Matt Aufderhorst ist 1965 in Hamburg geboren. Er ist Radio- und Fernsehjournalist und Mitbegründer von „Authors for Peace“. Er studierte Kunstgeschichte und Deutsche Literatur. Seine Essays über Architektur und Erinnerung sind unter anderem in „Lettre International“ und „WOZ“ erschienen.
Tourismus in Deutschland
Mehr öffentliche Trinkbrunnen wünscht sich der Autor Matt Aufderhorst. © IMAGO / Emmanuele Contini
Ideen für eine nachhaltige Gastfreundschaft
Unter den Reisezielen liegt Deutschland weltweit in den Top 10. Doch wirklich gastfreundlich seien unsere Städte nicht, meint Matt Aufderhorst. Konzepte für ein gutes Klima, eine "grüne" City-Steuer, freies Wifi – dem Autor fällt noch so einiges ein.
Fangen wir mit einer harmlosen Frage an: Wie bereiten Sie sich auf Besuch vor, wenn Sie eine Einladung aussprechen, etwa zum Tag der offenen Tür?
Legen wir Mindeststandards an, gehören sicherlich Schutz vor der Witterung, Sonne, Regen, Kälte, Wind sowie vor Lärm und Abgasen dazu, etwas zu trinken und eine Kleinigkeit zu essen. Ebenfalls, versteht sich, die Offenheit zum Gespräch. Blieben die Gastgeberïnnen stumm, dürfte das für Verwunderung sorgen.
Peinlich wäre es auch, wenn man das Badezimmer vorm Besuch regelrecht versteckte oder einen saftigen Obolus für die Benutzung verlangte. All das dürfte die Stimmung während der Kennenlernphase, vorsichtig gesagt, trüben.
Deutschland als Reiseziel begehrt
Falls Sie sich nun wundern, wer sich so zurückhaltend seinen Gästen gegenüber verhält, dann lautet die Antwort: wir. Genauer: Unsere Städte. Die zu begehrten Reisezielen geworden sind, seit vielen Jahren schon.
Die Zahlen sind erstaunlich. 96,8 Millionen Hotelgäste gab es 2021 insgesamt in Deutschland, auf dem Land und in der Stadt. 11,7 Millionen kamen davon aus dem Ausland. Diese internationalen Gäste haben 15,8 Milliarden Euro bei uns ausgegeben. Bereits jetzt sind wir als Reiseziel in den globalen Top 10.
Statt Export-Weltmeister zu sein, einen Titel, den wir längst an China abgegeben haben, hätte Deutschland das Potenzial, zum Weltmeister der nachhaltigen Gastfreundschaft zu werden. Ein Slogan, der politische Folgen hätte, die über den typischen Tourismus hinausgingen.
Wie also gastfreundlicher werden?
Eine gastfreundliche Stadt heißt Menschen willkommen, die mehr oder weniger Geld haben. Solche, die etwas erleben und solche, die sicherer leben wollen.
Um gastfreundlicher zu sein, wären ganzheitliche „Gutes-Klima-Konzepte“ notwendig. Davon würden Stadtgesellschaften, Flora und Fauna und auch die Gäste profitierten.
Was ich damit, ganz praktisch, meine?
Investitionen mit Hilfe einer „grünen“ City-Steuer. Jede Ausgabe wird klimaneutral. Zugespitzt formuliert: Pro Stein eine Pflanze. Setzen wir auf die atmende Stadt. 100 Prozent zugepflasterte Plätze sind ein ökologischer Witz.
Die Versorgung mit Wasser – ich denke an die Brunnen in italienischen Städten, wo man eine Trinkflasche auffüllen kann, um Plastik zu sparen. Für die kalte Jahreszeit Hähne, deren Leitungen nicht platzen.
Wo sind bequeme Bänke und Tische, um ein Picknick zu machen? Mit Tellern und Tassen, die vor Ort, in Gemeinschaftsküchen, abgewaschen und von allen genutzt werden können? Beerdigen wir Wegwerfgeschirr! Und warum fühlen sich die Möbel im öffentlichen Raum so an, als hätte niemand Probe gesessen? Als müssten wir sie morgen austauschen?
Mehr öffentliche Toiletten
In wenigen Dingen ähneln sich Städte in Deutschland so sehr wie in ihrem Mangel an Toiletten – und zwar an solchen, die Sonnenenergie nutzen und umsonst sind. In Berlin läuft gerade ein halbjähriger Versuch, bei dem 50 von 280 Toiletten kostenfrei sind. Ob die Auswertung ergibt, dass wir lieber zahlen?
Und natürlich öffentliches Wifi – noch ein Aktivposten. Wissen verändert Verhalten. Cities und Landschaften sollten zu Hot-Spots werden, kostenfrei. Teilhabe macht Orte attraktiv.
Nicht vergessen sollten wir, dass die gastfreundliche Stadt keine Maschine ist, die wir anstellen und dann läuft sie reibungslos. Das nachhaltige Miteinander basiert schlicht und einfach auf Höflichkeit. Rücksicht ist gefragt – auch von den Besucherïnnen.
Sperrstunden in Wohngebieten sind keine Vielleicht-Angebote. Clubs werden durch Lärmschutzmaßnahmen unterstützt. Handys müssen nicht als Dauer-Gettoblaster dienen. Recycling-Angebote werden angenommen.
Städtische Landwirtschaft, Urban Gardening, wird respektiert, Obst und Gemüse weder ausgerupft noch zertrampelt. E-Roller und Leihfahrräder machen nicht die Grasnarben der Grünflächen platt, sondern bleiben auf ihrer Fahrbahn. Autos parken bevorzugt am Rand der Innenstadt.
Dies sind erste Ideen zur Gastfreundschaft. Überlegen wir. Und handeln, zusammen.