume gehen. Paar Bedienstete – hier könnte man wohnen. Die hatten auch einen Rosamunde-Pilcher-Film eingelegt für uns und wenn man dann so sieht, da fährt der Landrover vor und wenn man dann so sieht, die steigen dort ein, schön, könnte man sich vorstellen."
Heute Morgen, gesteht Andrea Winzer, hätte sie auch gern ein Foto vom Pilcher-Bahnhof gemacht. Traut sich dann aber nicht, weil keiner sich traut.
Pünktlich nach 30 Minuten steigt Winzer wieder in den Bus, setzt sich ein paar Reihen hinter Jutta Schneider ans Fenster. In den großen Gläsern von Schneiders Sonnenbrille spiegeln sich schon wieder grüne Hügel und Täler.
Steffi Krahnert verteilt Bockwürstchen und Getränke, rechnet gleich ab.
Jilly: "Von hier nach St. Ives fahren wir auf meine beste Strecke, das ist so traumhaft hier, so viel von Pilcher ist hier gefilmt, Sie werden das erkennen. Also rechts sehen Sie ersten Leute mit Fahrrad in England."
Kamera-Klingeln. Das ist noch nicht eng. Klicken. Schauen sie links dieses fantastische Gebäude und wieder ein deutsches Auto. Noch mal klicken bei Musik. Gerede im Bus.
Plötzlich – dort wo die Landschaft immer ursprünglicher wird, die A 30 längst zu Ende ist und die Küstenstraße immer enger wird, geht nichts mehr. Der Weg ist hier schlicht und einfach zu schmal für einen Bus und ein Auto, der entgegenkommende Pkw muss zurücksetzen, fast einen Kilometer. Am Straßenrand: alte Cottages, liebevoll restauriert, ab und an ein Schild, das vor Fußgängern auf der Fahrbahn warnt. Und ein Wegweiser mit der Aufschrift: The Gunnard’s Head.
Jilly: "Sie sehen ein Pub hier, Gunnard’s, und die machen ein gutes Geschäft hier, weil viele deutsche Gäste übernachten hier."
… weil ganz in der Nähe, unten an den Klippen "Sommer am Meer" gedreht wurde, ein weiterer von mittlerweile 90 Pilcher-Verfilmungen. Für ein Guinness oder ein Lager reicht die Zeit nicht, Reiseleiterin Steffi lässt sich aber zu einer Fotopause hinreißen.
"Fünf Minuten Fotopause. Also bitte schön, schnell fotografieren und let’s go."
Diesmal steigen fast alle aus. Halten fest, wo Frau Pilcher ihr Pint trinkt, wenn sie zweimal im Jahr aus Schottland hierher kommt, ihren Bruder besucht, der ganz in der Nähe eine Biofarm betreibt.
Nur in der letzten Reihe bleibt ein Paar sitzen. Antje Keilich, eine große, aparte pensionierte Ärztin aus Dresden und ihr Begleiter. Keilich kennt Pilcher nicht nur aus dem Fernsehen. Sie kennt auch einen ihrer Romane, jedenfalls ein paar Seiten davon.
"Wenn ne Witwe in ihre alte Heimat Cornwall zurückkommt und nicht weiß von dem Jugendfreund, ist der noch auf seiner Farm – aber ja. Dann wissen Sie doch schon wie der Ausgang ist. Lachen. Ne junge Witwe natürlich."
Wenn auch nicht ganz so kitschig wie die Filme, sind Pilchers Bestseller zweifellos seichte Ware. Mehr als 60 Millionen Bücher verkauft sie weltweit. Warum ausgerechnet die Deutschen so ein Faible für britisches Landleben und die Romantik als solche haben – Antje Keilich zuckt mit den Schultern. Und selbst Jilly, die Fremdenführerin, ist dieses eine Mal sprachlos.
Keilich: "Man müsste eigentlich auf den Klippen reiten, jedenfalls ritt damals die Darstellerin auf den Klippen, ich weiß nicht mehr wohin und warum, aber das Reiten auf den Klippen sah natürlich gut aus, wirkte gut im Film."
Jilly: "Daphne du Maurier und Virginia Woolf, die beiden sind sehr bekannt hier, die schreiben wirklich gute Bücher."
Auf der kurzen Fahrt nach St. Ives erzählt Jilly noch über diese zwei berühmten Schriftstellerinnen, die sich in die Halbinsel Cornwall verliebt haben und deren Romane hier spielen. Dann biegt Uwe Hofmann auch schon auf den großen Busparkplatz oberhalb von St. Ives.
"St. Ives ist ein kleines Örtchen und das Problem ist, dass der Parkplatz...
Okay, mein Vorschlag ist: wir gehen alle zusammen mit dem Bus, so let’s go. Wann ist Abfahrtszeit: 17 Uhr. Wo? Hier am Bus. Very good. Aussteigen.
Uhlig: Man kann doch aber, das muss doch nicht sein ..."
Fünf Minuten später, auf der Hafenpromenade. Jilly im Gespräch mit Lothar Uhlig, einem hochinteressierten Rentner aus Dresden mit korrektem Scheitel, Brille und kariertem Kurzarmhemd. Uhlig ist gedanklich noch immer beim letzten Stopp, in Land´s End. Kommt nicht darüber hinweg, wie sehr der Ort durch die Shopping- und Spielhalle verschandelt wird. Er schimpft richtig, wedelt mit den Armen. Jilly nickt nur. Sie ist in Gedanken schon beim nächsten Pilcher-Pub.
"Da, vor dem Pub sitzen eine Menge Leute, man kann da einfach sitzen im Sonnenschein und das ist eine Szene in die Pilcher Films, das ist typisch cornisch, das die Leute da sitzen und trinken und ja, das Leben ist schön."
Die Bierbänke draußen sind wie der ganze Ort hoffnungslos überfüllt mit Surfern und Touristen. Ansonsten ist der Pub wie jeder andere. Ein Zwei-Gänge-Menü – Roastbeef mit Yorkshire Pudding – kostet 9 Pfund 95 Pence, das Pint Lager-Bier 2 Pfund 95. Drinnen jobben Hannah, Simone und Jeff. Eine britische Schriftstellerin namens Rosamunde Pilcher ist ihnen völlig unbekannt.
Hannah & Jeff: "Of what? Of Rosamunde Pilcher. No, I haven’t. Of who sir? No I haven´t."
Eine Stunde später sitzen alle wieder im Bus.
Hofmann biegt wieder auf die A 30 – und schon bald tauchen die ersten Schornsteine wieder auf.
Jilly: "Heutzutage wir haben kein Zinnbergwerk in Cornwall mehr, das noch geöffnet ist. Die Leute gingen weg, suchten Arbeit in Zinnminen in Mexiko, Australien – deshalb heute der Witz – wo immer du in ein Loch fällst, triffst du bestimmt ein Cornish Jack."
Die meisten der Senioren bekommen noch ein müdes Lächeln hin, den ersten fallen bereits die Augen zu. Jilly legt das Mikro zur Seite. Eine halbe Stunde lang ist es sehr ruhig im Bus.
"Der Vater war militärischer Mann..."
In Höhe von Lelland, dem Geburtsort Rosamunde Pilchers, will Jilly noch ein bisschen über deren Biographie reden. Die hat nicht viel mit ihrer Kuschelprosa gemein.
Rosamunde Scott wächst in kleinen Verhältnissen auf, macht eine Ausbildung zur Sekretärin, erzählt Jilly. Später heiratet sie einen Kaufmann, bekommt mit ihm vier Kinder. Bis sich ein Verlag ernsthaft für sie interessiert, dauert es fast 40 Jahre.
1987 dann der Durchbruch mit "Die Muschelsucher". Die Familiensaga macht sie schlagartig reich. 63 Jahre ist Pilcher da schon alt, rechnet Jilly vor. Und Pilcher schreibt weiter. 25 Romane, Hunderte Erzählungen. Der Vorwurf, sie produziert Kitsch, seichte Massenware – der prallt an der mittlerweile 85-Jährigen ab. "Ich schreibe schöne Literatur", sagt sie einmal, "fertig aus".
Jilly: "Und wieder links, die Kirchturm hinter die großen Bäumen, das ist wo Rosamunde Pilcher geheiratet."
Noch ein Blick auf den klobigen Kirchturm, das nahegelegene Penzance, das in "Die Muschelsucher" Portcarree heißt. Plötzlich ist Christine Förster, die sportliche Dame mit dem roten Kurzhaarschnitt, wieder voll da.
".. wie groß das ist, das Penzance, das ist ja ne richtige riesengroße Stadt und wenn Sie das in dem Buch lesen, dann denken Sie an einen winzig kleinen Ort. Da denken Sie, das hat drei Straßen und das war’s."
Das hört Jilly und verrät, dass bei den Dreharbeiten für die Filme noch viel mehr geschummelt wird, schon mal ein Pub oder eine ganze Kirche aus einer Ecke Cornwalls in eine ganz andere gesteckt wird. Christine Förster zuckt mit den Schultern. Mir relativ egal, sagt sie …
"… allerdings muss ich sagen, ich nehme ihr ein bisschen übel, wirklich ein bisschen übel der Rosamunde Pilcher, wir haben noch in keinem Buch etwas über die Industrie hier gelesen, dass es da zwangsläufig eine sehr arme Bevölkerung gegeben hat, die ihre Kinder in die Bergwerke geschickt hat, dass es relativ wenig Gesellschaftskritik gibt in den Büchern. Da ist das nur die heile Welt."
Sonntagabends aber hat auch sie nichts gegen ein bisschen heile Welt in ihrem Wohnzimmer. Warum – das sagt sie offen und ehrlich.
"Dass ich eigentlich mal keine Angst haben brauch, dass wieder eener umgebracht werden wird während dem Film, dass ich genau weiß, die Probleme, die sind zwar da, aber die gehen immer gut aus, ich kann heute einfach mal die Füße hoch strecken und die Seele baumeln lassen. Mich belastet heute nichts und wenn ich ins Bett gehe und schlafe, dann habe ich keine Alpträume und die Welt ist in Ordnung."
Das findet auch Lothar Uhlig, der die ganze Zeit mit einem Ohr zuhört und sich jetzt, nach seinem zweiten Pils, auch nicht mehr so über Land´s End ärgert. Vielmehr will auch er für Frau Pilcher eine Lanze brechen.
"Das geht zwar immer gut aus, aber trotzdem ist auch viel vom wahren Leben drin. Man soll die nicht so abstempeln: ‚Das ist Kitsch’. Ich bin der Meinung, dort kann man mal abschalten und braucht nicht zu denken und das ist gar nicht so verkehrt."
Soweit aber, dass er oder Christine Förster auf die Idee kommen, bei einem anderen Veranstalter das Rosamunde-Pilcher-Exklusiv-Paket mit dreitägigem Aufenthalt bei Fiona, der Tochter der Schriftstellerin, zu buchen – so weit geht die Liebe dann aber doch nicht.
Förster: "Also so verrückt bin ich ja nun wirklich nicht. Da ist sie mir einfach auch nicht wichtig genug, das wär’ mir dann einfach auch zu doof."
"Morgen früh den Koffer mitbringen. Abfahrt wird 8.30 Uhr sein."
"Ja, ich denke, ich spreche im Namen aller Gäste, wenn ich zur Jilly sagen, es war ein wunderschöner Tag. Recht herzlichen Dank Jilly. Sind Sie einverstanden, wenn ich sage, es war ein wunderschöner Tag? Ja, Applaus. Ja, ich wünsche Ihnen eine gute Reise natürlich und alles Gute und tschüß, tschüß, ja. (Ruckeln, Abschnallen.)"
Jutta Schneider, Andrea Winzer, Antje Keilich, Lothar Uhlig, das Ehepaar Förster und alle anderen wollen jetzt nur noch eine Dusche, ein Bett, später Abendbrot und vielleicht noch einen kleinen Spaziergang zu den Klippen.
Wenig später steht Uwe Hofmann wieder in der Bordküche des Busses, gießt sich einen Becher Kaffee ein. Die gute Frau Pilcher kann ganz schön ermüdend sein, sagt er und lächelt verschmitzt.
"Wenn wir zurück fahren am Sonntagabend, setzen wir über von Dover nach Calais. Und sind denn dort noch mal im Hotel. Und in dem Hotel empfängt man das Zweite Deutsche Fernsehen. Und die werden bestimmt alle am Sonntagabend einen Rosmunde-Pilcher-Film anschauen."