Deutschlands erster Parkmanager

Der Dschingis Khan vom "Görli"

Cengiz Demirci, Parkmanager im Görlitzer Park. Er und seine Parkläufer arbeiten als eine Art Sozialvermittler zwischen Drogendealern und Polizei von einem zum Büro umfunktionierten Bauwagen aus.
Cengiz Demirci, Parkmanager im Görlitzer Park. Er und seine Parkläufer arbeiten als eine Art Sozialvermittler zwischen Drogendealern und Polizei von einem zum Büro umfunktionierten Bauwagen aus. © imago/Jakob Hoff
Von Ernst-Ludwig von Aster |
Abenteuerspielplatz und Kifferparadies, Familien neben Drogendealern, dazu jede Menge Touristen. Eine explosive Mischung. Ein Parkmanager soll den Görlitzer Park befrieden. Was hat er in einem Jahr erreicht?
Cengiz Demirci kniet vor einem alten Ofen. Legt noch zwei Holzscheite nach. Langsam breitet sich Wärme in dem Bauwagen aus. Es ist Mitte Februar im Görlitzer Park in Berlin Kreuzberg.
"Mein Chef hat mir erst gesagt, stellen wir einen Bürocontainer da hin. Da habe ich gesagt, nie im Leben: im Görli Büro-Container, das wird nicht lange stehen. Wir müssen das so machen, wie Görli ist: Ich brauche einen alten Bauwagen und Geld."
Der 45-Jährige grinst. Bauwagen und Geld. Als Startkapital. Für Deutschlands ersten Parkmanager.
"Ich mag wilde Parks, weil wilde Parks haben einen Ansatz, dass man sich zum Freidenken bewegt."

Dealer, Party-Touristen, Roma-Familien

Wild und frei. Da ist er im Görlitzer Park richtig. Dealer, internationale Party-Touristen, Roma-Familien, sie alle zieht es ab dem Frühling in die Grünanlage. Hundebesitzer, Grillfreunde und Freizeitkicker sind dann schon da. Tausende drängen sich in den Sommermonaten zwischen Kinderbauernhof und alten Lokschuppen. Zum traditionellen 1. Mai sogar Zehntausende. Dann ist der Park mehr wild als frei, kritisieren viele Anwohner. "Vom rechtlosen Raum" schreibt die Boulevardpresse. Vom "Sinnbild des Sittenverfalls" die Zeit. Cengiz Demirci reibt sich die Hände. Geht drei Schritte zu seinem kleinen Schreibtisch.
"Hier ist mein Reich. Hier kann ich nach vorne und nach hinten schauen, das ist das Schöne."
Ein Bauwagen im Görlitzer Park in Berlin
Der Bauwagen des Parkmanagers © Ernst-Ludwig von Aster
Der Blick nach hinten, durchs vergitterte Fenster: Bröckelnde Steinterrassen. Das sind die Reste eines türkischen Brunnens, der irgendwann aufwändig gebaut wurde, aber leider mit dem falschen Baumaterial. Der Blick nach vorne, durchs andere, auch vergitterte Fenster: Ein Bolzplatz, eingezäunt, das Gras vernarbt. Für die Zukunft sieht Demirci hier Basketball- und Beachvolleyballfelder. Eine Boulebahn. Und Tischtennisplatten. Cengiz Demirici ist nicht irgendein Parkwächter. Er ist Visionär. Er sieht jede Menge Möglichkeiten, da, wo andere nur Probleme sehen.

Visionen statt Probleme

"Dieser Multisportraum wird morgens aufgeschlossen um acht und abends um 22 Uhr wird er geschlossen. Wir wollen ja nicht das die Leute da übernachten oder alles kaputtmachen oder, oder, oder. Weil wir auch diese Menschen hier haben."
Ein Obdachloser reißt die Bauwagen-Tür auf. Ein Parkbewohner. Rote Wollmütze, rotes Gesicht, dicke, dreckige Klamotten. Letzte Nacht hat er wieder im Park übernachtet. Auf dem Spielplatz. Jetzt sind seine Sachen verschwunden.
"Deine Sachen sind bei der Stadtreinigung", sagt der Parkmanager. Mehrmals hat er ihn gewarnt, nicht auf dem Spielplatz zu schlafen. Ein Abräumen nach Ansage. Grummelnd verschwindet der Mann, Cengiz Demirci dreht sich noch schnell eine Zigarette, zieht eine dicke Jacke über, schließt den Bauwagen ab. Demirci stapft durch den winterlichen Park. Seinen Park. Etwas mehr als ein Jahr ist er jetzt im Dienst als Parkmanager. Er ist ein Macher-Typ. Und er eckt an. Linke Kiez-Kämpfer beschimpften ihn als Gentrifizierer. Rechte Plattformen als Multi-Kulti-Kuschler. Eine Morddrohung gab es auch schon.
"Es gab Moment, wo ich gesagt habe: Ich lasse mich einfach nicht wegmobben. Mein Name bedeutet ja auch gerechter Herrscher, Cengiz, Dschengis Khan."
Drei vermeintliche Drogendealer werden im Berliner Görlitzer Park von Polizisten kontrolliert, aufgenommen 2015
Drei vermeintliche Drogendealer werden im Berliner Görlitzer Park von Polizisten kontrolliert© imago/Olaf Wagner
Der "gerechte Herrscher" nickt im Vorbeigehen einigen Schwarzafrikanern zu, die an einer Bank stehen. In dicken Steppjacken warten sie auf Kunden, im kalten Wind. Die Männer nicken zurück. Sagen wollen sie nichts. Bis zu 250 Dealer machen im Görlitzer Park im Sommer ihre Geschäfte mit Marihuana. Sie zu vertreiben wurde jahrelang mit allen Mitteln versucht: Polizei, Razzien, Null-Toleranzzonen – es hat nicht funktioniert. Am nächsten Tag waren sie wieder da. Der Parkmanager geht den pragmatischen Weg.
"Da haben wir mit denen mehr oder weniger einen Vertrag, mündlich, es werden keine Kinder und Jugendliche angesprochen, Frauen werden sexistisch nicht angemacht. Es soll kein Spalier stehen. Die Türe oder Tore sollen offen stehen."

Der "Görli" fehlt in keinem Touristenführer

Weiter geht es, vorbei an der Kuhle, einer Einbuchtung mitten im Park – im Sommer beliebter Treffpunkt für Jam-Sessions. Weiter bis zum Kindernbauernhof, dann vorbei am Sportplatz. 14 Hektar Grünfläche, langezogen, zwischen Landwehrkanal und Spree, das ist der Görlitzer Park. Vielleicht ist das Wort "Park" etwas in die Irre führend. Seit der "Görli" in keinem Touristenführer mehr fehlt und ganze Schülergruppen auf Klassenreise um ein Selfie im verruchtesten Park Deutschlands kämpfen, ist der Görli eine Art "Meeting Point". Demirci lässt sich davon nicht beeindrucken, er eilt weiter, nach ganz hinten, in eine abgelegene Ecke. Dort beginnt für ihn die Zukunft: Noch eine Vision.
Er fummelt einen Schlüssel aus der Jacke. Öffnet das Tor zu einem alten Abstell- und Lagerplatz. In den letzten Wochen wurde hier aufgeräumt. Jetzt warten einige Bauwagen auf ihre Nutzung.
"In der Zukunft soll hier eine Möbelwerkstatt entstehen. In diesem hier soll ein Fahrradwerkstatt und da vorne soll eine Kunstwerkstatt entstehen, Und da vorne soll ein Bauwagencafe entstehen. Der ganze Raum wird hier drogenfrei sein. Weder Alkohol, noch Zigaretten, noch etwas anderes."
Berlin Friedrichshain-Kreuzberg: Berliner und Touristen genießen den Sommer im Görlitzer Park
Berlin Friedrichshain-Kreuzberg: Berliner und Touristen genießen den Sommer im Görlitzer Park© picture alliance / Eventpress Mueller-Stauffenberg
Der Master-Plan des Managers: Werkstätten, die in einem Verbund arbeiten. Anwohner beschäftigen und auch Menschen ohne Aufenthaltsstatus Verdienst-Möglichkeiten bieten. Zum Beispiel den Dealern. Eine Art Görlitzer-Park AG, gemeinwirtschaftlich, solidarisch, deren Gewinn in einen Görli-Fonds fließt, der dann Park-Projekte finanziert. Eine große Idee für einen kleinen Park. Von einem Manager mit wenig Macht. Und wenig Zeit. Sein Vertrag läuft im Herbst aus. Jetzt ist Februar und Demirci sieht so aus, als würde er gerne sofort anpacken. Aber da sind diese Abläufe, die ihn so oft zum Verzweifeln bringen.
"Ich muss meinem Verwaltungschef Rede und Antwort stehen. Meinem politischen Chef Rede und Antwort stehen. Und evt. auch dem Gründungsrat Rede und Antwort stehen. Und alle Bürger kommen nicht zum Gründungsrat, sondern zu mir."
An einem Donnerstag im Nachbarschaftszentrum sitzen sieben Männer und Frauen. Der Gründungsparkrat. Gewählt von den Anwohnern des Görli. 50.000 Menschen leben rund um den Park. Bei der Wahl gaben nur 150 ihre Stimme ab. Der Gründungsparkrat ist aus anderem Holz geschnitzt als der Parkmanager.

Kreuzberger Bildungsbürger im Parkrat

Nur sechs von 15 Gründungsparkratsmitglieder sind gekommen. Darunter: Ein Lehrer, ein Computerspezialist, ein Sozialarbeiter. Kreuzberger Bildungsbürgertum. Engagiert und diskussionsfreudig. Alle im Ehrenamt. Den Moderator zahlt das Bezirksamt.
Der Gründungsparkrat soll die Wahl eines breit aufgestellten Parkrates vorbereiten, eine Park-Satzung erarbeiten, gleichzeitig beratend bei allen aktuellen Entscheidungen rund um den Park mitwirken. Bürgerbeteiligung pur. Ein "Handlungskonzept" ist die Arbeitsgrundlage, 55 Seiten stark, erarbeitet 2016. Ergänzt um eine "Ethnographische Nutzungsanalyse von 2015". Titel: "Hier ist jeder Busch politisch".
Martin Heuß schüttelt den Kopf, er möchte den bevorstehenden 1. Mai auf der Tagesordnung sehen. Der Moderator blättert in seiner Planungsmappe. Heuß ist eines der aktivsten Parkratsmitglieder, Computerspezialist, Parkanwohner, ein Mann um die 60, mit beeindruckender Statur. Und ausgeprägtem Diskussionsbedürfnis.
Der 1. Mai ist in Kreuzberg Großkampftag. Der Görlitzer Park liegt im Zentrum des Geschehens. Also hat der Bezirk beschlossen, in diesem Jahr den Zugang zum Görlitzer Park umfassend zu kontrollieren. Und ein Fest zu organisieren. Die Idee dazu hat der Parkmanager Cengiz Demirci mitentwickelt. Der Gründungsparkrat war in die Vorbereitungen nicht eingebunden. Ein Alleingang, mal wieder. Das ärgert alle hier.

Parkläufer "Solo" hört auf Manager Demirci

Im Bauwagen im Görlitzer Park stellt Souleymane Sow die Tasche beiseite. "Solo" wie ihn hier alle nennen, kommt aus Guinea. Und spricht fast jede Sprache Westafrikas. Grillfreunden die reservierten Zonen im Park zeigen, verlorene Kinder zu den Eltern bringen, betrunkene Jugendliche versorgen, Touristen-Fragen beantworten – das ist sein Job als Parkläufer. Präsenz zeigen, Hilfe anbieten. Und vor allem gegenüber den Dealern die Einhaltung von Absprachen anmahnen. Sie sind bei einem Sicherheitsunternehmen angestellt, im Park aber hören sie auf den Manager Demirci, er verteilt die Aufgaben.
"Wir sollen mit den Leuten sprechen, das heißt den Dealern, wenn wir da vorbeikommen, wir begrüßen die auch, wir haben Respekt vor die, die haben auch Respekt vor uns, wir können auch kommen mal und sagen hier nicht an die Eingänge stehen, sondern ein bisschen reingehen. Das ist ein Teil von unserem Job."
Mann sieht einen Mann von hinten in gründer Jacke, auf dem "Parkläufer" steht. Parkläufer arbeiten im Berliner Görlitzer Park als eine Art Sozialvermittler zwischen Drogendealern und Polizei.
Parkläufer arbeiten im Berliner Görlitzer Park als eine Art Sozialvermittler zwischen Drogendealern und Polizei.© imago/Jakob Hoff
Vor der Tür warten zwei klapprige Mountain-Bikes. Ihr Dienstfahrzeuge. Selbst gekauft. Der Parkmanager fährt e-bike. Solo setzt die Sonnenbrille auf. Es ist jetzt Frühling und es wird voller im Park. Mehr Besucher und auch mehr Dealer. Solo lässt den Blick schweifen.
"Beim Eingang sind die Araber, Marokko, Tunesien und so. Und wenn man ein bisschen reinkommt, wo dieses Dreieck ist, das sind Ghana, hinter dem Edelweiss sind Guinea Conakry auf der anderen Seite sind Gambia, die sind aber nicht da, wenn weniger Leute da sind, dann war die Polizei da. Es ist immer irgendwas. Man denkt, es ist ganz ruhig, und auf einmal fangen sie an, sich zu kloppen."
In den meisten Fällen können sie schlichten. Im Notfall holen sie auch die Polizei. Das wissen alle hier. Und hören meist lieber auf die Parkläufer.

Zu eigensinnig, zu abgehoben

Gut vier Kilometer weiter nippt Cengiz Demirci an einem Cafe Americano. Lehnt sich im Loungesessel zurück in einem kleinen Bistro in der Nähe vom Rathaus Kreuzberg. Auch dort hat der Parkmanager ein Büro. Dass er kein eingeborener Kreuzberger ist, wird hinter vorgehaltener Hand kritisiert. Und noch nicht mal im Bezirk wohnt. Er sei zu eigensinnig, seine Vorschläge abgehoben, klagt der Gründungsparkrat, wenn Demirci mal wieder mit einer Idee vorprescht. Von einer Görli-Park-App schwärmt. Oder kleinen Park-Bühnen, auf denen jeder auftreten kann.
Wohin es geht, davon hat Demirci eine klare Vorstellung. Ein Modellraum für Bürgerbeteiligung und sozialem Miteinander, ein Raum auch für Sozialökonomie, wo für die Gemeinschaft gewirtschaftet wird. "Meine Eltern waren Marxisten", erzählt er, nimmt noch einen Schluck Kaffee, fährt sich durch die grauen Barstoppeln. Demirci ist in Germersheim und Istanbul aufgewachsen, hat in Hannover Arbeits- und Kommunikationspsychologie studiert, Sozialarbeit mit Jugendlichen und Erwachsenen gemacht, zwischendurch für eine Fitnesskette gearbeitet, zuletzt war er Stadteilkoordinator im Berliner Bezirk Charlottenburg.
Ein letzter Schluck Kaffee, dann muss er rüber ins Rathaus. Bürokratisches erledigen, auch das gehört dazu. Visionen in Anträge, Formulare und Finanzpläne pressen.
Eine Woche später, 1. Mai, elf Uhr vormittags. Einige Krähen hüpfen über den Rasen im Görlitzer Park. Zerren Pappteller aus den Mülleimern. Zwei Männer beladen einen Anhänger mit zwölf Flaschen Gin, und drei Kästen Rum. Ziehen ihn am Bauwagen des Parkmanagers vorbei, Richtung Kuhle. Schnapslieferung für die Getränkestände, die am Park verteilt sind. Solo nickt den Männern grinsend zu, der Parkläufer schlendert mit drei Kollegen vorbei, insgesamt sind heute fast 80 Kreuzberger Sicherheitsleute im Einsatz. Die meisten stehen an den Eingängen, sie sollen später Taschen kontrollieren, Fahrradfahrer draußen halten, bei Überfüllung die Zugänge sperren.

Von der Brache zur Party-Meile

Eine Rentnerin sitzt auf einer Bank an der großen Kuhle. Beobachtet interessiert die Vorbereitungsarbeiten. Vor 40 Jahren zog sie aus Kiel nach Berlin. Hier in eine Nebenstraße vom Park, der damals noch gar kein Park war. Das Gelände, wo bis 1945 der Görlitzer Bahnhof stand, war über Jahrzehnte eine Brache: Schuttplatz, Kohlelager, Drogenumschlagpunkt, Strichertreff, Konzertort. Alles subversiv.
"Da war ja kein Park, da war nur Schutt und Schuppen. Es war viel illegal hier, dann hat es zwischen durch mal gebrannt, es war, glaube ich, alles illegal."
Abenteuerspielplatz und Kifferparadies. Im Schatten der Mauer, die Berlin teilte und dem Görlitzer Bahnhof einen Platz ganz am Rande des wilden Kreuzbergs zugewiesen hatte. Erst Ende der 80er Jahre wurde es hier langsam grün. Die Hausbesetzer-Bewegung forderte einen "Görlitzer Stadtpark". Anwohnerinitiativen begannen mit Bepflanzungen, das Bezirksamt mit Befragungen. Einige wünschten sich Kletterfelsen, andere einen See. Den kleinen See gibt es noch heute.
Seit dem Mauerfall liegt der Görlitzer Park im Zentrum des legendären Partydreiecks an der Spree. Zehntausende Touristen kommen bei schönem Wetter in den Görli, machen den Park zur Partyfläche. Und lassen das Geschäft der Dealer boomen. "Erst easy-jet, dann easy fett", kalauert die Party-Szene. Dieser Tourismus, klagt die Rentnerin, hat den Görli mehr verändert als alles andere.
"Fürchterlich, fürchterlich, wenn ich Geld hätte, würde ich hier wegziehen. Da sind auch viele so ballermäßig drauf, so rücksichtslos, so nur zerstören, und dann wieder abfliegen, das ist mein Eindruck manchmal."
Zahlreiche Besucher feiern beim Kreuzberger Maifest "MaiGörli" im Görlitzer Park den Tag der Arbeit. 
Maifest "MaiGörli" in Berlin am Tag der Arbeit im Jahr 2018© dpa / Bernd von Jutrczenka
Um 17.00 Uhr am 1. Mai kreist ein Hubschrauber über dem Park. Cengiz Demirci hat einige Zäune um seinen Bauwagen gestellt, einen Sichtschutz drum herum gezogen.
"12.500 Leute ist das Limit, wenn 12.500 Leute vom Helikopter aus gesagt wird, ist erreicht, dann wird gestoppt, dann feiern die Leute erstmal hier drin. Und dann warten wir ab, dass eine Menge Menschen rausgehen, dass wir wieder welche reinlassen. Wir werden nicht sagen 15 Leute rein, 15 Leute raus, wir werden abwarten, bis 1000 Leute rausgegangen sind, dann lassen wir 100 Leute wieder rein."
Große Zahlen, große Bühne – Demirci ist in seinem Element: Zugangskontrollen, Zugangsbegrenzungen, keine Glasflaschen, keine wilden Verkäufe – ein striktes Partymanagement hat der Bezirk dem Park verordnet. Dahinter steckt auch Demirci. Im letzten Jahr feierten hier Zehntausende, jeder machte was er wollte, am nächsten Tag sah die Grünfläche arg ramponiert aus. Das soll diesmal anders werden. Und das gelingt auch. Florian Fleischmann jedenfalls sieht zufrieden aus. Der Sprecher des Gründungsparkrates sendet versöhnliche Töne in Richtung Parkmanager.
"Wir arbeiten zusammen und haben auch manchmal Differenzen. Er hat seinen Blick auf den Park, wir haben unseren Blick auf den Park. Oft sind wir da auch auf den gleichen Gleisen."

Es knirscht zwischen Parkmanager und Bürgerrat

Ein Donnerstag, Anfang Juni. Cengiz Demirci kommt aus seinem Bauwagen. Offenes weißes Hemd, darunter ein knallbuntes T-Shirt, auf dem Kopf einen Strohhut. Er muss zum Gründungsparkrats-Treffen. Es knirscht mal wieder zwischen dem Parkmanager und dem Bürgerrat. Seit etlichen Wochen schon. Öffentlich haben ihm einige Mitglieder "Aktionismus" vorgeworfen. Demirci konterte: "Die am lautesten schreien sind am seltensten im Park".
Im Nachbarschaftszentrums sind ausnahmsweise alle Stühle besetzt. Heute soll über die Ausschreibung für das Werkstatt-Projekt Demircis entschieden werden. So war es beim letzten Mal beschlossen worden. Der diskussionsfreudige Martin Heuß aber hat noch Fragen und will nicht abstimmen, sondern debattieren.
Cengiz Demirci rollt mit den Augen. Vor ihm liegen zwei Mobiltelefone. Und zwei Dokumentenmappen. Sein Blick schweift nach rechts. Im Regal steht ein Brettspiel: "Das verrückte Labyrinth". Cengiz Demirci schiebt die beiden Mobiltelefone hin- und her. Seit Wochen wirbt er für sein Modell, hat die Verwaltung überzeugt. Er will, dass es endlich, endlich losgeht.
"Wer ist dagegen, das die Ausschreibung in dieser Form rausgeht 1,2,3,4,5,6,7. Wer enthält sich: 7:1. Und dafür war überhaupt keiner."
Cengiz Demirci verschränkt die Arme vor der Brust. Unfassbar, alles wird vertagt. Es soll weitere Diskussionen geben. Einige Minuten sitzt er so, dann ist es 20.00 Uhr.
"Ich muss los, … Tschüss. Tschüss, tschüss."
Am nächsten Tag sind Solo und sein Kollege wieder auf Park-Patrouille. In der Kuhle chillen Touristen, ein Stück weiter grillen türkische Familien, am Spielplatz feiern zwei Familien Kindergeburtstag. An den Eingängen und am Hauptweg warten die Dealer auf Kundschaft. Solo stoppt kurz vor dem Kinderbauernhof. Blickt über die Kuhle. Sein Betätigungsfeld in den letzten Monaten waren die Eingänge und der Hauptweg.

Die Zahl der Straftaten im Park sinkt

Die Zahl der schweren Straftaten wie Raub, Diebstahl und Körperverletzungen ist im Park zurückgegangen, berichten die Parkläufer. Und auch die Polizei. Die ist mit ihren Razzien und Null-Toleranz-Zonen gescheitert. Die Dealer sind einfach in die Nebenstraßen umgezogen. Und standen kurze Zeit später wieder im Park.
"Jeder macht für sich selber. Und Cengiz hat dann gesagt, dann gibt er Gruppenstrafe, wenn sowas ist, dann mussten alle bestraft werden."
Seit der Parkmanager die Idee hatte, Gruppenstrafen zu verhängen, wissen die Dealer, dass sie jetzt gemeinsam für Verstöße Einzelner verantwortlich gemacht werden. Wenn sie sich daneben benehmen, dann steht ein Polizei-Transporter vor ihrem Standort. Das Modell funktioniert, sagt Solo.
"Er passt zu dem Park, er macht sehr viel und ich glaube schon, dass er das richtig macht. Dieser Park braucht jemand wie Cengiz, weil erstens er ist Ausländer, Und wenn er zu Leuten kommt und redet mit ihnen, weil die meisten sind Ausländer, dann sagt er auch: Hören sie, ich bin selber auch Ausländer, aber wir müssen uns alle an Regeln halten."
Müll und Graffiti im Görlitzer Park in Berlin Kreuzberg-Friedrichshain, aufgenommen 2012
Müll und Graffiti im Görlitzer Park in Berlin Kreuzberg-Friedrichshain© imago/tagesspiegel
Zwei Wochen später, Mitte Juni, um kurz vor neun. Vögel zwitschern im Park. Eine Mitarbeiterin der Stadtreinigung fegt die bröckelnden Steine des maroden Brunnens. Vor dem Bauwagen wartet eine Handvoll Mitglieder des Gründungsparkrats. Dann rollt die Kreuzberger Bürgermeisterin mit dem Fahrrad vor: Monika Hermann stand im Stau.

Eine Bürgersatzung für den "Görli"

Sie grüßt in die Runde, dreht sich noch schnell eine Zigarette. Der zuständige Stadtrat fehlt noch. Heute soll die Parksatzung unterschrieben werden. Die erste Satzung, die Bürger für ihren eigenen Park entwickelt haben! Der Amtsleiter präsentiert drei Exemplare der Parksatzung. Monatelang haben Gründungsrat, Verwaltung und Parkmanager daran gearbeitet. Prüfend blättert Martin Heuß durch die Seiten. Stutzt bei Paragraph 15: Er regelt, wie oft sich der Parkrat und die Verantwortlichen vom Bezirksamt in Zukunft pro Jahr treffen.
Florian Fleischmann klappt seinen Computer auf. Präsentiert den kompletten Schriftwechsel. Der letzte Änderungswünsch des Gründungsrats wird aufgenommen. Bürgermeisterin Monika Hermann schüttelt lächelnd den Kopf. Greift zum grünen Stift – und unterzeichnet.
Die Unterzeichnung der Satzung für den Bürgerrat
Die Unterzeichnung der Satzung für den Bürgerrat © Ernst-Ludwig von Aster
Mit zehn Minuten Verspätung kommt der Stadtrat. Jetzt sind alle da. Nur Cengiz Demirci, der Parkmanager, fehlt. Er ist beim Arzt. Seine Unterschrift ist auch nicht vorgesehen.
Kurz vor den Sommerferien. Gestaltungsbürger und Parkmanager Cengiz Demirci nimmt einen Schluck Kaffee Americano. Er sieht müde aus. Sein Blick wandert durch Raum. Im Bücherregal stehen Günther Wallraffs "Industriereportagen" neben dem Ratgeber: "Heute schon kooperiert?"
"Zwischen Gründungsrat und mir in dem letzten Jahr ist es gescheitert, das muss man ganz offen sagen, teilweise bin ich auch daran selber schuldig, weil ich auch ein Dickkopf bin. Und andere haben auch Dickköpfe und sagen: So geht es nicht."
Sein Werkstatt-Projekt ist erstmal auf Eis gelegt. So hat es der Gründungsparkrat beschlossen.
In letzter Zeit hat er häufig nachgedacht: diese Entscheidungsstrukturen, die langen Diskussionen, die oft wiederkehrenden Themen. Ob es überhaupt lohnt, weiterzumachen. Er wirkt zermürbt. Aber dann fallen ihm die Erfolge ein. Und ein Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus.
"Wo ich angefangen habe, letztes Jahr im April, da waren drei Jogger unterwegs, keine Joggerinnen. Jetzt, wenn ich morgens mal hingehe, und das drei Tage hintereinander, habe ich 15 Jogger. Und da sind auch Frauen darunter. Es gibt also eine Sicherheit, die auch für die Menschen spürbar ist, daher kommen sie wieder in den Park, um zu joggen, das ist eine Sache, die wir in einem Jahr geschafft haben, was niemand gedacht hat."

Parkmanager Demirci will mehr

Ein Jahr, das ist keine Zeit für so eine große Aufgabe. Die Kriminalitätsrate ist runter, das Sicherheitsgefühl rauf. Familien und Kinder sind zurück im Park, an Wochenende sind die Grillwiesen voll. Die Dealer halten sich weitgehend an die Absprachen. Sofort ist Demirci wieder in seinem Element. Da geht noch mehr.
"Wir können im Görli Neues schaffen. Was können wir schaffen? Wir können der Gesellschaft sagen: Egal wo Du herkommst, durch Gespräche miteinander können wir erreichen, dass wir uns verstehen und dass wir eine gemeinschaftliche Gesellschaft aufbauen."
Ja, Demirici will weitermachen. Das hat er seinen Vorgesetzten signalisiert. Er hat gehört, dass einige Mitglieder des Gründungsparkrats angefragt haben, ob seine Stelle nicht neu besetzt werden könnte. Der Parkmanager lächelt, wiegt den Kopf. "Typisch Kreuzberg", sagt er.
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