"Deutschland verliert einen wichtigen Satiriker"

Moderation: Dieter Kassel |
Wolfgang Schaller, langjähriger Leiter der Dresdner Kabarettbühne "Die Herkuleskeule" und Weggefährte Peter Ensikats, hat den gestern verstorbenen Kabarettisten, Schauspieler und Autor als einen für Ost und West bedeutsamen Satiriker gewürdigt.
Dieter Kassel: Der Schauspieler, Autor und Kabarettist Peter Ensikat ist tot. Er starb gestern im Alter von 71 Jahren. Schon Anfang der 60er Jahre hat er erste Texte für verschiedene Kabarettbühnen der DDR geschrieben, später war er als Schauspieler und Autor erfolgreich, wurde aber auch zu einem der bekanntesten und produktivsten Kabarettisten Ostdeutschlands. Nach der Wende wurde er schnell in ganz Deutschland bekannt, durch seine Zusammenarbeit mit Dieter Hildebrandt, durch seine Bücher und vor allem durch seine Arbeit für das Berliner Kabaretttheater "Die Distel", das er einige Jahre auch leitete. Mit Wolfgang Schaller, seit 1986 künstlerischer Leiter der Dresdner "Herkuleskeule" arbeitete er 35 Jahre lang eng zusammen, und die beiden verband auch eine Freundschaft. Herr Schaller, Sie haben in Interviews gesagt, sie hätten Peter Ensikat viel zu verdanken. Was haben Sie ihm zu verdanken?

Wolfgang Schaller: Er hat es einmal formuliert und ich formuliere es gerne für diesen traurigen Anlass noch mal: Peter Ensikat war für mich ein Glücksfall, weil wenn man über 35 Jahre mit einem zusammenarbeitet – so lange habe ich es mit keinem anderen Partner in einer Ehe geschafft –, dann hat man nicht nur einen engen Freund, dann hat man jemanden, mit dem man sich über alles verständigen kann. Wenn man selber Sorgen hat, wenn man den anderen braucht, weil es ihm selbst seelisch nicht so gut geht, weil man seine Erfolge hat, weil man Ideen gebärt, das war einfach ein gemeinsames Arbeitsleben. Und all die Stücke, die entstanden sind, die ja damals im Osten auch in der DDR überall an den Theatern und Kabaretts gespielt wurden, die wären ohne ihn nicht möglich gewesen. Deshalb war er für mich der wichtigste Partner, den ich je beim Schreiben hatte, und er war viel mehr, er war ein Freund.

Kassel: Wie haben Sie beide sich kennengelernt?

Schaller: Das ist unheimlich lange her, das war 1974. Ich war gerade ganz neu am Dresdner Kabarett "Die Herkuleskeule", wir hatten eine Premiere, und damals gab es noch lange, lange Premierenfeiern, und plötzlich sagte einer zu mir: Du, deine Texte im Programm, die haben mir gefallen. Und ich sagte irgendwie zurück: Deine auch. Und seit dieser Zeit waren wir zwei – einer war beim Schreiben immer ein Stück vom anderen, obwohl wir zwei ganz verschiedene Menschen waren, so hatten wir doch vieles, was wir gemeinsam dachten. Unsere Hoffnung, unsere Freude, auch unsere Trauer, als in der DDR eine Idee, von der wir mal glaubten, dass sie zu einer besseren menschlicheren Gesellschaft führt, als die von den Mächtigen so zertreten wurde, ja, das waren schon Zeiten, wo wir uns, glaube ich, gegenseitig beim Schreiben sehr brauchten.

Kassel: Wie sehr haben Sie denn beide vor 1989 die Möglichkeit geschätzt, mit Kabarett doch etwas vielleicht zu verändern? Peter Ensikat selber hat ja mal gesagt, die Zensur war eigentlich ein Glücksfall, weil dadurch hätte man einige Pointen, ohne sie auszusprechen, noch viel besser setzen können?

Schaller: Der Kabarettist Werner Fink hat mal gesagt, Kabarett lohnt sich eigentlich nur in der Diktatur, weil wir mussten der vielen Tabus wegen, die wir aber nicht als Tabus anerkennen wollten, wir mussten lernen, zwischen den Zeilen zu schreiben, und das Publikum hat gelernt, zwischen den Zeilen zu hören und zu lesen. Und das war natürlich spannend, das Seil immer höher zu spannen, und trotzdem nicht abzustürzen. Aber ich muss auch im Nachhinein sagen, es gab auch oft in diesen letzten Jahren der DDR viel Resignation, auch bei uns, wo wir sagten, es hat keinen Zweck, lasst uns aufhören mit Schreiben, und dann war immer der andere da, der sagte, nein, wir machen weiter, ja? Wir hatten das Gefühl – das klingt vielleicht heute sehr groß – wir hatten das Gefühl, dass wir gebraucht werden.

Kassel: Damit haben Sie gesagt, dass Sie sich beide manchmal angestachelt haben, die Grenzen weiter auszutesten. War es auch manchmal umgekehrt, haben Sie sich auch gewarnt, lass uns so weit nicht gehen, das lohnt sich nicht? Bei Texten, meine ich, auf der Kabarettbühne.

Schaller: Ach, wissen Sie, man lernt mit der Zeit, mit viel List, Tabus zu übergehen und Texte so zu schreiben, dass die sogenannten führenden Genossen, die immer zur Abnahme kamen, es schwer hatten, dort ranzukommen. Also wir lernten einen Text zu schreiben über dieses absolute Tabuthema, dass Leute die DDR verlassen. Und unsere Texte schrieben wir ja nicht bloß mit Freude, wir schrieben sie auch mit viel Schmerz. Und insofern war das – ich will Ihnen ein kleines Erlebnis erzählen: Es war, glaube ich, 87, als eines unserer Stücke bei den Kabarettfesttagen in Gera aufgeführt wurde, und die Leute nicht nur 15 Minuten stehend klatschten, sondern die Taschentücher zogen, und es waren Tränen in den Augen, weil das eine Zeit war einerseits der Resignation und der politischen Starre, andererseits durch Gorbatschow auch genährt eine Zeit der Hoffnung, es wird sich, es muss sich was ändern. Wir wussten nicht was, aber wir wussten, so wird es nicht bleiben. Und das war immer diese Hoffnung auf Veränderung, das war immer unser Motor beim Schreiben, bis jetzt eigentlich, bis zu den letzten Texten, die wir gemeinsam gemacht haben. Denn ich denke, auch diese Gesellschaft heute hat nichts wichtigeres als sich zu ändern, um zu überleben.

Kassel: Jetzt haben wir viel übers Schreiben gesprochen, und ich glaube, auch zu Recht. Der Peter Ensikat, der, wenn man mal drei Berufsbezeichnungen hier einfach so hinausrufen kann, war ja Schauspieler, Autor und Kabarettist. Aber er hat gerade in den letzten Jahren, wo er ja auch viele Bücher veröffentlicht hat, immer wieder gesagt, ich selber sehe mich in erster Linie als Autor. Stand er aber trotzdem auch gerne auf der Bühne?

Schaller: Das hat er, glaube ich, nicht zugegeben, aber ich glaube schon, dass er es gerne … wissen Sie, wenn man immer nur einsam am Schreibtisch sitzt, dann ist es, glaube ich, auch mal ganz schön, wenn man mit seinen Texten vors Publikum treten kann und selber spürt, ob die Texte beim Publikum ankommen. Und er war ja unermüdlich – ich habe ihn immer bestaunt – er war ja unermüdlich mit seinen Büchern bei Lesungen unterwegs in Ost wie in West. Und dass ich einen Freund verliere, das ist für die Welt nicht so wichtig, aber ich denke, Deutschland verliert auch einen wichtigen Satiriker. Und ich denke, wer Dieter Hildebrandt kennt, der müsste auch – wenn er sich für den Osten interessiert – auch Peter Ensikat kennen. Er hat ja nicht nur viele Stücke geschrieben – unsere Stücke wurden ja überall gespielt –, er hat ja vor allen Dingen auch viele Bücher geschrieben und viel auch an journalistischer Arbeit hinterlassen.

Kassel: Es gibt ja auch – das fällt mir jetzt sofort ein, wo Sie das gerade gesagt haben, Herr Schaller – diese Äußerung von Peter Ensikat, weil er ja nach der Wende oft als der Hildebrandt des Ostens bezeichnet wurde, und da hat er ja mindestens einmal gesagt, die Einheit ist dann vollendet, wenn man Hildebrandt als den Ensikat des Westens bezeichnet. Ich fürchte, so weit sind wir noch nicht. Herr Schaller, ich möchte auf ein Jahr noch kommen, in dem, was, wie ich finde, sehr Außerordentliches passiert ist, das Jahr 1988. Sie haben vorhin schon gesagt, 87, diese Zeit wirklich großer Verzweiflung und Frustration, auch bei Ihnen beiden, und 88 haben Sie dann beide den Nationalpreis der DDR bekommen. Wie hat Herr Ensikat, wie haben Sie das damals empfunden?

Schaller: Ja, es gibt ja Tage und Zeiten, auf die ist man nicht so besonders stolz, obwohl ich dazu stehe. Ich weiß, welche Freunde sich dafür eingesetzt haben, dass wir einen Preis erhalten, weil sie sich damit erhofften, wenn wir einen Preis bekommen, dass wir von den sogenannten führenden Genossen bei den Abnahmen nicht mehr so leicht angepinkelt werden können, dass wir geschützt seien. Das hat sich zwar als Irrtum erwiesen, und man kann jetzt viel darüber spekulieren, ob man mutiger gewesen wäre, man hätte zu diesem Preis nein gesagt … ja, wir stehen zu dieser Vergangenheit, wo man mit seinem kleinen Mut oftmals auch feige war und seiner Feigheit oftmals auch sehr mutig.

Kassel: Sie haben vorhin schon das Zitat gebracht, Kabarett lohne sich nur in der Diktatur. Wie hat denn Peter Ensikat dann die Jahre nach der Diktatur empfunden, nach 89? Ich muss dazu sagen, ich hatte bei ihm das Gefühl – und das hatte ich nicht bei so vielen, ehrlich gesagt –, dass er weder die DDR idealisiert hat, noch sie in Bausch und Bogen verdammt.

Schaller: Aber sehen Sie, wenn ein Kabarettist aus unseren befreundeten westlichen Bruderländern über seinen Lebenslauf spricht, meinetwegen über die 68er oder so, wird ihm niemand Nostalgie vorwerfen. Und wir haben uns natürlich in den 90er-Jahren auch sehr viel mit dem Land beschäftigt, in dem wir lebten, und mussten dafür hinnehmen, wir würden die DDR wieder haben wollen, nur weil wir sie versucht haben für uns einzuordnen und unseren Leben Fragen zu stellen. Peter Ensikat ist von diesem Thema, glaube ich, lange nicht weggekommen, seine Bücher haben dieses Thema ja bis heute, und ich glaube, das war auch sehr wichtig, dass einer, der in der DDR gelebt hat, über die DDR schreibt, und uns nicht andere, die die DDR nicht erlebt haben, beibringen, wie die DDR gewesen ist.

Kassel: Da haben wir uns gerade, Herr Schaller, völlig missverstanden, aber ich finde, das ist auch interessant für so ein – ich sage es jetzt mal ehrlich – West-Ost-Gespräch, wenn man es heute noch so nennen möchte. Ich meinte das anerkennend, ich meinte damit eigentlich, dass er in einer Art und Weise mit der DDR, mit seiner persönlichen, aber auch allgemein mit der DDR-Vergangenheit umgegangen ist, die mir als Westler völlig nachvollziehbar und völlig angemessen erschien – ich meinte das nicht kritisch!

Schaller: Nein, nein, ich sage nur an Beispiel seiner Bücher, dass das zeigt, man hat 40 Jahre in diesem Land gelebt, und es ist ganz klar, dass man sich dann auch noch anschließend damit auseinandersetzt. Und ich glaube, Peter Ensikat hat das immer sehr ehrlich getan und sehr private, aber andererseits auch sehr stimmige Einschätzungen dieses Landes gegeben.

Kassel: Ist denn das Arbeiten als Kabarettist, ich frage das Sie, ich frage Sie das auch in Bezug auf Peter Ensikat, ist es denn einfacher, sinnvoller, sinnloser geworden nach 1989, 1990?

Schaller: Ach, das will ich nicht sagen. Kabarett wird ja, solange es Kabarett gibt, immer schon genannt als veraltet und gestrig, und das hören wir uns auch gern manchmal heute noch an, dass gerade das, was mit Peter Ensikat zusammen entstanden ist, das Kabarett von gestern sei. Wir haben unser Kabarett nie, und das was wir geschrieben haben, nie verstanden als eine Modeinstitution. Uns ging es darum, etwas zu sagen, was auf der Seele brennt. Und wir hören heute eigentlich genau noch so wie früher Leute, die sagen, das ist toll, dass ihr das gesagt habt, ihr habt uns ein bisschen Mut gemacht, auch wieder mal den Mund aufzumachen und uns nicht alles gefallen zu lassen.

Kassel: Wolfgang Schaller, künstlerischer Leiter des Dresdner Kabaretttheaters "Die Herkuleskeule" und langjähriger Weggefährte von Peter Ensikat. Peter Ensikat ist gestern im Alter von 71 Jahren gestorben.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema