"Deutschland steht vergleichsweise exzellent da"
Rolf Langhammer, Vize-Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, sieht Deutschland trotz Börsentief und drohendem Abschwung der weltweiten Wirtschaft in einer komfortablen Lage. Er erwarte keine Krise, deutsche Staatsanleihen seien sehr gefragt.
Marietta Schwarz: Seit Anfang August hat der DAX 25 Prozent seines Wertes eingebüßt, und gerade in den letzten Tagen purzelten die Kurse in erschreckender Weise. Die Furcht vor einer weltweiten Rezession treibt die Anleger scharenweise aus den internationalen Aktienmärkten, Politiker agieren, doch auch das kann die Märkte nicht beruhigen. Vergleiche mit den Krisenjahren 2008 und 2009 werden gezogen, und an dieser Stelle fragt man sich: Handelt es sich um eine neue Krise oder stecken wir einfach noch ganz tief in der alten und haben die einfach nur verdrängt? Am Telefon ist der Wirtschaftswissenschaftler Rolf Langhammer, Vizepräsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IWF) – guten Morgen, Herr Langhammer!
Rolf Langhammer: Guten Morgen, Frau Schwarz!
Schwarz: Wie erklären Sie das Chaos an den Börsen und zuletzt die Talfahrt des DAX?
Langhammer: Ich glaube, man muss unterscheiden zwischen den tiefer liegenden Ursachen und den Anlässen. Wir hatten schon seit einiger Zeit darauf hingewiesen in den früheren Prognosen – das begann schon im letzten Oktober und ging auch im Frühjahr weiter –, dass es mit der Erholung jetzt langsam ein Ende haben würde, dass wir uns wieder in normalen Kategorien bewegen würden, dass es zu einer Abschwächung kommen würde. Dass das jetzt durch verschiedene Anlässe, zum Beispiel die Herunterstufung der USA durch eine Ratingorganisation oder durch die Krise in einigen Euroländern, verschärft würden, konnten wir nicht vorhersehen. Die Märkte reagieren immer sehr auf kleine Anlässe, auf kleine Ereignisse, auf kleine Informationen. Aber wie gesagt, wir hatten es bereits erwartet, dass 2012 ein deutlich schlechteres Jahr werden würde als 2011.
Schwarz: Aber was hat dieses Geschehen an den Börsen mit der Realwirtschaft zu tun? Wenn man sich zum Beispiel mal so eine VW-Aktie anguckt, die ist abgestürzt, gleichzeitig ist der Absatz bei VW gestiegen.
Langhammer: Nun, das sind die Erwartungen einfach. Die Märkte erwarten für die Zukunft – und nur das wird zurzeit an den Börsen gehandelt –, dass es eben auch mit VW und dass es auch mit der deutschen Exportwirtschaft im nächsten Jahr nicht mehr so gut laufen wird wie in diesem Jahr.
Und hinzu kommt natürlich in bestimmten Ländern, in denen Konsumentscheidungen sehr stark abhängig sind von der Vermögenssituation der einzelnen Haushalte, dass dann, wenn die Vermögensmärkte wie die Aktienmärkte runtergehen, die Menschen auf ihre Pensionsfonds gucken, auf ihre Pensionserwartungen, auf ihren persönlichen Reichtum. Und dann reagieren sie besonders zurückhaltend im Konsum.
Das ist bei uns, den sogenannten Vermögenseffekt nennt man das, dieser Effekt ist in Deutschland nicht so ausgeprägt, weil nicht so viele Menschen den Börsen tätig sind wie in den USA und weil eben auch Dinge wie Pensionen eben nicht so abhängig sind von den Märkten. Und das bedeutet, dass wir eben in den USA unter Umständen eine fast schärfere Abschwächung erwarten, und da ist die Rezessionsangst größer als in Deutschland.
Schwarz: Wie wird sich das denn auf die Realwirtschaft in Deutschland auswirken? Deutschland hat ja sich bisher in dieser Krise ganz gut geschlagen als Exportweltmeister, aber sind diese Exporte auch das Rezept für die Zukunft?
Langhammer: In kurzer Sicht sicherlich ja. Aber wir hatten auch in der letzten Zeit schon gesehen, dass auch die Binnennachfrage, dass der private Konsum angesprungen war, und das war sehr erfreulich. Bis jetzt reagieren wahrscheinlich die Konsumenten noch sehr vernünftig. Deutschland steht vergleichsweise exzellent da. Jeder schaut auf Deutschland, jeder sagt immer noch, woher kommt dieses deutsche Wunder.
Trotzdem erwarten wir auch für nächstes Jahr schon eine deutliche Abschwächung. Wir gehen dieses Jahr ja über die drei Prozent oder kommen noch an die drei Prozent heran - nächstes Jahr vielleicht noch 1,5 bis 1,6 Prozent, das waren die jüngsten Prognosen. Also wir hatten auch für Deutschland eine Abschwächung erwartet, aber keine Rezession. Und die deutsche Situation ist vergleichsweise gut, auch wenn wir nicht auf einer Insel der Glückseligen sind. Das heißt, wir können uns nicht abkoppeln von negativen Entwicklungen um uns herum, gerade weil wir eben kurzfristig eine Exportnation bleiben.
Schwarz: Das heißt, Sie erwarten nicht unbedingt, dass aus dieser Finanzkrise auch eine politische, eine soziale Krise werden könnte hierzulande?
Langhammer: Nein, das glaube ich nicht. Deutschland ist vergleichsweise stabil, einfach deswegen, weil viele Menschen auch ihre Ersparnisse eben nicht in diesen volatilen Papieren haben. Deutsche Staatsanleihen sind sehr gefragt, viele Menschen kaufen die noch, in der ganzen Welt werden deutsche Staatsanleihen gefragt, die Renditen sind ja auf ein Rekordtief gesunken – was nichts anderes heißt, als dass die Welt sehr viel Vertrauen in die deutsche Wirtschaft hat. Aber wie gesagt, wir sind in einem sehr integrierten Wirtschaftsraum, und um uns herum werden wahrscheinlich die Abschwächungen stärker sein. Also wir müssen damit rechnen, dass es auch bei uns ruhiger wird in der Entwicklung, aber wie gesagt, zu Krisentendenzen sehe ich gar keinen Anlass.
Schwarz: Herr Langhammer, in diesem integrierten Wirtschaftsraum haben die Zentralbanken in der Krise ihre Geldschleusen weit geöffnet, um das System zu stabilisieren. Hilft oder schadet das momentan?
Langhammer: In der unmittelbaren Krise 2008/2009 war es die richtige Entscheidung, nur diese sogenannte Ausstiegsoption, das heißt langsam wieder die Geldschraube anzuziehen, diesen Moment hat man leider verpasst. Und dadurch wirkt diese neue Öffnung der Geldschleusen gerade in den USA auch nicht mehr. Man kann einfach nicht mehr von der Geldseite tun. Genug Geld ist vorhanden, es ist auch sehr billig, nur eben die Bonität vieler Schuldner ist eben nicht da, und aus der alten Krise gibt es eben noch Rückstände, die wir glaubten, überwunden zu haben, und die jetzt doch wiederkommen.
Zum Beispiel eben, dass viele Banken ihre Immobilienkrisen noch nicht überwunden haben, dass sie also immer noch notleidende Kredite und nicht marktgängige Papiere in ihren Portfolios haben. Das heißt also, die Nachwehen der alten Krise zeigen sich jetzt wieder deutlich, und da wirkt auch die Politik des billigen Geldes nicht, da muss sich schon realwirtschaftlich etwas verbessern, gerade in den USA, und das leider wird in nächster Zeit so schnell nicht eintreten.
Schwarz: Der Vizepräsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IWF) Rolf Langhammer war das. Herr Langhammer, danke für das Gespräch!
Langhammer: Ich bedanke mich bei Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Rolf Langhammer: Guten Morgen, Frau Schwarz!
Schwarz: Wie erklären Sie das Chaos an den Börsen und zuletzt die Talfahrt des DAX?
Langhammer: Ich glaube, man muss unterscheiden zwischen den tiefer liegenden Ursachen und den Anlässen. Wir hatten schon seit einiger Zeit darauf hingewiesen in den früheren Prognosen – das begann schon im letzten Oktober und ging auch im Frühjahr weiter –, dass es mit der Erholung jetzt langsam ein Ende haben würde, dass wir uns wieder in normalen Kategorien bewegen würden, dass es zu einer Abschwächung kommen würde. Dass das jetzt durch verschiedene Anlässe, zum Beispiel die Herunterstufung der USA durch eine Ratingorganisation oder durch die Krise in einigen Euroländern, verschärft würden, konnten wir nicht vorhersehen. Die Märkte reagieren immer sehr auf kleine Anlässe, auf kleine Ereignisse, auf kleine Informationen. Aber wie gesagt, wir hatten es bereits erwartet, dass 2012 ein deutlich schlechteres Jahr werden würde als 2011.
Schwarz: Aber was hat dieses Geschehen an den Börsen mit der Realwirtschaft zu tun? Wenn man sich zum Beispiel mal so eine VW-Aktie anguckt, die ist abgestürzt, gleichzeitig ist der Absatz bei VW gestiegen.
Langhammer: Nun, das sind die Erwartungen einfach. Die Märkte erwarten für die Zukunft – und nur das wird zurzeit an den Börsen gehandelt –, dass es eben auch mit VW und dass es auch mit der deutschen Exportwirtschaft im nächsten Jahr nicht mehr so gut laufen wird wie in diesem Jahr.
Und hinzu kommt natürlich in bestimmten Ländern, in denen Konsumentscheidungen sehr stark abhängig sind von der Vermögenssituation der einzelnen Haushalte, dass dann, wenn die Vermögensmärkte wie die Aktienmärkte runtergehen, die Menschen auf ihre Pensionsfonds gucken, auf ihre Pensionserwartungen, auf ihren persönlichen Reichtum. Und dann reagieren sie besonders zurückhaltend im Konsum.
Das ist bei uns, den sogenannten Vermögenseffekt nennt man das, dieser Effekt ist in Deutschland nicht so ausgeprägt, weil nicht so viele Menschen den Börsen tätig sind wie in den USA und weil eben auch Dinge wie Pensionen eben nicht so abhängig sind von den Märkten. Und das bedeutet, dass wir eben in den USA unter Umständen eine fast schärfere Abschwächung erwarten, und da ist die Rezessionsangst größer als in Deutschland.
Schwarz: Wie wird sich das denn auf die Realwirtschaft in Deutschland auswirken? Deutschland hat ja sich bisher in dieser Krise ganz gut geschlagen als Exportweltmeister, aber sind diese Exporte auch das Rezept für die Zukunft?
Langhammer: In kurzer Sicht sicherlich ja. Aber wir hatten auch in der letzten Zeit schon gesehen, dass auch die Binnennachfrage, dass der private Konsum angesprungen war, und das war sehr erfreulich. Bis jetzt reagieren wahrscheinlich die Konsumenten noch sehr vernünftig. Deutschland steht vergleichsweise exzellent da. Jeder schaut auf Deutschland, jeder sagt immer noch, woher kommt dieses deutsche Wunder.
Trotzdem erwarten wir auch für nächstes Jahr schon eine deutliche Abschwächung. Wir gehen dieses Jahr ja über die drei Prozent oder kommen noch an die drei Prozent heran - nächstes Jahr vielleicht noch 1,5 bis 1,6 Prozent, das waren die jüngsten Prognosen. Also wir hatten auch für Deutschland eine Abschwächung erwartet, aber keine Rezession. Und die deutsche Situation ist vergleichsweise gut, auch wenn wir nicht auf einer Insel der Glückseligen sind. Das heißt, wir können uns nicht abkoppeln von negativen Entwicklungen um uns herum, gerade weil wir eben kurzfristig eine Exportnation bleiben.
Schwarz: Das heißt, Sie erwarten nicht unbedingt, dass aus dieser Finanzkrise auch eine politische, eine soziale Krise werden könnte hierzulande?
Langhammer: Nein, das glaube ich nicht. Deutschland ist vergleichsweise stabil, einfach deswegen, weil viele Menschen auch ihre Ersparnisse eben nicht in diesen volatilen Papieren haben. Deutsche Staatsanleihen sind sehr gefragt, viele Menschen kaufen die noch, in der ganzen Welt werden deutsche Staatsanleihen gefragt, die Renditen sind ja auf ein Rekordtief gesunken – was nichts anderes heißt, als dass die Welt sehr viel Vertrauen in die deutsche Wirtschaft hat. Aber wie gesagt, wir sind in einem sehr integrierten Wirtschaftsraum, und um uns herum werden wahrscheinlich die Abschwächungen stärker sein. Also wir müssen damit rechnen, dass es auch bei uns ruhiger wird in der Entwicklung, aber wie gesagt, zu Krisentendenzen sehe ich gar keinen Anlass.
Schwarz: Herr Langhammer, in diesem integrierten Wirtschaftsraum haben die Zentralbanken in der Krise ihre Geldschleusen weit geöffnet, um das System zu stabilisieren. Hilft oder schadet das momentan?
Langhammer: In der unmittelbaren Krise 2008/2009 war es die richtige Entscheidung, nur diese sogenannte Ausstiegsoption, das heißt langsam wieder die Geldschraube anzuziehen, diesen Moment hat man leider verpasst. Und dadurch wirkt diese neue Öffnung der Geldschleusen gerade in den USA auch nicht mehr. Man kann einfach nicht mehr von der Geldseite tun. Genug Geld ist vorhanden, es ist auch sehr billig, nur eben die Bonität vieler Schuldner ist eben nicht da, und aus der alten Krise gibt es eben noch Rückstände, die wir glaubten, überwunden zu haben, und die jetzt doch wiederkommen.
Zum Beispiel eben, dass viele Banken ihre Immobilienkrisen noch nicht überwunden haben, dass sie also immer noch notleidende Kredite und nicht marktgängige Papiere in ihren Portfolios haben. Das heißt also, die Nachwehen der alten Krise zeigen sich jetzt wieder deutlich, und da wirkt auch die Politik des billigen Geldes nicht, da muss sich schon realwirtschaftlich etwas verbessern, gerade in den USA, und das leider wird in nächster Zeit so schnell nicht eintreten.
Schwarz: Der Vizepräsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IWF) Rolf Langhammer war das. Herr Langhammer, danke für das Gespräch!
Langhammer: Ich bedanke mich bei Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.