Deutschlands älteste Handweberei in Geltow

Die Füße machen das eine, die Hände das andere

Ein alter Webstuhl, davor mehrere Rollen bunten Garns
Weben ist auch Rechenarbeit: Wie viele Fäden auf einen Zentimeter Geschirrtuch oder Tischdecke kommen, muss genau abgezählt werden. © Deutschlandradio / Vanja Budde
Von Vanja Budde |
Im brandenburgischen Geltow befindet sich die älteste noch existierende Handweberei Deutschlands. Sie funktioniert als "aktives Museum", wo Besucher den Weberinnen beim Handwerk an den historischen Gerätschaften zuzusehen können.
Links, rechts, links, rechts: Weberin Petra Steinfurth sitzt an einem der großen, alten Webstühle aus dunklem Holz, tritt unten immer abwechselnd Fußpedale, stößt oben das Schiffchen mit dem Faden durch die sich hebenden und senken Schäfte, immer hin und her, hin und her. Vor ihr entsteht langsam ein Halbleinen-Geschirrtuch in Zartgrün. Schwierig: Die Füße machen das eine, die Hände gleichzeitig etwas ganz anderes. Und Weben ist nicht nur eine körperliche Herausforderung:
"Man muss sich immer voll konzentrieren, egal, was man hier macht, ob beim Litzenziehen, beim Blattstechen, beim Anschnüren", erklärt sie. "Zum Beispiel wenn man beim Litzeneinziehen einen Fehler macht, muss man bis dahin, wo der Fehler ist, wieder aufmachen. Man sieht es erst, wenn man webt, und dann hat man nachher immer den Streifen drin. Das heißt: aufmachen!"

Hier wird alles noch per Hand gemacht

Eine Museums-Besucherin aus Niedersachsen beugt sich neugierig über den Webstuhl. Weben unter Beobachtung und Ansprache: Petra Steinfurth hat sich daran gewöhnt, sie mag ihre Arbeit: "Den meisten Spaß macht eigentlich, dass man von Anfang an bis zum Ende alles selber machen kann. Machen wir ja auch, den Webstuhl einrichten und so."
Ulla Schünemann sitzt an einem der großen, alten Webstühle aus dunklem Holz.
Ulla Schünemann sitzt an einem der großen, alten Webstühle aus dunklem Holz.© Deutschlandradio / Vanja Budde
Wer sich wegen der Museumsbesucher nicht konzentrieren kann, der ist hier fehl am Platze, wer nicht gut rechnen kann auch, erklärt Chefin Ulla Schünemann und lugt streng über ihre Lesebrille. 815 Fäden laufen über den großen Kettbaum. Wie viele Fäden auf einen Zentimeter Geschirrtuch oder Tischdecke kommen, muss genau abgezählt werden.

Namhafte Kundschaft

Für Ulla Schünemann ist diese Weberei auch ihre Heimat. Sie ist hier aufgewachsen: Im Fotobuch des Museums sieht man sie in einer Zinkwanne sitzen: Schon Schünemanns Mutter war hier Weberin, von ihr lernte Tochter Ulla das Handwerk. 1987 übernahm sie schließlich die Geltower Handweberei von Henni Jaensch-Zeymer, hatte acht Angestellte, nahm Kredite auf.
"Und es lief super", erzählt sie. "Weil, wir haben die staatlichen Galerien und die privaten Kunstgewerbeläden beliefert. Aber: Mit der Wende, beziehungsweise mit der Währungsunion war das vorbei. Weil: Jeder aus der DDR wollte alles, nur nicht das, was er vorher 40 Jahre hatte."

Altes Handwerkswissen

Ulla Schünemann gab nicht auf: 1992 gründete sie die Weberei als "Aktives Museum" neu, gefördert von der EU und vom Land Brandenburg. Denn schließlich stehen in den beiden Websälen 16 teils Jahrhunderte alte Webstühle aus Sachsen, Süddeutschland und Schlesien, zwei davon dienen Weberinnen schon seit stolzen 300 Jahren. Im Zeitalter der Made-in-China-Synthetik-Klamotten will Ulla Schünemann die uralte Tradition des Handwebens auch mit dem Museum aufrechterhalten:
"Dass man einfach den Menschen zeigt: Wie wird gewebt, was gehört an Vor-, an Nacharbeiten dazu? Weil: Man hat ja gar keine Ahnung mehr vom Handwerk – ob das jetzt unsers ist oder andere, es ist einfach kaum noch in den Köpfen drin. Und: Was muss alles bewegt werden? Oder: Was bewegt sich vor allen Dingen auch, bis überhaupt dann allmählich so ein Stoff entstehen kann?

Schöne Stoffe: Produkte der Geltower Handweberei
Schöne Stoffe: Produkte der Geltower Handweberei© Deutschlandradio / Vanja Budde
Zu sehen sind mehrere Webrahmen und Arbeitstische. Alles aus Holz. Hier und dort hängen Fäden von den Geräten.
Arbeiten wie früher: In der Handweberei wird noch jeder Handgriff wirklich auch von Hand gemacht.© Vanja Budde/Deutschlandradio
Und gerade bei den Vorarbeiten gibt es so viele Dinge, die beachtet werden müssen: Kette scheren, Kette auslegen, Kette aufbäumen, die Geschirre fertig machen, das heißt: die Schäfte fertig machen, die Litzen aufziehen, dann nachher durch jede einzelne Litze den Kettfaden nach einem bestimmten Muster, weil: Sonst ist nachher das Muster falsch, durch's Blatt einziehen, die Verschnürungen vornehmen. Mit zwei Personen ist das bis zu einer Woche Arbeit."

Handgemacht ist wieder im Kommen

Die Früchte ihrer Arbeit verkaufen die Frauen in einem kleinen Laden in der Weberei: Möbelstoffe und Kleidung aus Wolle, Leinen und Seide. Tischdecken und Geschirrtücher in traditionellen Mustern wie dem Gerstenkorn gearbeitet. Auch der niederländische Künstler Willem de Roij ließ schon für seine Ausstellungen in Geltow weben: mit vergoldeten und versilberten Fäden.
Das Leinen bezieht Schünemann aus Ungarn, webt es nicht bretthart, sondern weich und anschmiegsam. Die Farbpalette ist breit: Rostrot, Ockerbraun, Grün, Rauchgrau oder Ozeanblau. Und es gibt durchaus Kundschaft, die statt nur drei Euro für ein Wegwerf-T-Shirt auszugeben, bereit ist, für nachhaltige Produkte auch angemessene Preise zu zahlen.
"Diese Wertschätzung kommt immer mehr", bestätigt Ulla Schünemann. "Und es gibt auch Leute, die kommen nur in den Laden, fassen an, sagen: ‚Oh, toller Stoff‘. Die spüren das schon, die kennen das schon. Nee, es ist also wirklich zu merken: Es kommt wieder in die Köpfe, sich was Besonderes anfertigen zu lassen, was dann ja oft auch einfach Jahrzehnte hält – die Tischdecke endlich mal passend für den Tisch."
Die Handweberei "Henni Jaensch-Zeymer", die immer auch eine Lebensgemeinschaft war, ist heute ein Familienbetrieb: Ulla Schünemanns Tochter Bianca ist ebenfalls gelernte Weberin, ihre Schwester Nadine betreibt im Hof ein Café mit selbst gebackenem Kuchen.
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